Brasilien holt das ersehnte Olympia-Gold
Nach zahllosen Anläufen wird der Rekordweltmeister erstmals Olympiasieger. Eine Systemumstellung brachte den Gastgeber nach mäßigem Turnierstart in die Spur und ins Finale, wo sich gegen Horst Hrubeschs deutsche Auswahl ein packendes, intensives Match entwickelte.
Teil 1: Brasiliens „Trendwende“ und der Weg ins Finale
Nach dem durchwachsenen und ernüchternden Start mit zwei torlosen Remis gegen Südafrika und den Irak kam das brasilianische Team auf dem Weg zum großen Traum von der Goldmedaille im richtigen Moment doch noch in Tritt. Ab der dritten Gruppenpartie, dem überzeugenden 4:0 gegen Dänemark, agierten die Brasilianer mit einer veränderten Struktur, die Trainer Rogério Micale besser wie effektiver ausrichtete und interpretierte. Vor einer Doppelsechs bildete der Coach eine Art Viereroffensive aus Neymar, Gabriel Jesus, Gabriel Barbosa und dem neu ins Team kommenden Luan.
Umstellung auf 4-2-4(-0)
Dieses flexible 4-2-4-0-artige Gebilde lebte zwar einerseits von bewegungsreicher Fluidität und Rochaden zwischen den jeweiligen Halb- wie Außenstürmern. So konnten Neymar, der nicht mehr aus so breiter Position starten musste, und Gabriel Jesus halblinks ihre Positionen tauschen oder kleinräumig kombinieren, während die beiden anderen Kollegen durch gegenläufige Diagonalbewegungen etwa gegen Dänemarks Abwehrkette immer wieder Löcher zwischen das Herausrücken rissen, durch die man nach schnellen Direktpässen hindurch brechen konnte. Doch stand das Ganze auch auf einer sehr klaren Struktur, die bis zum Halbfinale immer deutlicher wurde: Die beiden nominellen Halbstürmer ließen sich vielseitig in die Tiefe fallen und besetzten den Zwischenlinienraum, die äußeren Kollegen zogen in höherer Position vom Flügel in Richtung Mitte, attackierten die Löcher an der letzten Linie und sorgten für Zug in die Spitze.
So entstand eine strukturell klare Anlage in der Rollenverteilung. Schon gegen Dänemark drang Brasilien so gerade über Neymar erfolgreich zwischen die Reihen ein und konnte dann erfolgsstabil Bälle hinter die Abwehr anbringen. Auch Kolumbien wurde im Viertelfinale souverän bezwungen, wie man überhaupt das System geschickt für Kontrolle durch die präsenten Zurückfallbewegungen der Halbstürmer nutzte. Diese holten sich in dennoch aufgefächerter Staffelung ruhig die Bälle ab und ermöglichten einen stabilen Kern im Feldzentrum, aus dem heraus das Leder – wenn der Weg in die Tiefe nicht möglich war – auch gut zirkuliert werden konnte.
Halbfinal-Gala gegen Honduras
Im Halbfinale gegen Überraschungsteam Honduras kamen die Vorzüge der veränderten 4-2-4-0-Ausrichtung besonders gut zum Tragen. Die beiden Gabriels konnten weite Teile der gegnerischen Fünferkette binden, die aus der Tiefe einleitenden Halbraumdribblings von Neymar und Luan gut aus den Räumen vor oder neben der gegnerischen 5-4-1/5-3-2-Ordnung beginnen. Hinzu kam, dass das Team von Trainer Jorge Luis Pinto in Sachen Kompaktheit, Abstände, Intensität, Abstimmung zwischen den Linien oder Passwegsversperrung deutlich unter jenem taktischen Niveau blieb, das dessen Costa Rica bei der WM 2014 gezeigt hatte. So konnten die aus den Halbräumen eröffnenden Sechser das passive Pressing Honduras´ problemlos überspielen und zu einfach mit Vertikalpässen die Mittelfeldreihe überwinden.
Dahinter warteten Luan und Neymar für das weitere Vorgehen auf die Bälle. Manchmal dribbelten sie auch erst noch auf die Mittelfeldreihe zu und nutzten kleine Pärchenbildungen und Doppelpässe zur Dynamikaufnahme. Hierfür boten sich auch die Sechser situativ gut an, wechselten zwischen engen Formierungen und Ausweichen, auch in tiefen Zonen, um intensivere Pressingphasen anzulocken und dann gruppentaktisch zu öffnen, ebenso wie für die Tempoaufnahme im zweiten Drittel, indem einzelne Gegner herausgelockt und überspielt wurden. Die gruppentaktische Raumnutzung hatte sich enorm gesteigert. Das etwas ungeordnete Herausrücken der gegnerischen Halbverteidiger hatte lange Wege und fand kaum Zugriff, öffnete einige Male ungeschickt die von Brasilien angestrebten Räume und Passkanäle. Exemplarisch und sinnbildlich war das einfache 3:0.
Ambivalente Eindrücke gegen den Ball
Unter diesen Vorzeichen konnten auch die brasilianischen Außenverteidiger – gegen Dänemark noch immer wieder selbst die Empfänger solcher Zuspiele in den Rücken der Abwehr – diesmal tiefer bleiben und häufiger absichern. So hatte das Team mehrmals bei Konteransätzen Honduras´ noch eine Viererkette hinter dem Ball, deren Mechanismen sie auch sehr sauber und fokussiert zu nutzen versuchten. Überhaupt zeigte sich die linientaktische Arbeit dieses Mannschaftsteils – trotz einzelner herausrückender Bewegungen Rodrigo Caios – mit diszipliniertem und ausgewogenem Abwarten als wichtiges Element. Im Finale gegen Deutschland sollte die Kette etwas weniger betont werden, die Endverteidigung und einige absichernde Phasen Zecas wurden aber dennoch wichtig.
Vor der abwartenden, auf Passivität, Stabilität und innere Kohärenz ausgerichteten Viererkette zeigte Brasilien eine weiträumige Defensivarbeit, die dann von der Abwehr bei Bedarf aufgefangen werden sollte. Teilweise zeigten die Gastgeber enorm frühes, aggressives Anlaufen der vorderen Spieler, teilweise verteidigten sie auch mal etwas lascher im 4-4-2. Kleinere Nachlässigkeiten kamen vor allem bei der Absicherung der nicht selten riskanten Herausrückbewegungen vor. Der potentielle Druck in den vordersten Linien und die Arbeit der Kette reichten aber aus – bis zum Finale blieb Keeper Weverton komplett ohne Gegentor. Auch die Doppel-Sechs leistete dafür einen wichtigen Beitrag: Das Duo dort zeigte sich beim Nachschieben nach außen mit Geschick und guter Zugriffsfindung. Im Übrigen entschied sich Micale dort nach der Umstellung für eine interessante Aufteilung: Oft agierte Kreativmann Renato Augusto etwas tiefer und gestaltete von hinten den Aufbau, während der grobschlächtige Walace den leicht höheren Part einnahm.
