Mirassol mit dem Überraschungserfolg im Spitzenspiel – MX
Mirassol gilt als Überraschungsteam der brasilianischen Liga. Der Aufsteiger von Trainer Rafael Guanaes steht nach dem Sieg über Tabellenführer Palmeiras auf Platz 4 der Tabelle und zieht zunehmend die Aufmerksamkeit auf die Elf aus São Paulo. Wir werfen einen Blick auf den Sieg.
Zuletzt knapp gegen Topteam Fluminense verloren, dennoch überzeugend, stellte Guanaes eine 4-3-3-Grundformation im Estádio José Maria de Campos Maia auf: Walter stand zwischen den Pfosten, davor agierten Victor und Jemmes als Innenverteidiger sowie Ramon und Reinaldo als Außenverteidiger. Aldo agierte als zentraler Achter, während Danielzinho und Gabriel im Halbraum spielten. Renato gab den Mittelstürmer, und Negueba sowie Alesson spielten um ihn herum.
Die Gäste von Abel Ferreira agierten aus einer 4-4-2-Grundformation heraus: Miguel stand zwischen den Pfosten, davor agierten Murillo und Gomez als Innenverteidiger sowie Piquerez und Khellven als Außenverteidiger. Davor spielten Anderson und Allan auf den Außenbahnen, während Pereira und Moreno als Achter agierten. Roque und Lopez bildeten den Doppelsturm. Palmeiras kam mit vier Spielen ohne Niederlage und drei Punkten Vorsprung nach São Paulo, weshalb auf der Elf großer Druck lastete.
Früher Führungstreffer für Mirassol

Einwurfmuster von Mirassol
Die ersten Minuten der Partie waren spannenderweise geprägt von Einwürfen seitens Mirassol, die sich insbesondere durch die Einwurfstärke Reinaldos als gefährliches Mittel herausstellten. Ein geläufiges Muster dabei ist, dass sich die Spieler bei Einwürfen in einer diagonalen Linie positionieren. Reinaldo deutet zunächst einen langen Einwurf an, wirft dann aber kurz auf den Verbindungsspieler, der den Ball direkt ablegt. Anschließend spielt Reinaldo diagonal auf den Breitengeber – meistens Flügelspieler Alesson –, der sich im Druck nach außen dreht und dort durch seine Dribbelstärke optimal geeignet ist.
Gelegentlich wirft Reinaldo auch über den Verbindungsspieler hinweg direkt in den Raum. Dann bewegen sich Wandspieler und Mittelstürmer Renato um Alesson herum, was gerade wegen Renatos Stärke im Kopfball- und Wandspiel wichtig ist. Mehrmals konnte er so den zweiten Ball sichern. Das lag auch daran, dass Innenverteidiger Gomez diese Bewegungen Renatos nicht verfolgte. Dadurch konnte Mirassol mit Alesson ein 2-gegen-1 gegen Rechtsverteidiger Khellven herstellen und dieses bei Einwürfen effektiv ausnutzen. Weil der ballferne Außenverteidiger Ramon bei Einwürfen einschob und die Achter sehr direkt auf zweite Bälle nachschoben, tat sich Palmeiras selbst nach dem Herausköpfen der langen Einwürfe schwer, die zweiten Bälle zu sichern. So konnte Mirassol nach einer Verlagerung über Ramon und der Sicherung des zweiten Balles durch Achter Danielzinho im Halbraum das Spiel fortsetzen. Nach einem starken Dribbling fand Gabriel in der Box die Lücke und schob zum frühen 1:0 ein.
Aldo im Dribblingfokus
Danach fand Mirassol, beflügelt vom Führungstreffer, relativ früh Stabilität gegen den Tabellenführer. Das lag nicht zuletzt daran, dass man sich im tiefen Aufbau – insbesondere in der ersten Phase des Spiels, in der man häufig Ballbesitz hatte – sehr gut lösen konnte. Palmeiras tat sich hingegen aus dem 4-2-4-Angriffspressing durchaus schwer. Einerseits wollte man aus der engen Grundstaffelung mit halbräumig eingerückten Flügelspielern Allan und Anderson die Passwege auf die Halbraumachter Danielzinho und Gabriel aus der 4-3-3-Staffelung von Mirassol isolieren und so die Innenverteidiger auf die Außenverteidiger Reinaldo und Ramon lenken. Das funktionierte zwar zunächst gut, doch eine derart enge Grundstaffelung mit Fokus auf die Isolation der Passwege impliziert gleichzeitig, dass man die Mannorientierungen etwas loser halten muss.

