Jung, wild, dominant: Dortmunds U19 – MX
Die U19 von Borussia Dortmund steht nicht ohne Grund an der Spitze von Gruppe A in der U19-Bundesliga: Mit einer beeindruckenden Tordifferenz von +44 und ohne eine einzige Niederlage dominieren sie die Liga. Auch in der Youth League treten sie trotz teils großer Altersunterschiede souverän auf. Was macht die Elf von Mike Tullberg aus?
Mike Tullberg wird über kurz oder lang seinen Weg in den Profifußball finden – daran bestehen rund um die Akademie von Borussia Dortmund kaum Zweifel, was sich auch zu Beginn der Saison in Gerüchten widerspiegelte. Der ehemalige Förderer von unter anderem Chris Führich bei Rot-Weiß Oberhausen hat auch in Dortmund eine beeindruckende Quote an Talenten, die den Sprung in den Profifußball schaffen. Dies ist Ausdruck des klaren Ausbildungsfokus unter Tullberg in der U19. Dennoch lohnt sich ein genauer Blick auf das Spielmodell des Dänen.
In Tullbergs fünf Jahren in Dortmund schied die U19 in drei Junioren-Pokal-Spielzeiten in der ersten Runde aus und erreichte einmal das Finale, wobei man in der Saison 2021/22 die Junioren-Bundesliga gewinnen konnte. In den übrigen Jahren zog das Team jeweils in die Endrunde ein; in der vergangenen Saison verlor man im Finale der Endrunde gegen Tobi Nubbenmeyers U19 aus Hoffenheim. Schon in den Jahren zuvor basierte ein Großteil der Spielidee auf dem Spiel aus der eigenen Struktur heraus. Dies hängt auch damit zusammen, dass Borussia Dortmund typischerweise den Anspruch hat, das Spiel gegen die meisten Gegner zu kontrollieren. Innerhalb der bevorzugten 4-3-3-Grundformation zeigt sich eine hohe Flexibilität in den positions- und aufgabenbezogenen Rollen. Diese Anpassungen sind richten sich – wie in der U19 weitgehender Usus – auch nach der Struktur und dem Muster des Gegners.
Tiefer Aufbau: AV als Grundlage
Im tiefen Aufbau entwickelt sich aus der 4-3-3-Grundformation ein 2-3-1-3-System. “Everything is much easier when the first progression of the ball is clean”, das sagte einmal Juanma Lillo und trifft auch sehr gut auf die Borussia zu. Einen großen Anteil an der „Cleaness“ haben hierbei die Innenverteidiger, denn diese haben einen sehr hohen Anteil an Ballbesitz aus dem tiefen Aufbau heraus. Allgemein legen die Innenverteidiger sowie der Torspieler (zumeist Robin Lisewski) eine extrem hohe Ruhe an den Tag, nehmen auch mal die Sohle auf den Ball und lassen den Gegner anpressen. Aus dem tiefen Aufbau, also vorwiegend Abstöße, zieht Dortmund das Spiel vor allem über die Außenverteidiger wie die Flügelspieler extrem breit. Das hilft der Mannschaft, dass sie Breite und Tiefe entwickeln, ehe der Gegner in das Pressing geht.
Wie man an der Struktur des Beispiels erkennen kann, sind Indizien für positionelle Elemente aus dem tiefen Aufbau zu erkennen. Eins der erwähnten Indizien ist da insbesondere die horizontale Verteilung der Spieler, hierbei erkennt man auf den Flügeln, Halbräumen wie im Zentrum je 2 Spieler und so ergibt sich diese ausgewogene Verteilung, aus der auch die Breite resultiert. Ein Team mit dieser Aufteilung agieren meistens in einer ähnlichen Herangehensweise, der Sechser schiebt an den äußeren Bereich des Halbraumes und schafft so ein Dreieck mit dem Außenverteidiger und den Innenverteidiger. Allgemein spielte man meistens gegen einen Doppelsturm, wodurch die Rolle des defensiven Mittelfeldspielers (meist: Mussa Kaba) eine gewisse Indirektheit annimmt. Der defensiven Mittelfeldspieler bestimmt in Fällen wie diesem mehr, wo der Doppelsturm ihn durch Deckungsschatten und/oder Einrücken isolieren soll, also auch wie weit sich das Anlaufen der Stürmer zum Innenverteidiger gestaltet und am Ende auch, in welchem Winkel.