Insgesamt konnte sich Brasilien im Laufe des Turniers also enorm steigern und lieferte in den drei letzten Partien vor dem Gold-Match jeweils sehr überzeugende Auftritte. Gewisse kleinere Einschränkungen ließen sich aber durchaus noch machen: Zwischenzeitlich wurde der Fokus auf längere Direktpässe hinter die Abwehr zu groß, die Entscheidungsfindung und Dynamik zum Tor waren beim Ausspielen nicht immer klar genug. Das Gegenpressing hätte noch aktiver sein können. Neben den typischen Bewegungsmustern aus der Grundstruktur heraus wirkten die Varianten im Offensivmovement bisweilen eher improvisiert und taktisch nicht ausreichend geschärft – viel hing dann auch von Individualität und jener Improvisation ab.
Teil 2: Das Spiel um Gold
Einerseits war das Kritik auf sehr hohem Niveau, andererseits machte aber das emotional aufgeladene Finale gegen die deutsche Olympia-Auswahl schließlich deutlich, dass dadurch gegen stärkere Gegner bisweilen die letzte Durchschlagskraft abging. Die Seleção startete beeindruckend in dieses Spiel um Gold und konnte insbesondere in der ersten halben Stunde viel Dominanz erzeugen, scheiterte mit interessanten, jedoch oft unsauberen Ansätzen häufig an der letzten Linie. So waren die Gastgeber bei den Abschlüssen lange Zeit klar zurück, strahlten aber immer viel Gefahr aus und sorgten für konstante Unruhe, während Deutschland eher punktuelle, aber prägnantere Offensivmomente hatte – wie die viel besprochenen Aluminium-Treffer.
Deutschland startet gefährlich
Beide Teams gingen nach ihren Halbfinal-Erfolgen ohne personelle Änderungen ins Match. Bei der Auswahl von Horst Hrubesch hatte sich im Laufe der Olympiade ein 4-2-3-1 herauskristallisiert – mit den Benders als Sechser-Duo, einigen 4-1-4-1-Phasen, gefährlichen Rochaden über die drei Offensivakteure Brandt, Meyer und Gnabry sowie gutem, vielfältigem Timing in nachrückenden Bewegungen. Vereinzelt konnte in diesem Finale gerade das Aufrückverhalten der Außenverteidiger Probleme bei der teilweise improvisierten brasilianischen Flügelverteidigung verursachen und kleinere Schwächen in der Koordination beim Übergeben oder bei fehlendem Doppeln aufdecken.
So gab es in der Anfangsphase flotte Momente über Schnellangriffe und Konter. Zwar rückten die brasilianischen Sechser einige Male sehr gut und aufmerksam weit auf die ballnahe Seite herüber, doch besonders bei sehr vertikal vorgetragenen Angriffen wurde der Rückraum als ihre Achillesferne deutlich, etwa bei der Brandt-Gelegenheit. Ins Abwehrdrittel wurde nicht immer ganz zurückgerückt, bei den hohen Pressingphasen zu Spielbeginn umgekehrt weit herausgeschoben: Neymar und Luan machte lange Wege gegen die Innenverteidiger und Horn, während Walace teilweise weit auf Sven Bender herausschob. Die Mittelfeldlinie sicherte das horizontal nicht immer optimal ab, so dass die Deutschen – wenn Walace nicht schnell genug zurückeilen konnte – nach langen Schlägen immer mal Räume zwischen den Linien erhielten. Gefährlich wurden diese Lücken hinter dem Herausrücken beispielsweise bei Meyers abgefälschtem Abschluss kurz vor der Pause, sehr viele Szenen nach längeren Bällen entschärften aber die starken Marquinhos und Rodrigo Caio.
Wenige Aufbauakzente in Richtung Gnabry und Co.
Ansonsten kam Deutschland – abgesehen von diesen Szenen über Flügelunordnung und Rückraum – aber nur wenig zum Zuge. Gerade die offensive Dreierreihe um Brandt und Gnabry fand kaum entscheidend in die Partie. Im Aufbau eröffnete die Mannschaft oft aus einer Dreierreihe, indem Sven Bender zentral zurückfiel oder links neben Süle ging. Das wurde aber zunächst sehr zögerlich ausgespielt und über die verbleibenden Mittelfeldspieler wussten sie eher wenig Präsenz zu erzeugen: Lars Bender konnte sich in verbindender Rolle nur bedingt einbringen, Meyer fiel zwischenzeitlich quasi auf dessen Höhe zurück, so dass man sich im Umkreis der ersten Verteidigungslinie Brasiliens kaum mehr nach vorne lösen konnte.
Deren Sechser übernahmen ihre deutschen Gegenspieler im Zweifel auch mal in Mannorientierungen. Wichtig für die Gastgeber war vor allem die Einbindung der nominellen Flügelstürmer, die sich im Mittelfeldpressing häufig etwas enger als die weiträumigen Zentrumsspieler bewegten. So halfen sie gut beim Verstellen direkter Passwege in die Halbräume, wo sich die deutschen Offensivakteure effektiv die Bälle hätten holen können. Gerade Gnabry wurde so viel Präsenz genommen, während Brandt und Meyer zumindest einige Ansätze beim Versuch fokussierter Überladungen halbrechts hatten. Letztlich fehlten für die entscheidende Weiterführung gegen Brasiliens Innenverteidiger und deren teilweise aggressive, wilde Rückwärtsbewegung aber dann doch Gnabry und die letzte Abstimmung.
Brasilien im Aufbau
Wie auf Seiten der deutschen Auswahl gab es auch bei Brasiliens Aufbauszenen viele Bewegungen aus dem defensiven Mittelfeld nach hinten. Gerade Renato Augusto sollte die Bemühungen strukturieren, wechselte sich mit Walace ab. Der Weg zwischen die Innenverteidiger kam dabei zwar vor, jedoch seltener als bei Deutschland. Vielmehr bevorzugten die Brasilianer das Herauskippen zur Seite, um aus dem Halbraum gegen die Mittelfeldkette zu eröffnen. Das gab ihnen mehr Möglichkeiten, auch wenn sie teilweise vier zentrale Akteure vor dem Ball und außerhalb der passiven Defensivformation Deutschlands hatten.
Auf rechts bewegte sich Walace noch etwas höher und aggressiver, teilweise in Verbindung mit Zecas Einrücken in den Halbraum, um Passwege auf Gabriel Barbosa zu öffnen. Hiergegen blieb das Hrubesch-Team aber stabil. Insgesamt stellte ihr Mittelfeldpressing eine weit größere Herausforderung für die einleitenden Zuspiele Brasiliens dar als die nicht so ausgewogene Ausführung Honduras´. So erwiesen sich auch die formativen Übergänge zwischen 4-2-3-1 und 4-1-4-1 – insgesamt recht gut abgestimmt – mit einigen starken Bewegungen von Lars Bender als wertvoll, um Schnittstellen zwischen den Spielern asymmetrischer verstellen sowie Räume spontan zuschieben zu können.
