Eintracht Frankfurt in Ballbesitz – Problemanalyse und taktische Alternativen – MH
Eintracht Frankfurt spielte in der Hinrunde bislang eine herausragende Saison und landete zum Abschluss der Rückrunde auf Platz 3 der Bundesliga Tabelle. Dabei konnte die SGE immer wieder durch ein gutes Umschaltspiel Torchancen kreieren. Insbesondere die beiden schnellen Stürmer Marmoush und Ekitiké profitierten von dieser Spielweise. Durch den großen entstehenden Raum konnten Sie ihren Tempovorteil besonders gut nutzen. Schwierigkeiten gab es allerdings gegen kompakte Gegner. Das könnte im Laufe der Rückrunde noch zum Problem werden.
Eintracht Frankfurt hatte vor der Winterpause Probleme an die starken Ergebnisse der ersten 12 Spieltage anzuknüpfen. Dabei gab es einen Trend zu beobachten. Die Eintracht verzeichnete deutlich mehr Ballbesitz als noch zu Beginn der Saison. Das Spiel Frankfurts ist sehr stark auf das eigene Umschaltspiel ausgelegt. Gibt der Gegner der SGE mehr Ballbesitz und steht gegen den Ball kompakt, so tun sich die Frankfurter schwer. Das ist bei weitem kein neues Phänomen. Bereits in der letzten Saison redeten Krösche, Toppmöller und Co. von fehlendem „Heavy Metal Fußball“. In Ballbesitzphasen fehlten den Frankfurtern die Ideen, den gegnerischen Block zu bespielen. Die Folge waren wenig attraktive Spiele für den Zuschauer.
Zur Sommerpause veränderte Toppmöller den Spielstil. Weniger Ballbesitz und gefährliche Umschaltsituationen mit Hilfe eines besonders guten „Rest-Angriffs“ wurden das Mittel zum Erfolg. Die logische Reaktion gegnerischer Mannschaften lautet somit weniger Ballbesitz, um Frankfurter offensive Umschaltsituationen zu verhindern. Doch was fehlt Frankfurt in Ballbesitz, um einen kompakten Gegner zu bespielen? Dieser Artikel wird erklären, welche Gründe es für das „langweilige“ Frankfurter Ballbesitzspiel gibt und welche Möglichkeiten Toppmöller hat, um mehr Torchancen aus Ballbesitzphasen herausspielen zu können. Im Anschluss wird das Positivbeispiel des Ballbesitzspiels gegen Freiburg eingeordnet.
Probleme in Ballbesitz
Im Gegensatz zu beispielsweise Brighton unter Hürzeler lassen sich bei der SGE klare Positionszuteilungen finden. Bei gegnerischem Angriffspressing nutzt Frankfurt meist eine 4-2-4 Staffelung und bei einem tieferen Gegner eine 3-2-5 Staffelung. Das klassische Positionsspiel ist Grundlage des Frankfurter Plans im Spielaufbau. Das Besetzen bestimmter Zonen, Locken bestimmter Gegner und Suchen des freien Mannes dienen als Grundlage des Positionsspiels.
Die Folge sind planmäßig weite Abstände, die den Gegner zum Verschieben und Öffnen bestimmter Räume zwingen. Allerdings müssen hier viele Stationen überwunden werden, bis es zu einer torgefährlichen Aktion kommt. Die Suche des freien Mannes kann lange dauern. Verschiebt der Gegner konsequent, ohne viele Fehler zu machen, wird der Ball sehr lange verlagert, ohne in torgefährliche Räume zu gelangen.
Das Problem des häufig „behäbigen“ Positionsspiels gegen tief stehende Gegner ist, dass der Gegner zumeist raumorientiert sehr kompakt das eigene Tor verteidigt, ohne große Lücken zu offenbaren. Das führt zu einem noch längeren Suchen des freien Spielers und normalerweise zu wenigen Torchancen auf beiden Seiten. Durch das kompakte Verschieben des Gegners fehlen schlicht 2-3 Anspielstationen des ballbesitzenden Teams, da sie ballfern andere Räume besetzen. Das Verlagern auf diese Spieler dauert so lange, dass der Gegner die entscheidenden Räume schließen kann.
