Facettenreiches Taktikduell im Erzgebirge

2:2

In allerletzter Minute ergatterte Erzgebirge Aue einen wichtigen Punkt für den Abstiegskampf in der 2. Bundesliga. Zuvor lieferten sich die Sachsen mit Hannover 96 ein Duell auf Augenhöhe.

Grundformationen

In den ersten Minuten der Partie agierte Philipp Riese als Sechser hinter den beiden zusätzlichen Zentrumsspielern der Auer, kippte aber ebenso vielfach zwischen Fabian Kalig und Steve Breitkreuz. Spätestens nach der Anfangsviertelstunde jedoch begann Riese als Zentralverteidiger zu spielen. Diese Rolle in der von Trainer Domenico Tedesco gewählten 3-4-3-Grundordnung füllte Riese bis zum Spielende aus. Clemens Fandrich und Christian Tiffert besetzten das zentrale Mittelfeld, Pascal Köpke und Dimitrij Nazarov die offensiven Halbpositionen.

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Grundformationen

Hannover 96 stellte sich derweil zu Spielbeginn in einem 4-2-3-1 auf. Manuel Schmiedebach und Waldemar Anton spielten auf der Doppelsechs. Martin Harnik und Edgar Prib kamen über die offensiven Flügel, während Sebastian Maier zwischen Zehnerposition und Angriffsspitze pendelte.

Aues Ansatz

Die Auer versuchten von Beginn an mit einem kontrollierten Pressing die Raumgewinne des Gegners zu minimieren. Der FCE variierte dabei in der ersten Halbzeit seinen Rhythmus und schuf kleinere Überraschungseffekte. Beispielsweise liefen die Hausherren in einigen Situationen mit den drei Angreifern an, wobei die beiden breiteren Halbstürmer von außen kommend die gegnerischen Innenverteidiger attackierten und eine Lenkung in die Spielfeldmitte erzeugten.

In anderen Situationen positionierte sich die Dreierreihe vor den beiden Innenverteidigern Hannovers. Die zwei Kanäle zwischen den Pressingspielern waren offen, aber die Anspielstationen wurden in enge Deckung genommen. Da die Intensität, mit der Fandrich und Tiffert die beiden Sechser Hannovers verteidigen konnten, schwankte, war jedoch der Erfolg des Lenkens oder Lockens inkonstant.

Zudem stellte das Zurückfallen von Maier ein Problem für Aue dar, da der Hannoveraner Zehner sich recht frei hinter oder neben den Sechsern bewegen konnte. Situativ nahm ihn Hertner im Halbraum in Deckung, was jedoch wiederum Platz für Harnik an der Außenlinie schuf, wodurch Breitkreuz aus der Kette herausgezogen wurde.

Dass sich Riese bis zur kleinen positionellen Umstellung bereits sehr tief vor der Abwehrkette aufhielt, war insofern logisch, da sich die Hannoveraner bei Angriffen durch die Mitte mit drei Stürmern (Füllkrug, Maier und Harnik) zentral positionierten. Riese verdichtete die Wege zusätzlich.

Hannover ging frühzeitig durch Waldemar Anton nach einem Prib-Freistoß aus dem Halbfeld in Führung. An der Gemengelage im Spiel änderte dies allerdings wenig.

Neben den angesprochenen Ansätzen im Pressing präsentierte Aue ebenso interessante Varianten im eigenen Spielaufbau. Zumeist fächerte in der ersten Phase eine breite erste Dreierreihe auf. Während des Spielverlaufs wurde immer wieder deutlich, dass sich Breitkreuz etwas stärker zur linken Seitenlinie fallen ließ. Linksverteidiger Sebastian Hertner rückte dadurch tendenziell schneller nach vorn als Rechtsverteidiger Calogero Rizzuto, der etwas stärker vertikal pendelte und häufiger in der tieferen Passzirkulation eingebunden war.