Der defensive Mittelfeldspieler pendelt sozusagen immer in Richtung des ballspielenden Innenverteidigers, wobei seine Hauptaufgabe darin besteht, den ballfernen Stürmer mitzuziehen. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt darin, dass man einen erheblichen Raum- und Zeitvorteil bei der Spielverlagerung über den Innenverteidiger erzielt, um dann, wie im Spiel gegen Schalke, eine ballferne 4v3-Situation auf der rechten Seite zu schaffen. Dabei spielt auch die Athletik und die Stärke am Ball der Innenverteidiger eine entscheidende Rolle, da sie durch das Überdribbeln der ersten Pressinglinie den Gegner vor eine zusätzliche Entscheidung stellt, was das Auflösen von Mannorientierungen betrifft. Solche Situationen sucht die U19 sehr oft in ihren Partien. Dabei wird auf den Flügeln nicht versucht, die Angriffe um jeden Preis durchzudrücken, sondern man bevorzugt eher einen Rück- oder Querpass.
Die Spielweise von Borussia Dortmund unter Mike Tullberg im Spielaufbau zeigt eine klare taktische Struktur, bei der der Ball in tiefere Zonen gespielt wird, um Druck zu erzeugen und den Gegner zu zwingen, das Pressing auszulöen. Ein zentrales Element ist dabei die Ballzirkulation, die gezielt den Deckungsschatten des Gegners anzieht. Insbesondere die Achter, die in diesem System eine Schlüsselrolle spielen und eher als Zehner aufspielen, bieten eine wichtige Anlaufstation für Vertikalpässe – was gerade gegnerische Außenspieler immer wieder zu engeren Positionierungen verleitet.
Die Außenverteidiger sind die alternativen Aufbauspieler, wenn die Innenverteidiger keine Vertikalpässe – beispielweise den Achter – spielen können. Außerdem werden sie regelmäßig angespielt, um den Gegner in die horizontale Verschiebung zu bringen und dann zu verlagern. Wenn sie angespielt werden, versuchen die Dortmunder sehr schnell und sauber Passwege in alle Richtungen herzustellen, um die Isolation an der Seitenlinie zu verhindern. Besonders der Pass auf die Flügelspieler, die ihre Geschwindigkeit und Technik in 1-gegen-1-Situationen ausspielen können, wird oft gespielt; wenn der Gegner diesen Pass verhindern will, muss er häufig den zum Achter oder den zum Sechser öffnen. Zur Sicherung bietet sich natürlich der Innenverteidiger an, der den Ball dann verlagern kann – werden aber oft isoliert.
Die „1v1-Variante“ über den Flügel nutzt die individuelle Stärke der Spieler, vornehmlich in Situationen, in denen der Außenverteidiger oder der Achter in Raum und Zeit-Vorteile gegenüber seinen Gegenspielern hat. Besonders die Spieler wie Ousmane Diallo und Samuele Inacio sind hier in der Lage, ihre Kreativität und Dribbelstärke auszuspielen, um in die Tiefe zu gelangen.
Die „Sechser-Variante“ ist komplexer und risikoreicher, da der Passwinkel des vertikalen Zuspiels hier oft ungünstiger ist. Dennoch zeigt die Technik und Athletik von Spielern wie Kaba, dass in solchen Situationen die Qualität des Passes und der anschließende Dribblinglauf in die Tiefe das Zentrum öffnen kann. Kaba ist in der Lage, Drucksituationen einwandfrei und kleinräumig zu lösen, indem er seinen Gegenspieler abschüttelt und durch Mannorientierungen hindurch in freie Räume gelangt. Dies zwingt die gegnerischen Mannschaften dazu, ihre defensive Struktur zu verändern und im letzten Drittel Raum für die angreifenden Spieler zu schaffen.
Häufig sieht man allerdings auch den Pass auf den ballfernen Innenverteidiger, der daraufhin ein Dribbling ansetzt, um die erste Pressinglinie zu überdribbeln und die 4v3-Situation dynamisch auszuspielen. Dies unterstreicht, dass Borussia technisch starke Aufbauspieler in der Innenverteidigung mit Tyler Meiser und Elias Benkara besitzt. Besonders im „first touch“ weisen diese Spieler ausgeprägte Stärken auf, was in solchen Szenen einen erheblichen Vorteil bringt. Die Innenverteidiger haben zudem ein exzellentes Gespür dafür, wann der gegnerische Doppelsturm – der meist von Ligagegnern aufgeboten wird – nicht eng genug agiert und der Sechser, zumeist Kaba, anspielbar ist. Interessanterweise tritt dies häufig nach Verlagerungen von Innenverteidiger zu Innenverteidiger auf, wenn ein Stürmer noch den ballfernen Spieler abdeckt, der andere jedoch bereits den ballführenden Innenverteidiger anläuft. So entsteht oft eine Lücke, die der Sechser dann füllt.
