Türchen 13: Ajax Amsterdam – Panathinaikos – SZ

Es war der vielleicht größte Tag der griechischen Fußballgeschichte, bis Halbgott Rehakles vom Betzenberg heruntersteigen sollte und den Olymp hinauf, um diese um ein Kapitel reicher zu machen. Es war zugleich das wohl einzige Aufeinandertreffen zweier Stürmerlegenden in Ferenc Puskás und Johan Cruyff, der eine ausschließlich auf der Trainerbank, der andere überall in der gegnerischen Hälfte. Und zum zweiten Mal gewann mit Horst Blankenburg ein Deutscher den European Cup, auch “Europapokal der Landesmeister” genannt.

Am 2. Juni 1971 im Londoner Wembley-Stadion, nur fünf Jahre nach dem WM-Finalsieg der Engländer am gleichen Ort, trafen Ajax Amsterdam und Panathinaikos auf dem Höhepunkt ihrer jeweiligen Vereinsgeschichte aufeinander, wie man wohl ohne Übertreibung sagen kann. Rinus Michels hatte Ajax noch nicht in Richtung Barcelona verlassen und darum auch erst recht noch nicht Johan Cruyff dorthin gelockt, während Panathinaikos, eben unter Ferenc Puskás, sich in der Endphase einer Ära der Dominanz in Griechenland befand. Die Ajax-Fans träumten eigentlich schon vom Weltpokal, wie der Kicker damals schrieb, man würde aber in der Folge zugunsten des Finalgegners aus Athen auf die Teilnahme verzichten.

Raumdeckung und 4-3-3

Ajax gegen Panathinaikos, das heißt natürlich auch totaalvoetbal gegen einen gerade noch spürbaren Hauch danubian school, möchte man meinen. Tatsächlich handelt es sich bei dem 71er Finale nicht unbedingt um einen ganz großen spielerischen Leckerbissen, aber doch um ein taktisch bemerkenswertes Duell. Der offensichtlichste Grund dafür ist, dass wir nicht nur eines, sondern gleich zwei Teams sehen, die keine klassische Manndeckung spielen, sondern (weitgehend) eine vergleichsweise frühe Form der Raumdeckung. Darin lag dann für Panathinaikos auch gleich die erste Problemstellung: Während ihre Raumdeckung für die frühen Siebziger innovativ war und meistens einen Wettbewerbsvorteil gegen Teams darstellte, die sich darauf konzentrierten, Manndeckungen mit Libero auszuspielen und anderes kaum gewohnt waren, wird sie gegen Michels’ total football zum Problem, und zwar zu einem dem gerade in der ersten Hälfte der 20er-Jahre des 21. Jahrhunderts mit einer Renaissance von Manndeckung beziehungsweise Mannorientierung begegnet wird.

Zu Spielbeginn versuchten die Griechen, sich aus ihrer 4-3-3-Formation heraus ins Angriffsdrittel und mithin in den Strafraum zu kombinieren, wobei ihnen allerdings auch das Dribbling nicht fremd war. Domazos und Eleftherakis, die beiden Achter/Zehner, bestimmten das Offensivspiel. Sie hielten kleine Abstände zueinander und bis vor das letzte Drittel auch mit dem Sechser Kamaras, der bisweilen situativ mit ihnen die Positionen wechselte, nicht selten durch Spielen-und-Gehen eingeleitet, und sich ins Offensivspiel einschaltete.

Diagonal gegen steil

Vor das Tor gelangen wollte Panathinaikos vom Spielfeldzentrum aus diagonal, entweder per Halbfeldflanke, bei der der ballferne Flügelstürmer einrückte und ihren Goalgetter, Antonis Antoniadis, unterstützte, der den Wettbewerb als Torschützenkönig beendete, oder per flachem Zusammenspiel der Achter/Zehner mit dem jeweiligen Flügelstürmer. Hinzu kammen bisweilen lange Bälle auf Antoniadis, der auf die Flügelstürmer oder nachrückende Achter/Zehner ablegte.

Ajax Amsterdam begegnete den Versuchen der Athener mit einem vergleichsweise hohen Pressing aus ihrem eigenen 4-3-3 heraus. Besonders Domazos, der gegnerische Topstar, Kapitän und Spielmacher, wurde besonders aggressiv gepresst. Das Herausrücken von Spielern aus ihrer angestammten Position, insbesondere vertikal, sowie das Schließen hinter ihnen und die Übernahme ihrer Aufgaben war zentral für Ajax’ totaalvoetbal und ermöglichte ihnen unter anderem ein effektives Pressing.