Reinaldo sucht Aldo im Zwischenlinienraum
Das nutzte vor allem Linksverteidiger Reinaldo früh aus. Er ließ sich fallen, um den Pressingweg seines direkten Gegenspielers Allan zu verlängern, und agierte zugleich breiter, was den Pressingwinkel diagonaler gestaltete. Dieser lange, diagonale Pressingweg Allans auf Reinaldo hatte zur Folge, dass er kaum Druck ausüben konnte und ein relativ großer Passwinkel für Reinaldo offen blieb – den dieser durch seine Passstärke auch nutzen konnte. Mirassol suchte dann häufig Sechser Aldo im Zentrum. Der Pass vom Außenverteidiger in den Sechserraum ist zwar vom Abstoß weg eher untypisch, bot sich hier aber an: Einerseits agierte Palmeiras im 4-2-4 so, dass der ballferne Stürmer Aldo mannorientiert anlaufen sollte, um die eigenen Achter in der zweiten Pressinglinie zu entlasten. Der ballnahe Achter – in diesem Fall Moreno – musste meist mit Halbraumachter Gabriel mitschieben, der weit in die Breite auswich und dadurch Moreno mit sich zog, während der ballferne Pereira den Raum vor der Verteidigungslinie sichern sollte.
Dieses Markieren durch den ballfernen Stürmer Roque auf Aldo funktionierte jedoch kaum, da Mirassol die Abstöße oft sehr schnell ausführte. Dadurch hatte Aldo einen kleinen Antrittsvorteil gegenüber Roque, der seine Mannorientierung kaum eng halten konnte. So war der sehr ballsichere Aldo immer wieder für Reinaldo anspielbar. Da Moreno durch das weite Ausschieben gebunden war, öffnete sich zudem für Aldo ein Dribblingweg in den Halbraum, den er mehrfach nutzte, um Flügelspieler Alesson zu finden oder ins 1-gegen-1 zu schicken.
Allgemein zeigte sich in der Vorbereitung der Angriffe auf Alesson sehr deutlich, dass Mirassol ein gutes Verständnis davon hat, Räume freizuziehen und gezielt hineinzuspielen. Durch das Abkippen von Renato im Zentrum zog er Innenverteidiger Gomez mit, da Achter Pereira durch Danielzinhos Abkippen in den Halbraum gebunden wurde. Teilweise kippte Renato allerdings etwas zu früh ab, sodass er seinen direkten Gegenspieler Pereira in den Zugriffsbereich auf Sechser Aldo mitzog. Dadurch konnte Pereira den dribbelnden Sechser attackieren – was zwar etwas suboptimal war, er sich jedoch auch gegen den dribbel- und antrittsstarken Aldo schwer tat. Dennoch konnte Pereira seine ursprüngliche Aufgabe, nämlich das Auffangen jener Abkippbewegungen des Stürmers vor der Verteidigungslinie, nicht mehr aktiv wahrnehmen. Durch das Ausschieben von Gomez im Verfolgen dieser Bewegung öffnete sich ein großer Zwischenraum zwischen dem ballfernen Innenverteidiger Murilo und Rechtsverteidiger Khellven. Khellven schob daher mehrfach intuitiv ein, um die Lücke zu schließen, wodurch wiederum Alesson in der Breite an Raum gewann. Auch wenn Aldos Abspiele anfangs noch etwas unsauber waren, gewann Mirassol dadurch sichtlich an Dominanz.
Insgesamt dient das Abkippen Renatos aber nicht nur diesem direkten Effekt, sondern auch dem Umstand, dass er über gute Anlagen im Wandspiel verfügt und dadurch mehrfach, insbesondere von Rechtsverteidiger Ramon, gesucht wurde. Vor allem Innenverteidiger Murilo auf der linken Seite hatte Probleme im Herausrücken gegen den Wandspieler und musste daher bereits in der 6. Minute zu einem taktischen Foul greifen. Zwar tat sich Renato tendenziell etwas schwer im Passspiel aus dem Wandspiel heraus, doch durch sein Ballhalten, das Herausziehen der Innenverteidiger und das Erzwingen von Fouls konnte Mirassol das Momentum früh aktiv zu seinen Gunsten beeinflussen – begünstigt durch die frühe Führung der Heimelf.
Palmeiras zunehmend im Mittelfeldpressing
Zwar tat sich Mirassol durchaus schwer, aus dem Verbindungsspiel ins letzte Drittel zu kommen, da einerseits die Passqualität von Sechser Aldo beziehungsweise die Ballverarbeitung der Flügelspieler sowie das Wandspiel des Stürmers ausbaufähig waren. Dennoch merkte auch Palmeiras bereits nach rund zehn Minuten, dass man im Angriffspressing kaum aktive Wirkung erzielen konnte. Gleichzeitig stieg mit dem zunehmenden Ballbesitz und der wachsenden Spielkontrolle allgemein auch die Aufbauhöhe der Heimelf, wodurch sich Palmeiras zunehmend im 4-4-2-Mittelfeldpressing wiederfand.
