Blick über den Tellerrand – Folge 34
Im Zuge der allgemeinen Olympia-Präsenz erfasst der Blick über den Tellerrand auch das olympische Fußballturnier: Die Betrachtung des Auftaktspiels des Gastgebers. Außerdem: Omiya Ardija aus Japan mit interessanter Mittelfeldbesetzung und ein Spiel, das vor allem vom Aufeinandertreffen der Formationen geprägt war.
Spiel der Woche I: Brasilien Olympia – Südafrika Olympia 0:0
Mit einem stark besetzten Kader geht Brasilien sehr ambitioniert in das Heim-Turnier bei Olympia 2016, um nun nach zahllosen Anläufen die lang ersehnte Goldmedaille im eigenen Land zu gewinnen. Der Auftakt gegen Außenseiter Südafrika verlief für das Team von Rogério Micale in einem durchaus temporeichen, eher zerfahrenen Match noch nicht so wirklich nach Plan – auch der erhoffte Sieg zum Start blieb aus.
Die Brasilianer versuchten engagiert anzukurbeln und hatten einige gute Elemente im Spiel, konnten diese aber nicht sauber genug zusammenbringen. Prägend im Aufbau waren die nach außen fallenden Bewegungen der nominellen Doppel-Acht. Insbesondere Renato Augusto forderte halblinks die Bälle im Raum neben dem Sturmpaar des südafrikanischen 4-4-2 und vor deren Mittelfeldlinie. Dadurch konnte Thiago Maia als einziger Sechser entlastet werden, der in den tieferen Zonen zwischen den beiden gegnerischen Angreifern wenig Bewegungsspielraum fand.
Etwas höher lief das Herauskippen halbrechts bei Felipe Anderson ab, der sich teilweise noch weiter zur Seite bewegte. Dafür konnte insbesondere Zeca weit in den Halbraum einschieben und diesen auch längerfristig besetzen, wohingegen Douglas Santos eher kurzfristig – innerhalb einzelner gruppentaktischer Abläufe denn strukturell – nach innen ging. Die seitliche Grundstruktur mit den herausgehenden Mittelfeldakteuren wirkte im Ganzen ambivalent. Einerseits gab es innerhalb der jeweiligen äußeren Zonen gute Ansätze im Zusammenspiel – etwa mit Renato Augusto als Unterstützung für Neymar und Douglas Santos auf links oder den drei anderen Offensivakteuren rechts.
Auf der anderen Seite bestand somit wenig Verbindung zwischen den beiden Achtern und damit zwischen den Halbräumen durch das Zentrum hindurch. Das verhinderte den letzten Fluss in den Angriffen und die Harmonie, um beispielweise Ausweichräume passend zu finden und einzubinden. Man stand in der Gefahr, sich eher in einem Kreis um das Mittelfeld und den gegnerischen Block zu formieren. Da Südafrika mit einzelnen losen Mannorientierungen arbeitete, die insbesondere am Flügel auftraten, ließen sich durch die gegenläufigen Bewegungen von breiten Achtern und einrückenden Außenverteidigern zwar schon Zwischenlücken und Schnittstellen für Vorwärtspässe öffnen.
Das wurde etwa auf links beim Zusammenspiel mit verschiedenen Dreiecksrochaden und Weiterleitungen in solche Freiräume deutlich: Douglas Santos konnte in breiter Position den mannorientierten Modiba weit außen binden und die Mittelfeldkette strecken. Renato Augusto konnte einige Male den ballnahen gegnerischen Sechser herauslocken und den Passweg in den vergrößerten Zwischenlinienraum auf Neymar finden.
Dieser dribbelte in die Mitte, um eine Aktion zu finden, oder fiel seitlich zurück, um Raum zu öffnen. Der Rechtsverteidiger wurde herausgezogen, Neymar verlängerte das Zuspiel – optional auch von Rodrigo Caio – auf den in die Schnittstelle startenden Douglas Santos. Zwischendurch ergab sich also Raumgewinn im Vorwärtsspiel, die Folgeaktionen waren aber schwierig. Insgesamt hätten bei jenen Überladungsansätzen die anderen Stürmer noch konsequenter helfen sollen. Zwar bewegte sich Gabriel Barbosa in anderen Szenen viel nach hinten, verharrte hier aber oft ballfern hoch.
Insgesamt wurde also das Zentrum mit vielen Bewegungen aus der Formation freigezogen, wo sich neben dem Barca-Superstar auch mal Gabriel Jesus oder Gabriel Barbosa im Zehnerraum für Direktpässe anboten. Allerdings waren diese Szenen auch für die individuell starken Angriffskräfte schwierig weiterzuspielen. Denn mögliche Anspielstationen standen nun sehr weit gestreut und Südafrikas Formation konnte sich immer aus kompakterer Staffelung abschneidend zusammenziehen. Das ergab teils massive, unangenehme Unterzahlen in den Folgemomenten.
Letztlich agierten die Mannen von Rogério Micale im Angriffsdrittel daher – zumal Südafrika wegen der Mannorientierungen nicht gleichmäßig kompakt angeordnet war und die Räume teilweise recht frei wirkten – mit vielen Fernschüssen und hektischen, aggressiven Vorwärtsaktionen. Das sah mitunter spektakulär aus und erzeugte Aufregung, aber war kaum sauber und klar. Fraglos spielten die geringe Abstimmung und möglicherweise nach der recht langen Vorbereitung auch Fitnessgründe eine Rolle für die geringe Durchsetzungsfähigkeit. Doch gerade die längeren Pässe diagonal hinter die Abwehr, mit denen weite Teile des Vorderfeldes überspielt wurden, waren auch schwierig zu verarbeiten.
Auch nach numerischer Überzahl in der letzten halben Stunde wurden die brasilianischen Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Angesichts jenes enttäuschenden Resultates wird es sehr interessant, inwieweit der diesmal sehr spezielle taktische Plan für das zweite Match umgestellt, beibehalten oder angepasst wird. Für Südafrika bedeutete der Auftakt einen wichtigen Achtungserfolg, um unerwartet ins Viertelfinale einziehen zu können. Übrigens waren die beweglichen Südafrikaner mit Ball traditionell ganz gut und zeigten einige ansehnliche Ansätze gruppentaktischer Natur. Dafür hatten sie auch eine besondere Aufbaustaffelung gegen Brasiliens 4-3-3/4-1-4-1 parat.
Die Abwehrkette formierte sich sehr asymmetrisch in der Art, dass der Rechtsverteidiger tiefer und enger blieb, während Mekoa weit aufrückte und Coetzee eine Halbverteidigerrolle ermöglichte. So konnte auch Dolly vom linken Flügel zentraler spielen, wenngleich das aufbauend wirklich nur sehr sporadisch genutzt wurde. Eher suchte sich der Kapitän Freiheiten für Distanzschüsse aus dem Rückraum, etwa nach Halbraumverlagerungen. Demgegenüber trat die rechte Seite mit dem individuell dribbelstarken Modiba stärker hervor, der einige gute Aktionen einleitete. Auch das bewegliche Sturmduo pendelte horizontal sehr weit zur Seite.
Da bei Brasilien die nominelle Sturmreihe zumindest im Rückwärtsgang bzw. der Raumversperrung – im Pressing war es schwankend, im Gegenpressing mit mehr Intensität auch teilweise – auch mal sehr hoch blieb, die verbleibenden Akteure in Positionierungen oder versuchten Nachrückbewegungen darauf aber etwas unkoordiniert reagierten, ergaben sich gerade hinter Neymar einige Lücken, um anzutreiben. Hier hatte Modiba einige gute Szenen. Im weiteren Verlauf konnte sich dann Mobara nachstoßend einschalten und die Lücke zwischen Innen- und Linksverteidiger anlaufen, wenn Douglas Santos herausgelockt worden war. Ein weiterer Aktivposten war der etwas fahrig agierende Motopu auf der Doppel-Sechs, der mit gutem Timing einige Vertikalkombinationen ankurbelte, bei denen Masuku mit seinen Ablagen gefiel.