Hier eine beispielhafte Situation aus der Partie gegen den TSV Meerbusch, die relativ gut auch die Stärken dieses Musters zeigt: Der ballferne Stürmer rückt zu spät nach, um den ballfernen Innenverteidiger abzudecken, wodurch der Passweg auf den Sechser diagonal verfügbar ist. Dort wird er zwar vom zentralen Mittelfeldspieler wie vom Stürmer angelaufen, aber Kaba – dem seine Qualitäten in Fußballeuropa nicht unentdeckt sind – beherrscht es sehr gut, sich aus diesen Situationen aufzudrehen und dann auch die diagonale Passoption zu finden. Meistens schiebt der Außenverteidiger in jenen Situationen höher, wodurch am Flügel ein 3v2 entsteht. Teils schiebt sogar der Stürmer mit in diese Ballung hinein, was zusätzlich Druck erzeugt. Allgemein zeigt sich nach dem Pass des Sechsers einen enormen Tempowechsel und es wird nach dem Diagonalball sofort die Vertikale gesucht. Man sieht schon in der Grafik, dass der Sechser leicht vor dem gegnerischen Pressingwall agiert, in manchen Situationen sieht man in sogar noch tiefer oder zwischen den Innenverteidigern, meist ist es einfach, um das mannorientierte Pressing des Gegners auszuhebeln und eine Überzahl in erster Aufbaulinie zu schaffen, zudem ermöglicht es den Innenverteidigern mehr Breite, was Pressingwinkel aus dem Doppelsturm etwas komplizierter gestaltet. Die Schwächen sind relativ einfach erklärt: Verliert man den Ball in dieser Situation, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in einem Gegentor endet relativ hoch, am gefährlichsten ist es, wenn der Gegner einen zweikampfstarken zentralen Mittelfeldspieler hat, denn dieser kommt aus dem Rücken des Sechsers in den Zweikampf, dementsprechend schwer einzuschätzen ist die Lage für den Sechser bei Ballannahme.
Gegner erkennen diese Problematik relativ deutlich; manche reagieren darauf mit einer strikt mannorientierten Pressingweise über das gesamte Feld. Eine Reaktion der Dortmunder darauf ist die Einbindung des Torhüters Lisewski, der gerade im mittleren bis weiten Bereich eine hohe Genauigkeit bei Pässen zeigt. Hierbei lassen sich zwei Zielräume identifizieren: Zum einen sucht man ein 2v1 gegen den gegnerischen Außenverteidiger, indem der Achter in die Breite schiebt, was temporär zusätzlich von einem Außenverteidiger unterstützt wird.
Außerdem versucht man aus der Breite heraus, den Ball in den Diagonallauf des Flügelspielers hinter die Abwehrlinie des Gegners zu spielen. Eine Herausforderung dabei ist, dass Lisewski oft nicht die nötige Reichweite für diese Pässe besitzt und die Bälle eine zu steile Flugkurve haben, wodurch der Flügelspieler oft nicht in den Lauf angespielt wird, sondern auf das Kopfballspiel angewiesen ist. Zusätzlich bereitet man sich auf zweite Bälle vor, indem der Außenverteidiger hochschiebt und der Stürmer die ballnahe Seite anläuft. Dadurch entsteht eine diagonale Linie mit dem Achter, was ideal für die Verwertung zweiter Bälle ist und bei einem Ballgewinn schnell in einen Gegenkonter umgemünzt werden kann.
Höhe 2 Aufbau: Linksüberladung und Cherny agiert tiefer
Gerade gegen individuell schwächere Gegner kommt es zu deutlich mehr Phasen, in denen Dortmund den Spielaufbau in höheren Zonen aufziehen muss. In diesen Szenen baut die Mannschaft weiterhin auf die im tiefen Aufbauspiel gelegten Grundlagen auf und formiert sich zumeist in einer Art 2-4-4. Wie aus der Wortwahl hervorgeht, arbeitet man mit festen Prinzipien und Positionsfestlegungen – etwa bei den Innen- und Außenverteidigern sowie durch eine konsequente Überladung der letzten Linie. Die restlichen positionellen Strukturen sind jedoch durchaus fluider gestaltet, gewisse Muster sind dennoch erkennbar.
