Der Kampf gegen das Mittelfeld
Ein Ergebnis, das keinem weiterhilft. So lautet wohl das Fazit nach dem 1:1 zwischen Schalke 04, das nicht so recht in den fünften Gang schalten kann, und Bayer Leverkusen, das gegen die Mittelmäßigkeit kämpft. Aus taktischer Sicht lieferte das Duell der beiden Langzeit-Bundesligisten einige interessante Aspekte.
Aber zunächst zu den Fakten auf dem Spielberichtsbogen: Schalke erzielte nach 34 Minuten die Führung durch einen Freistoßtreffer von Leon Goretzka. Leverkusen glich nach Zweifachwechsel zur Halbzeitpause in der 61. Minute aus. Torschütze war Joker Leon Bailey.
Schalke-Trainer Domenico Tedesco setzte einmal mehr auf die von den Königsblauen in dieser Saison präferierte 3-4-3-Grundformation. Anstelle von Nabil Bentaleb bekam interessanterweise Youngster Weston McKennie erneut den Vorzug auf der linken Sechserposition, die normalerweise etwas tiefer interpretiert wird, während Leon Goretzka den rechten Halbraumläufer verkörpert.
Ansonsten hielt die Startaufstellung der Hausherren keine großen Überraschungen parat. Zu erwähnen wäre noch die Personalie: Breel Embolo. Seit der Sommerpause ist die Position im Mittelsturm bei Königsblau umkämpft. Zunächst durfte sich Franco Di Santo versuchen. Guido Burgstaller bekam seine Chancen. Nun, nach Rückkehr aus einer langwierigen Verletzungspause, scheint Embolo die erste Option zu sein.
Heiko Herrlich mischte auf Leverkusener Seite etwas durch. Im bekannten 4-2-2-2 war Newcomer Panagiotis Retsos als Rechtsverteidiger vorgesehen. Benjamin Henrichs nahm auf der Bank Platz. Im Abwehrzentrum agierten zu Spielbeginn Lars Bender und Charles Aránguiz, was wiederum Julian Baumgartlinger und Dominik Kohr zwei Plätze an der Seitenlinie bescherte. Neuzugang Lucas Alario startete erneut im Angriff. Kai Havertz kam erst nach 45 Minuten auf den Rasen.
Minuten 1 bis 20
Obwohl die Partie auf Schalke stattfand, fand sich Tedescos Mannschaft in der ersten Phase der Partie in einer aktuell bevorzugten Rolle wieder. Statt selbst immer wieder aus dem offenen Spielaufbau heraus starten zu müssen übernahm Leverkusen die Kontrolle und hatte nach 20 Minuten rund 75 Prozent Ballbesitz. Die Rheinländer gestalteten die Spieleröffnungen in gewohnter Manier – mit viel Tiefenpräsenz und raschen Verlagerungen zum Flügel.
Mindestens ein Sechser positionierte sich tief vor der Bayer-Abwehr und ermöglichten eine recht ruhige Zirkulation durch die erste Pressinglinie der Schalker hindurch. Ein direktes Anspiel vom Innen- zum Außenverteidiger konnte vom jeweiligen Flügelstürmer Schalkes beantwortet werden. Der Angriff Bayers kam zum zwischenzeitlichen Erliegen. Neuaufbau war angesagt.
Ein schnelles, kombinatives Einbinden eines Sechsers jedoch ermöglichte es den Gästen, eine bekannte Schwachstelle von Königsblau auszunutzen. Die Rede ist von der Flügelverteidigung im 3-4-3. Die beiden Flügelstürmer Schalkes ließen sich nämlich dann wieder etwas ins Zentrum treiben, wie sie es so oft tun. Das wiederum erzeugte Eins-gegen-Eins-Situationen auf den Außen: Julian Brandt gegen Daniel Caligiuri; Karim Bellarabi gegen Bastian Oczipka.
Vorderlief der Leverkusener Außenverteidiger, wurde dies in der Regel vom ballnahen Sechser Schalkes beantwortet. Nun war ein Loch im Halb- beziehungsweise Zwischenlinienraum das Resultat. Hinterlief der Leverkusener Außenverteidiger, wurde dies teilweise gar nicht beantwortet. Kurzzeitige Überzahlsituationen waren das Resultat. Bayer trieb dieses Spiel noch weiter, indem nach dem Initialpass auf die Außen der ballnahe Sechser den Vorwärtslauf unternahm und damit seinen Gegenüber auf Schalker Seite band. Nun wurde wiederum der Halbraumkanal potenziell geöffnet oder aber Brandt konnte horizontale Läufe einstreuen, ohne große Gegenwehr zu erfahren.
