Türchen 13: Zé Roberto
In seinen letzten Bundesliga-Jahren beflügelte der ins Zentrum gerückte Zé Roberto erst das Angriffsspiel des FC Bayern und dann das des HSV. Vor allem aber hielt er 2004 bis 2006 als Dauerbrenner der brasilianischen Nationalmannschaft das System des Starensembles am Laufen.
Nach dem Ende der kurzen Ära Jürgen Klinsmann standen die Zeichen beim FC Bayern auf Umbruch. Selbst Stützpfeiler der unmittelbaren Vorjahre mussten dies spüren: Routinier Zé Roberto wollten die Verantwortlichen im Sommer 2009 keinen neuen Vertrag zu den gewünschten Konditionen geben, nachdem der Brasilianer über zwei Spielzeiten hinweg als unumstrittener Stammspieler für einige Glanzmomente gesorgt hatte.
Zehnermäßig von der Sechs in München und Hamburg
Bei seinem zweiten Gastspiel in München hatte sich Zé Roberto von seinem Ruf als Flügeldribbler gelöst und war auf der Sechs zu einer zentralen Figur des Spiels geworden. Schon unter Ottmar Hitzfeld bildete er zusammen mit Franck Ribéry und dem inversen Linksverteidiger Philipp Lahm ein herausragendes Trio auf der linken Münchener Seite. Immer wieder schaltete sich Zé Roberto ins Kombinations- und Dreiecksspiel mit den beiden anderen ein. Seine zusätzliche Unterstützung führte zu einigen rasanten Angriffen. Klinsmann gestand ihm für diese Spielweise noch mehr Freiheiten zu und ließ ihn noch offensiver agieren.
Statt einer Vertragsverlängerung schloss der Brasilianer sich 2009 dann – etwas überraschend – dem Ligakonkurrenten Hamburger SV an. Schon früh wurde dieser Transfer oft als Schnäppchen für die Hanseaten eingestuft – und das schien bald bestätigt: Zé Roberto glänzte in seinem ersten Jahr an der Elbe, der HSV startete besser als die Münchener in die Saison und siegte am 7. Spieltag im direkten Duell durch einen späten Treffer mit 1:0, vorbereitet ausgerechnet vom Brasilianer selbst, durch einen diagonalen Lauf halblinks hinter die Kette.
Wie zuvor im Bayern-Dress agierte dieser auch in Hamburg als Antreiber aus dem defensiven Mittelfeld heraus. Mit seiner technischen Finesse brachte er eine wichtige kombinative Note in die 4-4-2-Formationen seiner damaligen Teams. Das offensive Mittelfeld war in dieser Grundordnung zunächst nicht besetzt und musste stets situativ von anderen Positionen gefüllt werden. Zé Roberto sorgte für offensive, spielerische Unterstützung für die anderen Offensivspieler, die in jenen 4-4-2-Formationen sonst nicht so einfach herzustellen war. Seine Dreiecksbildung mit Lahm und Ribéry war exemplarisch dafür. Unter Klinsmann ergab sich durch den offensiven Sechser Zé Roberto eine verstärkte 4-1-3-2-Tendenz, wofür van Bommel klarer absichern musste.
Zugleich hatte sich Zé Roberto eine athletische Konstitution antrainiert, mit der er die weiten Wege von der Sechs auf die Zehn wie auch auf die Flügel und zurück gut bewältigen konnte. So diente er als Verbindungsspieler und Dauerläufer, gerade in Umschaltsituationen, die damals für den offensiven Output vieler Teams besonders wichtig waren. Gegen den Ball spulte er in jener Zeit ein hohes Pensum ab, um Räume in einem nur zweifach besetzten Zentrum zuzulaufen. Nach seiner Rückkehr in die Bundesliga erlebte man also einen veränderten Zé Roberto. Bis dahin wurde er während seiner ersten Zeit in Deutschland vor allem als – potentiell genialer, aber nicht immer effizienter – Filigrantechniker wahrgenommen. Die Einbindung im Zentrum ließ andere Potentiale und Facetten seines Spiels zur Entfaltung kommen.
Aktive Unterstützerrolle bei Brasilien auf dem Weg zur WM 2006
Über einen längeren Zeitraum in der Feldmitte wurde Zé Roberto erstmals als Nationalspieler eingesetzt. Insgesamt reicht seine Karriere in der „Seleção“ von 1995 bis 2006/2007. Von seinen 84 Einsätzen entfällt ein Großteil auf 1999 und 2000 (25) sowie auf die letzten zweieinhalb Jahre (28). Im Vorlauf der WM in Deutschland, während der zweiten Amtszeit von Carlos Alberto Parreira als Nationalcoach, entwickelte sich Zé Roberto schnell zu einer entscheidenden Stammkraft, zunächst oft noch mehr als Halbspieler oder im vorderen Mittelfeldbereich, aber dann zunehmend als einer von nur zwei Akteuren hinter vier nominellen Offensivspielern des 4-2-2-2.
Wie seine genaue Einbindung auch aussehen mochte: Mit einer ausgeprägten Häufigkeit ergänzte er andribbelnde Aktionen, die in jener Mannschaft so zahlreich vorkamen, durch gegenläufige Bewegungen, um Gegner wegzuziehen. Diese Wege machten ihn so wichtig für das Team. Unter Parreira wurde Zé Roberto zum Dauerbrenner der Nationalelf, der fast jedes Spiel von Anfang an bestritt und sich für die Kollegen aufopferte.
