Balldominanz erst zum Schlussspurt
Ein Duell mit vielen Mannorientierungen und Direktheit gestaltet sich lange recht ausgeglichen – selbst bei Frankfurter Unterzahl, mit der die Eintracht gut umgeht. In einer drangvollen Schlussphase kommt Bremen doch noch zum späten Sieg.
Pressing aus den Mannorientierungen
Zwischen zwei nominell gespiegelten Formationen ergab sich eine Konstellation mit vielen Mannorientierungen. In der Vorwoche hatte dieses Mittel etwa für die Freiburger gegen Frankfurt nicht den gewünschten Erfolg gebracht, trotz hohen Aufwands: In den Schlüsselmomenten waren sie von guter diagonaler Raumnutzung der Innenverteidiger in die Bereiche neben dem „Restzentrum“ erwischt worden, wenn Frankfurts aufrückende Außenverteidiger die Freiburger Flügel nach hinten gedrückt hatten. Das bedeutete zwischenzeitlichen Präsenzverlust und gelegentlich entstanden durch scharfe Direktpässe der Verteidiger auf die eng an der letzten Linie formierten Offensivleute einzelne gefährliche Szenen.
Diesmal gab es ebenfalls Tendenzen in diese Richtung, aber wesentlich moderater: Zum einen sorgte die Grundordnung der Bremer für abweichende Ausgangsbedingungen, zum anderen funktionierten ihre Mannorientierungen auch etwas anders als bei den Freiburgern. Gerade in den hinteren Zonen suchten sie zwar viele direkte Duelle und verfolgten die Gastgeber weiträumig über das Feld, ebenso fielen die nominellen Flügelspieler häufig in 4-5-1-mäßiger Manier zurück. Allerdings ließen sie sich insgesamt nicht ganz so weit zurückziehen und rückten abwechselnd aus ihren tieferen Positionen wiederum diagonal nach vorne auf, um die gegnerischen Innenverteidiger schließlich im Laufe der Zirkulation zu pressen.
Wenn Bremen stattdessen 4-4-2-Staffelungen herstellte, bildeten diese nicht die strukturelle Ausgangslage wie bei den Freiburgern, sondern ließen sich aus der Dynamik heraus über einzelne diagonale Aufrückbewegungen von den Achterpositionen erzeugen. Nach dem recht frühen Platzverweis für Willems aufgrund einer Tätlichkeit intensivierten sich zunehmend Staffelungen mit höheren Außenstürmern: Häufiger rückten sie nun auch mal beide nach vorne auf, konnten dann die Federführung im Pressing übernehmen und versuchten diagonal die Frankfurter Innenverteidiger zu attackieren. Dahinter verteidigte Kruse gegen einen situativ tieferen Sechser aus dem Frankfurter 4-4-1, so dass sich das Gebilde sauberer als Raute realisierte.
Lange Bälle und Aufteilungsprobleme
Schon zuvor hatte es aus dem laufstarken Allround-Mittelfeld der Bremer heraus Bewegungen hinter den situativ aufgerückten Stürmer zur Seite gegeben, um dort gegen die Außenverteidiger ins Pressing zu kommen. Insgesamt improvisierte Werder dieses seitliche Herausschieben des ballnahen Achters gut und schaffte es recht schnell, die verschiedenen Mannorientierungen jeweils daran anzupassen. Jedoch arbeitete Frankfurt ohnehin auch viel mit längeren Bällen in Richtung von Mittelstürmer Haller. Dieses Mittel stellte eine Variante dar, um hinter die verschiedenen Mannorientierungen zu gelangen. Auch in diesen Konstellationen griff die Neuorientierung nach hinten aus den Zuordnungen heraus aber gut, so dass Bremen in der Anfangsphase oft Überzahl gegen den Angreifer bekam. Nach Verlagerungen sorgte vor allem Osako für gutes Rückwärtspressing.