Im Frankfurter Spiel zudem auffällig ist, dass zumeist Tiefe ausgehend von der ersten Spielaufbaukette an der Außenlinie entlang erzeugt wird. Selten werden Spieler im Zentrum oder im Halbraum von der 3er Aufbaukette gefunden. Die Folge sind sehr eingeschränkte Möglichkeiten für den ballbesitzenden Spieler, da die Außenlinie auch die Handlungsmöglichkeiten begrenzt.
Die Gründe hierfür liegen unter anderem in fehlender Variabilität und fehlenden Positionsrochaden. Der Gegner kann sich auf feste Muster einstellen und wird immer wieder mit den gleichen Angriffsstrategien und Gegenspielern konfrontiert. Das sorgt für wenige erzwungene spontane Situationen für die gegnerischen Verteidiger und somit auch für weniger Fehler beim Gegner. Es bleibt für die Aufbauspieler nur der „einfache“ Weg über die Außenbahnen.
Ein weiteres Problem im Frankfurter Spiel mit Ball liegt in fehlendem Tempo aus der Aufbaukette heraus. Langsameres Verlagern führt gleichzeitig auch zu mehr Zeit für den Gegner zum Verschieben. Das Problem ist allerdings auch bedingt durch fehlende Tiefenbewegungen der Mitspieler in den höheren Ketten. Fehlende Läufe in die Tiefe oder aus der Tiefe sorgen für fehlende diagonale Anspielstationen. Das wiederum bedingt auch das beschriebene fehlende Tempo der Aufbauspieler. Frankfurt tut sich entsprechend schwer die für den Gegner so schwer zu verteidigende Diagonalität zu erzeugen.
Unmittelbar vor der Winterpause kassierte Frankfurt 13 Gegentore aus 5 Spielen. Auch wenn der Großteil der Gegentore nicht auf gegnerische Umschaltsituationen zurückzuführen war, liegt hier noch ein großes Potential. Frankfurt schaffte es vor allem in den beiden Spielen gegen Leipzig zu selten Gegenpressingsituationen zu finden und Konter oder gegnerische Ballbesitzphasen zu verhindern bzw. aus eigenen Ballrückeroberungen gefährliche Torchancen herauszuspielen. Das könnte auch durch fehlende Tiefe im Ballbesitzspiel der Eintracht bedingt sein.
Folgende Statistik unterstützt die Wahrnehmung fehlender Gegenpressingsituationen gegen Leipzig. Gemäß Wyscout Daten kamen die Frankfurter gegen Leipzig bei durchschnittlich 60% Ballbesitz gerade einmal auf 10 bzw. 12 hohe Ballrückeroberungen. Zum Vergleich: Bayern München kommt bei ähnlichen Ballbesitzverhältnissen im Durchschnitt auf über 20 hohe Ballrückeroberungen in dieser Saison. Generell lassen sich Probleme im Spiel gegen den Ball bereits in Ballbesitz verhindern, wenn der Gegner durch erfolgreiches Gegenpressing erst gar nicht die Möglichkeit bekommt, Torgefahr zu entwickeln. Das eigentliche Problem gegen den Ball würde unter anderem im Spiel mit dem Ball gelöst.
Es lässt sich festhalten, dass die Eigenschaften des Positionsspiels aufgrund langer Ballbesitzphasen und wenigen Umschaltsituationen kaum geeignet für Eintracht Frankfurt erscheinen. Das momentane Spiel aus „geordneten“ Ballbesitzphasen passt nicht zu der eigentlichen Spielphilosophie Frankfurts. Dementsprechend ist die Umsetzung des nicht auf die eigenen Stärken ausgelegten Ballbesitzspiels auch nicht gut. Frankfurt schafft es kaum Torchancen aus geordneten Ballbesitzphasen „nach Plan“ zu kreieren aufgrund fehlender Tiefe.