So agiert einer der Achter – meist der rechte, Nick Cherny – häufig aus einer tieferen Position heraus, sodass er zusammen mit dem Sechser – meist Kaba – ein Zweiermittelfeld bildet. Diese Bewegungen erfolgen in der Regel situativ und dienen der Herstellung einer Überzahl, um beispielsweise den Außenverteidiger über ein Ablagenspiel freizuspielen. Diese Positionsanpassungen sind relativ häufig zu beobachten, weshalb das 2-4-4 als grundsätzliche Systematik beschrieben werden kann. Cherny zeigt ein sehr gutes Verständnis dafür, wann er diese vertikale Passoption herstellen muss und wann eine höhere Positionierung erforderlich ist. Seine tieferen Bewegungen erfolgen meist dann, wenn das Aufbauspiel ins Stocken gerät, wodurch er eine zusätzliche Dynamik und Struktur ins Spiel bringt.
Die linke Überladung erfolgt durch die Flügelspieler, den ballfernen zentralen Mittelfeldspieler – der in die letzte Linie schiebt – sowie den Stürmer. Dadurch wird der Gegner immer wieder dazu gezwungen, mit einer Fünferkette zu agieren, um einen zusätzlichen Spieler in der Verteidigungslinie zu haben und somit gegen die Bewegungsmuster mehr Absicherung zu schaffen.
Eins dieser Bewegungsmuster ist, dass der Flügelspieler ballnah ab, zieht dadurch den Außenverteidiger aus der Tiefensicherung, was die durchschiebenden Stürmer und der ballnahe zentrale Mittelfeldspieler ausnutzen. Logischerweise bietet sich in jenen Szenen meist der Pass hinter die Verteidigungslinie an, oft wird aber auch der Flügelspieler angespielt, der dann mit einem Dribblings ins Zentrum zieht. Durch das Anbinden des Sechsers durch den zentralen Mittelfeldspieler wie den Innvnerteidiger durch den Stürmer, ist dieser Raum invers gut bedribbelbar.
Zudem lässt sich im höheren Aufbau teilweise das „Don’t play the wing-back“-Prinzip erkennen, das besagt, dass nur ein Spieler aktiv in der äußeren Zone des Flügels agieren darf, während der andere sich halbräumig positioniert. In der Regel bleibt der Außenverteidiger im Halbraum, wenn der Flügelspieler in die Breite zieht, besonders dann, wenn der Innenverteidiger andribbelt. Erhält der Flügelspieler den Ball, schiebt der Außenverteidiger häufig durch und erzeugt eine Überzahl in der letzten Linie. Der Vorteil dieses Passes liegt in den entstehenden diagonalen Winkeln: Der Flügelspieler kann den Ball in offener Körperhaltung annehmen und das Spiel nach vorne treiben, wobei er gezielt 1v1-Situationen sucht. Gleichzeitig bietet sich dem Außenverteidiger die Möglichkeit, zu „unterlappen“, was für den Gegner zu einer akuten Problemsituation werden kann.
Vor allem die vielseitigen Freilaufbewegungen zählen zu den größten Pluspunkten des Teams, da sie die Aufbau- und Ballsicherheit erheblich verbessern. Gibt es Raum, bewegen sich die Spieler zuverlässig in die Lücken der Halbzonen. Durch diese gute Raumnutzung und das zunehmend bewusstere Passspiel der Verteidiger lösen sie immer mehr Szenen spielerisch. Besonders unkompakte gegnerische Staffelungen im Pressingübergang werden aktuell sehr zuverlässig bespielt, sodass sich das Team von den meisten Gegnern kaum noch wirkungsvoll unter Druck setzen lässt. Stattdessen gelingt es ihnen – wenn auch manchmal indirekt, riskant oder etwas glücklich – aufzurücken, wobei die Freilaufbewegungen erneut eine entscheidende Rolle spielen.
