1. FC Nürnberg – Hamburger SV 1:1
In einem eher schwachen Spiel trennen sich der 1. FC Nürnberg und der Hamburger SV mit 1:1. Hecking wird am Ende nicht für das höhere Risiko belohnt.
Die einen haben es bereits geschafft, die anderen wollten heute das große Ziel erreichen: Nachdem der 1. FC Nürnberg letzte Woche die Klasse sicherte, wollten die Hamburger mit einem Sieg gegen die Franken jenen Nichtabstieg besiegeln. Dafür wich HSV-Coach Fink (erneut) von seiner Grundphilosophie ab: Die beiden Sechser ließen sich nicht zwischen die Verteidiger fallen, auch die Außenverteidiger hielten ihre Position relativ starr. Statt Ballkontrolle forcierte Finks Team ein Konterspiel mithilfe von langen Bällen hinter die gegnerische Abwehr. Die Bundesliga.de Matrix zeigt, dass die HSV-Innenverteidiger viele hohe Bälle nach vorne spielten.
Nürnberg kontrolliert das Spiel
Da sich der HSV teils mit neun Feldspielern im eigenen Drittel verschanzte, konnten die Nürnberger zunächst Ball und Gegner laufen lassen. Sie agierten von Beginn weg mit einem asymmetrischen System: Die Mittelfeldspieler tendierten allesamt stark zur rechten Seite, einen echten Linksaußen gab es nicht. Ab und an füllte Pinola diese Lücke, Simons ließ sich dafür auf die Linksverteidigerposition fallen. Grundsätzlich liefen jedoch ohnehin fast alle Angriffe über die rechte Flanke (statistisch knapp unter 50% laut Whoscored.com), so dass dieses Loch auf der linken Seite kaum ins Gewicht fiel. Anscheinend wollte Hecking das Loch hinter Jansen ausnutzen, das in den letzten Spielen durch dessen offensive Spielweise entstand.
In der ersten Halbzeit ergaben sich daher praktisch zwei Angriffsstrategien: Nürnberg kam mit Flanken von der linken Seite, Hamburg mit hohen Bällen hinter die Abwehr. Auf diese Weise entstanden die meisten Tormöglichkeiten. Ausnahmen dieser Regel gab es nur durch das starke Nürnberger Pressing: Zwei Spieler rückten aus der Mittelfeldreihe hervor, so dass ein 4-3-3 entstand. Hierdurch sollte wahrscheinlich ein Eins-gegen-Eins Pressing entstehen – Hecking spekulierte evtl darauf, dass Fink erneut mit einem abkippenden Sechser und dadurch einer Dreierkette im Spielaufbau agiert. Obwohl Fink dies ausdrücklich nicht tat und die Hamburger theoretisch immer einen anspielbaren Abwehrspieler im Aufbauspiel hatten, gelangen dem 1. FCN einige Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte. Die größte Chance der ersten Halbzeit entstand durch einen Ballgewinn nach Pressing, Pekhart verfehlte jedoch aus spitzem Winkel (25.).
Abseits der drei, vier Möglichkeiten war es ein eher schwaches Spiel. Die Passgenauigkeit beider Teams ließ arg zu wünschen übrig, Überladungen auf den Flanken brachten zu selten spielerischen Gewinn. Von den 19 Flanken in der Partie kamen gerade einmal drei an – und das, obwohl beide Teams 80% ihrer Angriffe über die Flügel fuhren.
Zweite Halbzeit führt erste fort
Auch nach der Pause änderte sich nichts Grundlegendes am Spiel. Vielmehr waren beide Tore Produkt der Angriffsstrategien beider Teams, die bereits in Halbzeit eins zu erkennen waren: Der Hamburger Führungstreffer entstand nach einem langen Ball auf die linke Flanke, in der Jansen im Rücken des aufgerückten Chandlers den Ball erreichte. Über den Umweg Son fand dieser Angriff das Tor (59.). Der Ausgleichstreffer der Nürnberger fiel nach einer Flanke aus dem Halbfeld von der von Hecking fokussierten rechten Seite. Obwohl Jansen nach der Pause sehr gewissenhaft nach hinten arbeitete, ließ er Simons einmal alleine. Didavi nutzte die fehlende Abstimmung der Hamburger Innenverteidigung aus (64.).
Nach dem Ausgleich waren es seltsamerweise die Nürnberger, die auf den Siegtreffer drängten – und das, obwohl der HSV zu diesem Zeitpunkt mit einem Dreier den Nichtabstieg hätte perfekt machen können. Es war jedoch Hecking, der mit Feulner, Bunjaku und Hegeler drei frische Offensivkräfte brachte. Es war nun ein eindeutiges 4-1-4-1 zu erkennen: Die eingewechselten Spieler inkl. Didavi bildeten eine flexible Mittelfeldreihe, dahinter agierte Simons. Die vordere Linie agierte dabei sehr hoch, es entstanden große Abstände zwischen der Abwehr und dem Angriff. Hieraus entstanden zwei gute Kontergelegenheiten des HSVs, die dieser jedoch blindlings liegen ließ – schnelle Gegenstöße sind diese Saison nicht ihre Stärke.