Kleinräumiges Engenspiel weit außen
Halblinks brachte Renato Augusto aber gegen die 4-1-4-1-Phasen doch einige wertvolle Pässe durch die Mittelfeldlinie hinter die Achter auf Neymar. Nicht nur deshalb konnte sich Brasilien aus dem Aufbau heraus – obgleich beide Teams ähnliche Präsenznachlässigkeiten im Mittelfeld hatten – insgesamt doch besser nach vorne arbeiten und mehr Ansätze verbuchen. Im Wesentlichen waren dafür zwei Punkte ausschlaggebend, die sich jeweils stark auf die bevorzugte linke Seite der Seleção konzentrierten – sowohl wegen Renato Augusto als auch wegen der Offensivanlage. Zum einen wählte Brasilien im Zweifel den Weg über außen, eröffnete aggressiv über Douglas Santos und spielte sich dann einfach an der Außenlinie vorwärts – teilweise selbst in vielbeinige Engstellen hinein.
Das ging auch schon mal mit dem Kopf durch die Wand. Aus konditionellen Gründen schien Deutschland hier einige Male nicht ganz konsequent nachschieben zu können. Douglas Santos legte den Ball nach außen, suchte Dribblings und bot sich zentraler wieder an, Neymar oder Gabriel Jesus schirmten das Leder individuell ab und versuchten sich durchzuwühlen. Teilweise schien man Erfolgsstabilität bewusst zu ignorieren und suchte sich mit Einzelaktionen und Unterzahlüberladungen von drei bis vier eng stehenden Akteuren halblinks zum Strafraum zu spielen. Oftmals rochierten beide nominellen Stürmer herüber, auch Renato Augusto schaltete sich punktuell mit Dribblings und Kreativmomenten ein.
Einige Male konnten die Individualisten zwei, drei Leute umkurven oder das Leder von außen zwischen doppelnden Gegnern hindurch in eine kleine Halbraumlücke auf einen Kollegen weiterleiten. Diese Tempoaufnahmen sorgten für Geräuschpegel und deuteten immer wieder Gefahr an, für den entscheidenden Durchbruch fehlte aber oft die letzte Sauberkeit. Teilweise waren die Unterzahlen zu gravierend, gerade die simple Einbindung des oft breit bleibenden Gabriel Barbosa ermöglichte nur wenige Synergien zum weiteren Ausspielen. Außerdem hatte das deutsche Team einige sehr starke Momente im Abwehrpressing, ein recht stabiles Kettenspiel im Zentrum und zeigte sich auch aus dem Mittelfeld heraus sehr geschlossen in der Restverteidigung und Rückwärtsbewegung. An der letzten entscheidenden Aktion prallte Brasilien oft ab.
Brasilianische (An-)Dribbelnutzung
Zum anderen war der im ersten Durchgang brillant aufspielende Ex-Leverkusener einer der Schlüsselakteure für die brasilianische Dribblingspielweise. Hier konnten sie punktuell ihre im Halbfinale demonstrierten Qualitäten einbringen. So versuchten sich Neymar und Luan einige Male tiefer die Bälle abzuholen, um dann anzutreiben und nach vorne zu starten. Sie starteten nicht nur in kleine Freiräume, sondern liefen oft auch auf einzelne Mitspieler zu, schnitten sich kurz selbst den Raum ab, um dann mit explosiven Doppelpässen und Ablagen wieder Dynamik in eine völlig andere Richtung aufnehmen zu können. Bei Renato Augusto kam neben Improvisation auch kluge Vorausplanung hinzu, die sich bei individuellen Abstoppbewegungen, Drehungen und überraschenden Dribblingeinsätzen zeigte.
Es ging also nicht immer unbedingt darum, einzelne Gegner auszuspielen, sondern mit bewusster Provokation mannschaftliche Bewegungen auszulösen, um dann diese per Dribbling zu bespielen oder überraschend die Richtung zu verändern. Das half bei der Überwindung des Mittelfelds enorm. Teilweise nutzte der Mittelfeldmann etwa Walace als robuste und unorthodox ballsichere Ablagestation, um dann zu beschleunigen und einzelne Kollegen einzusetzen. Daraus entwickelten sich oft Einleitungen für die unsauberen, spontanen Kleinraumangriffe mit Neymar und Co. Auch wenn letztlich nicht allzu viele klare Endprodukte dabei heraussprangen: Die vielen Dribblings zogen viele Fouls und Freistöße, aus denen Mitte der ersten Halbzeit das 1:0 möglich wurde.
Feldvorteile als wichtiges Pfund
Zudem trug dieser Stil dazu bei, dass Deutschland nach hinten gedrängt werden konnte. Die Brasilianer machten immer wieder viel Raumgewinn, zogen dann Gegenspieler auf sich und schufen Hektik. Es gab viele Momente mit angefangener oder angedeuteter Rückzirkulation, in denen die Spieler dann individuell plötzlich nach vorne aufdrehten und aggressiv in kleine Räume und/oder Engen dribbelten. Gerade Renato Augusto mit seiner fast strategischen Nutzung dieser Rhythmuswechsel lieferte ein gutes Beispiel dafür, wie effektiv dieses Mittel sein kann, um die Festigkeit der gegnerischen Struktur aufzuweichen. Die deutschen Spieler wurden zu vielen Richtungswechseln gezwungen und mussten immer wieder die Abstimmung zwischen den einzelnen Linien anpassen.
Das wirkte leicht zermürbend und trug möglicherweise dazu bei, dass man einige Prozentpunkte weniger kollektiv und intensiv Zugriff erzeugen konnte, entsprechend gegen Brasiliens Energie im Mittelfeld etwas weniger Gegengewicht hatte. Auch die über links gestarteten Angriffe fanden oft in engen Räumen statt, wo schnelles und aggressives Gegenpressing möglich war. Da sich das Geschehen teilweise so besonders weit außen abspielte, konnte sich Deutschland nach Ballgewinnen aus den abgedrängten Szenen kaum richtig lösen. Dagegen setzte Brasilien viel Intensität, einige wilde Herausrückbewegungen der Sechser und das weiträumige Absichern der letzten Linie.
Am Flügel war auch die Absicherungsorganisationsstruktur zwischen Außenverteidigern und Mittelfeld recht gut angelegt. Insgesamt gab es somit nur wenige Phasen, in denen die deutsche Auswahl ihr Spiel mal wirklich geordnet aufziehen und sich selbst Präsenz schaffen konnte. Im Angriffsdrittel hatten sie kaum einen Fuß in der Tür. Letztlich hielt Brasilien daher vor der Pause zwar nicht das Chancenübergewicht, aber konnte sich deutliche Feldvorteile sichern. Sie setzten jeden Ball unter Druck, liefen viele Befreiungsversuche ab und konnten das umkämpfte Spielgeschehen häufiger in die deutsche Hälfte verlagern. Zu dieser Gemengelage trug wiederum die deutlich passivere Pressinganlage der Deutschen bei. Brasilien erhielt im Aufbau mehr Zeit, Deutschland hielt sich einfach seltener in vorderen Zonen auf.