Vertikales Ballbesitzspiel – eine Alternative
Das Ziel des „geordneten“ Ballbesitzes sollte ein permanentes Attackieren und Stressen des Gegners sein. Die Lösung liegt in dem Erzeugen von möglichst viel Vertikalität bei Beibehaltung bzw. Verbesserung der Pressingresistenz. Um einen kompakten Gegner vor Probleme stellen zu können, sollte das Spiel mit Ball möglichst variabel sein. Somit wird der Gegner vor unterschiedliche Herausforderungen gestellt, auf die er sich weniger gut einstellen kann.
Eine Spielweise Bekannt für Variabilität ist der Relationismus. Durch extreme Überladungen mit Fokus auf dem Ball statt auf bestimmten Zonen wird der Gegner vor unterschiedlichste Herausforderungen gestellt. Im Relationismus sind Spieler deutlich freier als im Positionspiel. Das sorgt für eine unvorhersehbarere Spielweise und ist somit besonders schwer auch für kompakte Gegner zu verteidigen. Allerdings sorgt der Ball Fokus auch für hohe Ballbesitzzahlen. Presst beispielsweise der Gegner hoch, so wird ballnah überladen. Das sorgt zwar für eine hohe Pressingresistenz allerdings auch für fehlende Durchschlagskraft nach vorne. Für Eintracht Frankfurt wäre dementsprechend eine bestimmte Vermischung der beiden Spielideen ideal, um die eigenen Stärken optimal zum Vorschein bringen zu können. So könnte aus dem Grundgerüst des Positionsspiel situativ immer wieder in bestimmten Räumen stark überladen werden.
Überladungen
Je nach Gegner, Spielsituation und eigenen Stärken sollte zwischen verschiedenen (situativen) Überladungen variiert werden. Überladungen, die das vertikale Spiel fördern, kämen Eintracht Frankfurt unter anderem deshalb zugute, weil dadurch mehr Umschaltsituationen erzeugt werden. Verteidigt der Gegner kompakt mit einer hohen Abwehrkette, so empfiehlt sich für Eintracht Frankfurt das Überladen der letzten Linie.
Durch die Überzahl auf der letzten gegnerischen Linie können die überladenden Spieler in der Tiefe gefunden werden. Der Gegner muss immer wieder nach hinten die Tiefenläufe absichern und wird in der letzten Kette dazu gezwungen, sich fallen zu lassen. Das sorgt für einen größeren Zwischenkettenraum zwischen gegnerischer Abwehr und Mittelfeld und die Zerstörung der Kompaktheit.
Dabei müsste Frankfurt gar nicht auf völlig neue Strukturen zurückgreifen. Aus den gewohnten Staffelungen 4-2-4 sowie 3-2-5 befinden sich bereits sehr viele Spieler positionell auf der letzten Linie. Das Problem der SGE liegt hier vor allem in der fehlenden Fluidität. Die Überladung ist nicht effektiv, da die Spieler dauerhaft auf der letzten Linie verweilen. Der Gegner kann sich darauf vorbereiten und Passwege schließen. Zudem gibt es zu wenige Tiefenläufe ausgehend von den fünf vorderen Spielern, die die gegnerische Kompaktheit auseinanderziehen würden.
Idealerweise werden immer wieder unterschiedliche Wege in die Tiefe von unterschiedlichen Spielern gesucht mit dem gleichbleibenden Ziel, die letzte Kette zu überladen.
Um weniger „Long-Line“ aus einer „U-Formation“ und mehr übers Zentrum oder die Halbräume aufzubauen, kann die SGE situativ das Zentrum überladen. Sowohl aus der häufig genutzten 4-2-4 Staffelung als auch aus der 3-2-5 Staffelung lassen sich Überladungen des Zentrums einfach herstellen. Wichtig zu beachten ist, dass auch diese fluide stattfinden sollten. Das heißt, dass die überladenden Spieler nicht im Zentrum verharren, um dieses zu verdichten.