Was sagt uns das? Schalke wies eine strukturelle Schwäche auf, die Leverkusen recht clever – ob nun ganz bewusst oder doch intuitiv – zu nutzen versuchte. Dass Kevin Volland zudem seltener an der Abseitsgrenze zu finden war und sich stattdessen als verkappter Zehner versuchte, verstärkte auch das Gegenpressing der Gäste und half noch stärker im zweiten und letzten Drittel kombinieren zu können.
Schalke reagierte gewissermaßen – auch hier bleibt offen, ob dies bewusst geschah – mit einem stärkeren Rückzug. Die Königsblauen liefen seltener vorn an und positionierten sich in der ersten Pressingphase direkt geschlossen hinter der Mittellinie im 5-4-1. Dadurch fächerten Leverkusens Außenverteidiger ungefähr auf Höhe der Leverkusener Viererreihe auf. Wurden sie direkt aus der hintersten Linie angespielt, konnten sie keine wirkliche Dynamik entwickeln. Der effektive Spielraum war um einiges geschrumpft. Gelegentlich ließ sich nun Lars Bender zwischen die Innenverteidiger zurückfallen, aber sein Bruder Sven traute sich trotz der breiteren Grundposition den Vorstoß nicht zu, drohte doch Rechtsaußen Amine Harit mit einem entgegenkommenden Lauf.
Für den Beobachter am Fernsehschirm oder im Stadion „verflachte“ das Spiel zu diesem Zeitpunkt. Es gab aber gruppentaktische Elemente, die zu gefallen wussten – wie etwa in der 16. Minute. Schalke presste zur Abwechslung höher und lief die Innenverteidiger mannorientiert an. Goretzka schob nach vorn, befand sich aber rasch in einer Unterzahlsituation, denn Volland ließ sich in den Sechserraum zurückfallen, während Lars Bender nach vorn rückte und McKennie band. Leverkusen befreite sich eloquent und trieb den Angriff nach vorn, der jedoch nichts Zählbares einbrachte.
(Was sich mir nicht ganz erschließ bei der ersten Betrachtung des Spiels, war die situative Aufteilung im Schalker Pressing. Normalerweise gesellte sich Harit an die Seite von Embolo, sofern Schalke einen zweiten Spieler nach vorn schob. Dies wäre natürlich ebenso mit Yevhen Konoplyanka möglich gewesen. Der Ukrainer jedoch blieb weiter links auf der Seite, obwohl Retsos potenziell weniger Offensivgefahr ausstrahlte als Wendell. Zudem wäre Harit bei einer anderen Aufteilung als Umschaltspieler in der zweiten Reihe gewesen.)
Minuten 20 bis 45
Schalke wurde nun etwas „aktiver“, wie es im Fußballsprech oftmals heißt. Die Hausherren gingen auf den Flügeln mehr Risiko im Gegenpressing. Eine interessante Phase entwickelte sich daraus, denn Leverkusen war immer noch in dem Modus der Vorminuten, in dem die Herrlich-Elf das Spiel dominierte und ohne großes Risiko aufrücken konnte. Nun aber begann Schalke die Räume hinter den beiden vorderen Linien der Gäste zu nutzen. Bayer passte sich mit einem konservativeren Pressing- und Offensivverhalten jedoch rasch an.
Schalke nutzte dann die Höhe der eigenen Flügelverteidiger in Kombination mit den Bewegungen der Außenstürmer. Die äußeren Leverkusen-Akteure in der Mittelfeldlinie waren augenscheinlich an den Flügelverteidigern Schalkes orientiert, während sich Harit und Konoplyanka in den Halbräumen positionieren konnten. Sie banden dadurch nicht selten vereinzelt einen Innenverteidiger von Bayer, weil Wendell oder Retsos bei Anspielen auf Oczipka oder Caligiuri nach außen schoben, um dort eine Dopplung zu erzeugen. Wie zuvor auf der anderen Seite herrschte nun strukturelle Schieflage im Verteidigungsgefüge von Leverkusen.