Hrubesch stellt um, Meyer gleicht aus
Angesichts dieses Phänomens war der Halbzeitrückstand für das deutsche Team besonders unangenehm. Im ersten Teil des zweiten Durchgangs gelang es ihnen jedoch effektiv, sich dagegen zu wehren. Vor allem die Anordnung der ersten Aufbaulinie wurde von Horst Hrubesch angepasst: Die Halbverteidiger fächerten nun breiter auf und rückten zielstrebiger mit Ball nach vorne. Da bei Brasilien auch die Intensität nachließ, kamen sie häufiger am Sturmduo vorbei und konnten deren Defensivformation besser auseinanderziehen. Insgesamt kam Deutschland so besser nach vorne und konnte die gegnerische Verteidigung stärker unter Druck setzen, die dadurch ihre Abstände häufiger anpassen und das Herausrücken komplexer koordinieren musste.
Teilweise wurde die Improvisation dabei hektisch, zudem gab es in der zweiten Welle manche Möglichkeiten, indem man die bisweilen wilden Klärungsversuche aufsammelte. Allein die Tatsache, häufiger und kontrollierter in Tornähe zu kommen, brachte mehrere Folgeentwicklungen mit sich: etwa, dass man Vorstöße der Außenverteidiger einfach automatisch druckvoller aus der Zirkulation bedienen konnte. Die Belohnung für diese dominanteste Phase der deutschen Auswahl war Max Meyers Ausgleich, als er sich mal wieder kleinere Freiheiten im Rückraum verschaffen konnte.
Bis ins Elfmeterschießen
Zwischenzeitlich hatte sich Brasilien verstärkt auf Konter fokussiert, etwa indem Gabriel Barbosa rechts vermehrt höher blieb und auf Umschaltmomente lauerte. Diese Route blieb auch bis zum Ende für die Gastgeber sehr bedeutend, mehr noch als vor der Pause. Die genaue Anordnung der Offensivabteilung wurde von Rogério Micale immer mal wieder umgestellt: Luan bekleidete zunehmend verschiedene Rollen am Flügel, Neymar wurde häufiger nach Dribblings von links mit Querpässen im Rückraum gesucht. Dafür ging einige Male der eingewechselte Felipe Anderson als einleitender Vorbereiter nach links, der sonst die andere Außenbahn besetzte und sich mit diagonalen Sprints ins Sturmzentrum für Neymars Schnittstellenpässe bei Schnellangriffen und Kontern anbot.
Zum Ende der regulären Spielzeit sorgten die Brasilianer somit schließlich noch einmal für eine letzte Drangphase, mit vielen brenzligen Momenten und Abschlüssen. Rechts gab es noch einzelne rochierende Dreiecksbildungen mit Läufen von Luan und Walace, aber ohne Sauberkeit. In dieser Phase machte sich zudem immer mehr bemerkbar, dass der deutschen Auswahl die Kräfte schwanden. Bis auf eine umgekehrte Zwischenphase hatten sie auch in der Verlängerung nur noch wenig Entlastung. In der Extra-Zeit machte sich aber bei Brasilien etwas Vorsicht breit. Sie scheuten häufiger die Engen, wollten keine Konter riskieren und schienen auch mental nicht mehr bereit für aufreibende Aktionen. So griffen sie einfacher um den deutschen Block herum an, mit direkten Pässen in die Spitze und dem Weg zur Grundlinie. Es blieb beim 1:1 und ging ins Elfmeterschießen.
Brasilien erfüllte sich den Traum vom lang ersehnten Olympia-Gold, das in ihrer Titelsammlung noch fehlte. Horst Hrubesch beendet seine Trainer-Karriere mit einer starken Silbermedaille.
33 Kommentare Alle anzeigen
MG 22. August 2016 um 14:38
Frage zum letzten Elfer von Neymar, der meiner Meinung nach komplett während seines Anlaufes abgestoppt hat, was nach den neuen Regeln ab 1.6.16 nicht mehr erlaubt ist. Gibt es da für Olympia etwa Extraregeln ( so wie der Test der Einwechslung eines 4. Feldspielers in einer Verlängerung) oder hat Neymar nicht Komplete abgestoppt (was ich nach Studium des Videos nicht so sehe)?
savona 23. August 2016 um 10:09
Beim Anlauf darf er es, beim Schuss nicht. War schon mal Thema bei Bonuccis Ausgleich bei der EM.
ES 23. August 2016 um 10:42
Zu dem Elfer von Neymar kam mir ein anderer Gedanke, weiß aber nicht ob das Blödsinn ist: Eigentlich bin ich kein Freund von Elfern, die nicht flach oberhalb der Graßnarbe geschossen werden, weil einfach sonst das Risko zu hoch ist, dass der Elfer entweder übers Tor geht oder halbhoch ideal haltbar für den Torwart ankommt. Neymar hält im Anlauf den Oberkörper extrem tief, läuft fast gebückt an und schießt dann hoch. Ideal, wenn man hoch, aber nicht übers Tor schießen will?
savona 23. August 2016 um 11:10
Mag sein. Zidane etwa kam jedenfalls im WM-Finale 2006 auch ohne solche Präliminarien zurecht.
savona 23. August 2016 um 11:17
Vermutlich ist es einfach Neymars Art des Anlaufs, unabhängig davon, ob er hoch oder flach schießt. Siehe Chile WM 2014.
Schorsch 23. August 2016 um 13:37
Zumindest gerät er so nicht in Rücklage… 😉 Nein, ohne Flachs, entscheidend ist immer die richtige Körperhaltung in Relation zur Bein-/Fußhaltung beim Schuss. Wenn diese Relation gewahrt ist, spielt es weniger eine Rolle, ob der Oberkörper des Schützen etwas aufrechter oder tiefer ist. Da spielen allerdings wieder andere Faktoren eine Rolle. Z.B. Körpergröße oder Relation Beinlänge zu Oberkörper. Oder ob der Schütze mit dem Spann oder Innenseite schießen will (mit dem Außenrist dürfte beim Elfmeter eher selten geschossen werden, obwohl ich auch das schon erlebt habe). Ich glaube allerdings nicht, dass Neymar sich solche theoretischen Gedanken gemacht hat, bevor er seinen ‚Stil‘ gefunden hat. Ich gehe eher davon aus, dass er vieles ausprobiert und dann sich dafür entschieden hat, was ihm die höchstmögliche Sicherheit bei der Ausführung gibt. Ganz gleich, ob er hoch oder flach schießt.
Übrigens ist die sicherste Art einen Elfmeter zu verwandeln, hoch zu schießen. Weil es für den Torwart dann nicht möglich ist, an den Ball zu gelangen. Sicherlich besteht immer die Gefahr eines Fehlschusses, aber bei den meisten Fehlversuchen (absoluit und relaltiv) handelt es sich um flache bis halbhohe Schüsse. Man muss schon sehr flach, äußerst plaziert und mit hoher Geschwindigkeit neben den Pfosten (à la Andi Brehme) schießen, damit dem Torwart keine Chance bleibt. Das ist risikobehafteter als der Schuss in die obere Hälfte des Tores.
