Union versucht es flach – MX
Der FC St. Pauli empfängt den 1. FC Union Berlin. Beide Mannschaften stecken im Abstiegskampf und benötigen dringend jeden Punkt. Dennoch entwickelt sich das Spiel deutlich in eine Richtung.
Its Abstiegskampf, baby! St. Pauli gegen Union – oder auch: 14. gegen 13.. Dementtrechend hoch war die Erwartung im Millerntorstadion, dabei ließ Blessin einmal umbauen: Ritzka ersetzte den gesperrten Smith. Erfreulich für die Hamburger: Saad saß nach langer Verletzungspause wieder auf der Bank, er fehlte seit dem 5. Oktober und dem 0:3 gegen Mainz. Ansonsten sah man eine 3-4-2-1 Grundformation mit Vasilj im Kasten, davor Ritzka, Wahl und Nemetz in der Dreierlinie, im Mittelfeld Treu und Salikas auf der Schiene, dazwiwschen Irvine und Sands. Halbräumig agierten Weißhaupt und Guilavoui, in der Spitze Eggestein.
Baumgart und Union gewannen zuletzt mit 2:1 in Mainz, für die Partie gegen St. Pauli tauschte der Trainer nirgends. Er ließß seine elf in einer 3-5-2-Grundformation auflaufen, wo Schwolow im Tor stand, davor Doekhi, Querfeld und Leite, im Mittelfeld Skov, Kemlein, Haberer, Schäfer wie Juranovic und im Sturm Siebatcheu und Hollerbach.
Union sucht die Flachheit
Die ersten zehn Minuten des Spiels wurden von den Angriffsspielzügen der Eisernen dominiert. Auffällig war dabei, dass sich im Spielaufbau Jannik Haberer oder Alojsha Kemlein häufig und gezielt neben Leopold Querfeld fallen ließen, wodurch eine breite und besonders flache Viererkette entstand, die aus einem 4-1-4-1 / 4-1-1-4 hervorging.
Erst beim Übergang vom zweiten ins letzte Drittel rückten sie situativ wieder nach vorne und nahmen verstärkt die Rolle eines Sechsers ein, um das Aufrücken der anderen Kollegen im Zentrum zu ermöglichen. Diese tiefere Positionierung im Aufbau hatte mehrere Vorteile: Zum einen bot sie eine Absicherung nach Ballverlusten, da durch die breitere Grundordnung die Außenräume besser abgedeckt wurden. Gleichzeitig wurde durch den zusätzlichen Spieler in der Kette sowohl der Sechserraum als auch die Tiefe geschützt. Zum anderen erleichterte sie das Umschalten bei langen Bällen und verlorenen zweiten Bällen. Die Defensivstaffelung konnte dadurch schnell wiederhergestellt werden.
Dieser Kniff hatte auch mit Ball klare Auswirkungen. Zum einen wurde die Ballzirkulation in der Verteidigungslinie deutlich stabiler, da die extreme Breite der flachen Viererkette stets eine Anspieloption bot. Dadurch gelang es zudem, relativ schnell zu den Außenspielern zu finden. Schäfer, der meist als alleiniger Sechser agierte, positionierte sich nahe an den Innenverteidigern und in der Nähe von St. Paulis einzigem Stürmer Eggestein, um diesen zu binden. Das verschaffte der Viererkette zusätzlich Raum und Zeit am Ball.
Haberer und Kemlein brachten durch ihre Stärken im Passspiel und Andribbeln zusätzliche Flexibilität in den Spielaufbau. Besonders in den Andribbelmomenten eines der beiden bewegten sich die Halbraumspieler Hollerbach sowie der jeweils andere von beiden situativ in die Breite, um sich ballnah freizulaufen und zusätzlich Präsenz zu schaffen. Auch Jordan unterstützte diesen Ansatz durch Abkippbewegungen aus dem Zentrum.
Allgemein lohnt sich ein Blick auf das Pressing des FC St. Pauli.
St. Pauli im 5-4-1
Wie reagierten nun die Gastgeber darauf? Blessen setzte im Mittelfeldpressing auf ein 5-4-1, bei dem die Innenverteidiger von Union kaum angegangen wurden, auch weil Eggestein oft durch Schäfers Bewegungen vor der Pressingwall gebunden oder etwas in seinem Anlaufen behindert war. Dementsprechend waren die nachfolgenden Pressingbewegungen entscheidend.