Interessant zu beobachten: Omiya Ardija und ihr Mittelfeldzentrum
Im Schatten der großen Urawa Red Diamonds gibt es in der 2001 vereinigten Großstadt Saitama noch eine andere, eine kleinere Mannschaft: Omiya Ardija, die „Eichhörnchen“ genannt. Der Aufsteiger von Trainer Hiroki Shibuya macht in dieser Saison positiv von sich reden und hat viele starke Mittelfeldakteure im Kader. Mannschaftlich ragen sie gar nicht so sehr durch größere Besonderheiten hervor: Das Ardija-Team formiert sich in einer – zuletzt in der japanischen Liga generell häufiger gesehenen – 4-4-1-1-haften Formation, gegen den Ball häufig mit tiefem Mittelfeldband und großem Bewegungsradius für Ataru als Halbstürmer.
Neben ihm variiert der Mittelstürmer stark in seinen genauen Pressingpositionierungen, schließt manchmal besonders kompakt an, bleibt teilweise aber auch mal gezielt höher, um überraschend sich auf Rückwärtspressingstiche fokussieren zu können. Überhaupt zeigen sich in den vertikalen Staffelungen doch viele Übergänge: Das fängt zwischen den Sechsern an, da etwa Yokotani herausrückender agiert und dabei verfolgende Mannorientierungen aufnehmen kann. Demgegenüber sichert Kanazawa teilweise besonders tief ab, unterstützt eng an der Abwehrkette gegen die – in Japan nicht seltenen – hohen Offensivreihen.
Seine umsichtigen Qualitäten in der Rückraumsicherung kommen bei schnellem Raumgewinn des Gegners über die Flügel und Anschlussaktionen damit ebenfalls zum Tragen. Schließlich zeigen sich die Übergänge bei den situativen Herausrückbewegungen – etwa mannorientiert – der Innenverteidiger, die potentiell viel Raum sichern und sich teilweise schon mal über ihre Vorderleute hinaus nach vorne bewegen. Allzu viel sticht mannschaftstaktisch nicht heraus, wobei das die Arbeit von Trainer Shibuya nicht schmälern soll. Denn das Gesamtgefüge präsentiert sich funktional, der Coach hat für eine gute Grundstabilität sorgen können und seine Spieler passend im System angeordnet.
Individuell interessant ist nun das zentrale Kernstück der Mannschaft, die Mittelfeldzentrale aus der Doppel-Sechs und dem Halbstürmer mit zehnerartigen Ansätzen. Vize-Kapitän Shin Kanazawa gibt nicht nur den lückenstopfenden, zuverlässigen Absicherungsspieler, sondern auch allgemein den Ruhepol. Er kann den Rhythmus beeinflussen und agiert solide am Ball, zeigt zwischendurch – in sehr verschiedenen Umgebungen – auch kluge Positionierungen, um Raum zu öffnen oder Angriffsverläufe vorzugeben. Im Ganzen ist er dabei aber unpräsent und unauffällig – keiner, der wirklich das Spiel dauerhaft an sich reißen würde.
Den dominanten Ballverteiler gibt Kanazawa nicht, teilweise lässt er zögerlich Aufrückräume ungenutzt und gerade diese enorme Unterschiedlichkeit zum aktiveren Partner Shigeru Yokotani ist es, die auch dazu führen kann, dass aus dem sich eigentlich gut ergänzenden, ein schon zu gegensätzliches und dann leicht unbalanciertes Pärchen wird. Denn der eher als Antreiber agierende Yokotani schaltet sich immer wieder nach vorne mit ein, jedoch etwas fahrig. Manchmal lässt er die Aufbauverbindungen abreißen, sucht überhektische Aktionen nach vorne oder begibt sich in Situationen, die er technisch nicht gut genug zu kontrollieren vermag.
Fraglos hat er immer wieder seine guten Szenen etwa durch dynamikschaffende Ablagen nach vielfältigen Läufen. Mittlerweile scheint er speziell bei seinen Dribblings, überraschenden Ballsicherungen und explosiven Drehungen – die früher bisweilen sehr stark waren – nachgelassen zu haben. Vom Typ erinnert er an einen wirren Mark van Bommel mit etwas anderen Präferenzen im Bewegungsspiel, indem er etwas weniger von hinten heraus arbeitet. Weiterhin wird Yokotani optional auch noch auf der rechten Außenposition im Mittelfeld eingesetzt, wo er seine Fähigkeiten besser einbringen kann, während die Inkonsistenz und Inkonstanz seines Bewegungsspiels nicht so negativ wirkt wie im Zentrum.
In einem solchen Fall stehen mit Tomonobu Yokoyama und Yuzo Iwakami zwei weitere, sehr unterschiedliche Akteure für die Position neben Kanazawa bereit, die diesen teilweise auch schon gemeinsam vertreten haben. Yokoyama ist ein solider, wenig auffälliger Spieler, der vor allem durch Zuverlässigkeit und Ruhe besticht. Grundsätzlich verteidigt er gegen den Ball umsichtig und bedacht, wird teilweise aber übermäßig passiv und driftet gelegentlich fast in gedankenlose Phasen ab. Obwohl er im Vergleich mit Iwakami eigentlich der klar defensivere Akteur ist, agiert Letztgenannter dann oft etwas tiefer, wenn die zwei zusammen das Duo vor der Abwehr bilden.
Zwar ist Iwakami – im nationalen Vergleich – technisch ziemlich gut, ebenso wie in der Spielgestaltung. Vor allem beeindruckt der zunächst zehnerartig wirkende Mittelfeldmann aber mit emsiger Defensivstärke. Iwakami kann für herausragende Kompaktheit im Sechserraum sorgen, stopft klug Lücken und sichert die richtigen Räume gleichförmig und enorm zuverlässig ab. So kann er seinem jeweiligen Partner den Rücken freihalten – für einzelne Pressingaktionen mit mehr Zugriff, für kurze Pausen oder auch einfach absichernd. Prinzipiell kann er das auch in Ballbesitz und damit Kanazawa ergänzen, der sich trotz seiner ebenso zurückhaltenden, defensiven Ausrichtung punktuell nach vorne einschaltet.
Gerade das Timing bei seinen späteren Nachstößen ist teilweise herausragend harmonisch und gruppentaktisch stark an die umliegenden Bewegungen angepasst. Insgesamt überwog zuletzt aber die Variante mit Yokotani neben Kanazawa. Als offensivster Zentrumsspieler schließlich wurde lange Zeit der ehemalige Spanien-Legionär Akihiro Ienaga eingesetzt, der durch seine geschickte Positionsfindung zu guten Spielzügen beitrug. Gerade in Kombination mit dem unglaublich konstruktiv ausgerichteten, aber teilweise knapp zu durchsetzungsschwachen Dribbler Jin Izumisawa glänzte er. Doch verlor der etwas zu reaktionsträge, fast überruhige, sehr geschmeidige, teilweise Raum gut verschließende Techniker zuletzt seinen Platz an Neuzugang Ataru Esaka.
Dieser hat sich nach seinem Wechsel aus der zweiten Liga Anfang des Jahres mittlerweile ins Team spielen können. Zunächst agierte er oft noch mit Ienaga zusammen oder auf dem Flügel, derzeit als hängende Spitze hinter dem Mittelstürmer und zunehmend in entscheidender Rolle. Er zeichnet sich durch ein insgesamt gutes, vielfältiges und aktives – dabei komplettes – Bewegungsspiel aus, wenngleich schon vorwärtsgerichtet. So bringt er viele ausweichende Aktionen oder Zug in Schnittstellen auf den Platz, seine Umtriebigkeit im Pressing müsste aber noch weiträumig kontrollierend geschärft werden, denn teilweise bleibt er zu weit weg vom Ball oder sichert nur leichtfertig nach hinten.