Gh 23. August 2016 um 17:53
AUs persönlicher Erfahrung: probierts mal aus, was Neymar macht, man merkt schon ein anderes Kontrollgefühl, gerade wenn man Richtung Winkel abzielt. Und ich bin jetzt körperlich Neymar nicht so ähnlich. Man kann den Ball einfach ziemlich kontrolliert und trotzdem scharf schaufeln. Zidane hat mE nach ähnlich über den Ball gebeugt geschossen.
ES 23. August 2016 um 19:12
Das sieht bei mir einfach Scheiße aus, auch wenn die Elfer besser reingehen würde. Lieber erhobenen Hauptes daneben schießen. 🙂
Morimont 23. August 2016 um 19:46
Diese Regel mit der oberen Torhälfte hat allerdings Hedvig Lindahl im HF gegen Schweden–Brasilien zumindest in einem Fall widerlegt (der zweite gehaltene war wohl knapp unter der Mitte). Es reicht da bei ausgesprochenen Elfmeterkillerinnen und Elfmeterkillern nicht mehr aus, nur knapp über 1,22 zu zielen. Der 11er von Süle war übrigens perfekter Brehme-Style, Ginter hats auch so versucht, aber weniger plaziert, was deswegen fast schiefgegangen wär. Geht so also auch.
Schorsch 23. August 2016 um 23:10
Je höher, desto unerreichbarer. Regelgerechtes Torwartverhalten vorausgesetzt. Auch wenn das Fehlverhalten à la Bürki im DFB-Pokalfinale 2016 mit der Regelanpassung nun härter sanktioniert wird und die Referees die Keeper vor dem Elfmeterschießen darauf gesondert aufmerksam machen, so bin ich mir sicher, dass da nach wie vor versucht wird, den Winkel etwas zu verkürzen. Aber kommt der Schuss mit der notwendigen Geschwindigkeit (Vollspann), dann ist auch der Schuss direkt auf den Torwart nicht haltbar, wenn er hoch (quasi ‚unter die Latte‘) kommt. Andi Möller hat seinen Elfmeter so seinerzeit im Elfmeterschießen gegen England bei der EM 96 (Halbfinale) verwandelt. Es war der letzte und entscheidende Elfmeter.
Beliebt ist auch das ‚Ausgucken‘. Kann aber genauso in die Hose gehen wie die anderen Möglichkeiten. Mitunter gehen auch so Schüsse wie z.B der von Gnabry ins Tor. Wobei es für den Keeper gar nicht so leicht ist, direkt neben ihm platzierte Schüsse zu halten. Für die Fußabwehr
ist die Distanz zu groß und mit dem Abtauchen geht es oft nicht schnell genug. So rutscht der Ball unter dem Körper durch.
Süle hat seinen Elfmeter in der Tat in ‚Andi-Brehme-Manier‘ verwandelt. Allerdings nicht ganz so flach. Der Keeper der Brasilianer war in der richtigen Ecke, hatte aber keine Chance. Vor allem, weil der Ball hart geschossen war (Vollspann) und somit eine hohe Geschwindigkeit entwickelte. Ginters Elfmeter war gar nicht so viel weniger präzise, aber doch weniger hart geschossen (Innenrist). Der Keeper hatte deshalb eher die Chance, heranzukommen (er hat ihn ja auch noch berührt).
HW 23. August 2016 um 20:59
Wurden die Regeln beim Elfmeter schon wieder geändert?
Schorsch 23. August 2016 um 23:44
Nein. Regeländerungen/-anpassungen/-präzisierungen der FIFA hat es per 01.06.2016 gegeben. Sie waren somit bereits bei der EM gültig.
Der Groninger 22. August 2016 um 14:12
Um nicht missverstanden zu werden: Es ging mir gar nicht um irgendeine deutschtümelde Medaillengiererei, sondern schlichtweg um die Qualität des Finales (und des Turniers an sich). Es stimmt schon: Die deutsche Mannschaft hat überraschend stark gespielt, und die Meinung zur Innenverteidigung teile ich voll und ganz. Ein Duo Weigl-Kimmich im Mittelfeld hätte aber noch einmal eine ganz andere Passsicherheit und Aufbauqualität gebracht als die rustikalen oberbayerischen Zwillinge. Und die Schwäche im 9er-Bereich ist ja leider auch im A-Kader zu sehen, aber was Selke im Finale geboten hat, war dann doch noch einmal von besonders bescheidener Art, und Petersen war leider keinen Deut besser.
Schorsch 22. August 2016 um 22:13
Sicherlich wären Weigl und Kimmich spielerisch eine andere Hausnummer gewesen als die Bender-Zwillinge. Aber zum einen haben Weigl und Kimmich an der EM teilgenommen (auch wenn Weigl ohne Einsatz blieb) und kamen so absprachegemäß von vorneherein nicht infrage. Zum anderen haben die Benders für defensive Stabilität gesorgt, was bei einem derartigen Turnier in einem relativ unerfahrenen Team von großer Wichtigkeit ist. Was Selke anbelangt, so war seine Leistung im Finale in der Tat sehr enttäuschend, da dürfte es keine zwei Meinungen geben. Völlig ohne Bindung, kombinativ ein Ausfall und Räume hat er für seine Mitspieler auch kaum geschaffen. Was Petersen anbelangt, so sehe ich seine Leistung etwas anders. Klar, auch er hat keine Bäume ausgerissen. Doch „keinen Deut besser“ als Selke? Es ist für einen eigentlichen Strafraumstürmer schon nicht gerade optimal, zu einem Zeitpunkt eingewechselt zu werden, wenn sein Team (aus welchen Gründen auch immer) immer weniger in die Nähe des gegnerischen Strafraums oder gar in diesen hinein gelangt. Dafür hat er mMn seine Sache ordentlich gemacht. Zumindest hat er versucht, sich als Anspielstation anzubieten, sich in unbesetzte Räume zu bewegen und seine Mitspieler einzusetzen. Sicherlich kann man das alles besser machen. Aber auch ein Gomez hätte in dieser Spielphase wohl kaum mehr bewerkstelligen können. Allein Petersens Pass von der rechten Außenlinie über ein oder zwei brasilianische Abwehrspieler hinweg auf Brandt, der diesen Ball mit dem hohen rechten Fuß per Außenrist auf das gegnerische Tor schlenzte, sorgte für 100% mehr an Gefahr für den Gegnern, als es Selke mit sämtlichen seiner Aktionen vorher vermochte. Ich sehe es nach wie vor so, dass der Wechsel Selke / Petersen früher hätte erfolgen müssen. Was Petersens gesamte Turnierleistung anbelangt, so hat er das ‚geliefert‘, was von ihm erwartet wurde. In seinem (aufgrund des Gegners sicherlich sehr zurückhaltend zu bewertenden) einzigen Spiel von Beginn an hat er die erforderlichen Tore erzielt. Wenn er eingewechselt wurde, konnte er für Entlastung sorgen und im Halbfinale hat er dann auch ein Tor erzielt. Dass er seinen Strafstoß im entscheidenden Elfmeterschießen nicht verwandeln konnte, sollte man ihm nicht vorwerfen und das tut auch niemand. Das ist schon ganz anderen Spielern passiert.