Infolge des Abkippens von Riese oder seiner konstanten Positionierung als Zentralverteidiger war das Mittelfeld der Hausherren mit zwei Akteuren besetzt. Fandrich und Tiffert ließen sich immer wieder für kurze Anspiele, die sie meist umgehend wieder nach hinten weiterleiteten, zurückfallen. Den wirklichen offensiven Raumgewinn versuchte der FCE allerdings über die Flügel zu erzeugen. Gerade Hertner hatte einige Male Erfolg mit schnellen Vorstößen um die enge Mittelfeldlinie der Hannoveraner herum und anschließenden Flanken oder Einrückbewegungen.

Hannovers Ansatz

Hannover verteidigte aus einer 4-4-2-Grundordnung heraus. Interessanterweise variierten die Breite der ersten beiden Reihen und die Passivität der Mittelfeldakteure. Teilweise blieben beide Flügelspieler tief und hielten keine enge Verbindung zur Mitte. In anderen Fällen war wiederum eine starke Ballorientierung der Flügelspieler erkennbar, wenn sich beispielsweise Harnik bis in den linken Halbraum bewegte, um Fandrich zu decken.

Dadurch blieben die Niedersachsen in der Mitte kompakt und ließen keine langen Ballbesitzzeiten von Aues Zentrumsspielern zu. Aber, wie bereits angesprochen, war der Druck auf den Flügeln nicht derart hoch. Erst nach dem Übergang in die tiefere Verteidigungsphase fächerte sich die Mittelfeldreihe breiter auf beziehungsweise wurde geschlossen zum Ball verschoben.

In der zweiten Hälfte der ersten Halbzeit presste Hannover höher und stellte Aue bei Abstößen am Strafraum quasi zu. Obwohl die beiden vordersten Pressingspieler in Unterzahl waren, konnten sie durch schnelles Anlaufen des jeweiligen Verteidigers, der an der kurzen Strafraumseite den Ball von Torwart Martin Männel erhielt, unkontrollierte Pässe erzwingen.

Baute Hannover selbst auf und sah sich mit dem Auer Pressing konfrontiert, so übernahm Salif Sané eine dominante Rolle. Der Innenverteidiger schob teilweise weit nach links oder unternahm kurze Vorstöße. Das häufigste Muster im Hannoveraner Aufbau ergab sich allerdings aus schnellen Passfolgen gegen das lenkende Anlaufen der Auer. Der Pass erfolgte zumeist auf einen Sechser, der sich vom Gegenspieler leicht entfernen konnte, oder auf Maier. Anschließend wurde der Ball direkt auf die Außen weitergeleitet, wo Hannovers Außenverteidiger oder Flügelspieler etwas Platz für Vorstöße hatten.

Gegentreffer und zweite Halbzeit

In der 35. Minute erzielten die Hausherren den Ausgleich durch Köpke. Nachdem Kalig einen Steilpass abfing, spielte er einen schnellen Pass auf Fandrich, der sich außerhalb der gegnerischen Doppelsechs positioniert hatte. Er ging kurz nach innen. Mario Kvesić fiel zurück und zog Sané mit sich, wodurch sich Platz für Köpke im Rücken Sanés ergab. Fandrich lupfte den Ball hinter die Abwehrkette Hannovers auf den Auer Stürmer. Dieser spitzelte den Ball an Torwart Philipp Tschauner vorbei und schob zum 1:1 ein. Kvesić, der wieder tief in den Halbraum zurückgefallen war, ließ den Ball durch und ermöglichte eine Nazarov-Verlagerung auf Rizzuto, dessen Flanke landete auf dem Kopf von Köpke, der das Tor knapp verfehlte.

Zur Halbzeit wechselte André Breitenreiter Maier aus und brachte Iver Fossum. In diesem Zuge änderte er die Grundordnung in ein 3-4-3. Fossum spielte als zweiter Sechser neben Schmiedebach. Anton agierte fortan als rechter Halbverteidiger. Die gegnerische Formation war de facto gespiegelt und Hannover spielte sehr mannorientiert in der zweiten Halbzeit.