Auch die erste Pressingphase der Gäste war alles andere als erfolgsversprechend. Zumeist wurde Schalkes Dreieraufbaureihe mannorientiert angelaufen (oder angestanden), während Volland etwas dahinter blieb und sich an einen Sechser klammerte. Folglich konnte Königsblau einen leichten Pass auf die Außenbahn spielen und anschließend hinter die erste Linie Bayers gelangen – wie etwa vor dem Foul, das den Führungstreffer einleitete. Embolo ließ sich dabei nach hinten fallen, während der freie Sechser Schalkes – McKennie in diesem Fall – im Rücken von Volland aufgerückt war und lokale Überzahl erzeugte.
Zu Leverkusens Problemen in dieser Phase der Partie kam noch eine Inkonsequenz im Gegenpressing hinzu, die vornehmlich bei Ballverlusten hinter der eigenen Angriffsreihe deutlich wurde. Zum Teil wollte Bayer anschließend die Schalker im offenen Raum stellen, ohne natürlich alle Passoptionen abzuschneiden. Die Hausherren kamen dadurch besser ins Laufen. Das leichte Chaos mit vermehrten Umschaltsituationen kam ihnen sowieso entgegen, fehlte doch im ruhigen Aufbau – insbesondere auf der rechten Seite – die Präzision.
Kurz vor der Halbzeitpause kam Bayer jedoch zweimal am eigenen rechten Flügel gut durch. Jeweils ließ sich Oczipka nach Pässen in den Halbraum herauslocken. Bellarabi blieb breit, während Oczipka und Konoplyanka plötzlich nebeneinander standen, ohne jegliche Staffelung. Halbverteidiger Matija Nastasić musste zum Flügel ziehen. Die Kompaktheit im Zentrum, die zuvor noch so manchen geblockten Schuss erzwang, war vermindert.
Minuten 46 bis 61
Herrlich wechselte zur Pause zweimal. Unter anderem brachte er Havertz für die Sechserposition anstelle von Aránguiz. Am Pressing änderte sich bei Bayer wenig und trotzdem kam Schalke immer wieder ins Straucheln. Ein Erklärungsansatz für die ständigen Fehlpässe während der gesamten Partie könnte in der recht gestreckten Ausgangsformation liegen, welche eine größere Passlänge und eine schwierige Passgewichtung erforderte. Damit hatten Caligiuri, Nastasić und Co. doch so manches Problem.
Auf der anderen Seite kam ein Aspekt, der in der ersten Halbzeit angesprochen wurde, nun vereinzelt zum Tragen. So positionierte sich Schalke vor einer Leverkusener Großchance in der 49. Minute arg tief im 5-4-1. Sven Bender wagte dieses Mal den Vorstoß; Harit blieb in der Mittelfeldlinie und lief den Verteidiger nicht an. Bender brachte den Ball auf den vorgerückten Wendell. Der Linksverteidiger von Bayer unternahm immer mehr Diagonalläufe; die Flügelstürmer rückten verstärkt ein. Hier machte sich der Wechsel von Bellarabi auf Bailey bemerkbar.
Insgesamt war Leverkusen nun besser im Erkennen und Ausnutzen von Formationsschnittstellen beziehungsweise Formationslücken bei Schalke. Zudem nahmen die Innenverteidiger nicht nur bei Vorstößen größeres Risiko in Kauf, sie zeigten sich auch aggressiver im Herausrücken, wenn Schalke den Ball in die Spitze spielte. Im Optimalfall für Bayer war der Verteidiger nach dem Ballgewinn hinter drei Heimakteuren und konnte auf die zwei königsblauen Sechser zugehen.
Die damit einhergehende Dynamik in die Schalker Formation hinein offenbarte die gruppentaktischen Abstimmungsprobleme, die bei den Hausherren vor der letzten Verteidigungsphase wiederholt aufkamen. Hinzu kam der Faktor Oczipka. Der linke Flügelverteidiger ließ sich auch in der zweiten Halbzeit immer wieder aus seiner Grundposition locken und tat dies auch vorm Ausgleichstreffer. Dieses Mal steuerte er auf Retsos (!) zu und gab die Seite auf. Nastasić wurde ins Eins-gegen-Eins mit Bailey getrieben, dessen abgefälschter Schuss im Netz landete.