HW 23. August 2016 um 21:03
Fazit: Für eine B-Mannschaft (früher Mal A2 genannt) mit wenig Vorbereitung nicht schlecht.
Ich finde das ganze olympische Männerturnier fragwürdig. Diese U-23 (+3 ältere Spieler) gibt es sonst nie. Entweder man lässt die A-Elf spielen oder man macht ein echtes Jugendturnier. Oder man geht ganz weg vom Großfeldfußball bei den Männern und lässt Futsal oder Hallenfußball spielen.
Schorsch 23. August 2016 um 22:32
Es gibt einige wenige Sportarten, bei denen die olympischen Spiele mit nationalen oder kontinentalen Meisterschaften kollidieren und sich immer wieder Probleme hinsichtlich der ‚Bestbesetzung‘ ergeben. Das sind durchweg solche Profisportarten, in denen sehr viel Geld im Spiel ist. Als es zu früheren Zeiten die Amateurregelung bei Olympia gab, waren die sog. ‚Staatsamateure‘ der Staaten des früheren Ostblocks bevorteilt. Da war die A-Nationalmannschaft (nicht nur im Fußball) gleich der Olympiaauswahl. Die Profis z.B. aus den US-Profiligen sind erst seit der Öffnung für professionelle Sportler bei Olympia dabei. Im Eishockey gibt es aber mWn nach wie vor Probleme mit der Abstellung von Spielern aus der NHL, sofern deren Teams noch in den play offs vertreten sind (ob dies noch so ist, weiß ich nicht genau). Aber immerhin sind die zur Verfügung stehenden stärksten Spieler dabei. Im Basketball hat das ‚Dream Team‘ 1992 Maßstäbe gesetzt. Aber wenn Olympische Spiele stattfinden (der Zeitrahmen ist genau definiert), dann wird halt auch kein Liga-Basketball gespielt. Im Fußball finden vorher immer irgendwelche Kontinentalmeisterschaften statt, die Meisterschaftssaison beginnt gerade oder steht kurz vor Beginn, es finden CL-/EL – Qualifikationsspiele statt, etc. Da haben die Clubs keinerlei gesteigertes Interesse, Spieler für die Olympia-Auswahl abzustellen, und erst recht keine A-Nationalspieler, die ein paar Wochen vorher bereits ein großes Turnier gespielt haben. Die FIFA verzichtet ja auch auf eine Abstellungspflicht. Die ‚U 23‘ ist da zum einen ein Kompromiss mit den nationalen Fußballverbänden, aber vor allem auch mit den Clubs. Aber die ‚U 23‘ ist durchaus auch logisch. Zum einen gibt es in diversen Kontinentalverbänden eine ‚U 23‘ als Nachwuchsnationalmannschaft der einzelnen Mitgliedsverbände. Für den Bereich der UEFA gilt dies nicht, da war die U 21 – EM das Qlympia-Qualifikationsturnier. Da teilnehmenden Spieler sind bis zum Stattfinden der Olympischen Spiele nicht älter als 23.
Früher gab es z.B. in Deutschland parallel eine A-Nationalmannschaft, eine B-Nationalmannschaft (bis 1986), eine U 23 – Nationalmannschaft (bis 1973) und eine Amateur-Nationalmannschaft (bis 1979). Letztere bildete auch die Olympia-Auswahl. ‚Amateure‘ gibt es schon lange nicht mehr, wobei ‚Vertragsamateure‘ im Grunde auch Profis waren. Und A-Nationalspieler werden immer jünger. Früher war es eine Ausnahme, wenn ein Uwe Seeler oder ein Franz Beckenbauer in ganz jungen Jahren in die A-Auswahl berufen wurden. Heute ist dies eher schon die Regel. Weil auch in den Clubs die Spieler in immer jüngeren Jahren zum Profikader stoßen und vielfach auch bereits ‚Stammspieler‘ sind. Was dann wiederum die Abstellungsbereitschaft der Clubs sinken lässt.
Nichtsdestotrotz halte ich die ‚U 23 – Lösung‘ für Olympia für einen tragfähigen Kompromiss. Was die Regelung mit den 3 älteren Spielern anbelangt, so bin ich mir unschlüssig. Es gibt sicher gute Gründe dafür sowie dagegen. Ich kann jedenfalls damit ‚leben‘.
Der Groninger 22. August 2016 um 09:15
Wäre interessant gewesen, die deutsche Mannschaft mit Weigl, Kimmich und Sané zu sehen, plus vielleicht mit einem Spieler von internationalem Gewicht à la Kroos, Özil oder Gomez (wie es die Brasilianer ja auch gemacht haben).
Felixander 22. August 2016 um 09:49
Ich glaube nicht, dass D daran gescheitert ist, dass die falschen Leute dabei waren.
Starke Leistung mit Pech im Abschluss. Sowas entscheidet eben Finals. Silber ist trotzdem top und es ist beeindruckend, dass so Jungs wie Brandt und Meyer auf dem Niveau abliefern und sogar im Elfmeterschießen die Nerven behalten.
Ebenfalls positiv: Ginter ist jetzt nicht Weltmeister und Goldmedaillengewinner 😉
HK 22. August 2016 um 10:29
Die erste Mannschaft war bei Deutschland o.k. Aber dahinter, auf der Bank, war nicht mehr viel Substanz vorhanden.
Zu Brandt: Über sein Potential muss man nicht diskutieren. Aber vielleicht mal über den katastrophalen physischen Zustand in dem er in Brasilien angekommen ist.
Hat mich in Bezug auf seine weitere Karriere etwas skeptisch gestimmt.
Ich musste dabei immer an den Spruch von Ronaldo (?) denken: Ich muss mich nicht erst in Form bringen, ich BIN in Form!
Sollte ein Brandt mal drüber nachdenken, was das bedeutet.
felixander 22. August 2016 um 10:34
Ich weiß, was du meinst. Brandt hat sehr häufig ziemlich platt gewirkt. Aber wäre er nicht häufiger ausgewechselt worden, wenn er wirklich so fertig war wie er aussah?
HK 22. August 2016 um 10:55
Was mich zuerst fast schon schockiert war die beeindruckende Plauze mit der er sich in den ersten Spielen präsentiert hat. Die hat er im Laufe der Wochen natürlich abgearbeitet, aber dass du so schwer für 90 Minuten auf Touren kommst ist ja klar.
Und zum Auswechseln: Dazu haben Spieler hinter der ersten Elf gefehlt. Es wäre Brandt wohl auch zu gute gekommen nicht immer über die volle Distanz zu gehen, oder mal ein Spiel auszulassen. Aber das gab der Kader wohl nicht her.