Tatsächlich agierte man dort mit einem ähnlichen Grundansatz wie im Angriffspressing: Auch hier bestand die Hauptintention darin, die Vertikalpasswege im Halbraum auf die spielmachenden Achter Mirassols zu unterbinden und die Ballzirkulation auf die Breite zu lenken. Der Hauptunterschied lag jedoch darin, dass die Mannorientierungen – insbesondere auf Aldo – enger gefasst wurden, da die Kompaktheit zwischen den Linien im Mittelfeldpressing naturgemäß größer ist als im Angriffspressing. Dadurch kann man auf raumsichernde Elemente teilweise verzichten und engere Mannorientierungen einbauen. Das hatte nun zur Folge, dass Mirassol aus dem 2-3-2-3-Aufbau heraus wieder stärker über die Außenverteidiger agieren musste, sobald Palmeiras das Mittelfeldpressing auf die Innenverteidiger auslöste. Das Problem aus Sicht der Gäste war hierbei, dass sich aus der eingerückten Grundposition diagonale Pressingwinkel der Flügelspieler ergaben, um die Passwege auf die Halbraumachter Mirassols zu isolieren. Dadurch war jedoch der Pass auf den Flügelspieler meist möglich – und wurde auch häufig gesucht.

Via Ablagenspiel in die ballferne Breite
Gerade auf der linken Seite zeigten Reinaldo, mit seinem guten Tempo, und der rechtsfüßige Alesson mehrfach starke Muster im „Spielen und Gehen“, wogegen der diagonale Pressingwinkel besonders anfällig ist. So konnte sich Reinaldo mehrfach im Dribbling lösen. Einige Male gelang es ihm auch, auf die ballferne Seite zu verlagern – was vor allem deshalb problematisch für Palmeiras war, weil man dort sehr weit einrückte und somit anfällig für Verlagerungen wurde. Infolgedessen musste das Team sich teilweise etwas inkohärent repositionieren. Grundsätzlich war der Ansatz allerdings durchaus sinnvoll: Einerseits markierte der ballferne Flügelspieler den ballfernen Achter Mirassols, während Roque Aldo zustellte. Das unterband, dass sich Alesson häufiger ins Zentrum orientieren konnte, und ermöglichte gleichzeitig Pereira, raumsichernd vor der Verteidigungslinie zu agieren und so den Passweg auf Wandspieler Renato zu schließen. Bei weiten, ballnahen Bewegungen Aldos schob Pereira zudem situativ heraus, um ihn zu markieren.
Allerdings hatte Roque auch im Mittelfeldpressing stellenweise Probleme, seine Zuordnung konsequent zu halten. Dadurch konnte sich Mirassol mehrmals über den ballfernen Innenverteidiger Victor auf die rechte Seite lösen, wo Rechtsverteidiger Ramon tief agierte und sich so von Anderson absetzte. Dieser reagierte daraufhin häufig unkontrolliert, schob hektisch auf Ramon heraus, wodurch wiederum Passwege in den Halbraum geöffnet wurden – genau jene Zonen, die Palmeiras ursprünglich isolieren wollte. Gleichzeitig konnte sich der dribbelstarke Ramon gegen dieses unkoordinierte Ausschieben mehrfach im 1-gegen-1 durchsetzen. Allgemein kamen nun auch die Flügelspieler Mirassols vermehrt in ihre Dribblings. Besonders Negueba konnte sich mehrfach gegen Außenverteidiger Piquerez durchsetzen. Lediglich durch die +1-Überzahl in der Verteidigungslinie von Palmeiras und das Herausrücken Murilos gelang es den Gästen, zu verhindern, dass Negueba nach gewonnenen Duellen direkt in die Tiefe eindringen konnte.
Die Tiefe konnte man bislang vor allem durch das diagonale Ausschieben der Achter in die Breite unterbinden. Gerade wenn Khellven bei den Abkippbewegungen von Alesson in der Breite nachschob, öffnete sich in seinem Rücken teilweise ein großer Raum, da Gomez durch Renato zentral gebunden war – dieser Raum wurde wiederum gut von Gabriel nachbesetzt. Das Problem war jedoch, dass Reinaldo ihn aufgrund des diagonalen Pressingwinkels von Allan nicht direkt anspielen konnte und auch nach dem Spielen und Gehen kaum noch, da er dann bereits höher agierte und von Moreno markiert wurde. Dementsprechend hätte er erkennen müssen, dass er isoliert war, und sein Timing anpassen müssen, um im indirekten Spiel wieder anspielbar zu sein. Allerdings öffnete er durch das Mitziehen Morenos in die Breite zugleich den Dribblingweg für Reinaldos eigenes Spielen und Gehen.