Mit Ball unterschied sich das Amsterdamer 4-3-3 dann auch erwartungsgemäß deutlich von dem ihrer Kontrahenten. Während bei Panathinaikos, wie erwähnt, das Dreiermittelfeld eng stand, neben dem die Außenverteidiger und die Flügelstürmer die Breite herstellten und der Mittelstürmer als zentraler Zielspieler fungierte, war bei Ajax fast alles anders: Cruyff als Herz von Michels’ Ansatz agierte überall in der gegnerischen Hälfte. Nicht einmal über seine nominelle Position bestand damals Einigkeit oder hätte sich bis heute Einigkeit herstellen lassen. Der Wikipedia-Eintrag zum Finale verortet ihn im rechten Mittelfeld, der Kicker vom 07.06.1971 sieht ihn als zentralen Angreifer in einem 4-2-4 während die Online-Version ihn als Mittelstürmer im 4-3-3 führt, was es vermutlich am besten trifft, wohlweislich, dass das Sturmzentrum darum nicht der Ort sein muss, wo man ihn am häufigsten sah an diesem Abend.

Besonders auffällig war im Kontrast zum Gegner, wie sehr Ajax vertikal und direkt zum Torerfolg kommen wollte. Im eigenen Aufbau wurden sie von Panathinaikos, wie für die Zeit allerdings nicht ungewöhnlich, kaum bedrängt, sodass die Innenverteidiger immer wieder andribbeln konnten, nicht selten bis über die Mittellinie. Ajax suchte dabei das vertikale Dribbling, ebenso wie den vertikalen Pass in die Tiefe konsequent und war nicht an kurzen Pässen und Dribblings, die nicht unmittelbar Raum gewinnen konnten, interessiert, wie Panathinaikos sie häufiger zeigte, bis hin zu Rückwärtsbewegungen im Dribbling.

So war es auch zunächst ein unbedrängtes Andribbeln von Rijnders halblinks über die Mittellinie, das das frühe 1:0 einleitete. Rijnders passte nach rechts zum Anstoßpunkt auf den aus der Abwehr nachrückenden Hulshoff, der das Spiel vor sich hatte und auch erst viel zu spät bedrängt wurde. Er spielte die Verlagerung nach links außen auf Keizer, der von der Grundlinie nahe dem Strafraumrand halbhoch auf van Dijk Flanken konnte, der sich links an an einem anderen Niederländer vorbei ganz nach vorne gestohlen hatte und in der fünften Minute unhaltbar ins lange Eck einköpfte. Panathiniakos’ tiefere Raumdeckung ermöglichte hier die Verlagerung, außerdem hatte Tomaras sich von einer Rochade der Niederländer weit aus der Position ziehen lassen, sodass Kamaras Keizer verteidigen musste und ihn zu einer gefährlichen Flanke kommen ließ.

Frühes Tor schadet nicht

Das 0:1 änderte am Spiel tatsächlich vorläufig nichts, hatte der Außenseiter aus Athen ja bereits von Beginn an keine Anstalten gemacht, sich zu verstecken. Auch Ajax schaltete keinen Gang zurück. Im Laufe der ersten Hälfte band Panathinaikos seine Außenverteidiger immer stärker ein und eröffnete so eine weitere Diagonale, nämlich vom Außenverteidiger zu den Flügelstürmern, die dann zunehmend situativ nach innen rückten. Ajax marschierte weiter mit schnellen, vertikalen Angriffen aus der Tiefe, wobei die lange Verlagerung auf den Flügel ein wichtiges Mittel blieb. Panathinaikos begann schließlich auch, Ajax mehr in ihrem Aufbau zu stören, allerdings nicht systematisch oder strukturiert.

Ein weiterer wichtiger Aspekt waren die beiden Wechsel auf Seiten von Ajax Amsterdam. Die Hereinnahme des erwähnten Blankenburg, der als Sechser Ajax System eine größere defensive Stabilität einhauchte, führte auch zu Ballgewinnen, mit denen er immer wieder Angriffe einleiten konnte. Außerdem wurde Antoniadis in der zweiten Hälfte mehr in Manndeckung genommen, was dazu führte, dass er sich öfter aus dem Sturmzentrum heraus fallen ließ, wodurch er tatsächlich eher mehr ins Spiel kam als im ersten Durchgang.

Am Ende war es dann eine brillante Cruyff-Vorlage, bei der er den Ball durch die engste denkbare Lücke steckte und etwas Glück bei Haans Abschluss in der 87. Minute, der neben Blankenburg eingewechselt worden war. Die Beine waren müde und die Staffelungen unaufgeräumt geworden, sodass es damit zu einem Tor kam, das kaum zu dem Spiel passt, dessen Schlussakkord es darstellt.

Alles in allem war es ein Spiel zweier taktisch wegweisender Mannschaften, das fast durch haarsträubende Torwartfehler entschieden worden wäre, aber letztlich durch Einzelaktionen und das Quäntchen Glück entschieden wurde und dabei niemals wie das Duell eines haushohen Favoriten gegen einen krassen Außenseiter erschien.

SZ nennt Adolfo Valencia weiterhin konsequent den “Bayern-Express”, anstatt den “Entlauber”, egal was Uli H. darüber denkt, und ist außer Podcaster a.D. (Super Bayern Podcast) auch Germanist.

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