Im Aufbau versuchten die Hannoveraner über die Breite der Fünferkette, um die erste Pressinglinie Aues zu umspielen. Auffällig war zudem, dass die Sechser der Hausherren keine enge Deckung gegen Fossum und Schmiedebach praktizierten sondern absichernder vor der eigenen Abwehr blieben. Dies wurde den Auern beim 2:1 durch Harnik in der 59. Minute jedoch zum Verhängnis. Florian Hübner gewann den Ball im Duell mit Nazarov. Nach dem Anspiel auf Fossum kann sich dieser drehen und das Feld vor sich kurz scannen. Ein präziser Hebelpass hinter Kalig landete bei Füllkrug, der zuvor in den Rücken des Auer Verteidigers gestartet war. Seine direkte Flanke in die Mitte wurde von Harnik verwertet.

Bei Aue wurde nach der Halbzeitpause Tiffert auf der rechten Seite aktiver. Er versuchte dadurch lokale Überladungen zu erzeugen und sich dem Zugriff der gegnerischen Doppelsechs zu entziehen. Ansonsten blieb bei Aue alles beim Alten. Zudem hatten Köpke und Nazarov die Seiten gewechselt, weshalb Letzterer seine Kombinationsstärke auf dieser Außenbahn einbringen konnte, während Köpke weiterhin auf die Rückfallbewegungen von Kvesić reagierte und die Außenbahn Hertner überließ.

Im Anschluss an den zweiten Gegentreffer probierte Aue vermehrt aus der Aufbaureihe heraus Kvesić anzuspielen, der dann für schnelle Ablagen auf die Halbstürmer oder Außenverteidiger sorgen sollte. Mehrfach gab es bei Angriffen über links auch den Versuch eines Verlagerungsballs auf Köpke. Allerdings wurden diese Verlagerungen mit der Zeit zu vorhersehbar und die langen Bälle waren meist auch zu hoch und langsam, um Durchbrüche auf der rechten Seite vorzubereiten.

Tedesco brachte mit Cebio Soukou und Sören Bertram noch zwei frische Kräfte in positionsgetreuen Wechseln. Insgesamt erzielten die Auer in der Schlussphase der Partie zu wenig Raumgewinn. Der Angriffsrhythmus der Hausherren war zu eintönig. Torgefahr ging lediglich nach Flanken aus. Den Ausgleich in der Nachspielzeit erzielten die Hausherren gegen ein nunmehr tief verteidigendes Hannover nach einer Verlagerung nach links, einer Kopfballweiterleitung, einem etwas glücklich gewonnen Zweikampf von Breitkreuz und einem am Ende technisch hochwertigen Distanzschuss von Nazarov.

Fazit

Insgesamt präsentierten beide Teams eine ansprechende Zweitligapartie mit interessanten Aufbau- und Pressingansätzen. Die Auer konnten gerade unter Einbeziehung ihrer Flügelverteidiger und Halbstürmer für offensive Gefahr sorgen. Und obwohl das Zentrum teils unterbesetzt war, schafften es Fandrich und Tiffert gelegentlich, Torchancen durch die Mitte vorzubereiten.

Bei Hannover wurde die individuelle Klasse an vielen Stellen deutlich. Das direkte Passspiel der Niedersachsen sowie die grundsätzliche Durchschlagskraft im letzten Drittel war von Aue nicht immer zu verteidigen. Die Formationsspiegelung in der zweiten Halbzeit sollte wohl diese individuelle Überlegenheit noch stärker ausnutzen. Defensiv blieb der Aufstiegskandidat aber bis zum Schlusspfiff nicht sattelfest.

Schorsch 24. April 2017 um 20:25

Interessante Analyse dieses Spiels. Danke an CE! Ich habe lediglich die Zusammenfassung im TV gesehen, die nicht sehr aussagekräftig war (und es vielleicht auch nicht sein kann). Aber es ist schon bemerkenswert, wenn in der 2. Bundesliga ein Abstiegskandidat auf der berühmt-berüchtigten ‚Augenhöhe‘ mit einem Aufstiegskandidaten spielt.

Ich muss zugeben, dass ich in den letzten Spieltagen die 2. Bundesliga doch etwas sehr aus den Augen verloren habe. Sowohl Aue, als auch die 96er haben einen neuen Trainer. Ichn stell mir nun die Frage: Was genau haben nun Tedesco und Breitenreiter bei ihren Teams in taktischer Hinsicht geändert? Und was konnte man davon in diesem Spiel sehen? Eine kurze Info wäre prima!

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