Die deutschen U17-Junioren im EM-Halbfinale
Nach einem wackeligen Auftakt mit einer schwachen ersten Halbzeit gegen Georgien spielten die DFB-U17-Junioren eine hervorragende, dominante Gruppenphase mit drei Siegen ohne Gegentor und haben sich nun zum Topfavoriten aufgeschwungen.
Im ersten Spiel gegen die Georgier hatte man sich bereits in der zweiten Halbzeit steigern können und letztlich einen knappen, aber verdienten 1:0-Sieg errungen. Mit dem gleichen Ergebnis bezwang man die Isländer – nach einer relativ frühen Führung spielte die deutsche Mannschaft diesen Vorsprung souverän herunter, hatte vorne noch die eine oder andere Chance, ließ aber insbesondere hinten nichts mehr zu. Dies führte dazu, dass das Team von Trainer Stefan Böger vor dem letzten Spiel gegen Frankreich sogar bereits als Gruppensieger feststand. Obwohl man somit die gelbvorbelasteten Spieler schonte und einige Male wechselte, obwohl die Franzosen noch mit den beiden anderen Teams um das Weiterkommen stritten und daher am besten einen Sieg brauchten, konnte die deutsche Mannschaft erneut ohne Gegentor auch ihr letztes Gruppenspiel gewinnen. Nach einer torlosen ersten Halbzeit konnte man mit einem Doppelschlag und einem relativ zügigen 3:0 die Weichen auf Sieg stellen, auch wenn dieser wohl etwas zu hoch ausfiel.
Die Spiele gegen Island und Frankreich im kurzen Abriss
Gegen die Isländer stand man in der Defensive erneut sicher, was besonders durch die gut aufrückende Abwehrlinie bedingt war, deren Mitglieder zudem in hohen Spielfeldbereichen immer wieder sehr gute Antizipation bewiesen und eine Reihe von gegnerischen Zuspielen mit Intelligenz und Mut abfingen, wobei Itter hier ein wenig abfiel.
Desweiteren kam mit Marc-Oliver Kempf ein neuer defensiver Mittelfeldspieler für den Gladbacher Nico Brandenburger in die Mannschaft. Der sehr große und auch als Innenverteidiger einsetzbare Kempf interpretierte seine Rolle dabei defensiver als Brandenburger. Während er in der Defensive einen guten Abräumer spielte, sollte er im Aufbauspiel besonders als Raumschaffer für Kapitän Goretzka fungieren, indem er sich recht hoch postierte, auf die Seite auswich und sich von seinem Partner entfernte. Wenn er aber gerade nicht diese Rolle ausfüllen sollte, bot er sich ein bisschen zu wenig aktiv an.
Weil die Isländer außerdem ziemlich defensiv agierten und die beiden zentralen Mittelfeldspieler des DFB-Teams mit ihren beiden Stürmern abdeckten, wurde das Offensivspiel der Böger-Truppe um einiges gehemmt. Es war nicht einfach, sich nach vorne ins letzte Drittel zu spielen. Dort zeigte man wieder eine ordentliche Leistung – es fehlte ein wenig an der letzten Durchschlagskraft, welche auch der erneut unglücklich agierende Benkarit nicht liefern konnte, aber gerade nach Konter- oder Gegenpressingsituationen hatte der deutsche Nachwuchs gute Szenen.
Gegen die Franzosen gab es dann eine ganze Reihe von Umstellungen, während man gegen die Isländer so gespielt hatte wie in der zweiten Halbzeit gegen Georgien und einzig eben Kempf für Brandenburger ins Team gekommen war. Nun gab es vor dem eher unbedeutenden letzten Spiel vier Änderungen – die drei gelbvorbelasteten Süle, Goretzka und Stendera sowie Said Benkarit wurden diesmal nicht in der Startelf eingesetzt. Für sie kehrten Brandenburger und Dittgen ins Team zurück, während Akpoguma und Werner ihr Startelfdebüt feierten.
Die nicht in Bestbesetzung antretende deutsche Mannschaft lieferte sich mit den Franzosen zunächst ein Duell auf Augenhöhe. Es gelang den technisch versierten Gegnern besser als Georgien und Island, die deutsche Defensive in die eine oder andere Verlegenheit zu stürzen – wirklich viele und große Chancen konnten sich die jungen Les Bleus allerdings nicht herausspielen. Dennoch musste ein von Schnitzler gehaltener, wenn auch sehr strittiger Elfmeter dafür sorgen, dass die Serie ohne Gegentor anhielt.
Im Vergleich zur erfolgreichen zweiten Halbzeit gegen Georgien sowie dem Spiel gegen die Isländer spielte man nun etwas anders – der spielerisch stärkste Deutsche, Max Meyer, rückte vom Flügel wieder ins Zentrum und füllte dort die Rolle eines modernen und auf die Seite ausweichenden Zehners aus. Dort versuchte er, mit den Außenspielern Überzahlsituationen zu schaffen, wobei die Pärchen auf den Außenseiten nicht ganz ideal schienen. Schließlich hing es auch mit einem guten Gegner sowie einem anderen Stürmertypen zusammen, dass man nicht ganz so flüssig spielte wie noch z.B. in der zweiten Halbzeit gegen Georgien.