Temporäre Dreierkette öffnet die Tiefe
Insgesamt ließ sich bei der Heimelf eine gewisse Vorsicht erkennen, die sich auch in zahlreichen Rückpässen auf die erste Aufbaulinie widerspiegelte. Interessanterweise agierte man durch das halblinke Einrücken von Linksverteidiger Reinaldo (respektive situativ Achter Gabriel) phasenweise aus einer 3-1-4-2-Struktur heraus. Da Palmeiras eine Unterzahl in der ersten Pressinglinie vermeiden wollte, ging Flügelspieler Anderson diese Wege konsequent mit und agierte situativ als Außenstürmer in einem 4-3-3-Mittelfeldpressing gegen den temporären Dreieraufbau. Durch Reinaldos eingerückte Position wurde sein Pressingwinkel jedoch zunehmend vertikaler, wodurch Reinaldo mehrfach die Tiefe über den diagonal durchschiebenden Gabriel (siehe oben) anspielen konnte.

Alesson zieht den Halbraum frei
Insgesamt agierten die Flügelspieler bei dieser temporären Dreierkette in der Grundstruktur etwas tiefer; der ballferne Flügelspieler rückte zudem leicht ein, sodass der ballferne Rechtsverteidiger Ramon als Schienenspieler fungierte. Durch diese tiefer positionierten Breitengeber schoben die Außenverteidiger von Palmeiras direkter heraus und öffneten damit die Halbräume für das Tiefenspiel. Moreno tat sich dabei schwer gegen Gabriel, der mit seiner Physis große Qualität in der Ballsicherung im Tiefenspiel besitzt – insbesondere, wenn er den Gegner im Rücken hat. So konnte er mehrmals von Reinaldo angespielt werden, teils sogar mit extrem präzisen Außenristpässen. Der temporäre Doppelsturm hatte zudem den Vorteil, dass man dadurch eine doppelt besetzte Box nach dem Tiefenspiel vorfand, was durchaus gefährlich wurde. Einzig die Hereingaben blieben bislang noch zu ungenau.
Tatsächlich variierte Mirassol fortan auch, indem Flügelspieler Alesson teilweise in der Breite blieb, während Gabriel diagonal ausschob und eine diagonale Verbindungslinie bildete. Er agierte dabei als Verbindungsspieler zwischen den Halbverteidigern und dem Breitengeber Alesson. Dies war vor allem deshalb vorteilhaft, weil Moreno Probleme im Verfolgen hatte, sodass Gabriel sich nach dem Abspiel mehrfach aufdrehen konnte und zentrale Wege für Inverseindribblings nutzen konnte. Da Roque weiterhin Schwierigkeiten hatte, Aldos ballnahe Bewegungen konsequent zu verfolgen, und die Übergabe an Lopez im Dreiersturm nur unsauber funktionierte, konnte Reinaldo mehrfach den Sechser anspielen. Durch Gabriels gutes Aufdrehverhalten konnte er so mehrfach direkt in die Höhe zum Doppelsturm spielen. Dies war vor allem möglich, weil Pereira infolge meist aufschob, um den Horizontalpassweg auf Danielzinho im rechten Halbraum zu unterbinden – dadurch öffnete sich jedoch der Weg vor der Verteidigungslinie.

Gabriel als Verbindungsspieler
Negueba und Renato zeigten dort ein gutes Zusammenspiel im Ablagespiel unter Druck: Wurde einer angespielt, bewegte sich der andere tiefer um ihn herum, sodass ein direktes Ablegen möglich war und man weiterhin mit Blick zum gegnerischen Tor agieren konnte. Dieses Ablegen mit Blick Richtung Tor und in die Tiefe zeichnet Mirassol aus – besonders deutlich wird dies durch das direkte Nachschieben von Gabriel im Spielen & Gehen im Halbraum. Dort besetzte er erneut seinen Raum zwischen Khellven und Gomez und war so direkt, in diesem Fall für Renato, nach dem Druckspiel tief anspielbar – teilweise schob auch Halbverteidiger Reinaldo in den Halbraum nach.