Weitere Überladungen zur Förderung des vertikalen Spiels sind das Überladen des Halbraums sowie des Zwischenkettenraums. Diese sind besonders gegen kompakte Gegner effektiv aufgrund der Freiheiten, die diese Räume gewähren. Zum einen ist der Gegnerdruck niedriger, zum anderen haben die ballbesitzenden Spieler mehr Entscheidungsfreiheiten. In diesen Räumen kann Überzahl erzeugt werden und somit einfacher Tiefe geschaffen werden. Auch hier ist Fluidität besonders wichtig, um die besetzten Räume nicht zu verengen.
Um Fluidität und situatives Überladen zu fördern, könnten spezifische Auslöser bzw. Prinzipien für Überladungen festgelegt werden. Mögliche Beispiele könnten sein: Im ballnahen Halbraum (+2) herstellen bei gegnerischen engen Ketten, auf letzter Linie (+1) Suchen bei hoher Abwehrkette oder im Zentrum (+2) bei Ballbesitz der Aufbaukette.
Gegenläufige Bewegungen und Rotationen
Fehlende „freie“ Bewegungen sind hauptursächlich für fehlende Tiefe Anspielstationen trotz 5 Spieler auf der letzten gegnerischen Kette in der häufig genutzten 3-2-5 Staffelung. Rotationen können eine wichtige Rolle gegen gegnerische Mannorientierungen spielen. Zu selten schafft es Frankfurt (einzelne) gegnerische mannorientierte Spieler durch Rotationen aus ihren Positionen zu ziehen. Besonders häufig kommen Mannorientierungen auf dem Flügel sowie auch teils im zentralen Mittelfeld vor. Als Vorbild könnten hier die Münchner Positionswechsel dienen. Besonders Kane, Musiala und Davies tauschen immer wieder dynamisch die besetzten Zonen und machen es dem Gegner besonders schwer mit Mannorientierungen einzelne Spieler aus dem Spiel zu nehmen.
Wie bereits in den Überladungsgraphiken dargestellt, sollten die Spieler in der Überladung diagonal gegenläufige Bewegungen suchen. Der Gegner wird in Unterzahl vor ein Dilemma gestellt und zu einer Entscheidung gezwungen. Das erhöht die Effektivität von Überladungen und sorgt für ständige Bewegung beim Gegner. Als Vorbild könnte hier die Spielweise Brightons dienen, welche in ihrem Spiel durch Überladungen und gegenläufige Bewegungen aus eigenem Ballbesitz sehr viel Tiefe kreieren.
Es gibt noch viele weitere mögliche Varianten, durch gegenläufige Bewegungen die Verteidigung vor Dilemmata zu stellen. Möglichkeiten wären beispielsweise Bewegungen durch Achter/ Stürmer, Außenverteidiger/ Flügel, Außenverteidiger/ Sechser oder auch der ballferne Außenverteidiger/ Stürmer. Hier findet ihr die Analyse zu Brightons Spiel in die Tiefe verlinkt.
Ablagespiel und Spiel in den Druck
Ein weiteres Problem im Frankfurter Spiel sind fehlende Ablageoptionen nach einem vertikalen Pass. Zu häufig wird nach tiefem Anspiel durch eine oder mehrere gegnerische Ketten die Anschlussoption nicht gefunden. Viele Ballverluste beim Spiel in die Tiefe sind die Folge. Besonders auffällig ist das bei fehlenden ballnahen Bewegungen aus der Frankfurter 3-2-5 Staffelung. Zu viele Spieler agieren auf einer Höhe.
Im Bundesliga Spiel gegen St. Pauli schaffte es Frankfurt immer wieder Spieler im Halbraum vor dem gegnerischen Halbraumverteidiger zu finden und so diesen vor das Dilemma zwischen Druck ausüben und Tiefe absichern zu bringen. Dennoch konnte die SGE zu selten von diesen Anspielen profitieren. Zu häufig fehlten die Ablageoptionen, um hinter der überspielten Kette den Ball zu halten.