So entstanden die Tore auch nicht aus schnellen und dynamischen Kombinationen, sondern vor allem waren sie durch die Eroberung von zweiten Bällen oder das Erzwingen gegnerischer Ballverluste geprägt: Der erste Treffer war einzig dem genialen Außenristpass von Sarr zuzuschreiben, das zweite Tor fiel nach einer guten Pressing-Situation und einem Dribbling von Brandt, während der letzte Treffer ein Konter nach einem hervorragenden Pass von Meyer war.
Daraus lassen sich durchaus interessante Schlussfolgerungen ziehen – bevor diese allerdings im Fazit erläutert werden, zunächst noch ein kurzer Blick auf einige Spieler.
Pascal Itter, Marc-Oliver Kempf und die beiden Stamm-Innenverteidiger
Im Spiel gegen die Franzosen ersetzte Rechtsverteidiger Pascal Itter den etatmäßigen Spielführer Leon Goretzka in dessen Funktion des Kapitäns. Diese Rolle als Vize-Kapitän passt durchaus gut zum Spielertyps des Nürnbergers: Itter ist ein sehr zweikampfstarker und vor allem aggressiver sowie giftiger Spieler. Auch im Stellungsspiel zeigt er sich ordentlich, ist allerdings im Offensivspiel nicht so sauber und in Sachen Antizipation nicht so stark wie seine Kollegen in der Abwehr.
Dort agieren in der Innenverteidigung normalerweise Niklas Süle und Marian Sarr, die ein sehr interessantes und auch zusammenpassendes Duo verkörpern. Während Sarr enorm spielstark ist und nicht nur bei der Vorarbeit zum ersten Tor gegen die Franzosen teilweise fast schon ein wenig elegant wie die Liberi alter Schule wirkte, kommt Süle noch etwas stärker über die Physis. Er wirkt einschüchternder, kühler und ist robuster, wohingegen der dagegen mehr über die Athletik kommende Sarr neben seinem sehr konzentriert wirkenden Kollegen für eine spielerische Note mit etwas Leichtigkeit sorgt.
Ein weiterer Akteur, der in den beiden vorigen Spielen ebenso zur beeindruckenden Defensivstärke der Mannschaft beitrug, ist der durchaus flexibel einsetzbare Frankfurter Marc-Oliver Kempf, der in jenen zwei Spielen im defensiven Mittelfeld auflief. Mit seiner Größe von 1,86 m und seinem robusten Körper zeigt er sich als guter Abräumer, der mit einem recht guten Stellungsspiel sowie einer gewissen Präsenz zu überzeugen weiß. In manchen Bewegungsabläufen erinnert er an Kapitän Leon Goretzka, wirkt dabei aber etwas „normaler“ und ist insgesamt ein unauffälliger und sehr solider Spieler, der bei der defensiven Orientierung eine gute Balance zwischen Ball und Spielern findet.
Max Dittgen, Julian Brandt und die beiden möglichen Mittelstürmer
Bereits im vergangenen Artikel wurde er gelobt, doch auch diesmal sollte man ihn noch einmal positiv hervorheben, steht er doch ein wenig im Schatten des hochbegabten Max Meyer – doch Julian Brandt ist hingegen ein anderer Spielertyp, zwar auch technisch stark, doch viel mehr stechen sein schierer Zug zum Tor, seine tollen Laufwege, seine wühlende Power im Dribbling und seine Stärke in der Defensive hervor, die ihn eben zu einem ganz besonderen Spielertypen machen.
Wie schon zu Beginn des Georgien-Spiels wurde gegen die Franzosen als Brandts Pendant auf der anderen Seite wieder der Schalker Max Dittgen eingesetzt. Bei ihm ist sehr auffällig wie interessant, dass sich immer wieder gute mit schwachen Aktionen abwechseln und er relativ wenig Konstanz innerhalb eines Spiels zeigt. Teilweise macht er zu viele falsche Entscheidungen oder Fehler, doch gegen die Franzosen konnte er mehrheitlich seine Stärken demonstrieren – so hatte er auch viele technisch saubere Aktionen, gute Abschlüsse und gezielte Laufwege, jeweils exemplarisch bei seinem 3:0.
Zum Schluss noch ein kleiner Blick auf das Sturmzentrum, wo Said Benkarit, ein sehr talentierter Spieler und besonderer Spielertyp, nach unglücklichen Leistungen diesmal für den Stuttgarter Timo Werner weichen musste – dieser ist ein ganz anderer Spielertyp als der Dortmunder, dabei aber etwas „normaler“.