Durch die bewegungsreiche Spielweise einerseits und seine physische, athletische Präsenz andererseits kann Ataru am Strafraum auch viel Durchschlagskraft erzeugen, ist etwa per Kopfball sehr gefährlich. Mit schnellen, explosiven Dribblings und Drehungen leitet er zudem ansehnlichste Kombinationen ein. Überraschende Elemente kann Ataru schließlich dadurch einbringen, dass er vor allem über halblange Distanzen und insbesondere auf plötzliche Weise aus dynamischen Situationen heraus eine sehr gute Passtechnik besitzt. So kann er etwa in Umschaltsituationen schwierig zugängliche Räume bedienen und Überraschungsmomente schaffen.
Spiel der Woche II: FC Utrecht – PSV 1:2
Ein reizvolles Duell stand zum Saisonstart der neuen Eredivisie-Spielzeit an: Utrecht, unter Erik ten Hag, eines der Hipster-Teams der Vorsaison gegen den zweimaligen Champion PSV. Auf beiden Seiten gab es – wie diesmal überhaupt bei vielen Klubs der Liga – in der bisherigen Transferzeit nur wenige Veränderungen und damit personell – hier auch taktisch und systematisch – große personelle Kontinuität. Die Hausherren griffen wieder auf das in der letzten Rückrunde seltener genutzte 5-3-2/3-5-2 anstelle der Rautenanordnung zurück, wobei es ansatzweise Übergänge gab. In einem typischerweise von Mannorientierungen geprägten Match kam es dazu, dass das reine Aufeinandertreffen der Formationen ein Schlüsselpunkt wurde.
Aus dem Aufbau fand der Titelverteidiger in der ersten Halbzeit überhaupt nicht ins Spiel. Bei Utrecht stand die Doppelspitze des 5-3-2 etwas breiter, um den Außenverteidigern den Halbraum zu verstellen und zumindest ein schnelles Aufrücken über die Flügel zu unterbinden. Sie bewegten sich auch im Verschieben einige Male geschickt, während die PSV aus der Innenverteidigung zögerte, die zentralen Räume zwischen Haller und Rubin anzulaufen. Dort kamen sie also nicht weiter, auch über außen waren nur einfache Pässe an der Linie möglich, wo Utrecht – je nach Höhe der PSV-Außenverteidiger und den Positionierungen der Flügelstürmer – das Herausrücken ihrer Wing-Backs einbringen konnte.
Schließlich konnten sich die Gäste auch gegen die klaren Mannorientierungen im Dreier-Mittelfeld nicht entscheidend durchsetzen. Die Bewegungsmuster beim Titelverteidiger wirkten hier noch nicht so dynamisch, auch die gruppentaktische Abstimmung mit Locadias Einrücken verlief eher schleppend. Zwischendurch sollten herauskippende Bewegungen von Guardado auf die Seiten Abhilfe schaffen, doch darauf konnte Utrecht mit mannorientiertem Herausrücken des jeweils ballnahen Achters reagieren. Das Ganze vereinfachte sogar die Deckungsschattennutzung diagonal über das Zentrum. Insgesamt gelangten die Mannen von Philip Cocu in Halbzeit eins kaum nach vorne.
Das größte Problem der PSV war, dass sie nicht wirklich Zugriff auf die gegnerischen Flügelläufer bekamen, über die Utrecht sich daher aus vielen Szenen befreien konnte. Gerade umkämpfte Situationen im Mittelfeldzentrum waren über diese Ausweichoptionen besser lösbar. Diese Momente kamen nach losen Bällen vor, nach Gegenpressingaktionen oder nach Ballgewinnen im mannorientierten Pressing, wenn die PSV zuvor über das Zentrum zu eröffnen versucht hatte. Dank der äußeren Spieler hatte Utrecht die Breite besser im Griff, konnte das Spiel schnell öffnen und hatte dann Zeit für weitere Aktionen mit Dynamik.
Auch im eigenen Pressing erwies sich die Formation Utrechts als unangenehm für den favorisierten Gast. Die PSV hatte hier ebenso Probleme damit, die gegnerischen Flügelläufer aufzunehmen. Da sie im Mittelfeldzentrum ihrerseits Mannorientierungen nutzten, konnten sie von dort nicht immer ganz zuverlässig im Verschieben unterstützen. Die eigenen Flügelstürmer sollten nicht so weit zurückfolgen, so dass teilweise Brenet und Willems weit nach vorne pendeln mussten. Mannschaftlich wirkte die Abstimmung dabei noch nicht wieder besonders gut, so dass sich zwischen Innen- und Außenverteidiger zu viele Lücken ergaben.
Bei Utrecht sorgten neben den Stürmern auch die spielstarken und bewegungsintelligenten Ramselaar und Ayoub immer wieder für Läufe genau in diese Zonen. Diese Sprints konnte Utrecht teilweise mit Direktpässen von einem der drei Verteidiger bedienen. Durch die eher zurückgezogene Ausrichtung – nur selten presste Locadia mal mit nach vorne – war oft allein Luuk de Jong in vorderste Linie, was Utrecht tief längere Zirkulationsphase erlaubte, um diese Pässe vorzubereiten. Gerade links entfachten Ramselaar, Ayoub und Co. viel Gefahr. So hatte die PSV vor der Pause erhebliche Stabilitätsprobleme, hätte gegen die dynamischen Attacken des Gegners durchaus auch höher als 1:0 in Rückstand liegen können.
Zur Pause sorgte Cocu jedoch mit der Einwechslung von Neuzugang Daniel Schwaab für eine Korrektur und stellte seinerseits auf eine Fünferkette um. Nach dem schwachen ersten Durchgang sorgte dies im zweiten Teil des Matches für ein anderes Bild. Gerade die Zugriffsprobleme auf die Flügelläufer Utrechts konnten durch die Anpassung weitgehend behoben worden. Das Herausrücken wurde vereinfacht und war besser abgesichert, es gab mehr natürliche Präsenz in jenen breiten Zonen und gegen den Ball waren die Schnittstellen der verstärkten letzten Linie besser geschützt. Der Haupteffekt zeigte sich stabilisierender Natur.
Es war nicht so, dass die Offensivbemühungen nun zu einer völligen Umkehr der Verhältnisse geführt hätten. Die Gäste brauchten auch eine gewisse Effektivität und das nötige Abschlussglück, um die Begegnung schließlich zu ihren Gunsten zu drehen. Mit der Dreierkette konnten sie aber hinten nun auch besser zirkulieren, Utrecht mal zurückdrängen und sich Raum im zweiten Drittel schaffen. Von dort war es dann einfacher, ihre bekannten Qualitäten im offensiven Bewegungsspiel, die gewohnten Abläufe usw. abzurufen. Gerade Locadia konnte sein Zurückfallen und Andribbeln aus der Halbstürmerrolle etwas klarer einbringen und leitete das zwischenzeitlich 1:1 ein. Ganz grob gesehen, konnte man diese Partie also vergleichsweise gut auf die Formationsduelle herunter brechen.
42 Kommentare Alle anzeigen
Schorsch 20. August 2016 um 12:22
Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen hat beim olympische Fußballturnier in Rio 2016 das Finale gegen Schweden und damit die Goldmedaille gewonnen! Der einzige große Titel, der dem deutschen Frauenfußball noch fehlte. Auch wenn das gesamte Turnier aus taktischer Sicht vielleicht nicht so überzeugend war, da darf man schon einmal gratulieren und sich mit Silvia Neid und ihren Fußballmädels freuen!
Apropos Sivia Neid. In ihrem 180. und letzten Spiel als Bundestrainerin hat sie mit ihrem Team den möglicherweise schönsten Sieg ihrer langen und erfolgreichen Karriere errungen. Was für ein Abschluss! Auch wenn ihre Trainerlaufbahn neben vielen Erfolgen von einigen Enttäuschungen begleitet war (wessen Karriere wäre dies nicht?), und auch wenn sie in taktischer Hinsicht bestimmt nicht zu den Innovatoren ihrer Zunft gehörte, sowar sie doch über 10 Jahre lang ‚das Gesicht‘ des deutschen Frauenfußballs und steht für Welt- und Europameistertitel sowie nun auch für den ersten Olympiasieg einer deutschen Frauenfußballmannschaft. Ich fände es sehr schön, wenn sv.de sie mit einem Artikel würdigen könnte!