Frankfurt konnte dennoch aus diesen Situationen Tiefe schaffen. Marmoush drehte sich bei diesen Situationen ein ums andere Mal um seinen Gegenspieler. Sollte Marmoush allerdings zu Manchester City wechseln, wird Frankfurt auch aufgrund des ausbaufähigen Ablagespiels vor große Probleme gestellt werden.
Das Ablagespiel profitiert unmittelbar von Überladungen. Mehr Spieler bedeuten auch mehr Anspielstationen. Entscheidend ist die Staffelung innerhalb der Überladung. Die Spieler sollten möglichst viele unterschiedlichen Ebenen und Passwinkel herstellen. Dabei könnte sich Frankfurt am Stuttgarter Spiel orientieren. Immer wieder wird im Übergangsspiel das Zentrum überladen. Dabei werden niemals Positionierungen auf der gleichen Höhe eingenommen.
Nicht nur die Positionierungen, auch die Bewegungen sind entscheidend. Generell werden durch ballnahe Bewegungen Anspielstationen geschaffen, da „fließend“ verschiedene Ebenen besetzt werden. Ein mögliches Prinzip für ein effektiveres Ablagespiel könnte sein, je näher am Ball, desto mehr Bewegung.
Zusätzlich zu den Prinzipien der Bewegung und Höhenstaffelung der Spieler könnten bestimmte relationistische Staffelungen als Grundlage in einer Überladung genommen werden, um diagonale Anspielstationen zu schaffen. Ein Beispiel hierfür wäre die „Escadinha“ (übersetzt Treppe). Diese beschreibt eine diagonale Linienanordnung von mehreren Spielern. Bei Pass in die Tiefe können durch bestimmte Bewegungen sofort mehrere Anspielstationen geschaffen werden.
Im Folgenden habe ich eine Möglichkeit verlinkt, wie sich diese Staffelung ausspielen ließe.
Durch die aufgezeigten Prinzipien wäre es für Frankfurt deutlich einfacher ein effektives Spiel in den Druck zu erzeugen und somit den Gegner immer wieder vor schwierige defensive Entscheidungen zu stellen. Das Spiel in den Druck hätte dabei aus Frankfurter Sicht einen weiteren Vorteil im Gegensatz zum bisher praktizierten Suchen des freien Mannes. Im Druck ist das Gegenpressing deutlich effektiver. Zum einen sind viele eigenen Spieler in Ballnähe positioniert, zum anderen sind die gegnerischen Spieler zu eng für eine Passstafette nach Ballgewinn positioniert und müssen zunächst aus den defensiven Positionierungen auffächern.
Gegenpressing
Ironischerweise könnten Ballverluste eine wichtige Rolle im Ballbesitzspiel einnehmen. Das absichtlich risikoreiche Spiel in die Tiefe kann Ballverluste provozieren. Als Prinzip könnte hier genutzt werden, dass das Aktionsrisiko den defensiven Zugriff bedingt. Solche Ballrückeroberungen können durch das Gegenpressing als „Spielmacher“ genutzt werden und Umschaltsituationen erzwingen.
Warum kann das Gegenpressing als offensives Mittel gegen kompakte Mannschaften so wichtig sein? Aufgrund des Ballverlusts befindet sich der Gegner in einer offensiven Umschaltsituation. Die Ballrückeroberung erzeugt zu bespielende Räume, da sich die gegnerischen Spieler im offensiven Umschalten aus der geordneten Defensivstaffelung rausbewegen.
Sowohl Überladungen zentraler Räume, als auch die beschriebenen Staffelungen im Ablagespiel haben positiven Einfluss auf das Gegenpressing. Mehr Spieler in Ballnähe bedeutet auch mehr Zugriff auf den Ball bei Ballverlust. Die Höhenstaffelung des Ablagespiels sorgt gleichzeitig für eine defensive Absicherungsstaffelung. Der Gegner muss mehrere Ebenen überspielen.