Trotz der numerisch hohen Zahl an Akteuren in der gegnerischen Hälfte konnte Nürnberg keinen starken Druck entfachen. Zum einen hing dies mit der relativ starken Hamburger Defensive zusammen – alle Akteure postierten sich stets hinter dem Ball, das Team verteidigte äußerst raumorientiert und ließ keine Lücken offen. Zum anderen fehlte bei den Nürnbergern Passgenauigkeit sowie die entscheidende Idee. Didavi, in den letzten Spielen Herz der Mannschaft, fehlten trotz solider Leistung die genialen Aktionen, die eine Defensive auseinanderreißen. Zudem postierten sich oft zu viele Spieler in der Tiefe, es fehlte bei den Offensivkombinationen an Staffelung. Trotz Heckings mutiger Taktik blieb es beim 1:1.
Fazit
72,95% (Nürnberg) gegen 68,6% (HSV) Passgenauigkeit – manchmal reicht eine Statistik aus, um das Niveau der Partie wiederzugeben. Den Nürnbergern war wenigstens ein offensives Bemühen anzumerken. Trotz des bereits vor der Partie gesicherten Nichtabstieges versuchten sie zeitweise, hohen Druck auf die gegnerischen Verteidiger auszuüben. Sie scheiterten jedoch an ihrer schwachen Passquote im letzten Drittel sowie der zu hohen Fokussierung auf die rechte Seite.
Der HSV trug mit seiner defensiven Grundeinstellung wenig bis gar nichts zum Spiel bei. Außer einigen hohen Bällen und vielen gewonnenen Defensivzweikämpfen gibt es nichts Positives über ihr Spiel zu berichten. Trotz der eher schwachen Leistung haben die Hansestädter mit fünf Punkten Vorsprung bei zwei ausstehenden Partien den Klassenerhalt praktisch in der Tasche. Es hat also schon schlimmere Nachmittage für HSV-Fans in dieser Saison gegeben – auch wenn dieses Spiel garantiert nicht in die Hall of Fame einzieht.
6 Kommentare Alle anzeigen
Bananenflanke 23. April 2012 um 18:07
Gott, war das grauenvoll! (Das Spiel, nicht der Bericht – danke dafür!)
Kann man nur hoffen, dass die fünf Punkte Vorsprung reichen für den HSV…
Bastrup 22. April 2012 um 17:09
Mal ein großes Kompliment an den Betreiber dieser Seite: Sehr kompetente Berichte! Wäre schön, wenn die „Journalisten“ bei Zeitungen (Polemik) und TV (Gelaber) annähernd dieses Niveau hätten.
Stehtribüne 22. April 2012 um 19:02
Da muss ich dir wirklich zustimmen. So eine Seite findet man in der deutschen Sprache nicht im Internet. Ich habe lange gesucht und war erst zufrieden, als ich diese Seite fand 🙂
uwe 22. April 2012 um 14:38
Ich habe das Spiel live gesehen. Es war jederzeit zu erkennen, dass der HSV mit einem Punkt zufrieden sein würde. Vielleicht zu gewagt als These, aber dennoch: Der frühe Ausfall von Drobny hat auch dazu beigetragen, dass die Mannschaft hauptsächlich defensiv bleiben wollte.
Was die Offensive des HSV aber unabhängig davon auf jeden Fall lähmt, ist das teilweise furchtbar ungenaue Passspiel (Aogo) und zusätzlich auch recht häufig vorkommende Stockfehler (Westermann), die schnelle Gegenstöße verhindern. Speziell das Letztgenannte sorgt auch immer wieder für Gefahr nach eigentlich überstandenen Defensivaktionen.
Auch in der Offensive im Zusammenspiel Berg/Son habe ich nicht viel Konstruktives gesehen. Son hat das Zeug zu guten Einzelaktionen; bei Berg hingegen war außer Fleiß gestern gar nichts zu sehen.
Illicevic war auch fleißig, blieb aber fast immer hängen. Jansen hatte eigentlich auch nur die eine gute Aktion, die zur Torvorlage führte. Wenn man über Außen angreift, kann man mit so wenig effektiven Spielern einfach nichts erreichen.
Es sieht für mich so aus, dass der HSV noch mehrere Jahre Entwicklung brauchen wird, bis da wieder mitreißender, schneller und präziser Offensivfußball gespielt wird. Besonders, da das zentrale offensive Mittelfeld nicht stattfindet.
Der Einsatz hat gestern aber gestimmt. Das konnte man diese Saison nicht immer sagen. Allerdings kann man als HSVer (der ich bin) froh sein, dass auch der Club fast nichts zustande brachte.
Stehtribüne 21. April 2012 um 20:28
Man hat wie immer gesehen, das Zentrum im Mittelfeld ist Hamburgs Schwachstelle. Rincon ist immer solala und Jarolims Zeiten sind vorbei. Auf dieser Position sollte man nächstes Jahr investieren
Twitter Oenning 21. April 2012 um 18:44
Schade, das war wieder ein Armutszeugnis gegen schwache Nürnberger. Am 32. Spieltag sind keine flüssigen Situationen auszumachen, nur Zufallsprodukte, Ansätze. Null Abstimmung, sinnfreie Laufwege.
Hoffe wir bleiben von der Relegation verschont, denn Spiele in denen es um was geht, schenkt der HSV seit Jahren freiwillig ab.
Arnesen sollte den Mut aufbringen für Umbruch Teil 2. Dieser Kader taugt nicht zu viel mehr.