Im kontrollierten Vorwärtsspiel taten sich die Gastgeber insgesamt noch schwer. Das defensive Mittelfeld konnte diesem nur bedingt seinen Stempel aufdrücken. Eine klar definierte Aufteilung der Rollen innerhalb der Doppel-Sechs prägte sich nicht wirklich heraus und so blieb auch ihr Bewegungsspiel recht fahrig. Dementsprechend ergab sich keine Konstanz in den Staffelungen, so dass neben einigen guten Ansätzen situativ auch mal wichtige Räume verwaist waren, um stabile Strukturen für den Offensivübergang herzustellen. Insgesamt rochierten die Sechser recht viel, konnten sich so aber auch eher selten aus den gegnerischen Mannorientierungen lösen. Zudem schienen die Flügelspieler mit tororientierten Tiefenläufen sehr vorsichtig.
Bremen in Überzahl viel beschäftigt
Auf den Platzverweis reagierten die Frankfurter dann konsequent: Lange Bälle setzen sie sehr schnell an. Da sie teilweise von Vornherein auf das Auffächern verzichteten und sich jeweils auf bestimmte Zielzonen fokussierten, konnten sie Bremen weiterhin beschäftigen: Haller und die Stürmer formierten sich eng 4-2-3-haft. Punktuell rückte Torró kurzzeitig sehr weit nach vorne durch, um dort die Präsenz zu erhöhen. Zunächst fokussierte sich Frankfurt eher auf die halblinke Seite, da Gacinovic eher von halbrechts bzw. aus dem Zentrum heraus agierte, schnell mit dorthin schieben konnte und die rechte Bahn für da Costa überließ. Später ergänzte der für Gacinovic eingewechselte de Guzmán endgültig von rechts das Mittelfeld als zusätzlicher Unterstützungsspieler: Nun brachte die Eintracht längere Bälle eher in dessen rechten Halbraum als bevorzugte Ballungszone.
Mit ihrer vertikalen Kompaktheit um die Abpraller hielten die Gastgeber sich selbst also gut im Spiel und den Gegner beschäftigt. Werder gelang es nicht, die letzte Kontrolle über das Match zu generieren: Im ersten Teil der Überzahlphase hatten sie sogar weniger Ballbesitz, wenngleich auch bedingt durch die eigene Führung. Gegen die langen Bälle der Eintracht mussten sie quantitativ viele Übergänge ins Angriffspressing aufbringen. So gut die Gastgeber im Spiel blieben: Durchschlagskraft erzeugten sie mit ihren Bemühungen kaum. Letztlich wirkte sich doch aus, dass Bremen immer noch Bargfrede gewissermaßen als konstanten Überzahlspieler für verschiedenste Zwecke hatte, je nach Situation: um Gacinovic im Zentrum aufzunehmen, um als Absicherung entweder Osako oder den Achtern mehr aufrückende Pressingbewegungen über ihre Gegenspieler hinaus zu ermöglichen oder um gegen Haller zu unterstützen. Zumindest war die Partie bis in die zweite Halbzeit hinein recht ausgeglichen.
Überspielen der Achter
Stilistisch aber gingen die Bremer das Spiel etwas anders an: Sie hatten zunächst längere und sehr geduldige Zirkulationsphasen allein in der ersten Linie, danach oftmals ungewohnt zügige und direkte Übergänge komplett durch das Mittelfeld hindurch. Zu Beginn ihrer Aufbauszenen hatten sie es zunächst mit einer 4-4-1-1/4-4-2-Defensivformation der Eintracht zu tun, die mit der ersten Linie lose Bargfrede abzudecken versuchte. Dahinter ging es für die Sechser darum, die hohen Bremer Achter zu neutralisieren: Meistens bewegten sie sich knapp vor diesen und zielten darauf ab, möglichst viele verschiedene Passwinkel im potentiellen Zugriffsradius zu erhalten, griffen bei Bedarf schließlich auf situative Mannorientierungen zurück. Vertikale Kompaktheit und Sauberkeit waren bei den Frankfurtern nicht die klaren Pluspunkte, sie spielten das aber recht geschlossen und athletisch.