Ein Beispiel hierfür ist die Einbindung des Außenverteidigers nach dem Passspiel. Spielt er einen Pass zum Flügelspieler, verbleibt er nicht im Deckungsschatten des direkten Gegenspielers, sondern versucht, sich zentral freizulaufen. Diese Bewegung ist in Kombination mit Ablagespiel eine äußerst wirkungsvolle Waffe, da sie eine häufige Schwäche im Jugendfußball offenbart: das Verteidigen im Rücken nach Pässen. Dieses „Pass and Move“-Prinzip wird von überspielten Gegnern oft vergessen oder unterschätzt. Der freigelaufene Außenverteidiger findet dadurch in vielen Situationen offenen Raum – insbesondere, wenn er in die Nähe des Achters rückt. Der Achter wird häufig mannorientiert verteidigt und bindet dadurch entweder einen Gegenspieler oder den gegnerischen Sechser. Dies führt dazu, dass der eingerückte Außenverteidiger keinen direkten Gegenspieler hat. Diese Dynamik wird oft durch einen Schnittstellenpass ausgenutzt. Zusätzlich entfaltet sich weiteres Potenzial, wenn der Flügelspieler und der Stürmer diagonale Tiefenläufe in Richtung des Passes starten, wodurch die Tiefenbesetzung besonders effizient wird.
Höhe 2 Aufbau: Situative und dauerhafte Dreierlinie
Gegner neigen zunehmend dazu, aufgrund der Bewegungsmuster von Borussia Dortmund in Fünferverteidigungslinien aufzustellen. Beispiele hierfür waren Meerbusch, Duisburg und Essen, die allesamt in einem 5-3-2 agierten. Das Team um Mike Tullberg scheint jedoch auf diese Anpassungen vorbereitet gewesen zu sein und hat der Mannschaft entsprechende Lösungen gegen diese Defensivsysteme mitgegeben. Insgesamt fiel auf, dass man zeitweise auf einen Dreieraufbau setzte, um mehr Breite zu generieren – insbesondere dann, wenn die Außenverteidiger vertikal isoliert waren. Gegen die oben genannten Gegner passte man das eigene System an und agierte in einer Art 3-Box-System bzw. mit einem 3-2-Aufbau.
Diese Systematik basiert darauf, mit der Doppelsechs (oft personell von den Achtern, wie Cherny, besetzt) den Gegner mannorientiert eng im Zentrum zu binden. Dadurch entsteht im Halbraum Raum und Zeit für andribbelnde Halbverteidiger. Diese positionieren sich im Dreieraufbau extrem breit, was sinnvoll ist, da die enge Doppelsechs den Doppelsturm oft durch Deckungsschatten-Mechanismen nach innen zieht. Dadurch entstehen größere Abstände zu den Halbverteidigern, die diese Räume effektiv nutzen können.
Im Spiel ergeben sich dadurch zahlreiche Momente, in denen die Halbverteidiger andribbeln und der Vertikalpass auf den Flügelspieler erwartet wird. Eine Stärke der Mannschaft ist jedoch die Unerwartbarkeit: Man nutzt die Vorteile des Systems gezielt aus. Während die gegnerischen Stürmer häufig ihren Deckungsschatten verlassen und die zentralen Mannorientierungen aufgelöst werden, bleiben die Sechser häufig über die Halbverteidiger anspielbar. Die Sechser werden dann oft in Ablagespiele oder für Seitenverlagerungen eingebunden. Die Seitenverlagerungen werden mit hoher Passschärfe und Tempo ausgeführt, wodurch viele Gegner Schwierigkeiten haben, rechtzeitig ihre defensive Grundordnung anzupassen. Durch das Auflösen der Mannorientierungen des Gegners entstehen zudem temporäre Überzahlsituationen, die das Spielmodell zusätzlich begünstigen.
Eine der zentralen Stärken dieses Systems liegt in der gleichzeitigen Nutzung von Breite und Tiefe. Die Außenstürmer orientieren sich frühzeitig in den Halbraum oder Zwischenlinienraum, was gegnerische Halbverteidiger regelmäßig vor große Probleme stellt. Dies liegt auch daran, dass der Zwischenlinienraum aufgrund der Überladung der letzten Linie sowie der Präsenz der Doppelsechs häufig enorm weit geöffnet ist.