Spielerstärken zur Geltung bringen
Das Ballbesitzspiel von Frankfurt sollte so gestaltet sein, dass es die individuellen Stärken der Spieler optimal zur Geltung bringt. Wie bringe ich die schnellen, dribbelstarken und abschlussstarken Marmoush und Ekitiké auch gegen kompakte Gegner in 1gg1 Situationen mit möglichst viel Raum, möglichst nahe ans gegnerische Tor? Das Nutzen des „freien Spielers“ könnte eine mögliche Variante sein. Der freie Spieler hat das Privileg, sich so ziemlich überall auf dem Feld zu bewegen. Ziel ist, dass er situativ Überzahl in Ballnähe schafft und aus seiner eigentlichen Position herauskommt. Somit ist er schwieriger für den Gegner zu fassen. Beispiele hierfür sind Florian Wirtz bei Leverkusen oder auch Raphinha bei Barcelona. Eine mögliche Variante könnte wie folgt aussehen:
Ähnlich wie Raphinha bei Barcelona könnte Marmoush (oder Ekitiké) als ballferner, „freier“ Spieler die Schnittstelle zwischen Halbraum und Zwischenkettenraum unmittelbar vor der gegnerischen Abwehrkette überladen. In diesem Kombinationsraum aus Halbraum und Zwischenkettenraum ist es für den Gegner besonders schwer Zugriff auf das ballbesitzende Team zu bekommen. Dadurch, dass der eigentlich ballferne Spieler überlädt, schafft es der Gegner häufig nicht schnell genug die Unterzahl zu begreifen und auszugleichen.
Eine weitere Möglichkeit, die Stärken der beiden Spieler optimal zum Vorschein bringen zu können, liegt in Halbraumüberladungen und Halbraumverlagerungen. Duch die Halbraumüberladung wird der Gegner auf eine Seite gezogen. Die verteidigende Mannschaft muss sowohl den Flügel, als auch das Zentrum schließen. Dabei wird der gegenüberliegende Halbraum geöffnet, in welchem Marmoush (oder Ekitiké) positioniert ist. In der deutschen Nationalmannschaft nutzt Nagelsmann Wirtz und Musiala in den gegenüberliegenden Halbräumen. So lassen sich besonders gut 5-3-2 Systeme bespielen, da dass Mittelfeld zum Verschieben gezwungen wird. Die Überladung eines Halbraums verstärkt diesen Effekt.
Marmoushs und Ekitikés Dribblings und 1gg1 Fähigkeiten lassen sich auch gezielt nutzen, um den Gegner auf sich zu ziehen und andere Räume freizuziehen. Ähnlich agiert Musiala in München und im Nationalteam häufig. Vor der gegnerischen Kette im Halbraum wird durch ein Dribbling der Ball gehalten. So orientieren sich die meisten Verteidiger auf Musiala und Räume in der Tiefe im Rücken der Abwehr gehen auf.
Von Toppmöller in Ballbesitz bereits sehr gut eingesetzt wird Linksverteidiger Nathaniel Brown. Der Außenverteidiger wird von seinen Fähigkeiten häufig mit Mario Götze verglichen. Das sehr gute Spiel- und Raumverständnis erscheint besonders geeignet für den Halbraum. Häufig ist Brown auch dort aufzufinden. Dennoch gibt es Möglichkeiten zur Verbesserung. Überladungen des Zentrums und Halbraums würden Browns Spielstil entgegenkommen. Mehr Fokus auf der Option (= relationistische Überladungen) statt auf der Struktur (= positionelle Systematik) ist optimal für Spieler mit einem besonders hohen Spielverständnis. Auch die oben beschriebene Fluidität der Überladungen würde Brown sehr entgegenkommen, da er schwieriger in entscheidenden Räumen zu greifen ist.