Ein Zuschauer 20. August 2016 um 20:38
Das fände ich auch überaus interessant! Auch wenn es vielleicht gleichzeitig aus taktischer Hinsicht eher langweilig zu schildern ist.
Michael 27. August 2016 um 21:21
Hallo Schorsch,
Du sprichst mir aus der Seele. Ich bin seit einigen Jahren Fan der deutschen Frauen-Nationalmannschaft (vermutlich gibts nicht viele andere Österreicher, die das sind) und schaue mir die Spiele immer wieder sehr gerne an.
Zumindest einen kleinen SV-Artikel hätten sich die DFB-Damen verdient, und das nicht nurwegen der (Gold-)medaillie.
Schorsch 28. August 2016 um 10:27
Vielleicht wäre die Amtsübernahme durch Steffi Jones (die ja schon genügend Diskussionsstoff in sich selbst besitzt) eine passende Gelegenheit, sich in einer Art Rückblick, status quo-Bestandsaufnahme und Ausblick mit dem deutschen Frauenfußball zu befassen (aus sv-Sicht dabei sicherlich primär unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung im Bereich Taktik) und dabei die Arbeit Silvia Neids zu würdigen. Wobei mit ‚würdigen‘ keine unkritische Lobhudele gemeint ist, aber das versteht sich von selbst. Aber Erfolg (und auch Misserfolg) ist sicher auch, aber nur zu einem kleinen Teil eine Sache von Glück / Pech und Zufall und kommt nicht von ungefähr.
PS Als Österreicher sich für den deutschen Frauenfußball zu begeistern, ist wahrscheinlich eher ungewöhnlich. Aber wer sich für Frauenfußball interessiert, wird am deutschen Frauenfußball (ganz gleich, wie man ihm gegenüber eingestellt sein mag) nicht vorbeikommen.
savona 28. August 2016 um 14:46
Manchmal ist es lustig, die Gegenläufigkeit von Debatten zu beobachten. Sylvia Neid hat wiederholt die Fähigkeit bewiesen, mit ihren Teams auch nach durchwachsenen Leistungen und entsprechender Begleitmusik nicht etwa nur Endspiele zu erreichen – wie eine Zeitlang die DFB-Männer -, sondern sogar Titel zu gewinnen. Was dann natürlich Diskussionen auslöst. So etwa jetzt nach dem Olympiasieg, aber zuletzt auch nach dem Gewinn der EM 2013, der zumindest aus deutscher Sicht durch einen ähnlichen Turnierverlauf gekennzeichnet war. Da gab es hierzulande nicht wenige Stimmen, die die Berechtigung dieses Titels in Frage stellten und ihn, wenn schon nicht den eleganten Französinnen, dann doch jedenfalls den im Halbfinale den Deutschen unterlegenen Schwedinnen zuerkannt hätten. Diese hatten in der Tat beeindruckt, waren aber „wieder einmal“ an der Abgezocktheit der Deutschen gescheitert, was denn auch gebührend betrauert wurde. Genau zur selben Zeit lief die Diskussion zum Männerteam diametral entgegengesetzt: Schönspieler, die, wenn es ernst wird, gegen abgezockte Italiener oder z.B. einen Ibrahimovic nichts reißen. Und ein Trainer, der ohnehin keinen Titel holen kann.
Meine These: es liegt vielleicht ein wenig in der deutschen Mentalität, dass das Glas fast immer halbleer und selten halbvoll ist.
Schorsch 28. August 2016 um 17:33
Diese ‚Säue‘ werden hauptsächlich durch die Medien alternierend durch das Dorf gejagt. Das betrifft den gesamten Bereich des Journalismus, nicht nur ‚den Boulevard‘. Die sog. ‚Qualitätspresse‘ ist genauso daran beteiligt, vielleicht etwas subtiler. Suum cuique eben, dem einen etwas platter und dem anderen etwas subtiler. Kommt aber auf das Gleiche heraus. Ich halte mich mit Äußerungen hinsichtlich der Rolle der Medien gemeinhin eher etwas zurück, was ich aber nicht konsequent durchhalte. Da wir gerade beim Frauenfußball sind, dazu ein Beispiel. Vor nicht allzu langer Zeit war Nadine Keßler (die leider ihre Karriere beenden musste) über eine Phase von 2, 3 Jahren die überragende Fußballerin Deutschlands und auch in Europa und der Welt gehörte sie zu den Besten. In den Spielzeiten, in denen sie mit ihrem Team das Triple und nochmals die CL gewann, waren ihre Leistungen herausragend. Folgerichtig wurde sie zu Europas Fußballerin des Jahres und dann auch zur Weltfußballerin gewählt. Nur in Deutschland wurde sie nicht zur Fußballerin des Jahres gekürt, weil die abstimmenden Journalisten in ihrer Mehrheit Alexandra Popp gewählt haben, die in dem besagten Zeitraum alles andere als Topleistungen gebracht hatte. Der Verdacht lag nahe, dass viele einfach ihre Stimme ihr gegeben haben, weil sie relativ bekannt, in den Medien mehr präsent und Stürmerin war. Richtig Mühe gemacht haben sich diese Stimmberechtigten bei ihren Überlegungen, wem sie nun ihre Stimme geben sollten, offensichtlich jedenfalls nicht. Andererseits schreiben dieselben Journalisten Artikel über eine Silvia Neid. Da wundert mich nicht mehr so sehr viel.
Die von Dir angesprochene ‚deutsche Mentaltät‘ (Glas halbvoll / halbleer) sehe ich bei dem von Dir geschilderten Phänomen eher nicht verantwortlich. Dafür habe ich in anderen Ländern ähnliches zu oft beobachtet. Je mehr zeitlicher Abstand dann zur aktiven Zeit eines Spielers / Trainers entsteht, desto milder wird die Beurteilung und desto mehr werden die Erfolge honoriert ohne Gemäkel. Ist z.B in Frankreich ähnlich wie in Deutschland, trotz aller kultureller Unterschiede.
savona 28. August 2016 um 18:02
Du magst durchaus recht haben, ich hätte jedenfalls nicht das Geringste dagegen. Allerdings fußen meine Beobachtungen eher auf Kommentaren in fachspezifischen Blogs, also z.B. Womensoccer. Ist ja mal ganz interessant, wie auf solchen und ähnlichen Plattformen große internationale Erfolge von Insidern kommentiert werden. Neben den ein, zwei notorischen Trolls, die man auch auf den anspruchsvollsten Seiten antrifft, überrascht dann doch die insgesamt sehr kritische Grundstimmung. Viele können sich nun mal über nichts freuen.
Wo Du gerade Nadine Kessler und die unrühmliche Rolle der Medien ansprichst: auch da gibt es ähnliches im Netz zu beobachten. Gegen ihre Wahl zur Weltfußballerin wurde doch teils massiv gegiftet, sei es weil andere wie Wambach und Marta einfach viel besser seien, sei es wegen des etwas merkwürdigen Wahlsystems. Irgendein Wohlmeinender hat dann zwar herausgearbeitet, dass sie die Wahl auch bei einem ganz einfachen System, bei dem lediglich alle Stimmen addiert worden wären, gewonnen hätte. Dann war das nächste Argument ihre mutmaßlich bevorstehende Sportinvalidität (was sich mittlerweile leider bewahrheitet hat). Natürlich spielt bei dem/der einen oder anderen auch die (falsche) Vereinszugehörigkeit eine Rolle. Insgesamt aber, gemessen an den beachtlichen Erfolgen, erstaunlich viel schlechte Laune. Wie man es vom Männerfußball ja auch kennt. – Was Silvia Neid betrifft: viele, die froh sind, dass sie endlich aufhört. Eine Resonanz, auf die Löw für den Fall eines irgendwann anstehenden Rücktritts auch schon mal gefasst machen darf. Das ist aus meiner Sicht das Problem mit dem Auf-den-Sockel-stellen, das ich mit Blick auf Guardiola schon mal thematisierte. Es heißt ja, das wir Deutsche besonders stark zu diesem manisch-depressiven „Halleluja! Kreuziget ihn/sie!“ neigen. Ich kann das nicht wirklich beurteilen, halte es aber auch dann, wenn es kein Alleinstellungsmerkmal ist, für ein inhumanes Spiel.