Horizontal standen sie zudem geschlossener: Die enge Staffelung der Flügelspieler im Dunstkreis der Bremer Achter verhinderte häufig, dass die Aufbauspieler der Gäste den Vorwärtspass ins Mittelfeld wagten. Ohnehin zielte Werder nicht wirklich darauf ab: Die beiden Mittelfeldakteure wurden hauptsächlich überspielt und stattdessen vor allem Max Kruse mit seinen Zurückfallbewegungen gesucht, der häufig die Aktionen initiieren und das Ballbesitzspiel dann weiter nach außen tragen sollte. Die Bewegungen in die Spitze gingen von den anderen beiden Angreifern aus, insbesondere Osako schlich sich oft weiträumig bis nach halbrechts an die Strafraumkante. In der ersten Halbzeit hatten Eggestein und Klaassen die wenigsten Pässe aller Bremer Spieler.
Insgesamt arbeitete die erste Pressinglinie der Eintracht recht gut gegen Bargfrede. Wenn er doch mal in ihrem Rücken freikam, schoss Gelson Fernandes aggressiv und explosiv aus der Formation, um sofort Druck zu machen. In diesen Situationen stellten die Sechser der Eintracht sehr zügig eine kurzzeitige und konsequente Aufgabenteilung her, in der Torró bewusst tief die Abwehr unterstützte. Auch in gelegentlichen Angriffspressingmomenten wurde dies so gehandhabt. Zudem konnte der jeweils ballnahe Außenverteidiger mit ins Mittelfeld hineinarbeiten, da Frankfurt im Zuge dieses Nachrückens den ohnehin meist in die Spitze orientierten Bremer Flügelstürmer über einen anschließenden Innenverteidiger aufnehmen ließ. Meist war das bei Willems und Ndicka gegen Harnik der Fall, weil Frankfurt tendenziell von Moisander wegzuleiten versuchte.
Timing bei der Stürmereinbindung
Hauptsächlich von den Außenpositionen gelang es Werder, hinter die Mittelfeldreihe der Eintracht zu eröffnen. Aus dem ballfernen Halbraum startend, setzte sich Max Kruse mit Bogenläufen ab und versuchte im Schatten von Eggestein und/oder Klaassen in kleinen Lücken freizukommen. Zwischen den verschiedenen horizontalen Verschiebewegungen kam er so zu einigen Ballkontakten, hatte durch die aufrückenden Läufe der Achter aber oft nur die Möglichkeit zum seitlichen Anschlusspass. Nach dem Platzverweis hatte Bremen über Bargfrede im Sechserraum etwas mehr Freiheiten zur Ballzirkulation, was das Spiel etwas nach vorne verlagerte. Gegenüber den weiterhin recht hoch agierenden Achtern wurde das Freilaufverhalten der Offensivkräfte aber zunehmend fahrig und ungeduldig, indem sie unnötig oft schon am Übergang zum Angriffsdrittel Bälle in ungünstigen Situationen forderten.
Das waren etwa Momente von Vorwärtsläufen der Achter, die diese Dynamik schon aufgenommen hatten und damit nicht mehr unterstützen konnten. So kam es auch in Überzahl noch einige Male vor, dass die Bremer Angreifer sich gegen den Zugriff der Frankfurter Mittelfeldreihe festlief. Torró versuchte mit weiträumigem Herausrücken in den offenen Zehnerraum anzuleiten und vorschnelle Pässe zu provozieren. Das eingegangene Risiko funktionierte aber, da Bremen lange brauchte, um sich in den Passmustern umzustellen: Mehrmals wurden die Achter in offenen Zwischenräumen nicht gesucht, teilweise sogar kurz verzögert, bis die Zone anderweitig besetzt war, von Frankfurt dann aber schon wieder besser verteidigt werden konnte.
