Zweitliga Spiel auf Erstliga Niveau – ND
Magdeburg gegen Paderborn – was auf den ersten Blick wie ein durchschnittliches Zweitligaspiel wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als taktisches Highlight. Ein Blick auf die Trainerbänke und die aktuelle Tabellenkonstellation zeigt, dass hier zwei Mannschaften aufeinandertreffen, die für proaktiven und taktisch anspruchsvollen Fußball stehen. Christian Titz und Lukas Kwasniok haben ihre Teams mit klaren Spielideen ausgestattet – und das Spiel hält, was es verspricht: ein Duell auf hohem Niveau, geprägt von Intensität, Variabilität und mutigen Konzepten
Beide Mannschaften zeichnen sich durch ein intensives Pressing aus, allerdings mit unterschiedlichen Ansätzen. Magdeburg agiert besonders konsequent und „radikal“ im Pressing, indem sie ein Mann-gegen-Mann-System über das gesamte Spielfeld durchziehen – so auch zeitweise in dieser Partie. Dieses Schema erzeugt hohen Druck auf den Gegner und zwingt ihn zu schnellen Entscheidungen. Paderborn hingegen setzt auf eine variablere Herangehensweise: Ihr Wechselspiel zwischen Phasen des aggressiven Pressings und einem abwartenden Verteidigen erlaubt es ihnen, situativ flexibel zu reagieren. Das Pressingsystem Magdeburgs gestaltete sich wie folgt:
Magdeburg positionierte sich im Pressing gemäß dem abgebildeten Schema. Dabei wurde der Druck ausschließlich auf die Feldspieler ausgeübt – der Torwart blieb unangetastet. Eine Schlüsselrolle übernahm der Magdeburger Stürmer, der seinen Gegenspieler, Felix Götze, konsequent verfolgte. Auffällig war, dass Götze häufig sehr offensiv positioniert war, wodurch er Kaars in für ihn ungewohnte Bereich locken konnte. Paderborn nutzte einige spannenden Element um das Pressing vom FCM zu überspielen:
Der andribbelnde Torwart
Bereits in meinem Artikel zur Torwartkette habe ich die besondere Rolle des Torhüters im Spielaufbau hervorgehoben. Insbesondere in Mann-gegen-Mann-Pressingsystemen wird der Torwart häufig bewusst nicht angelaufen, um keinen freien Spieler für den Gegner zu schaffen. Beginnt der Torhüter jedoch, aktiv anzudribbeln, zwingt er den Gegner zur Reaktion. Diese oft ungeplanten Reaktionen führen nicht selten zu suboptimalen Entscheidungen, die wiederum Anschlussoptionen für den Torwart oder seine Mitspieler eröffnen. Auch Paderborn griff in diesem Spiel punktuell auf dieses taktische Mittel zurück und nutzte den Torhüter als aktiven Ballführer, um Räume zu schaffen und die Magdeburger Pressingstruktur zu durchbrechen.
Nach einem Einwurf spielt Brackelmann den Ball zurück zu Boevink, der zunächst unter keinem Druck steht, da kein Magdeburger Spieler ihn anläuft. Dadurch kann Boevink ungestört etwa 15 Meter nach vorne dribbeln, wodurch Magdeburg weiter nachhinten gedrückt wird. Scheller unterstützt diesen Vorstoß durch ein gezieltes Nach-vorne-Schieben, das seinen direkten Gegenspieler mitzieht. Dies schafft nicht nur Platz für einen Pass zu Curda, sondern vergrößert auch die Distanz zu potenziellen Pressing-Gegnern, was Boevink weiteres Andribbeln ermöglicht. Dieses koordinierte Vorrücken zeigt, wie durchdachte Bewegungen einzelner Spieler gezielt Dribblings unterstützen und Räume öffnen können.