Werner hat einen enorm ausgeprägten Drang zum Tor, verfügt zudem über eine hohe Schnelligkeit, einen guten Abschluss und ist auch technisch stark. Auch wenn Letzeres ebenso auf Benkarit zutrifft und auch wenn beide es verstehen, Räume für die Mitspieler zu öffnen, ist Werner doch ein viel vertikalerer Spielertyp mit mehr Dynamik, was ihn mehr zu einem Konterstürmer macht, der sich auch gerne für Bälle hinter die Abwehr anbietet. Hier liegt schon ein großer Unterschied zu Benkarit, der viel mehr in horizontalen Richtungen arbeitet.
Fazit
Mittlerweile wird der Erfolg der U17 auch medial immer stärker wahrgenommen. Dabei wird die Truppe von Stefan Böger schon zur Übermannschaft hochstilisiert und teilweise als bester Jahrgang aller Zeiten bezeichnet. Stimmt dies wirklich?
Trotz des souveränen Gruppensieges, trotz der dominanten Rolle, die man dabei einnahm, und trotz der beeindruckenden Serie, die diese U17 seit langer Zeit spielt, habe ich immer noch das Gefühl, dass sie spielerisch nicht ganz so stark ist wie ihre Vorgänger aus dem letzten Jahr. Dafür kommt dieser Jahrgang deutlich mehr über eine wirklich bärenstarke Defensive, weil besonders die Abwehr- und Mittelfeldspieler in dieser Disziplin sehr stark sind, und eine enorm effektive, direkte, geradlinige, funktionale und kraftvolle Offensive mit dem überragenden und eminent wichtigen Max Meyer als primärem kreativen Element, der seine Mitspieler zusammenhält. Weil zudem alle Spieler auch technisch wie spielerisch auf hohem Niveau agieren, sind es genau diese erwähnten Elemente, die das Besondere und die Stärke dieser insgesamt gut ausgebildeten Mannschaft ausmachen. Deshalb könnte man in der Symbiose vielleicht wirklich einer der besten Jahrgänge überhaupt sein, der auch mit Sicherheit einige interessante Spieler hervorbringen wird.
Zunächst einmal geht es aber noch um dieses Turnier: Im Halbfinale trifft man nun auf Polen, in einem möglichen Finale könnte es ein Wiedersehen mit den Georgiern oder die Neuauflage des letztjährigen Duells mit den Niederlanden geben – in diesen beiden Spielen muss die DFB-Elf ihrem Ruf noch zweimal gerecht werden.
8 Kommentare Alle anzeigen
Henrik 17. Mai 2012 um 22:41
Marian Sarr war für mich Spieler des Turniers. Er ist außergewöhnlich gut im Spielaufbau, hat eine sehr gute Antizipation, ist schnell und ist auch körperlich relativ robust.
hd 18. Mai 2012 um 10:11
Finde ich auch! Habe zwar nur die Spiele gegen Frankreich und gegen Polen in voller Länge sehen können, aber da fand ich ihn überragend. Besonders seine -wenn auch seltenen- Vorstösse, sehr elegant…
Willi 15. Mai 2012 um 19:41
Irgendwie schade.
Zweitausendfuffzich Kommentare bei Bayern gegen Dortmund, aber keiner zur U17? Zur Zukunft unseres Fußballs?
Ich hab mir das Halbfinale gegen Polen reingezogen. Die defensive Stärke der Deutschen war schon brutal. Polen hatte quasi keine richtige Torchance.
Max Meyer hat mir super gefallen. Da wächst ein nächster Götze/Marin heran.
@ Team:
Einen Artikel darüber, welchen Einfluss Futsal auf die fußballerische Ausbildung hat, würde ich sehr interessant finden.
Habe selber schon einmal dazu recherchiert – aber außer einer DFB-Untersuchung, die sich nicht wirklich auf einen langen Zeitraum oder eine größere Zahl an Untersuchten stützt, nichts gefunden.
Flowbama 15. Mai 2012 um 20:20
Die Bezeichnung „Futsal“ habe ich vor wenigen Tagen zum ersten Mal gehört.
vastel 15. Mai 2012 um 20:39
Futsal ist doch nichts anderes als eine südamerikanische Variante vom klassischen Hallenfußball, oder?
Datschge 15. Mai 2012 um 23:04
Futsal hat ein festes und für Fußball ungewöhnlich striktes Regelwerk, keine Banden im Gegensatz zum Hallenfußball. de.wikipedia.org/wiki/Futsal
HerrHAnnibal 15. Mai 2012 um 20:53
Also wer in jungen Jahren viel Futsal spielt wird in einigen Bereichen (Technik, Handlungsschnelligkeit, Dribbling) sicherlich mehr lernen als beim klassischen Fussball… Und Futsal unterscheidet sich schon von unserem Hallenfussball. Es ist auf hohem Niveau taktischer und es fallen weniger Tore. Der Ball ist kleiner und schwerer (springt weniger). Auch die Regeln unterscheiden sich in einigen Bereichen.
Solid Snake 16. Mai 2012 um 01:22
Ich habe gelesen das der richtige Ronaldo „el Phenomenon“ bis zu seinem 12 Lebensjahr nichts anderes gespielt hat, gibt aber bestimmt mehr Profis die vom Futsal kommen.