Schorsch 28. August 2016 um 23:10
@savona
Blogs, generell ‚Netz‘ sind noch einmal eine besondere Kategorie. Je spezifischer das Forum, desto spezieller die, nun sagen wir ‚Atmosphäre‘. Spielte früher in anderen Medien der sog. ‚Zeitgeist‘ eine entscheidende Rolle, so ist es in besagten Foren oft das, was man heute gemeinhin ‚hip‘ nennt. Abby Wambach und Marta sind Spitzenfußballerinnen, da gibt es sicherlich keine zwei Meinungen. Zwei Offensivspielerinnen, die eine wuchtig, die andere eine Künstlerin. Obwohl beide sicherlich auch nicht ohne Schwächen sind, aber wer ist das schon. Sie haben aber auch immer ihre, nennen wir es ‚Lobby‘ gehabt in den Medien und in der ‚Netzgemeinde‘. Wie ‚unhip‘ (gibt es den Ausdruck?) hingegen diese defensive Mittelfeldspielerin aus der P f a l z, im S a a r l a n d fußballerisch ausgebildet, die bei Clubs wie dem 1. FC S a a r b r ü c k e n, Turbine P o t s d a m und dem VfL W o l f s b u r g gespielt hat und noch nicht einmal von der oberhipen Pia Sundhage trainiert wurde (wobei ich nichts gegen Sundhage, eine sehr gute Trainerin, gesagt haben will). Da muss man doch einfach mäkeln, oder? 😉
‚Hosianna! und Kreuziget ihn!‘ ist so alt wie die Menschheit. Da bildet der Fußball keine Ausnahme und in anderen Ländern ist dies ähnlich wie in Deutschland. So lange ich denken kann, wurde der gerade aktuelle Fußballbundestrainer z.T. ätzend kritisiert. Herberger und Schön haben in der Retrospektive einmaliges geschafft. Und wie wurden sie in ihrer Zeit angegangen. Heute werden sie uneingeschränkt als Klassetrainer wahrgenommen. Bei Derwall wurde das alles schon sehr unschön. Vogts wurde nur lächerlich gemacht, Ribbeck hatte von vorneherein keine Chance. Klinsmann wurde offen angefeindet und Löw wird immer noch kritisiert. Interessanterweise hatten Beckenbauer und Völler nicht mit diesem Phänomen zu tun. Beckenbauer war so etwas wie der Messias, das Sonntagskind. Er konnte sich als ‚Teamchef‘ ales erlauben und nichts wurde ihm übelgenommen. Dabei war er als Spieler des FCB in weiten Teilen der Fußballanhängerschaft ob seiner Spileweise als arrogant verschrieen und verhasst. Völler hingegen war sowohl als Spieler, als auch als ‚Teamchef‘ extrem beliebt und Kritik kam in der Öffentlichkeit so gut wie nicht durch. Interessantes Phänomen, wie ich finde. Ich habe so meine Vermutungen, woran dies gelegen haben mag, aber dies würde zu weit führen.
Das von dir angesprochene Phänomen, dass viele recht froh sein werden, wenn nun Silvia Neid oder später einmal Jogi Löw als Bundestrainer/in aufhören bzw. aufhören werden, hat es bei Herberger und Schön auch gegeben. Das hat auch damit zu tun, dass man mitunter einfach zu lange im Amt ist. Nicht jeder, der seine Tätigkeit lange ausübt, kann sich wie Neid mit einem großen Erfolg verabschieden. Herberger hatte die unbefriedigende WM 62 quasi als Schlusspunkt und musste zum Abschied schon ‚bewegt‘ werden. Bei Schön war es die WM 78, unschön in jeder Beziehung. Das Aufhören zur rechten Zeit ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. Oder besser vielleicht kaum jemand. Für Löw hätte es keinen besseren Moment als die WM 14 gegeben. Lahm hat es als Spieler goldrichtig gemacht, Schweinsteiger nicht.
savona 29. August 2016 um 00:59
@ Schorsch
Das sind interessante Anmerkungen von Dir. Die Dinge, die sich „in grauer Vorzeit“ abgespielt haben, kann ich aus eigener Erinnerung (Image der Bundestrainer ab Schön) bzw. Lektüre (Herberger) nur bestätigen. Auch aus anderen Lebensbereichen kennt man diesen Wandel in der Wertschätzung, z.B. beim früheren Kanzler Schmidt. Das ist auch alles nicht weiter tragisch, denn diejenigen, die solch exponierte Ämter bekleiden wissen in der Regel, dass derartige Beliebtheitsschwankungen gewissermaßen eingepreist sind.
Das was Du zum Thema Hipness schreibst, hatte ich ehrlich gesagt nicht so auf dem Schirm. Aber es klingt plausibel. Ist ja im Grunde auch ganz witzig; wieder mal eine eigene Subkultur mit ihren speziellen Standards. Irgendwann wächst man, so meine Erfahrung, allerdings aus all diesen tatsächlichen oder vermeintlichen Regelwerken heraus und hat dann die Chance, womöglich so etwas wie eine eigene Individualität zu entwickeln. „Wer bin ich?“ ist und bleibt eine der spannendsten Fragen, die das Leben uns stellt.
Naja, zu so später Stunde philosophisch zu werden, mag evtl. verzeihlich sein.
Das von mir aufgeworfenen Thema der Gegenläufig- (oder meinetwegen auch Widersprüchlich-) keit von Debatten, gerade wenn sie nicht ausschließlich mediengesteuert sind, finde ich weiterhin ganz interessant. Und zwar deswegen, weil das von mir angeführte Beispiel keineswegs ein Singular Phänomen ist. Was haben wir uns mal danach gesehnt, von unserer N11 mit ansehnlichem, auch von Menschen anderer Nationalität geschätzten Fußball verwöhnt zu werden. Als der Wunsch erfüllt wurde, war’s auch wieder nicht recht. Klar, Kritik muss erlaubt sein, ich spreche eher von dem, was man als zwanghaften Reflex bezeichnen könnte. Und der findet selbst im scheinbar Vollkommenen – das uns im Alltag ohnehin eher selten begegnet – unendlich viel Stoff, an dem er sich abarbeiten kann. Tja, wer’s mag … Ich für mein Teile finde, um auf den Olympiasieg der Fußballerinnen zurückzukommen, diesen und die sich stets erneuern Erfolgsstory der von Silvia Neid gecoachten Teams bemerkenswert, weil jeweils aktuell gar nicht mal so vorhersehbar – nur hinterher sagt man sich: „Oops, she (they) did it again.“
Schorsch 17. August 2016 um 23:39
Die deutsche Auswahl steht im Finale des olympischen Fußballturniers in Rio 2016. Chapeau, Glückwunsch und viel Erfolg für das Endspiel gegen Brasilien! Horst Hrubesch und seine Truppe haben nach einem etwas ‚holprigen‘ Start schon jetzt etwas erreicht, was sonst nur der früheren DDR-Auswahl (die mit der A-Nationalmannschaft gleichzusetzen war) geglückt war. Für ein Team, das quasi ohne Vorbereitung in das Turnier gehen musste und dessen Kaderzusammensetzung nur verbunden mit vielen Schwierigkeiten zustandekam, ist dies eine großartige Leistung. Ich würde der Mannschaft und allen voran Horst Hrubesch die Goldmedaille gönnen!
Vielleicht gibt es ja eine Analyse des Finales auf sv.de?