Letztlich entscheidet sich Boevink dafür, den Ball hoch und weit auf den Flügel zu schlagen, wo Ansah jedoch das direkte Duell gegen Hugonet verliert. In dieser Situation hätte ein weiteres Andribbeln Potenzial gehabt, um eine gezielte Reaktion der Magdeburger zu provozieren, sie weiter in die eigene Hälfte zu drängen oder neue Passoptionen, beispielsweise auf Castaneda, zu öffnen. Sollten sich jedoch keine klaren Anschlussoptionen ergeben oder diese schwer umzusetzen sein, bleibt der lange Ball hinter die Abwehrkette weiterhin eine Option, um das Pressing zu überspielen.
Kein Mittelfeld kein Problem
Durch die oft sehr hohe Positionierung von Castaneda, Bilbija und Götze verwaist häufig das Mittelfeld , diese klingt zunächst eher suboptimal, jedoch ist diese Tatsache so gewollt und ermöglicht zwei weitere Weg zum überspielen den Magdeburger Pressing.
Durch die häufig sehr hohe Positionierung von Castaneda, Bilbija und Götze bleibt das Mittelfeld oft unbesetzt. Dies mag auf den ersten Blick suboptimal erscheinen, ist jedoch eine bewusste taktische Entscheidung, die zwei Wege eröffnet, um das Pressing des 1. FC Magdeburg zu überspielen:
Isolierte Dribblings und anschließendes Eindribblen ins Mittelfeld
In dieser Ausgangssituation zieht Paderborn die einzelnen Gegenspieler durch die breite Positionierung sehr weit auseinander. Dadurch entstehen im ersten Drittel zahlreiche isolierte 1-gegen-1-Situationen, während sich im Mittelfeld ein großer freier Raum öffnet
Ansah dribbelt von außen in die Mitte, bis der Druck durch einen hinzustoßenden zweiten Gegenspieler zu groß wird. In diesem Moment spielt er einen gezielten Rückpass auf Brackelmann, setzt seinen Lauf jedoch weiter fort, um so Brackelmann im 1gg1 zu isolieren und den Raum hinter Brackelmanns Gegner zu öffnen
Nachdem Brackelmann seinen direkten Gegenspieler, Baris Atik, erfolgreich ausgedribbelt hat, wird Hugonet vor eine schwierige Entscheidung gestellt: Entweder er übt Druck auf Brackelmann aus, wodurch Ansah frei wird und möglicherweise durch einen Pass von Brackelmann ins Spiel gebracht werden kann, oder er bleibt bei Ansah, was Brackelmann die Möglichkeit gibt, weiter zu dribbeln. Letztendlich entscheidet sich Hugonet dafür, Druck auf den ballführenden Brackelmann auszuüben und gleichzeitig den Passweg zu Ansah zuzustellen, dadurch wird er jedoch anfällig für ein Tempo-Dribbling.
Brackelmann nutzt diese Gelegenheit, indem er dynamisch an Hugonet vorbeizieht und den entgegenkommenden Bilbija anspielt. Bilbija legt den Ball direkt auf den nun freien Ansah ab, der mit Tempo in die zuvor offenen Mittelfeldzonen vorstößt
Ansah kann nahezu unbedrängt tief in die gegnerische Hälfte dribbeln, da sein ursprünglicher Gegenspieler überspielt wurde und dadurch Zuordnungsprobleme entstehen. Diese Verwirrung führt dazu, dass Ansah mit seinem Dribbling gleich drei Gegenspieler auf sich zieht. Einer dieser drei ist Mo El Hankouri, dessen eigentlicher Gegenspieler Laurin Curda nun frei steht und durch das Spiel über den Dritten gefunden werden kann
Nach der Ablage kann Paderborn die letzte Linie in einem 4-gegen-4-Duell attackieren. Dabei verteidigen zwei offensiv Spieler von Magdeburg (Kaars, eigentlich Stürmer, und Krempicki, eigentlich zentraler Mittelfeldspieler) ungewohnterweise in der letzten Linie. Auch Ansah schaltet sich nach der Passabgabe sofort in die Offensive ein und attackiert die Magdeburger Box.