Hier gab es jedoch leichte Probleme, da die Außenspieler im 5-4-1, Guilavogui und Weißhaupt, eine halbraumorientierte Grundposition einnahmen, um den Deckungsschatten im Halbraum zu halten. Dadurch ergab sich ein längerer Pressingweg auf die Außenverteidiger von Union. Der diagonale Passwinkel ermöglichte es Union jedoch häufig, den Ball in die Breite zu spielen.
Das Ziel im Spielaufbau der Unioner bestand vermutlich grundsätzlich daraus, durch die flache Viererkette St. Pauli auseinanderzuziehen. Darüber hinaus sollten die Außenverteidiger Leite und Doekhi in der Breite angespielt werden, um durch den verlängerten Pressingweg der St. Pauli-Flügelspieler diesen Außenverteidigern genug Raum und Zeit zu verschaffen, um die nächste Ebene zu erreichen oder das Pressing zu überspielen.
Probleme bekam St. Pauli vor allem dann, wenn Union durch das Zusammenspiel der Außenverteidiger in der Breite und anschließendes „Spielen und Gehen“ zusätzliche Dynamik erzeugte. Besonders Guilavogui und Weißhaupt taten sich schwer, ihre direkten Gegenspieler auch nach einem Abspiel konsequent weiter zu verfolgen; stattdessen verlagerten sie ihren Fokus stärker auf die ballorientierte Verteidigung.
Alternativ suchte Union den direkten Anschluss im Halbraum über das Ausschieben von Hollerbach sowie den verbleibenden Zentrumsspieler. Auch Jordan orientierte sich immer wieder abkippend in den ballnahen Bereich.
Probleme bei Union Berlin
Das Abkippen der ursprünglich hoch positionierten Flügelspieler Skov und Juranovic bot in den ersten Minuten fast durchgängig eine Anspielstation in der Breite „um den Druck herum“, da die Hamburger Flügelverteidiger vereinzelt zu zögerlich herausrückten. Doch nach etwa 10 Minuten rückten diese Flügelverteidiger, Treu und Salikas, aggressiv und direkt heraus.
Ab diesem Moment begannen die Probleme für Union Berlin im Spielaufbau. Immer wieder kam der Ball zu den Außenverteidigern, doch diese spielten den Ball aufgrund des engen Herausverteidigens von St. Pauli nicht mehr auf die abkippenden Flügelspieler; besonders Doekhi drehte immer wieder ab. Stattdessen suchten sie immer wieder den Rückpass zu den Innenverteidigern, worauf St. Pauli sofort das Pressing über Eggestein auf den ballführenden Innenverteidiger auslöste.
Nach einem Rückpass griff man zudem auf dem gesamten Feld im 1v1 enger, intensiver an – besonders Eggestein lief dann direkt den Ballführenden an und isolierte dabei auch die ballferne Seite. Das Ergebnis? Viel Unsicherheit und zahlreiche Ballverluste bei Union Berlin, die daraus folgend immer wieder aus der hohen Aufbauhöhe abbrechen mussten.
Dieses Ergebnis ist natürlich nicht nur darauf zurückzuführen, dass der Außenverteidiger diesen Pass nicht mehr spielte, sondern vielmehr darauf, dass es an Alternativen fehlte. Einerseits stellte St. Pauli die Halbraumspieler immer wieder gut zu, indem sie das kompakte 5-4-1 beibehielten, gleichzeitig war auch Sechser Schäfer meist isoliert.
Das Entscheidende gegen diese Art von Gegner ist es, Dynamik zu entwickeln, sich nicht in die eigene Aufbaustruktur einhüllen zu lassen, sondern sich immer wieder daraus zu befreien. Dafür gibt es verschiedene Ansätze und Wege. Einer, der sich immer wieder angeboten hätte, wäre es, die Flügelspieler ins 1v1 und ins Dribbling in der Breite zu schicken und dann beispielsweise über durchschiebende Halbraumspieler direkt Tiefe zu schaffen. Aber auch ein Blick auf die Personalwahl lohnt sich hier: Skov und Juranovic hatten große Probleme beim Aufdrehen und auch beim Suchen des Dribblings gegen den eng verteidigenden, direkten Gegenspieler.
Baumgart passt schnell an
Baumgart setzte der zentralen Isolation relativ schnell entgegen, indem er Haberer und Kemlein zusammen mit Schäfer im Zentrum ließ und sich immer wieder vor die Pressingwand fallen ließ. Sie versuchten, Sands und Irvine im Zentrum auseinanderzuziehen, um dadurch Passwege ins Zentrum auf den abkippenden Jordan zu schaffen. Das funktionierte vereinzelt ganz gut. St. Pauli reagierte darauf mit sehr guten Übergaben im Zentrum und einer guten Entscheidungsfindung, wann man herausrücken muss und wann nicht. Gerade das ballferne Loslassen erwies sich als essenzieller Faktor; denn Union konnte durch die diagonalen Pressingwinkel der Hamburger sowieso keine Seitenverlagerungen suchen, wodurch das Nutzen dieses Einrückens deutlich höher war als das Risiko.