Schlussphase
Nach dem Ausgleichstreffer gewann die chaotische Komponente an Bedeutung. Beide Teams spielten schneller nach vorn, streckten die Formationen und opferten ballnahe Kompaktheit. Schalke hatte augenscheinlich mehr tiefen Ballbesitz, sorgte allerdings selbst für ein Loch im Zentrum, wenn sich bei langsamer Spieleröffnung die drei Angreifer nach vorn bewegten und beide Sechser für die Zirkulation tiefer positioniert waren. Insgesamt blieben die zwangsläufigen Angriffsaktionen weitestgehend aus. Beide Trainer hatten ihre Hände gezeigt und vermochten keinen entscheidenden Schachzug mehr zu unternehmen. Auf dem Rasen gab es keine gewinnbringenden Einzelaktionen oder individual- wie gruppentaktischen Fehler mehr bis zum Schlusspfiff.
xG map for Schalke – Leverkusen. pic.twitter.com/GObyTT6qhB
— Caley Graphics (@Caley_graphics) 1. Oktober 2017
Fazit
An sich war diese Partie ein schöner Schlagabtausch, weil sich Dominanzphasen abwechselten und beide Teams auf ihre eigene Art Druck entwickelten. Zudem waren Fehler sowie entsprechende Reaktionen auf beiden Seiten zu erkennen und auszuwerten, was ein solches Spiel doch erst richtig interessant macht.
Schalke blieb sich selbst treu und vermochte vor allem im Umschalt- und Tempospiel zu überzeugen. Dies kann gerade im eigenen Stadion zu einer in den Augen der Fans ungewöhnlichen Konstellation führen, muss aber angesichts der aktuellen Aufbauschwächen die Strategie für die nächsten Wochen bleiben.
Leverkusen ist eine Mannschaft, die sicherlich besser als die aktuelle Tabellenplatzierung ist, aber gleichzeitig aufpassen muss, dass sich die teils fehlende Konsequenz im Pressing und Gegenpressing nicht zu negativ auf die Gesamtleistung auswirkt. Damit ist gemeint, dass Bayer mittlerweile mehr Dominanz über die eigene Zirkulation ausstrahlen kann, dies allerdings konterkariert wird, wenn der Druck auf den Ball im Gegenzug ausbleibt.
4 Kommentare Alle anzeigen
LM1895 3. Oktober 2017 um 22:49
Ich hab Herrlichs Regensburger zwar nur in der Relegation gg 60 gesehen, da ist mir aber extrem aufgefallen, dass sie häufig quasi ohne Breite angegriffen haben. Wenn es auf einen Flügel raus ging, war ballfern der breiteste Spieler teilweise in der gleichen vertikalen Spielfeldhälfte. Das aktuelle leverkusener Spiel scheint mir ja genau in die andere Richtung zu gehen. Hat da jemand ne Idee zu?
Schorsch 1. Oktober 2017 um 20:57
Interessante Struktur der Analyse; gegliedert nach dem Spielverlauf / den Spielphasen. Kommt mir persönlich durchaus entgegen. Habe das Spiel nicht gesehen, kann mir aber nun das Spiel einigermaßen nachvollziehen.
Übrigens: Dass man sich „eloquent“ befreien kann, war mir auch nicht nicht klar… 😉 Oder doch vielleicht ‚elegant‘? Egal, gute Analyse. Danke an CE!
Knapp ein Viertel der Saison ist um. Wo stehen Schalke und Leverkusen? Leistungsmäßig von mir schwer einzuschätzen. Ergebnismäßig im Mittelfeld. Ich habe den unbestimmten Eindruck, dass der aktuelle Tabellenplatz tatsächlich das aktuelle Leistungsvermögen widerspiegelt.
CE 2. Oktober 2017 um 09:28
Vielen Dank, Schorsch. „Eloquent“ war an dieser Stelle bewusst gewählt – als kleines sprachliches Bild sozusagen, das Salz in der Suppe.
Schorsch 2. Oktober 2017 um 10:35
Habe ich mir fast schon gedacht. Keine schlechte Idee. Man liest es, stolpert ein wenig darüber und macht sich seine Gedanken, wie es gemeint sein könnte. Und befasst sich somit eingehender mit dem Beschriebenen. Bon!