Einerseits ist dieses Herumpositionieren beim Ablagespiel für die Innenverteidiger schwer zu verteidigen, da die Hauptintention meist darin besteht, in der Position zu verbleiben, um die Tiefe zu sichern. Gleichzeitig bleibt der Gegenspieler anspielbar, mit Blick auf Tor und Tiefe, wodurch die Tiefe tatsächlich bespielbar wird. Gleichzeitig tat sich Palmeiras überraschend schwer, diese Bewegungen im Spielen & Gehen konsequent zu verfolgen, sodass die Tiefe aktiv belaufen werden konnte. Mirassol fand diese Möglichkeiten weiterhin, jedoch war der Weg in die Box aufgrund des Fokus auf das Wandspiel der Stürmer und der dadurch etwas zu niedrigen Boxbesetzung gelegentlich erschwert.
Palmeiras mit dem Ausgleich
Die Pointe des Spiels ist dann wohl der Ausgleichstreffer in der 30. Minute, erzielt durch einen Fallrückzieher von Roque – was für ein Tor! Dieser Treffer fiel genau in eine Phase, in der Mirassol, aufgrund der zuvor beschriebenen Aspekte und der zunehmenden Präsenz im letzten Drittel, deutlich Oberwasser hatte (70% Ballbesitz, 3 Großchancen). Trotzdem blieb die Mannschaft im Strafraum anfällig: Einerseits aufgrund des sehr luftstarken Keepers Miguel, andererseits wegen der stabilen Innenverteidigung von Palmeiras. Renato als Zielspieler in der Box erwischte zudem keinen besonders guten Tag. Auch das Wandspiel brachte nicht die nötige Direktheit; häufig wurde der Ball wieder in die Breite gespielt, anstatt konsequent den Abschluss zu suchen. Diese fehlende Zielstrebigkeit unterstrich die leichte Problematik im letzten Drittel – nach Spielanteilen hätte Mirassol längst mit 2:0 führen können. Stattdessen stand es plötzlich 1:1.
Es lohnt sich hier durchaus, eine Diskussion darüber zu führen, inwiefern sich die Spielanteile lösen, gleichzeitig aber auch die von Mirassol gezeigte Spielstabilität andeuten. Denn gerade Teams, die zwar spieldominant agieren und regelmäßig Verbindungen ins letzte Drittel schaffen, jedoch kaum zu klaren Abschlüssen kommen, zeigen oft eine gewisse Disbalance.
Diese zeigte sich bei Mirassol vor allem durch das weite Aufschieben der Halbraumachter – insbesondere durch das konsequente Besetzen der Tiefe – sowie durch das Aufrücken von Sechser Aldo, der rund um die Box häufig den Rückraum zentral absichern sollte. Dadurch ließ er sich teilweise jedoch zu weit aus dem Raum vor der Verteidigungslinie herausziehen. Dieser Zwischenlinienraum wurde für Palmeiras’ Umschaltmomente immer wieder entscheidend: Gerade López ließ sich nach Ballgewinnen in diesen Raum fallen, um direkt nach den Balleroberungen der Mittelfeldspieler im Wandspiel anspielbar zu sein, während sein Pendant Roque sofort die Tiefe suchte. Da sich Palmeiras nach Ballgewinnen oft über Dribblings aus dem Mittelfeld in Richtung Spitze löste, stellte das Mirassols Innenverteidigung vor große Herausforderungen. Besonders die Abkippbewegungen von López mussten von Jemmes sehr aggressiv herausverteidigt werden.

Probleme in der Restsicherung des Zwischenlinienraumes
Positiv hervorzuheben ist jedoch das Positionierungsverhalten der Außenverteidiger Ramon und Reinaldo. Nach eigenen Ballverlusten rückten beide sehr schnell und diagonal in den Halbraum ein. Durch ihren Antrittsvorteil gegenüber den Tiefenläufern von Palmeiras – insbesondere Anderson und Allan – konnten sie die Tiefe mehrfach gut sichern und auch Roques diagonale Tiefenläufe abfangen. Tendenziell ist es ohnehin ein Vorteil höher positionierter Außenverteidiger im Ballbesitz, dass sie dadurch die Tiefenläufer des gegnerischen Restangriffs binden, die somit nicht direkt anspielbar sind. Diese fehlende direkte Anschlussoption sorgte dafür, dass Mirassol zwar eine enorme Belastung durch López’ Bewegungen in den Zwischenlinienraum verspürte, die Progression von Palmeiras aber häufig mit taktischen Fouls oder konsequentem Nachschieben unterbinden konnte.