So war er in jedem Spiel der erste der abgebaut hat und regelmäßig nach einer Stunde ziemlich am Ende war.
Jammerschade. So lange er „dabei“ war hat er ein paar beeindruckend feine Bälle gespielt.
Schorsch 22. August 2016 um 10:45
Ich sehe es ähnlich, allerdings mit Einschränkung. Diese Einschränkung bezieht sich auf den Gesamtkader. Während Hrubesch im Prinzip immer eine passable Startelf aufgeboten hat, so waren seine Wechseloptionen doch beschränkt. Sieht man einmal von Petersen ab (der mMn im Finale zu spät für den völlig bindungslosen Selke eingewechselt wurde), so fiel die individuelle Qualität der Spieler auf der Bank doch ab. Hrubesch hat nicht von ungefähr sein Wechselkontingent auch in den vorangegangenen Spielen bei engen Spielständen kaum ausgenutzt, wenn ihn nicht Verletzungen dazu gezwungen haben. Nichts z.B. gegen Prömel, aber er konnte einen Lars Bender (der durchaus auch so seine Probleme hatte) nicht annähernd ersetzen. Die deutsche Elf verlor den Zugriff im Mittelfeld (was nicht nur, aber auch am personellen Wechsel lag), was einer der Gründe für die brasilianische Dominanz in der Schlussviertelstunde war. Der Ausfall von Goretzka gleich im ersten Spiel war mMn schon eine Schwächung.
Meyer habe ich im Finale wie auch Gnabry trotz seines Tores nicht so überzeugend gesehen. Er hat sich häufiger zurückfallen lassen (müssen), das war situationsbedingt. Er hatte aber für meinen Geschmack zu viele Ballverluste, seine Entscheidungsfindung empfand ich öfters als unglücklich und seine Pässe mitunter zu ungenau.
Das ‚Prunkstück‘ des deutschen Teams (ich schrieb es bereits an anderer Stelle) war mMn der Defensivverbund, insbesondere die Innenverteidigung. Zunächst mit Abstimmungsproblemen, wurden Ginter und Süle von Spiel zu Spiel souveräner. Zu Ginter: Ich sehe das Ironiezeichen hinter Deinem Satz, dass es positiv sei, wenn Ginter nun nicht Weltmeister und Goldmedaillengewinner sei. Ich stehe aber diesbezüglich auf dem Schlauch, was dies bedeuten soll.
Zum Elfmeterschießen: Meyer war nicht unter den Schützen. Für mich hatte es sich irgendwie abgezeichnet, dass den deutschen Schützen ein Fehlschuss unterläuft. Während die Strafstöße der Brasilianer sämtlich sehr souverän verwandelt wurden, waren einige Elfmeter der deutschen Spieler doch recht wackelig bzw. nur mit einigem Glück im Tor gelandet. Zudem war der brasilianische Keeper fast immer in der richtigen Ecke (und an zwei Strafstößen dran), während Horn mit seinen Entscheidungen fast immer falsch lag. Aber letztlich ist eine Entscheidung im Elfmeterschießen immer auch ein wenig Glückssache.
PS Danke an TR für den mMn sehr guten Artikel. Es wäre aus meiner Sicht auch schade gewesen, wenn man bei sv.de das Finale dieses Turniers nicht mit einer Analyse gewürdigt hätte. Einige Worte zur Entwicklung des deutschen Teams im Turnierverlauf hätten mich noch etwas glücklicher gemacht, aber man kann ja bekanntlicherweise nicht alles haben… 😉
felixander 22. August 2016 um 10:55
Bin einfach kein großer Ginter-Fan und würde es anderen Spielern mehr gönnen, so eine Titelliste zu haben. Aber gut, bei Olympia war er wirklich eine Säule, die Medaille hat er sich natürlich verdient.
savona 22. August 2016 um 12:03
Die Antipathie muss ja wirklich groß sein, wenn man ihm trotz ansehnlicher Leistung eine mögliche Goldmedaille nicht gönnt, nur weil er sich auch ohne Einsatzzeiten Weltmeister nennen darf, wofür er schließlich nichts kann. Nach dem desaströsen HF gegen Portugal vor einem Jahr hat er die Einstellung einiger Mitspieler, ohne konkreter zu werden, kritisiert und einen für die Junioren unvorteilhaften Vergleich mit dem A-Team von 2014 gezogen. Das kam selbstverständlich nicht überall gut an. Dem Olympia-Team nun unter demselben – jetzt überschwänglich gelobten – Trainer (da sieht man mal wieder, wie kurz das Gedächtnis der meisten ist: vor einem Jahr galt er mit seiner gutmütigen Art durchaus als mitschuldig am enttäuschenden Ausscheiden) kann man solche Defizite nun wahrlich nicht nachsagen. Ginter als maßgebliches Mitglied auch dieses Teams hat da doch wohl insgesamt einen recht positiven Beitrag geleistet. Da er sich meines Wissens mit dem WM-Titel zumindest öffentlich nicht brüstet – außer dass er mal, siehe oben, seine Erfahrungen von 2014 kritisch eingebracht hat -, gibt es aus meiner Sicht wenig Anlass für irgendwelche Schadenfreude ihm gegenüber.
Schorsch 22. August 2016 um 14:06
Generell bin ich der Auffassung, dass man sich als Teil eines Teams mit Kritik an seinen Teamkollegen in der Öffentlichkeit bedeckt halten sollte. Lahm hatte so etwas nach der EM 2012 ja auch getan, auch vergleichend (mit dem esprit de corps bei der WM 2010). So etwas sorgt immer für böses Blut. Kritik muss sein, aber intern geübt werden. Ist jedenfalls meine Meinung, gespeist aus eigener Erfahrung. Insofern hat Ginter mit seinen Äußerungen, so allgemein sie auch gehalten waren, aus meiner Sicht nicht sehr klug agiert.
Interessant ist der Vergleich aber schon, wie ich finde. Horst Hrubesch, der sich immer als ‚Zulieferer‘ für die A-Nationalmannschaft verstanden hat, führte nach dem Finale etwas sehr Bemerkenswertes an. Die Spieler seines Olympiateams hätten während des Turniers gelernt, was es benötigt, um zu einer Mannschaft zusammenzuwachsen (sinngemäß wiedergegeben). Da war möglicherweise auch die Zusammensetzung des Kaders entscheidend. Nicht so sehr hinsichtlich der individuellen fußballerischen Qualität, sondern hinsichtlich dessen, was so gerne (und oft missverständlich) als ‚Charakter‘ bezeichnet wird. Gut möglich, dass vor einem Jahr die diesbezügliche Kaderzusammensezung nicht sehr glücklich war und sie dieses Jahr eben gestimmt hat. Insofern kann es durchaus auch ein Glücksfall gewesen sein, dass der eine oder andere Spieler aus dem letzten Jahr nun nicht mit dabei war. Ob man Hrubesch nun als ‚gutmütig‘ sieht und dies vielleicht auch kritisieren mag, ist die eine Sache. Es kommt aber immer auch darauf an, inwieweit der einzelne junge Spieler das Angebot, das ihm mit dem in ihn gesetzten Vertrauen gemacht wird, auch zu schätzen weiß und rechtfertigt. Die Bender-Zwillinge und Nils Petersen jedenfalls gelten diesbezüglich als vorbildlich und waren bestimmt eine richtige Wahl als die drei Spieler jenseits der Altersgrenze von 23.