Über weite Strecken der Amtszeit des Trainers funktionierte die Mannschaft stark über Schnellangriffe. Die Herausforderung der Spielweise bestand darin, aus der zunächst ausgeprägten Präsenz in hinteren Zonen schnell wieder (genug) Spieler nach vorne zu bringen, um die Aktionen durchzuspielen. Genau das konnte Zé Roberto liefern: Nach Übergängen ins Angriffsdrittel war er zügig wieder präsent, half bei Flügelüberladungen oder mit Schnittstellenläufen zur Grundlinie.
Im zweiten Drittel schob er weit auf den Flügel heraus, um Linksverteidiger Roberto Carlos diagonale Aktionen zu ermöglichen oder einen Offensivkollegen nach dessen ausweichender Freilaufbewegung zu unterstützen. Situativ beteiligte sich Zé Roberto in tieferen Zonen selbst als ankurbelnder Dribbler oder Ballschlepper im Aufbau, je nach genauer Einbindung und sonstiger Besetzung. In diesen Momenten des Spiels spulte er sein Pensum ab, ohne zunächst besonders herausgehoben oder „systemtragend“ zu wirken. Dieser Effekt begann normalerweise erst ab dem Übergangsspiel.
Von Läufen hinter die erste Pressinglinie bis Durchlaufen hinter die Kette
Ähnlich war es auch zum Abschluss jener Phase, bei der WM 2006 – und dort nochmals besonders deutlich ausgeprägt. Zé Roberto wurde auch für die Einleitung der Schnellangriffe immer wichtiger. Die beiden anfänglichen Außenseiter und späteren Überraschungsteam Australien – im zweiten Vorrundenmatch – und vor allem Ghana – im Achtelfinale – stellten den Titelverteidiger vergleichsweise hoch passiv zu. Es war kein Angriffspressing, aber die erste Reihe formierte sich jeweils am Übergang zum zweiten Drittel.
Bei den mannorientierten Australiern verteidigte Mittelstürmer Viduka gegen die Innenverteidiger und beim Abkippen eines Sechsers kam ein Mittelfeldmann mit nach vorne. Entstand in dieser Partie nur vereinzelt ein 3gegen3 durch individuell höhere Positionierung eines Flügels, setzte Ghana durchweg auf Gleichzahl. Ihre Formation hatte zwei Stürmer und Muntari ergänzte in der ersten Linie, sofern Gilberto Silva sich zwischen die Innenverteidiger fallen ließ.
Sowohl bei Australien als auch bei Ghana folgte im Anschluss hinter der Zweier- respektive Dreierreihe aber eine größere Lücke. Rückstöße der Offensivstars waren zwischendurch ein gutes Mittel dagegen, aber nicht dauerhaft, da sie ebenfalls mannorientiert verfolgt werden konnten. So kam wiederum Zé Roberto eine wichtige ergänzende Rolle zu, um sich mit diagonalen oder horizontalen Läufen hinter die erste Pressinglinie des Gegners freizulaufen.
Indem er sich noch früher und vor allem raumgreifender beteiligte als sonst, schuf er zusätzliche Optionen für die schnelle vertikale Eröffnung ins Mittelfeld. Nicht immer fand er die beste Startposition, befand sich gelegentlich in zu ballfernen Räumen oder in solchen, in denen er schwierig anzuspielen war. Aber schließlich fand er in vielen Fällen ein gutes Timing und lieferte wichtige Bewegungen. Beispielsweise schob er oft von seiner nominell halblinken Sechserposition diagonal im Rücken der Stürmer nach halbrechts.
Hatte er dort den Ball in den Zwischenlücken gefordert und erhalten, diente er als Raumüberbrücker – oder diese Wege von halblinks weg konnten zumindest Gegner oder Aufmerksamkeit von Superstar Ronaldinho in jenem linken Halbraum abziehen. In den Situationen, in denen Zé Roberto nicht selbst angespielt wurde, sondern raumschaffend für die Mitspieler wirkte, blieb er im weiteren Verlauf aktiv und startete Anschlussläufe auf den Flügel oder in die Tiefe. So erzielte er in den Schlussminuten gegen die Ghanaer den Treffer zum 3:0 durch einen ballfernen Lauf aus dem defensiven Mittelfeld bis hinter die Kette, der Versuche einer Abseitsfalle aushebelte.
Resümee
In einer mit den damals vier großen Namen Ronaldo, Adriano, Ronaldinho und Kaká vollgepackten, aber nicht ausgewogen genug organisierten Offensive musste der aufrückende Sechser als Wasserträger einspringen – und kreierte obendrein noch entscheidende Momente. Der allgemein erwartete Zauber der Brasilianer bei diesem Turnier blieb aus. Anstatt dass die Superstars scheinen konnten, stützte ihr Hintermann sie und das ganze, eigentlich auf sie bezogene Konstrukt mit aufopferungsvollen Aktionen. Zé Roberto machte es mit seinen zahlreichen ergänzenden Bewegungen möglich, dass das „magische Quartett“ gemeinsam auflief. Letztlich blieb er aber nicht nur der unauffällige Zuarbeiter, sondern sorgte selbst noch zusätzlich für auffällige Offensivaktionen.
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