Frankfurter Varianten und Bremer Schlussoffensive
Bei der Eintracht hatte Nicolai Müller für Tawatha als neuen Linksverteidiger das Feld verlassen müssen. In der Folge übernahm Gacinovic aber nicht konstant die rechte Außenbahn, sondern blieb manchmal auch zentraler, wenn sich dafür Haller weiter nach außen begab. Das enthob Torró von der Notwendigkeit der weiten Herausrückbewegungen und sorgte potentiell wiederum für leitende Effekte zur rechten Bremer Seite, wohin abwechselnd Gacinovic oder Haller nachpressen konnten und dort teilweise vom herausrückenden Kostic ergänzt wurden. So gelang es den Gastgebern immer mal wieder, in dieser Zone noch Druck auf die Bremer auszuüben. Insgesamt machte es Frankfurt in dieser Phase in Unterzahl wirklich gut, blieb mit viel Laufaufwand und gutem Nachrückverhalten lange Zeit beinahe ebenbürtig im Spiel.
Ab den letzten etwa 20 Minuten konnte Bremen dann den Druck nochmal steigern und endgültig die Dominanz über den Ball an sich reißen. Aus dem Mittelfeld kippte Eggestein etwas häufiger nach rechts heraus, um mit anzukurbeln. Die Außenverteidiger rückten wieder weiter auf und drückten Frankfurt zurück. Liefen sie sich kurz nach hinten frei, folgte sofort eine Anschlussrochade eines Kollegen diagonal aus dem Zentrum nach außen, teilweise im Durchlauf von der anderen Seite. Dahinter rückten die Innenverteidiger mit Ball ebenfalls weiter vor. Insbesondere dies trug dazu bei, dass die schon zuvor eigentlich guten Zwischenraumpositionierungen nunmehr auch konstant und forciert aus zentralen Räumen heraus angespielt werden konnten. Dies tat Bremen in der Schlussphase: Mit Rashica anstelle von Bargfrede kam für die letzten Minuten ein zusätzlicher Offensivakteur, der genau aus diesen Zonen noch einen späten Freistoß herausholte, den er selbst versenkte.
4 Kommentare Alle anzeigen
SV.de-Laser 4. September 2018 um 10:19
Ich nehme an, es wird keine Kolumne mehr geben von TE?
tobit 5. September 2018 um 13:25
Schätze nicht. Die letzte war ja meine ich von November oder so. Finde ich auch sehr schade, weil es immer ein guter Augangspunkt für alle möglichen Diskussionen war.
MFR 3. September 2018 um 08:31
Ich fande Klaasen nicht besonders präsent – das hing sicher auch mit der beschriebenen Rolle zusammen. Ich bin gespannt, ob Kohfeldt seine (Klaasens) Rolle demächst noch etwas anpasst, um seine Stärken noch besser zu nutzen.
Ebenso spannend wird es sein, wie Sahin eingebunden wird. 6er als Alternative zu Bargfrede? Oder 8er?
tobit 3. September 2018 um 09:23
Sahin ist denke ich als Sechser eingeplant. Auf der Acht (gerade, wenn sie so hoch interpretiert wird wie am Samstag – einer der Gründe für Klaassens geringe Präsenz) finde ich ihn aufgrund seiner nicht vorhandenen Dynamik, seiner Neigung zum (übermäßigen) Abkippen sowie seinen Schwächen im 360°-Spiel (Umblickverhalten, Freilaufen, Raumbesetzung) und in engen Räumen nicht so stark (bzw. man müsste ihm eine sehr spezielle Rolle schaffen). Grundsätzlich könnte ich ihn mir auch mit Bargfrede zusammen als Doppelsechs vorstellen, wenn man viel Ballbesitz hat und Sahin so Zeit hat nach seinem Abkippen an den 16er nachzurücken (und beide mal länger gemeinsam fit sind).