Unter dem Strich hat Hrubeschs ‚Gutmütigkeit‘ auf die gesamte Zeit seiner Tätigkeit im Nachwuchsbereich des DFB gesehen mMn doch deutlich mehr Positives bewirkt denn Nachteiliges.
ES 22. August 2016 um 14:58
Ich fand Meyer trotz seines Tores überzeugend. Ich glaube, dass er wegen seines im Grunde sehr einfachen Spiels oft unterschätzt wird. Aber seine Pässe haben sehr sehr oft das richtige Timing, und sind gerade in der Entscheidungsfindung sehr reif. Nicht nur im Endspiel hat er sich oft sauber gelöst, einen genau abgestimmten Pass auf Gnabry oder Brandt gespielt, um sich dann wieder da freizustellen, von wo aus er schließlich das Tor gemacht hat. So frei stand er im Turnier mindestens 10 mal ohne da auch nur annähernd so sauber angespielt zu werden wie er seine Kollegen bedient.
Zu Gnabry: ich fand ihn gerade in der zweiten Halbzeit (wahrscheinlich nach einer Ansage von Hrubesch) viel stärker und mannschaftsdienlicher als in der ersten. Er hat dann nicht mehr seine unsinnigen Dribblings versucht, sondern den Ball sauber behauptet, und wieder zurück oder in die Mitte gespielt.
Schorsch 22. August 2016 um 18:16
D’accord zu Gnabry. In der ersten Halbzeit hat er auf mich den Eindruck gemacht, er sei auf einem ‚Ego-Trip‘. Ob seine Dribblingversuche allerdings immer ‚unsinnig‘ waren, sei dahingestellt. In der zweiten Halbzeit des Finales spielte er deutlich mannschaftsdienlicher, das habe ich auch so gesehen. Anzunehmen, dass Hrubesch ihn da in der Halbzeitpause ‚eingenordet‘ hat. Inwieweit die Effektivität dadurch gesteigert wurde, ist eine andere Frage. Zumindest seine Ballverluste wurden klar minimiert. Was Meier anbelangt , so kann es durchaus sein, dass ich zu denjenigen gehöre, die ihn aufgrund „seines im Grunde sehr einfachen Spiels“ unterschätzen. Ich bezog mich allerdings mit meinen Äußerungen nicht auf seine allgemeine Spielweise und auch nicht auf seine Turnierleistung, sondern spezifisch auf das Finalspiel. Und da hat sein Spiel in den genannten Kriterien nach meinem (sicherlich subjektiven) Eindruck nicht ganz die Qualität erreicht wie in den Spielen zuvor, auch wenn sein Verhalten beim Tor klasse war. Das mag (wie erwähnt) an der Erfordernissen gelegen haben, die sich aus dem Spiel des zentralen Mittelfeldes ergeben haben oder auch dem Gegner geschuldet gewesen sein. Dass Max Meier ein sehr begabter Spieler ist steht mMn außer Frage.
ES 22. August 2016 um 22:05
Unsinnig waren die Dribblings von Gnabry deshalb, weil sie sehr absehbar erfolglos waren. DIe haben nichts beim Gegner durcheinander gebracht, aber die Gefahr von Gegenstößen bei unsortierter eigener Stellung heraufbeschworen.
Zu Meyer: Ich hatte Dich schon richtig verstanden, dass Du mit der Performance von Meyer in konkret diesem Spiel nicht zufrieden warst. Ich war es schon, fand auch, dass gerade dieses Endspiel als ein schönes Beispiel für seine sehr reife und mannschaftsdienliche Spielweise, seine tolle Ballbehauptung in engen Situationen, und sein enorm sauberes Passspiel gelten könnte. Aber Du hast schon recht: Das ist auch subjektiv, und jeder hat seine eigene Auswahl von Szenen im Kopf, die für das eine oder andere spricht. Perfekt war sein Spiel sicher nicht, dafür war er wie die anderen offenbar zu müde.
Übrigens kurz zu seinen Schwächen, die, wie ich finde, auch wieder gut zur Geltung kamen: 1) Er kann kaum einen wirklich langen und hohen Ball spielen, er bevorzugt den kleineren bis mittleren Raum. Das ist manchmal bei Kontern etwas nachteilig. 2) nicht so zweikampfstark, wird aber immer besser mit zunehmender körperlicher Robustheit 3) im Pressing verhält er sich nicht geschickt, Gutes Anlaufen mit Deckungsschatten oder geschickte Arbeitsteilung innerhalb der vorderen Reihe ist nicht so sein Ding. Aber ich hoffe, da kann ihm der Weinzierl diese Saison was beibringen.
Schorsch 22. August 2016 um 22:23
Stimmt schon mit der Subjektivität. Insbesondere der fehlende lange (und schnell geschlagene) Ball in möglichen Kontersituationen hat mir gefehlt und das ist mir besonders präsent geblieben. Was das Pressingverhalten anbelangt, so war er nach meinem Eindruck nicht der einzige Offensivspieler mit Defiziten. Nun war das Pressing auch jahrelang nicht unbedingt eine Schalker Spezialität und insofern besteht begründete Hoffnung, dass sich Meier unter Weinzierl in diesem Punkt verbessern wird.
ES 23. August 2016 um 10:34
Habe gerade irgendwo gelesen, dass Meyer in seiner Jugend jahrelang parallel zum Fußball Futsal gespielt hat. Das würde sehr gut seine Stärken und Schwächen erklären, warum er sich in engen Räumen so perfekt bewegen und Entscheidungen terffen kann, warum er aber den ganz langen Ball nicht so gut und gerne spielt.
HW 23. August 2016 um 21:05
Gescheitert? Im Elfmeterschießen. Rein Formal haben sie das Finalspiel nicht verloren. So was verstehe ich nicht als Scheitern, vor allen wenn man sich seit 1988 nicht mehr qualifiziert hatte.
Schorsch 23. August 2016 um 21:23
Vollkommen richtig. Das Spiel um die Goldmedaille endete 1:1 Unentschieden nach Verlängerung. Es wurde also nicht verloren. Verloren hat man das Elfmeterschießen (5:4), das zur Ermittlung des Goldmedaillengewinners in entsprechenden Fällen vorgesehen ist.
Koom 22. August 2016 um 09:54
Sicher ist es ein interessantes Gedankenspiel. Aber unabhängig davon: Sehr fette Leistung von Deutschland. Das Finale war komplett auf Augenhöhe und es hätte auch andersherum laufen können.