Schorsch 21. August 2016 um 18:42
Gold ist es nun denkbar knapp nicht geworden. Aber das schöne an Olympia ist, dass der Verlierer eines Finalspiels dennoch ein Silbermedaillengewinner ist. Und als Gewinner dürfen sich die Spieler des deutschen Fußballolympiateams und allen voran ihr Trainer Horst Hrubesch wahrlich fühlen. Aus einer quasi in letzter Sekunde nach erheblichen Schwierigkeiten zusammengesetzten Ansammlung von Spielern ohne Vorbereitung im Laufe des Turniers eine funktionierende Mannschaft zu formen, dazu gehört schon eine besondere Begabung. Horst Hrubesch ist wahrscheinlich ein Trainer, der auf einer Taktikseite eher weniger Aufmerksamkeit findet. Durchaus nachvollziehbar, Taktik scheint doch nicht zu seinen größten Stärken zu zählen. Obwohl er da vielleicht auch ein wenig unterschätzt wird. So hat er z.B. 2009 bei der U 21 EM Mesut Özil diverse Male als ‚falsche 9‘ eingesetzt, und das erfolgreich. Hrubeschs Versuche als Clubcoach sind in den 90ern doch ziemlich klar gescheitert. Erst beim DFB, und da im Nachwuchsbereich, hat er seine Domäne gefunden. Und dass, weil er ein ausgezeichnetes ‚Händchen‘ im Umgang mit jungen Spielern hat. Es dürfte kaum einen seiner ehemaligen Schützlinge geben, der dies nicht positiv heraushebt; zuletzt Julian Brandt.
Das alles hat auf einer Taktikseite wenig zu suchen. Ein kleiner Ausflug in einen anderen Aspekt des Traineraufgaben sein mir dennoch gestattet, auch aus einer gewissen persönlichen Verbundenheit heraus.
Zum Finalspiel möchte ich jenseits aller taktischen Betrachtung die mMn überzeugende Leistung des Defensivverbundes im deutschen Team hervorheben. Insbesondere die Innenverteidigung mit Niklas Süle und Matthias Ginter hat nach meinem Eindruck eine ausgezeichnete Lesitung geboten. Nach (verständlichen) anfänglichen Abstimmungsproblemen haben die beiden sich im Turnierverlauf immer mehr gesteigert. Sehr ballsicher, mit Übersicht, zweikampfstark, ansprechend in Spieleröffnung und -aufbau, souverän. Schade, dass mit dem verletzungsbedingten Ausscheiden von Lars Bender der Zugriff im Mittelfeld verloren ging. Die Offensive hat mich im Finale weniger überzeugt. Wie auch immer, sicherlich kein taktischer Leckerbissen. Aber ein Spiel zum Mitfiebern. Und trotz verlorenem Elfmeterschießen am Ende mit einem Silbermedaillengewinn als Abschluss.
Mit Hrubesch geht ein außergewöhnlicher
savona 22. August 2016 um 12:28
Der kleine Fehler, der Dir in Deinem Beitrag – dem ich allerdings uneingeschränkt zustimme – unterläuft, wirft, wie ich finde, eine interessante Frage auf, wenngleich sie nichts mit taktischen Aspekten zu tun hat:
Auch nach anderen großen Finals (CL, WM, EM) werden Silbermedaillen an die Verlierer verliehen, von diesen aber nicht annähernd so geschätzt wie die olympischen. Warum ist das so?
Mit Recht wird die Medaillenzählerei aus diversen Gründen kritisiert. Aber womöglich hat sie auf die Sportler selbst eine positive Wirkung, weil zumindest die Plätze 2 und 3 dadurch von Vornherein aufgewertet werden und der Schmerz der Niederlage gemildert wird. So ist auch ein Hrubesch, der als Trainer ja gar keine Medaille erhalten hat, dennoch über diesen 2. Platz mutmaßlich glücklicher als über einen ebensolchen in einem UEFA- oder FIFA-Turnier. Vielleicht trägt zu diesem Effekt auch der Umstand bei, dass der Sieger nicht noch zusätzlich einen Pokal erhält, stattdessen aber mit dem zweiten und dritten gemeinsam auf dem Podest steht, wodurch der sichtbare Unterschied deutlich geringer ausfällt.
Schorsch 22. August 2016 um 13:28
Dieses Phänomen hat sehr viel mit der olympischen Tradition der Siegerehrung zu tun, die sich in vielen Sportarten wiederfindet. Seit jeher werden die ersten 3 eines olympischen Endkampfes auf dem Siegerpodest geehrt. Mit einer Medaille (früher mit Lorbeerkranz), die dem erreichten Platz entspricht (Gold, Silber, Bronze). Dies ist beim Fußball außerhalb der der olympischen Spiele nicht der Fall. Es gibt nur einen Weltmeistertitel zu vergeben, einen Vizeweltmeistertitel gibt es nicht. Es findet (wie Du richtigerweise anführst) auch keine gemeinsame Siegerehrung statt. Es wird zwar eine Gedenkmedaille für den unterlegenen Finalgegner vergeben, die entspricht aber vom Sinn her nicht einer Silbermedaille bei olympischen Spielen (insofern sehe ich meine Anmerkung eher weniger als ‚Fehler‘ an, sondern mehr als spezifische Betrachtungsweise, ganz ohne Flachs). Früher war es sogar üblich, dass bei einer olympischen Siegerehrung während der Hissung der Flaggen zu Ehren der Delegation, welcher die Medaillengewinner jeweils angehören, auch alle drei Nationalhymnen gespielt wurden. Dies ist irgendwann einmal vor allem aus Zeitgründen geändert worden. Dies alles führt dazu, dass in vielen Sportarten nicht der Sieg alleine zählt, sondern ein Platz auf dem ‚Treppchen‘ (in Bayern auch ‚Stockerl‘ genannt) das vordringliche Ziel des einzelnen Sportlers ist. Dass dabei der Gewinn der Goldmedaille das Größte ist, bleibt davon unbenommen.
Sicherlich ist nach einem verlorenem Finale, gleich in welcher Sportart, die Enttäuschung des Unterlegenen zunächst groß. Aber schon bei der Siegerehrung überwiegt bei den Allermeisten bereits das Gefühl, nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen zu haben. Die Sportler jenseits des Fußballs werden dies bestätigen können.
Bei den nun zuendegegangenen Spielen in Rio war es ja auch wieder zu beobachten, welche große Bedeutung das ‚kleine Finale‘ für die Sportler hat und wie sehr ein Bronzemedaillengewinn gefeiert wird. In der deutschen Olympiamannschaft z.B sowohl beim Damen- und Herrenhockey, oder im Volleyball der Herren bei der US-Mannschaft oder beim Basketball der Herren bei der spanischen Équipe. Oder beim gewonnen Stechen um die Bronzemedaille bei den Springreitern. Ein ganz klein wenig gibt es dies beim (nichtolympischen) Fußball auch. So wird von Spielern oft der Gewinn eines Spieles um Platz 3 bei einer Fußballweltmeisterschaft (dessen Abschaffung ja immer wieder gefordert wird) als einigermaßen versöhnlicher und positiver Abschluss eines Turniers empfunden. Ein Sieg im letzten Spiel ist eben etwas anderes als eine Niederlage im Finale, zumal die sportliche Leistung des unterlegenen Finalisten eben nicht wie bei Olympia mit einer Siegerehrung und Silbermedaille gewürdigt wird. The winner takes it all, the loser’s standing small. Aber ist der Zweitplazierte ein ‚loser‘?
savona 22. August 2016 um 16:49
Besser kann man es nicht formulieren. „Fehler“ war im übrigen sicher eine zu harte Formulierung und sollte auch keine Kritik bedeuten. Mir selbst fiel nur anlässlich dieser Bemerkung auf, wie lustlos die Verlierer großer Finals oft ihre Silbermedaillen schwenken oder gleich verschwinden lassen. Nach einer solchen – nicht-olympischen – Niederlage Stolz zu empfinden, dazu bedarf es wohl besonderer Umstände, wie beispielsweise in Wembley 1966.
Koom 22. August 2016 um 17:34
Hat natürlich auch viel mit der „Gesellschaft“ und ihrer Haltung zu tun. Zweiter ist „erster Verlierer“. Finalverlierer sind in der BILD gleich Gurken, Loser, Verlierer, Versager, Bratwürste. Gerade im Fußball. Aber gerade im Fußball kommen auch regelmässig „ungerechte“ Ergebnisse zustande, weil es in der Natur dieser Sportart liegt (und dies auch einiges an dem Reiz ausmacht).