Grundsätzlich konnte Mirassol also durchaus verhindern, dass Palmeiras aus diesen Situationen zu klaren Chancen kam. Das Drama dieser sehr dominanten Anfangsphase lag jedoch darin, dass man den eigenen Spielrhythmus nicht aufrechterhalten konnte. Stattdessen sah sich Mirassol zunehmend den Gegenschlägen von Palmeiras ausgesetzt, was zu einer hohen Belastung der Verteidigungslinie führte. In der Folge wurde auch das eigene Progressionsspiel nach rund 25 Minuten merklich vorsichtiger, um mögliche Fehlpässe zu vermeiden. Dadurch häuften sich Rückpässe zu Keeper Walter und eine stärkere Zirkulation innerhalb der ersten Aufbaulinie. Tendenziell profitierte davon jedoch Palmeiras: Mit dem Mut und der Dominanz von Mirassol hatte man zuvor große Probleme, doch die Entlastung durch eigene Konter half der Mannschaft sichtbar. Zudem resultierten aus den taktischen Fouls von Mirassol einige gefährliche Standardsituationen – indirekt auch die Ecke, die schließlich zum 1:1 führte.
Mirassols Reaktion
Nach dem Ausgleich entwickelte sich das Spiel zunächst ähnlich weiter wie zuvor – mit dem Unterschied, dass Mirassol sich nun, einerseits aufgrund der zunehmenden Rückpässe auf den Torhüter und andererseits durch das gewonnene Momentum von Palmeiras, wieder häufiger im tieferen Aufbauspiel befand. Sechser Aldo blieb dort zwar weiterhin sehr aktiv und suchte regelmäßig das Andribbeln aus dem Sechserraum, doch insgesamt war spürbar, dass Mirassol mit zunehmender Vorsicht auch ungeduldiger agierte – das Verbindungsspiel wurde zu direkt. Besonders Aldo suchte die Anspiele auf die Halbraumachter Gabriel und Danielzinho häufig zu früh, sodass sich diese nicht ausreichend von ihren Gegenspielern Moreno und Pereira lösen konnten. In diesen direkten Duellen im Halbraum, oft mit dem Rücken zum gegnerischen Tor, tat sich Mirassol sichtbar schwer. So entstand in der 35. Minute auch ein Ballverlust von Gabriel an Moreno, der eine gefährliche Umschaltsituation einleitete. Nach einer unübersichtlichen Ping-Pong-Sequenz scheiterte Roque jedoch an Keeper Walter – die Führung für Palmeiras lag in dieser Phase also plötzlich in der Luft.
Ferner war bei Palmeiras zunehmend eine Idee der Spielrhythmuszerstörung zu erkennen. Mirassol versuchte weiterhin, über die sehr breiten Außenverteidiger in die Breite auf die Flügelspieler im Abkippen zu kommen. Allerdings suchten die Außenverteidiger Khellven und Piquerez von Palmeiras nun häufig direkt das taktische Foul gegen die abkippenden Flügelspieler oder gingen sehr aggressiv in die Zweikämpfe. Dadurch tat sich Mirassol deutlich schwerer, Progression und Verbindung über die Breite zu schaffen. Die Flügelspieler konnten die Außenverteidiger durch ihr „Spielen & Gehen“ nur noch selten aus dem Spiel nehmen, was das Passspiel zusätzlich erschwerte. Besonders Alesson, der ohnehin Probleme beim Abschirmen und Ballhalten hat, tat sich gegen Khellven extrem schwer. Dementsprechend wurde es zunehmend notwendig, im höheren Aufbauspiel Wege über das Zentrum zu suchen. Dies führte dazu, dass sich die Halbraumachter – insbesondere Gabriel – weiter und strukturierter fallen ließen, um für Sechser Aldo erreichbar zu sein. So konnten sie im Halbraum mehrfach ins Dribbling gebracht werden. Positiv fiel zudem auf, dass die Flügelspieler zunehmend eingerückter agierten und auf abkippende Bewegungen verzichteten, wodurch sie den Außenverteidigern in der Breite Raum zum Durchschieben ließen. Diese konnten die Halbraumachter dann oft tief in die Breite anspielen.
Dennoch tat sich Mirassol weiterhin schwer, im letzten Drittel zu klaren Abschlüssen zu kommen. Erst ein weiterer Einwurf von Reinaldo im offensiven Drittel brachte schließlich die erneute Führung – erzielt durch João Victor. Auffällig war dabei, dass Mirassol bei Einwürfen im letzten Drittel ein wiederkehrendes Muster zeigte: Ähnlich wie bei Ecken rückten beide Innenverteidiger mit in die Box auf und bildeten gemeinsam mit Zielspieler Renato eine Ballung im Strafraum rund um die Fünferlinie. Dadurch wurde es für die Verteidigung von Palmeiras besonders schwierig, die Zuordnungen zu halten. Währenddessen sicherten die kleineren, beweglicheren Flügelspieler die Tiefe ab, um zweite Bälle aufnehmen zu können. Durch die flache, nahezu horizontale Flugbahn des Einwurfs in die Box entstand für die Innenverteidiger von Palmeiras zudem ein ungewohnter Verteidigungswinkel, der mehrfach Probleme bereitete – folgerichtig fiel so in der 47. Minute das 2:1 für Mirassol.