Auch Juranovic und Skov agierten nun aus einer tieferen Grundposition, um sich etwas mehr Zeit und Raum vor den gegnerischen Flügelverteidigern zu verschaffen. Das Problem hierbei war jedoch, dass St. Pauli durch die andere Lösung im Zentrum nun Eggestein als pressenden Stürmer besser nutzen konnte und so den ballspielenden Innenverteidiger deutlich intensiver anlief. Dementsprechend war der Druck hier groß. Durch die Übergaben im Zentrum konnte nun der Außenspieler im 5-4-1 auch auf den tiefen Flügelspieler von Union anpressen. Zusätzlich verteidigten die Flügelverteidiger auf Kipp und rückten immer wieder heraus, wodurch sogar doppelter Druck entstand.
Der Plan dahinter war wohl, die Flügelverteidiger Treu und Salikas durch die tiefe Positionierung der Flügelspieler herauszuziehen und dadurch Raum in der Breite zu schaffen, den Hollerbach oder Jordan suchen könnten. Dies deuteten die beiden auch mehrmals an, doch aufgrund des direkten Drucks auf die tiefen Flügelspieler taten sich diese schwer, den langen Pass zu spielen. Zudem litt die Besetzung der Räume für den zweiten Ball deutlich unter dem tiefer agierenden Zentrumsspielern und den Flügelspielern, wodurch mehr Ballverluste entstanden. Zudem zeigten die Halbverteidiger Ritzka und Nemeth eine gute Partie in der Luft und schoben diese Bewegungen in die Breite von Hollerbach und Jordan gut mit, sodass nahezu keine Gefahr entstand.
Union Berlin gegen den Ball im 4-4-2
Dementsprechend wichtig war es auch, wie das strukturierte Pressing gestaltet wurde. Dies erfolgte aus einem 4-3-3 heraus. Der mittlere Innenverteidiger Wahl wurde dabei nur lose vom Mittelstürmer Schäfer angelaufen, während das intensivere Pressing erst bei einem Pass auf die Halbverteidiger von den Außenstürmern Jordan oder Hollerbach ausgelöst wurde. Im Zentrum agierte man mit Mannorientierungen auf Irvine und Sands.
Das Problem hierbei war, dass St. Pauli mit fortlaufender Spielzeit seine Flügelverteidiger immer tiefer agieren ließ, was eine 2v1-Situation gegen die Außenstürmer von Union zur Folge hatte. Durch diese Unterzahl lösten die Außenstürmer schlichtweg nicht mehr das Pressing auf die Halbverteidiger von St. Pauli aus, wodurch diese mehr Raum und Zeit gewannen. Tendenziell wäre es hier angebracht gewesen, dass besonders Skov seine Mannorientierung auf den im Zwischenlinienraum agierenden Guilavogui früher löst und Leite diesen markiert. Dies passierte jedoch mehrfach nicht – auch beim 1:0.
Allgemein tat sich Union etwas schwer, wenn Sands und Irvine ihre typischen Bewegungen in die Breite machten, da man diese Wege mannorientiert mitging, vermutlich aus dem Wissen, dass dadurch gleichzeitig zentrale Passwege aufgingen.
Probleme gab es auch durch die enge Grundbreite der Verteidigungslinie, was das Verteidigen von langen Bällen auf durchschiebende Flügelspieler erschwerte. Besonders Juranovic zeigte ein schwaches Spiel in der Luft gegen Weißhaupt, der dadurch mehrfach das 1v1 suchen konnte. Ein weiterer Schwachpunkt war das Thema „durchpressen“. Immer wieder ging man die Abkippbewegungen von Spielern wie Guilavogui mit Innen- oder Außenverteidigern weit mit, suchte aber nie den direkten Kontakt. Dadurch konnte St. Pauli oft über Ablagenspiel mit dem ersten Kontakt problemlos weitermachen.