Schorsch 22. August 2016 um 20:28
Habe ich auch nicht als „Kritik“ aufgefasst, und wenn es als solche gemeint gewesen wäre, hätte ich es auch als in Ordnung empfunden. Kritik ist (wenn sie sachlich, konstruktiv und vor allem nicht überheblich ist) wichtig und notwendig. Da bricht niemandem eine Zacke aus der Krone.
Apropos Wembley 66. Hat sich ja kürzlich erst zum 50. mal gejährt, und einige damals Beteiligte kamen natürlich in der Öffentlichkeit zu Wort. Die Art und Weise, wie das DFB-Team seinerzeit die Niederlage als solche trotz des/der mehr als umstrittenen Tore/s war schon eine große Sache. Man darf die damalige Situation nicht außer acht lassen. Gut 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges war es trotz Westeinbindung der Bundesrepublik (und trotz Bernd Trautmann) noch immer eine heikle Sache als Deutscher in Großbritannien. Das Verhalten der deutschen Elf direkt im Anschluss an das Spiel (‚Platzrunde‘ mit Grußgesten an das Publikum und das Unterlassen von Lamentieren und Klagen) hat sehr viel Eindruck auf das englische Publikum und die gesamte britische Öffentlichkeit gemacht und mehr zur Aussöhnung zwischen den beiden Völkern beigetragen als so manche politische Maßnahme. In solchen Momenten ist Sport einfach großartig.
savona 22. August 2016 um 21:05
@ Schorsch: Woher weißt Du das? Hast Du es wie ich dort live gesehen? Als ich vorhin vom Schwenken der Medaillen schrieb, hatte ich das Bild mit den Schuhen vor Augen, konnte es aber nicht zuordnen und habe es deshalb lieber weggelassen (weil womöglich nur eine „schmutzige“ Phantasie von mir). Aber genau das wars. Allerdings heutzutage bei OS doch eher unüblich.
Schorsch 22. August 2016 um 23:23
@savona: Ich ging zu der Zeit noch zur Schule und war sportlich sehr aktiv und engagiert. Bei den Spielen war ich als ‚volunteer‘ dabei, wie man heute so schön zu sagen pflegt. Dabei hatte ich Gelegenheit, neben vielen Vorkämpfen bei vielen Entscheidungen dabei zu sein. Ein unglaubliches, unvergessliches Erlebnis. U.a. habe ich einige Fußballspiele gesehen und in der Tat auch das historische Hockeyfinale der Herren. Historisch deshalb, weil zum ersten Mal der Olympiasieger nicht Indien oder Pakistan hieß. Sondern Deutschland mit dem unvergleichlichen Carsten Keller als Spielführer. Historisch aber leider als deshalb, weil die pakistanischen Spieler sich bei der Siegerehrung so daneben benommen haben. Das war ein echter Skandal, und das IOC hat auch sofort und sehr konsequent reagiert. Allerdings gab es 4 Jahre später die Begnadigung. Das alles hatte ja auch noch eine politische Komponente. Der seinerzeitige pakistanische Regierungschef hat sich ganz offiziell bei der deutschen Regierung für das Verhalten des pakistanischen Teams entschuldigt.
Übrigens hatte das deutsche Teams das pakistanische zweimal geschlagen; vor dem finale bereits im Gruppenspiel. Die pakistanischen Spieler waren im Endspiel einfach zu überheblich. Das verlorene Gruppenspiel hatte man als Ausrutscher angesehen und nach dem vorherigen sieg gegen den Ezrivalen Indien fühlte man sich schon als sicherer und einzig rechtmäßiger Sieger, noch bevor das Endspiel überhaupt angepfiffen wurde. Ein Kardinalfehler, nicht nur im Sport.
Leider sind meine Erinnerungen an die Spiele 72 auch ganz bitterer Art. Die schreckliche Geiselnahme israelischer Sportler durch eine Gruppe militanter Palästinenser einschließlich der Morde an zwei Teammitgliedern und das Desaster von Fürstenfeldbruck hat uns alle bis ins Mark erschüttert. Es war so eine tolle Atmosphäre bis zu diesem Anschlag, aber von einem Moment zum anderen war alles anders. Ich bin seitdem bei vielen sportlichen Großereignissen dabei gewesen, ich habe mich nie der Angst vor Terrorismus gebeugt. Allerdings bin ich jedesmal heilfroh, dass nichts derartiges passiert ist.
savona 22. August 2016 um 23:59
Ja, das war ein schrecklicher Kontrast zwischen der angenehmen Atmosphäre zuvor und diesem brutalen Terrorakt. Ich war im Stadion bei der Trauerfeier, bei der der damalige IOC-Präsident Avery Brundage den legendären Satz „The games must go on“ sprach. Ob das richtig war, darüber war man sich damals genauso wenig sicher wie später in ähnlichen Konstellationen; die Sichtweise machte allerdings Schule und hat sich im Großen und Ganzen als maßgeblich durchgesetzt.
Ich hatte damals soeben mein Abitur gemacht und besuchte meinen im Münchner Umland lebenden Bruder. Im kulturellen Rahmenprogramm führte ich mir u.a. den monumentalen Film von Leni Riefenstahl über die Spiele von 1936 in Berlin zu Gemüte, ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Körperkult und Freude am Wettkampf für Propagandazwecke eines menschenverachtenden Regimes instrumentalisiert werden können. Das erzeugte ein überhaupt nicht wohliges Gänsehautgefühl. Dann der palästinensische Terrorakt – München 1972 ist im Rückblick für mich mit sehr ambivalenten Gefühlen verbunden, und der sportlich gesehen überragende Erfolg der deutschen Hockeyspieler verblasste leider ein wenig gegenüber den anderen Eindrücken. Carsten Keller ist jebenfalls der erste Name, der auch mir spontan einfällt aus dem damaligen Siegerteam, auch weil er eine ganze „Dynastie“ erfolgreicher Hockeyspieler und Olympiasieger(innen) begründete.
Schorsch 24. August 2016 um 17:48
@savona
Ist ja witzig. Ich habe kurze Zeit später mein Abitur gebaut und 2 Jahre später bei der Fußball-WM in Deutschland war ich dann wieder dabei, allerdings als ‚Abkommandierter‘ von meiner Bundeswehreinheit (Sportfördergruppe).
Zu dem berühmten Satz „The games must go on“ von Avery Brundage auf der Trauerfeier im Olympiastadion (bei der ich auch dabei war): Ich habe es damals als falsch empfunden, die Spiele fortzusetzen; zwischenzeitlich war ich dann schwankend in meiner diesbezüglichen Ansicht, mittlerweile bin ich wieder zu der Überzeugung gelangt, dass es falsch war. Sicherlich haben persönliche Erfahrungen dabei eine große Rolle gespielt. Insbesondere, was das Verhalten des IOC anbelangt.
savona 24. August 2016 um 21:45
@ Schorsch:
Damals schien eine Fortsetzung auch mir und wohl vielen anderen eigentlich undenkbar. Das Argument, damit hätte die Attentäter doch gerade ihr Ziel erreicht, ist andererseits – so etwa auch nach den Anschlägen von Paris im vergangenen November – nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch bleibt bei solchem „Es muss weitergehen“ immer auch ein Eindruck von Pietätlosigkeit übrig sowie ein leiser Verdacht, kommerzielle Interessen seien letztlich doch wichtiger als dass der Trauer in angemessener Weise Raum gegeben werde.