Das Zentrum wird durch die fünf zentralen Spieler geprägt, die flexibel agieren: Sie lassen sich entweder tief oder horizontal fallen, um Lösungen gegen intensives Pressing zu schaffen, Überzahl herzustellen oder sich aus Drucksituationen zu befreien. Besonders auffällig ist dabei die Schlüsselfunktion der Flügelstürmer. Sie sind nicht nur jederzeit in der Lage, ins 1-gegen-1 zu gehen, sondern starten auch dynamische Tiefenläufe in den Rücken der Abwehr. Diese Aktionen erfolgen häufig nach langen Anspielen des Torhüters aus dem tieferen Aufbau und eröffnen neue Räume. Zugleich bestrafen sie jeden Versuch der Gegner, das Zentrum zu verdichten. Gelegentlich beobachtet man auch Rotationen was es für den Gegner tendenziell vor allem in mannorientierter Weise noch deutlich erschwert. Zudem ist die Restverteidigung aus dieser Systematik deutlich besser als gegen einen 2-4-Aufbau, wodurch diese Alternative auch in wichtigeren Spielen bestimmt zum Einsatz kommen wird.
Pressing: Gegnerorientierte Herangehensweisen
Gegen den tiefen wie auch den höheren Spielaufbau des Gegners, wenn dieser geordnet von hinten heraus agiert, passt das Team von Mike Tullberg seine Herangehensweise je nach Gegner relativ flexibel an. Die grundsätzliche Basis bildet dabei jedoch stets ein mannorientiertes Pressing, dessen Details an die spezifische Spielweise des Gegners, seine Aufbaustruktur und die individuelle Qualität angepasst werden. Diese Mannorientierungen sind die optimale Basis für Umschaltsituationen und Konter, gerade die schnellen Flügelspieler suchen sofort den Tiefenlauf, nachdem der Ball gewonnen wurde.
Im Pressing lassen sich drei Hauptvarianten unterscheiden:
- Die 1v1-Variante wird vor allem gegen individuell schwächere Gegner gewählt. Sie zielt darauf ab, dem Gegner jegliche Zeit und Raum zu nehmen, indem die Zuordnung konsequent und aggressiv erfolgt. Man versucht initial den Gegner auf den Flügel zu lenken, Rückpässe bzw. die ballferne Seite zu isolieren, und dann zuzugreifen. Die Mannorienteiren erfolgen von hinten, um direkt in den Zweikampf zu kommen, dazu geht man auch initital weite Wege mit den direkten Gegenspielern mit, was tendenziell Gefahren beugt.
Das Pressing wird vor allem in der ersten Linie gruppentaktisch ausgelöst, also wie eine Einheit, indem der Bogenlauf des ballnahen wie das Anpressen des ballfernen Stürmers im selben Moment passieren, um maximalen Druck auf den ballführenden Innenverteidiger zu generieren. Ballfern – vor allem wenn der Außenverteidiger angespielt wird – wird nicht weit eingerückt, was tendenziell gerade bei breiter Herangehensweise des Gegners die Zwischenräume öffnet. Gerade gegen Ablagenspiel hatte man daher Probleme, dass man durch die von hinten platzierte Mannorienteirung, immer gegen durchschiebende Gegner noch im Zweikampf bleibt.
- Die -1/+1-Variante wird häufig gegen Gegner gewählt, die individuell als etwa gleichwertig eingeschätzt werden oder im Aufbau auf einen Dreierblock setzen. In der ersten Pressinglinie agiert man mit einer -1-Anordnung, um den Gegner gezielt in bestimmte Zonen zu lenken, während in der Verteidigungslinie eine Überzahl entsteht, die vertikale Durchbrüche absichern soll. Ein wiederkehrendes Problem dieser Anordnung ist der mangelnde Druck auf den ballführenden Innenverteidiger. Der Bogenlauf des anlaufenden Spielers reicht oft nicht aus, um den Innenverteidiger effektiv unter Druck zu setzen. Dadurch kann dieser die erste Pressinglinie mit einem Andribbeln durchbrechen. Aufgrund der strikten Mannorientierungen im restlichen Bereich entsteht eine Kettenreaktion: Spieler müssen ihre Zuordnungen aufgeben, was Räume für die Gegenspieler öffnet.