Im Gegensatz dazu ist die momentane Schwäche von Linksverteidiger Nkounkou auch auf die Positionierung mit Ball im Positionsspiel zurückzuführen. Nkounkous besondere Stärken liegen in seiner Schnelligkeit und 1gg1 Stärke auf der Außenbahn. Eine ähnliche Positionierung wie die von Brown ist dementsprechend völlig ungeeignet. Viel mehr könnte Nkounkou ähnlich wie Davies bei München für gegenläufige Bewegungen mit dem Stürmer zum Überspielen der letzten Kette genutzt werden. Überladungen des Zentrums könnten Nkounkou entgegenkommen, da so der Flügel für 1gg1 Situationen mit viel Raum geöffnet werden würde.
Auch weitere Spieler wie Matanovic, Bahoya, Uzun, etc. könnten durch das gezielte Einsetzen in bestimmten Räumen ihre Stärken im Ballbesitzspiel besonders gut zum Vorschein bringen. Elementares Element ist allerdings das Freiziehen dieser Räume durch Überladungen anderer Zonen oder das Herstellen von Überzahlsituationen durch Überladungen in jenen Räumen.
Einordnung 17. Spieltag gegen Freiburg
Als positives Beispiel für das Frankfurter Ballbesitzspiel gilt es das Spiel gegen Freiburg hervorzuheben. Frankfurt schaffte es immer wieder Tiefe aus eigenem Ballbesitz zu schaffen. Das war auch zurückzuführen auf ein freieres Bewegen der vorderen 5 Spieler aus der letzten Kette heraus und wiederholt in die Tiefe. Insbesondere Götze suchte immer wieder den Weg raus aus der eigentlichen Positionierung und sorgte für häufige Positionsrotationen. Marmoush, Ekitiké und Brown suchten häufiger gegenläufige Bewegungen. Zudem wurde auch bei weniger erfolgsversprechenden Pässen immer wieder in die Tiefe gespielt, um im Anschluss im Gegenpressing umschalten zu können.
Dennoch muss berücksichtigt werden, dass Freiburg im Gegensatz zu beispielsweise Leipzig defensiv nicht „stehend“, sondern „anlaufend“ agierte. Das sorgt zwar für einen höheren Druck auf den Ballführenden, aber auch für generell mehr Bewegung auf dem Feld und kommt dem momentanen Offensivansatz der Eintracht entgegen. Damit mussten die Frankfurter Spieler die Freiburger nicht immer wieder aus der kompakten Staffelung herausziehen und versuchen, Bewegung in einen „stehenden“ Gegner zu bringen. Das Aufweichen des Positionsspiels und vermehrte Übergehen in asymmetrische Überladungen ist somit nichtsdestotrotz nötig im Frankfurter Ballbesitzspiel.
Noch was?
Es gibt natürlich auch noch weitere Möglichkeiten, tiefstehende Gegner zu bespielen. Probleme fehlender Torchancen aus eigenem Ballbesitz lassen sich kaschieren durch Standards und durch Umschaltsituationen in Folge von erfolgreichem Pressing. Ein effizienteres Angriffspressing sorgt für mehr offensive Umschaltsituationen und erhöht gleichzeitig die defensive Stabilität. Das Ziel, dauerhaft und in jeder Phase des Spiels den Gegner unter Druck setzen zu können, wird allerdings nicht ohne ein torgefährlicheres Ballbesitzspiel erreicht.
Fazit
Frankfurt konnte durch unfassbar guten Umschaltfußball in der Hinrunde überraschen und steht auch zurecht auf Platz 3 der Bundesliga unmittelbar hinter Leverkusen und München. Es wird spannend zu sehen sein, ob die Frankfurter unter Toppmöller in der Rückrunde gegen besser auf sie eingestellte Teams ähnlich performen können. Mehr Torgefährlichkeit durch vertikales Spiel aus „geordneten“ Ballbesitzphasen ist jedenfalls unumgänglich, um an die erfolgreiche Hinrunde anknüpfen zu können und gegebenenfalls einen Marmoush Abgang zu kompensieren. Die beschriebene angepasste taktische Herangehensweise könnte dabei besser zu der Spielphilosophie und den Stärken Frankfurts passen.
Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl. Auf X ist er unter Mh_sv5 zu finden.
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