Zweite Halbzeit
Zur Halbzeit wechselte Abel Ferreira bzw. Palmeiras zweimal: Innenverteidiger Fuchs kam für Murillo, und Sosa ersetzte Flügelspieler Anderson. Dadurch wurde deutlich, dass Palmeiras nicht primär reagierend agieren wollte, sondern gerade in Sachen Spielaktivität mit dem Ball mehr Initiative ergreifen wollte – auch angesichts des Rückstands. Tatsächlich zeigten diese Änderungen relativ schnell Wirkung. Palmeiras war nun deutlich häufiger aus dem höheren 3-1-4-2-Aufbauspiel im Ballbesitz (Piquerez als linker Halbverteidiger neben den Innenverteidigern) gegen das 4-4-2-Mittelfeldpressing von Mirassol aktiv, mit rund 58 % Ballbesitz – mehr als in den ersten 45 Minuten.
Die strukturelle Implementierung des höheren Aufbaus zur zweiten Halbzeit hatte zudem den Nebeneffekt, dass man gegen den Doppelsturm von Mirassol – Renato und Negueba – durch einfache Überzahlsituationen immer wieder Überdribbelungsmomente der Halbverteidiger, insbesondere des antrittsstarken Piquerez, erzeugen konnte. Dies lag daran, dass die Stürmer von Palmeiras meist das Pressing beim Ballspiel von Mirassol auslösten, mit Deckungsschatten auf Sechser Moreno (um dem ballfernen Halbraumachter eine zentrale Raumorientierung zu ermöglichen), während der ballferne den Horizontalpassweg gen ballfernen Halbverteidiger zustellt. Dadurch wurde jedoch sein Pressingwinkel gegen die Halbraumverteidiger horizontaler, sodass die Gefahr für Überdribblings deutlich erhöht war.
Die Grundintention von Mirassol dürfte gewesen sein, dass der ballnahe Achter dann auf den andribbelnden Halbverteidiger ausschiebt. Das Problem war nur einerseits, dass die Kompaktheit vertikal zwischen den Linien so groß war, dass der Pressingweg dafür schlichtweg zu groß war, und zudem versuchte gerade Pereira, Aldo immer wieder zu binden, sodass dieser kaum direkt ausschob und so auch keinen aktiven Druck auf Piquerez ausüben konnte. Zwar schob er bei extrem weiten Andribbeln etwas heraus, aber dennoch konnte er aufgrund der sehr hohen Ineffektivität des diagonalen Pressingwinkels mit langem Pressingweg kaum aktiven Balldruck ausüben. Dadurch verlor er aber dennoch mehrmals Pereira in seinem Rücken, der auch ein paar Mal dadurch zwischen den Linien gefunden wurde. Insgesamt standen aber eher andere Fokusbereiche im Andribbeln der Halbverteidiger:

Mirassol mit Problemen im MFP
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Diagonal die Breite: Die Außenspieler im 3-1-4-2 agierten in der Grundposition bewusst immer etwas tiefer auf Höhe der gegnerischen Außenspieler, um den Schein eines möglichen Zugriffs zu erzeugen. Das Problem aus Sicht von Mirassol: Die horizontalen Zugriffswinkel erschwerten ein Verfolgen bei diagonalen Hinterlaufen nahezu völlig, da sich die Spieler zunächst entgegen der Spielrichtung drehen mussten und der direkte Gegenspieler sich im toten Winkel bewegte. Dennoch agierten die Außenverteidiger von Mirassol aufgrund der Annahme, dass die Außenspieler Mannorientierungen auf Sosa und Khellven einnahmen, eher eingerückt – zusätzlich weil die Stürmer von Palmeiras halbräumig agierten. Dadurch vergrößerte sich jedoch der Dynamiknachteil der Außenspieler von Mirassol bei situativen 1‑gegen‑2-Unterzahlsituationen beim diagonalen Hinterlaufen in die Tiefe. Immer wieder konnten die Halbverteidiger von Palmeiras die Außenspieler diagonal in den Rücken der Außenverteidiger schicken, während die Stürmer sich gleichzeitig im Rückraum lösten, um die Überzahl gegen die Außenverteidiger von Mirassol auszunutzen.