Obermair bleibt währenddessen auf dem Flügel und zieht dadurch Daniel Heber aus der Magdeburger Viererkette heraus. Dies führt dazu, dass Paderborn in der gegnerischen Box eine 4-gegen-3-Überzahlsituation herstellt. Zusätzlich verfügt Paderborn hier über eine deutliche körperliche Überlegenheit: Ansah (1,94 m) und Castaneda (1,91 m) treten gegen Hercher (1,82 m) und Krempicki (1,78 m) an (Größenangaben laut Transfermarkt). Paderborn greift gezielt den zweiten Pfosten an, doch Curdas Flanke ist letztlich zu ungenau und wird sicher von Torhüter Reimann abgefangen.
Aufbaurotationen mit dynamischer Mittelfeld Besetzung
Auch in dieser Situation startet Paderborn quasi ohne Mittelfeld, einzig Bilbija könnte sich in diese Zone fallen lassen, die eigentlichen Mittelfeldspieler Götze und Castaneda binden ihrer Gegenspieler in der letzten Linie, durch ihre Bedrohung der Tiefe. Nachdem Boevink den Ball einige Sekunden hält, jedoch keinen Gegner Druck bekommt, beginnt Paderborn die Rotation:
Da Scheller ins Mittelfeld hochschiebt, Curda gleichzeitig in die Innenverteidgung abkippt sind sich Burcu und El Hankouri uneinig, wer welchen Gegenspieler übernimmt, somit steht Scheller nun offen und frei im Mittelfeld, wo er auch von Boevink gefunden wird und anschließend ungestört bis tief in die gegnerische Hälfte dribbeln kann.
Auch im tiefen Verteidigen agiert Magdeburg sehr mannorientiert. Da Burcu seinem Gegenspieler weiterhin nicht folgen kann, muss Krempicki Druck auf Scheller ausüben. Dies führt jedoch dazu, dass Krempickis Gegenspieler frei wird und durch eine Steil-Klatsch-Kombination angespielt werden kann. Anschließend spielt Castaneda den Ball auf den Flügel:
Dort dribbelt Ansah diagonal in den Strafraum, während Hoffmeier ihn dynamisch überläuft. Als zwei Gegenspieler ihren Fokus auf Ansah richten, legt dieser den Ball auf Hoffmeier ab, der bis zur Grundlinie durchbricht und einen flachen Rückpass auf den Elfmeterpunkt spielt. Allerdings kommt Obermair nicht rechtzeitig an den Ball, sodass dieser von der Magdeburger Defensive geklärt werden kann.
In dieser Situation gelingt es Paderborn zwar, die Box mit mehreren Spielern zu besetzen, jedoch ist die vertikale Staffelung, insbesondere im Rückraum, nicht optimal, was den Abschluss erschwert.
Das Magdeburger Ballbesitzspiel
Paderborn agierte überwiegend aus einem Mittelfeldpressing und variierte dabei häufig die Formation zwischen 1-5-4-1, 1-5-3-2 und 1-5-2-3. Sie setzten dabei konsequent auf eine extreme vertikale Kompaktheit, wodurch der Abstand zwischen der ersten und der letzten Verteidigungslinie sehr gering gehalten wurde. In diesem Zusammenhang übernahm Torwart Pelle Boevink eine zentrale Rolle: Durch die enge Staffelung der Mannschaft öffnete sich immer wieder ein großer Raum hinter der Abwehrkette, der von Magdeburg gezielt mit Bällen in die Tiefe bespielt wurde. Boevink musste diese Zuspiele klären und zeigte in diesem Spiel eine herausragende Leistung, da ihm dies nahezu fehlerlos gelang.