Ziel der -1-Anordnung ist es jedoch, ballnah ein 2v1 gegen den Innenverteidiger zu erzeugen, indem dieser isoliert wird. Dafür positioniert sich der ballnahe Flügelspieler enger am gegnerischen Außenverteidiger, um den Passweg zu blockieren und den Bogenlauf des Pressinganläufers optimal wirken zu lassen. Der gewünschte Ablauf sieht vor, dass der Ball zunächst vom Innenverteidiger auf den Außenverteidiger verlagert wird, welcher dann diagonal angelaufen wird. In diesem Moment hält der Flügelspieler den Deckungsschatten zum gegnerischen Sechser, um diesen vom Spiel zu isolieren. Dieser Flügelspieler ist inital teilweise zu eng platziert, wodurch die Möglichkeit durchaus besteht, dass er bspw. vom Torspieler direkt angespielt wird.
In der Praxis erfolgt der Zugriff jedoch häufig erst in der Verteidigungslinie. Dies birgt Risiken, insbesondere wenn der Außenverteidiger in direkte Zweikämpfe mit dem gegnerischen Flügelspieler gezwungen wird. Dadurch kann er die Tiefe nicht mehr sichern, was Gegner gezielt nutzen. Gerade mit langen Bällen in den Raum hinter die Abwehr wird diese Schwäche oft angegriffen.
- Die Sechserraum-Variante wird häufig gegen Mannschaften angewandt, die als individuell gleichwertig oder stärker eingeschätzt werden. Der Fokus liegt darauf, den Spielaufbau des Gegners gezielt im zentralen Mittelfeld – insbesondere im Sechserraum – zu stören, ohne dabei ein durchgängig aggressives Pressing auf dem gesamten Feld zu verfolgen. Stattdessen basiert die Herangehensweise auf einer ausgewogenen Struktur, die erst bei bestimmten Triggern gezielt Druck ausübt.
Zu Beginn wird der gegnerische Sechserraum eng umstellt: Stürmer, Sechser und Flügelspieler positionieren sich kompakt, sodass Passwege in die Tiefe wie den Zwischenlinienraum durch ballnahe Kompaktheit und präzise diagonale Staffelungen blockiert werden. Solange der Gegner fehlerfrei zirkuliert, bleibt das Pressing zurückhaltend. Sobald jedoch ein Innenverteidiger oder ein abkippender Sechser aufgrund seiner Körperstellung, Blickrichtung oder Rückpässe im Passspiel auf die ballnahe Seite festgelegt ist, wird der Druck schlagartig erhöht – die „Falle“ schnappt zu.
Eine Herausforderung dieser Variante liegt in der engen Positionierung der Stürmer, die stark auf den Sechserraum fokussiert ist. Diese Zurückhaltung bei der Druckausübung lässt den gegnerischen Innenverteidigern viel Freiraum. Um diese Freiheiten einzuschränken, sind die Mannorientierungen in den umgebenden Räumen entscheidend. Nur so lassen sich zentrale Passwege zuverlässig zustellen und technisch starke Gegner zu langen, weniger präzisen Bällen zwingen, bei denen die Chance auf Ballgewinne steigt.
Fazit
Der Erfolg von Borussia Dortmunds U19 in dieser Spielzeit ist alles andere als zufällig. Die Handschrift von Mike Tullberg und die Einflüsse der übergeordneten Vereinsphilosophie sind klar zu erkennen. Die vorgegebenen Prinzipien werden nicht nur konsequent umgesetzt, sondern vom Trainerteam geschickt an die Stärken und Bedürfnisse der Mannschaft angepasst. Technisch wie taktisch agiert das Team auf einem beeindruckenden Niveau, das durch außergewöhnliche physische Präsenz und – wie man bereits mehrmals vor allem nach Rückständen oder Rückschlägen erkennen durfte – mentale Stärke ergänzt wird.
Zwar wirkt das Pressing phasenweise eher simpel, doch gerade im Jugendfußball ist ein klarer Fokus auf das Spiel mit dem Ball sinnvoll – und Dortmund bringt dafür ideale Voraussetzungen mit, auch weil die technische Überlegenheit der Spieler dazu kommt. Zinedine Zidane brachte es einst auf den Punkt: „You don’t need to complicate football. You just need to play it well“ – die U19 setzt das um.
MX hat sich ursprünglich schon in früher Jugend im Positionsspiel à la Pep Guardiola verloren, doch jetzt hat ihn auch der Relationismus komplett gepackt. Seine Texte geistern auf Der-Jahn-Blog und miasanrot rum. Im NLZ von Jahn Regensburg hat er seine Spuren hinterlassen, aber seit ein paar Wochen treibt er sein Unwesen bei einem anderen bayerischen Team.
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