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Zwischenraum im Halbraum: Durch die Mannorientierung (bzw. die situative Verschiebung) der Außenspieler von Palmeiras agierten Alesson und Danielzinho in der Grundposition etwas breiter. Dadurch und aufgrund der engen Achter von Palmeiras sowie der zentralen Bindung von Aldo entstanden Zwischenräume im Halbraum, in denen sich vor allem Roque immer wieder bewegte und gefunden wurde. Da Victor und Jemmes in der zweiten Halbzeit zunehmend Probleme im Herausverteidigen hatten – vermutlich auch kraftbedingt – konnte Roque sich immer wieder im Zwischenlinienraum vor der Verteidigungslinie aufdrehen. So war es ihm möglich, beispielsweise den Stürmerpendant López im Wandspiel anzuspielen oder direkt den Abschluss zu suchen.
Tatsächlich kann man auch bei Palmeiras ein gewisses Problem in der Box attestieren. Gerade die diagonalen Läufe in die Breite führten häufig zu Hereingaben, bei denen López – der laut Spielerprofil eigentlich Zielspieler sein sollte – deutliche Schwierigkeiten hatte. Er gewann nur 4 von 10 Duellen in der Luft gegen die in der Luft sehr starke Verteidigung von Mirassol und tat sich auch aufgrund seiner Körpergröße (1,74 m) und etwas eingeschränkter Physis gegen die Innenverteidiger schwer. Die langen Befreiungsschläge von Mirassol konnten zwar die Restsicherung von Palmeiras im 1‑gegen‑2 oft absichern, doch gerade durch den aufschiebenden Sechser Moreno und die hohen Achter entstanden ähnlich wie bei Mirassol Probleme in der Restsicherung auf zweite Bälle. Durch die technisch sehr starken Mittelfeldspieler von Mirassol ergaben sich so einige Dribblings nach gewonnenen zweiten Bällen, die dann oft in die Breite auf die Flügelspieler weitergeleitet und in direkte 1‑gegen‑1-Situationen gebracht wurden.
Die letzten 30 Minuten der Partie waren weiterhin von zahlreichen Umschaltsituationen beider Mannschaften geprägt. Gleichzeitig zeigte sich jedoch ganz klar: Der Weg in die Box bzw. das Agieren innerhalb der Box blieb ein großer Problempunkt – was stark mit den guten Innenverteidigern auf beiden Seiten korrelierte. Tendenziell verstand es Mirassol sehr gut, den Ball zunehmend zu sichern und vor allem die vielen taktischen Fouls von Palmeiras mitzunehmen, ohne sich dadurch aus dem eigenen Spielrhythmus bringen zu lassen. Dennoch waren weiterhin leichte Unsauberkeiten bei Mirassol zu erkennen, insbesondere bei der Spieleröffnung über die Außenverteidiger. Palmeiras agierte im Umschalten, vor allem mit Fokus auf lange Bälle hinter die Verteidigungslinie, etwas überhastet und direkt. Dadurch konnte das Team kaum vom eigenen Zerstören des gegnerischen Spielrhythmus profitieren, sondern trieb sich selbst zunehmend in ein zerfahreneres Gesamtspiel, wovon natürlich die führende Mannschaft (am Ende) profitierte.
Fazit
Kaum aus dem Urlaub zurück, direkt so ein ambivalentes Spiel. Gut, ambivalente Spiele gibt es ja eigentlich gar nicht – Grüße an TR an dieser Stelle -, denn alle Spiele sind ja in gewisser Weise ambivalent (aber wenn es nur ambivalente Spiele gibt, dann gäbe es eigentlich keine Ambivalenz, oder? – okay, wir hören schon auf mit dieser Gedankenspielerei). Keines verläuft linear: So auch dieses.
Ich fand, dass es ein schönes Lehrbeispiel dafür ist, dass das bewusste Zerstören des Spielrhythmus immer auch den eigenen Rhythmus beeinträchtigt – und dass dies gerade dann problematisch wird, wenn man ein Tor und Spielkontrolle benötigt und der Favorit gewissermaßen ist. Dadurch schaffte es Palmeiras gegen Ende kaum noch, sich Torchancen in der Box zu erspielen oder über zweite Bälle im Gegenpressing Kontrolle über das Spiel zu entwickeln. Vielmehr trieb man das Spiel in ein wildes Hin und Her, das am Ende Mirassol mit 2:1 gewann. Verdient? Vielleicht.
MX machte sich in Regensburg mit seiner Vorliebe für die Verübersachlichung des Spiels einen Namen. Dabei flirtete er mit der RB-Schule, blieb aber heimlich immer ein Romantiker für Guardiolas Fußballkunst.


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