Im offensiven Positionsspiel agierte Magdeburg in der ersten Halbzeit überwiegend in einer 1-3-1-2-4-Formation. Die beiden Halbverteidiger, Heber und Hugonet, positionierten sich dabei sehr breit, fast an den Außenlinien. Der Sechser Gnaka ließ sich immer wieder in die Abwehrkette zurückfallen, um sich den Ball tief abzuholen und den Spielaufbau zu organisieren:
Gnaka bewegt sich leicht entgegen und holt sich den Ball im Sechserraum ab. Durch die Positionierung von Atik, Hercher und Kaars wird die gesamte linke Abwehrseite der Paderborner Fünferkette gebunden. Dabei verlieren sowohl der linke als auch der entrale Mittelfeldspieler der Paderborner Krempicki aus den Augen und lassen ihn aus ihrem Deckungsschatten entkommen. Dadurch steht Krempicki frei im Zwischenlinienraum und kann von Gnaka mit einem präzisen Pass gefunden werden.
naka spielt Krempicki zwar sauber in den Vorfuß an, doch dieser kann den Ball nicht optimal verarbeiten. Dadurch verliert die Aktion an Dynamik, da die beiden Paderborner Achter rechtzeitig nachrücken können. Krempicki bleibt nur die Möglichkeit, den Ball in die Tiefe zu spielen, doch dieser Pass wird ohne größere Probleme von der Paderborner Hintermannschaft abgefangen und geklärt
In der ersten Halbzeit wurde die für Titz typische hohe Torwartkette kaum genutzt. Dies änderte sich jedoch mit dem Seitenwechsel: Keeper Dominik Reimann positionierte sich nun immer wieder kurz hinter der Mittellinie und fungierte als zusätzlicher Aufbauspieler.
Durch die Umstellung zur zweiten Halbzeit gelang es Magdeburg, in der ersten Aufbaulinie eine +1-Überzahl herzustellen, insbesondere wenn Paderborn im 1-5-2-3 verteidigte. Zusätzlich konnte Mathisen breiter auffächern als noch in der ersten Halbzeit, was ihm neue Passwinkel eröffnete. Darüber hinaus konnten sich die beiden Halbverteidiger höher positionieren und dadurch besser diagonal in den gegnerischen Block eindribbeln oder andribbeln.
Die neu geschaffenen Passwinkel nutzte Mathisen, um Atik mit einem präzisen tiefen Ball in Szene zu setzen. Während in der ersten Halbzeit die meisten tiefen Bälle problemlos von Boevink geklärt wurden, scheiterte er in dieser Szene unter anderem aufgrund von Abstimmungsproblemen mit Brackelmann. Dies ermöglichte Hercher, den zweiten Ball aufzunehmen und ins verwaiste Tor zu schießen
Fazit:
Die Partie zwischen Paderborn und Magdeburg offenbarte spannende taktische Ansätze beider Mannschaften, die jeweils auf ihre Weise beeindruckend agierten. Besonders hervorzuheben sind die gruppentaktischen Elemente Paderborns, um ein bewusst unbesetztes Zentrum gegen Magdeburgs radikales Mann-gegen-Mann-Pressingsystem zu bespielen. Insbesondere die isolierten Dribblings, kombiniert mit gezielter Unterstützung, intelligentem Nachrücken und der dynamsichen Besetzung des Mittelfelds, zeigten sich als effektives Mittel, um das Pressing zu überspielen und eigene Räume zu schaffen.
Diese Herangehensweise deutet auf eine mögliche zukünftige Entwicklung des Fußballs hin, in der Dribblings mit einer gute strategischer Unterstützung noch häufig genutzt werden. Der mutige Einsatz von Dribblings in isolierten Situationen, gepaart mit präzisen Anschlussaktionen, könnte in modernen Pressing-Duellen eine zentrale Rolle spielen und eröffnet viele neue Möglichkeiten.
-ND
Keine Kommentare vorhanden Alle anzeigen