Baumgarts Umstellungen zur Halbzeit
Nach dem Seitenwechsel brachte Steffen Baumgart Benes für Schäfer, um den Mut zu fördern, der Union im ersten Durchgang im Zentrum weitgehend fehlte. Auch systematisch sah man nun einen 3-1-3-Aufbau im Ballbesitz, von dem vor allem die höheren Halbraumspieler Hollerbach und Benes profitierten. Dadurch konnte man besser in die letzte Linie vordringen. Tendenziell tat man sich jedoch schwer, aus dieser Struktur heraus Tiefe zu finden, da die Innenverteidiger von St. Pauli immer wieder gut herausrückten und sofort den Kontakt suchten.
Zu Beginn der zweiten Hälfte hatte Union auch einige höhere und aggressivere Pressingphasen, in denen Jordan nun statt Schäfer anlief und Sands isolierte, was mehr Druck erzeugte. Über zentrale Mannorientierungen kam man dann sogar zu Ballgewinnen, wie etwa in der 48. Minute, wodurch ein Ausgleich in der Luft lag.
Nach dem 0:2 aus Unioner Sicht, als man aufgrund tiefer Zentrumsspieler keinen Zugriff auf den zweiten Ball bekam und sich einen Konter einfing, brachte Baumgart Vertessen und Volland. Er versuchte, über Volland immer wieder abzukippen, Spieler mitzuziehen und dann nach einem Spiel in die Breite sofort die Tiefe zu suchen. Allerdings war es dem guten Verteidigungsverhalten der Flügelverteidiger von St. Pauli und der mäßigen Ballverarbeitung im 1v1 von Juranovic und Skov zu verdanken, dass Union weiterhin wenig Tiefe fand.
Interessant war in dieser Phase, dass sich die Dreieraufbaulinie immer wieder andribbelte und fast wartete, bis sich Spieler zentral in den Zwischenräumen freiliefen. Besonders Jordan enttäuschte in dieser Hinsicht in der zweiten Hälfte. Vereinzelt ließ sich Hollerbach in den Zwischenlinienraum fallen und versuchte Dribblings, was oft die Momente waren, in denen Union Gefahr und Tiefe erzeugen konnte.
Gegen Ende der Partie verteidigten die Halbverteidiger von St. Pauli die Bewegungen von Hollerbach und Co. im Halbraum deutlich weiter und direkter mit, was es Union immer schwerer machte, Abkippbewegungen aus der Breite zu finden. Gerade weil man sich schwertat, in den Druck hinein zu spielen. Vertessen setzte mehrfach zu inversen Dribblings an, die jedoch meist erfolglos blieben, da die Fünferlinie von St. Pauli so viel Raumdichte aufwies, dass es oft an Anschlussbewegungen fehlte.
Am Ende zeigte sich, dass Union zunehmend in den Druck hineinspielte, auch weil die Intensität bei St. Pauli im Herausverteidigen etwas nachgelassen hatte. Das Problem war jedoch allgemein, dass man häufig in den Druck spielte, ohne Anschlussbewegungen zu finden. Es wirkte fast so, als wolle man die Gegner beispielsweise aus dem Zentrum herausziehen, aber nicht genau wusste, was man mit dem gewonnenen Raum anfangen sollte. Das zog sich bis zum Ende durch. Kurz vor Ende kombinierte sich der FC St. Pauli zum 3:0 durch Sinani – die 3 Punkte gehen nach Hamburg.
Fazit
Das Nachlassen der Intensität führte am Ende noch zu vereinzelten Chancen für Union Berlin, doch das 2:0 war letztlich die vorentscheidende Situation. Der Fokus lag heute bewusst auf dem Ballbesitzspiel von Union, da dieses für mich entscheidend war. Wer bei knapp 60% Ballbesitz nur etwas über 1 xG kreiert, hat definitiv ein Problem. Besonders schade ist diese Niederlage, wenn man bedenkt, dass die flache Viererkette gegen mannorientierte Teams, die in der Bundesliga häufig zu sehen sind, durchaus positive Effekte haben könnte.
So bleibt es ein souveräner Sieg für St. Pauli, der in dieser Höhe durchaus verdient ist. Die Hamburger spielen sowohl strategisch als auch mannschaftstaktisch eine sehr gute Saison und zeigten dies auch am Sonntagabend. Gerade solche Spiele muss man gewinnen, wenn man die Klasse halten möchte – und das tun sie. Vielleicht lohnt es sich, bald noch genauer auf beide Mannschaften zu blicken
MX machte sich in Regensburg mit seiner Vorliebe für die Verübersachlichung des Spiels einen Namen. Dabei flirtete er mit der RB-Schule, blieb aber heimlich immer ein Romantiker für Guardiolas Fußballkunst. Aktuell ist er als Analyst in einem NLZ tätig.
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