Übrigens habe ich damals auch ein Spiel des olympischen Fußballturniers gesehen: BRD vs DDR. Also das berühmte WM-Spiel von Hamburg zwei Jahre später war keineswegs das einzige innerdeutsche Duell, wie es oft heißt. Die DDR gewann auch dieses, mit 3:2 gegen eine BRD-Mannschaft mit den Torschützen Ottmar Hitzfeld und Uli Hoeneß, der kurz zuvor mit der A-Mannschaft schon die EM gewonnen hatte, wegen der bevorstehenden OS und des damals noch strengen Amateurreglements seit 1970 für den FC Bayern nicht als Profi, sondern als sogenannter Vertragsamateur spielte.
savona 22. August 2016 um 18:50
Naja, mit einer Silbermedaille halt schon, aber im Gedächtnis bleibt eben eher der traurige Blick beispielsweise eines Messi auf den Worldcup hängen. Dagegen schauten etwa die brasilianischen Beachvolleyballerinnen, von denen das heimische Publikum natürlich – genau wie sie selbst von sich – den Gewinn der Goldmedaille erwartet hatte, schon während der Siegerehrung ganz fröhlich drein.
Schorsch 22. August 2016 um 20:36
Es gibt/gab leider auch bei olympischen Siegerehrungen unschöne Szenen, wenn auch sehr, sehr selten. Z.B. bei den olympischen Spielen 1972 in München bei der Siegerehrung im Herrenhockey. Die im Endspiel unterlegenen und vorher hoch favorisierten pakistanischen Spieler wollten ihre Niederlage offensichtlich nicht akzeptieren und spielten mit ihrer silbermedaille noch auf dem Treppchen herum, teilweise wurden diese in die ausgezogenen Schuhe gesteckt. Aber wie gesagt, solche Respektlosigkeiten sind ganz rare Ausnahmen.
savona 22. August 2016 um 21:06
Das mit Olympia 72 sollte eigentlich hierhin.
Schorsch 25. August 2016 um 11:13
@savona
Ist schon ein Ding, dieses Spiel habe ich auch gesehen bzw. ‚musste‘ es sehen (hatte dort ‚Dienst‘, den ich im vorhinein mit jemand anderen tauschen konnte, genauso wie beim Finale/Spiel um die Bronzemadaille). Stehend im Innenraum, nicht weit hinter der Bank mit Derwall bzw. Buschner und den Ersatzspielern. Richtig Freude hatte ich nach den vorangegangenen Ereignissen aber nicht mehr an dem Spiel.
Ja, die Vertragsamateure. Das war so eine Konstruktion… Gut, dass die dann bald abgeschafft wurde. Uli Hoeneß war ja vorher mit der A-Nationalmannschaft Europameister geworden. Damals ging das alles noch, aber das ‚Endturnier‘ in Belgien haben auch nur 4 Teams bestritten… Der gute Uli war mMn in diesem Olympiaturnier überfordert. Von den Aufgaben her und auch physisch (beides hing wohl auch zusammen). Irgendwie sollte er alles machen; das Offensivspiel lenken, Lücken mit seinen langen Sprints reißen und gleichzeitig Tore schießen. Im deutschen Kader waren übrigens nicht wenige wirklich gute Kicker. Neben den erwähnten Uli Hoeneß und Ottmar Hitzfeld (der ja kaum bekannt war in Deutschland) waren da u.a. Manni Kaltz, Bernd Nickel, Klaus Wunder oder Ronnie Worm, neben solchen Amateur-Legenden wie Egon Schmitt oder Hartwig Bleidick. Aber letztlich hatte man keine Chance gegen die A-Teams aus dem damaligen Ostblock, die einfach erfahrener, eingespielter und individuell klar besser besetzt waren. Manche Spieler waren nicht so sehr viel älter als ich und mitunter habe ich mir gedacht: Schade, dass ich nicht zwei, 3 Jahre älter bin. Na ja, Einbildung ist auch ’ne Bildung, was denkt man nicht so alles im jugendlichen Leichtsinn… 😉
Sehr beeindruckt war ich übrigens von den Ungarn und vor allem von den Polen in diesen Turnier. Es waren klar die besten Mannschaften, die auch völlig folgerichtig das Finale bestritten. Ich war froh, dass ich dieses miterleben konnte und nicht das Spiel um Bronze, wo es doch sehr nach ‚agreement‘ roch. Weder die gute Rolle der DDR-Auswahl, noch der überragende Auftritt der polnischen Mannschaft haben mich bei der WM 74 dann überrascht. Kazimierz Deyna, einer der besten Fußballer, die ich je gesehen habe, war schon beim Olympiaturnier 72 herausragend. Und Jürgen Croy zählte immer zu meinen Favoriten als Keeper.
savona 25. August 2016 um 11:41
Ich glaube, ich habe Dich da im Innenraum stehen sehen. ????
savona 25. August 2016 um 12:37
Btw musst Du ja eine ziemliche Granate im Sport gewesen sein, das lassen Deine Randbemerkungen schon erkennen. Für mich kann ich Derartiges nicht reklamieren, außer Begeisterung, vornehmlich für Fußball hatte ich da nicht so viel anzubieten – weshalb ich mich auch hier davor hüte, mit allzu fachlich daherkommenden Beiträgen mich profilieren zu wollen. Da lese ich lieber mit einigem Vergnügen, was andere da so mitzuteilen haben.
Aber was ich noch zu U. Hoeneß‘ Überforderung anno ’72 sagen wollte: rückblickend muss sie ja geradezu als unausweichlich betrachtet werden. Diese Geschichte mit dem Status „Vertragsamateur“ hatte man ja mit ihm zwei Jahre vor den Spielen ausgehandelt, weil man ihn – wohlgemerkt einen damals 18jährigen – als unverzichtbar für die künftige Olympia-Auswahl einschätzte. Er galt eben als kommender Superstar und hat wohl in diesen zwei Jahren um dieser ehrenvollen Aufgabe willen auf einiges Geld verzichtet, für damalige Verhältnisse. Auch vor der WM ’74 wurde er, nach einer in der Tat glanzvollen Europapokalsaison, als voraussichtlich bester Spieler des Turniers gehandelt. Schlecht war sein Gesamtauftritt sicher nicht, so überragend wie prognostiziert aber auch keineswegs. Da gab es andere wie den von Dir angeführten Deyna, außerdem natürlich Cruyff und im deutschen Team wie üblich Beckenbauer. Die Erwartungen an einen 22jährigen waren einfach zu hoch.
Dieses Phänomen konnte man auch später immer wieder beobachten. Schweinsteiger wurde vor der WM 2006 ähnlich hochgejazzt, Götze ab 2011 dito, aktuell fällt mir vor allem Pogba ein. Dass diese jungen Spieler sich von derartigen Vorschusslorbeeren beeindrucken lassen, ist in Anbetracht ihrer fehlenden Lebenserfahrung nicht weiter verwunderlich. Eher spricht es für ihre sportliche und mentale Klasse, dass sie dann nicht komplett abgeschmiert sind, sondern teilweise durchaus gute Leistungen gebracht haben, nur eben – zunächst einmal – nicht auf diesem Meganiveau. Das spricht auch dafür, dass die jeweilige sportliche Leitung es letztlich geschafft hat, bei diesen jungen Koryphäen eine vernünftige Balance zwischen Anspruch und Wirklichkeit herzustellen. Eher sind es wohl Teile der Medienlandschaft, die immer wieder diesen maßlosen Hype erzeugen (müssen). Da möchte man mit Eric Burdon fragen: „When will they ever learn?“
Schorsch 25. August 2016 um 14:55
Wenn Du mich im Innenraum hast stehen sehen, mit meiner damaligen langen Matte, dann wirst du mich auch als HiWi erkannt haben… 😉
„When will they ever learn?“ Hm. Perhaps „on a warm San Franciscan Night“? 😉
Ich glaube, ein Uli Hoeneß hat aus seinen eigenen Erfahrungen als junger Spieler eine Menge gelernt und dies ist ihm in seiner Zeit als Manager des FCB auch zugute gekommen. Einem Wiggerl Kögl hat er seinerzeit erst einmal den Porsche abgenommen, den der sich gekauft hatte, als er Profi geworden war. Es ist nicht leicht, auf dem Boden zu bleiben als Jungspund, wenn auf einmal das Tor zur großen Karriere vor einem aufgeht. Das ist heute x-mal problematischer, weil alles durchprofessionalisiert ist im Fußball. Geld spielt schon bei B-Jugendlichen (wenn sie eine bestimmte Klasse haben natürlich) eine alles dominierende Rolle und die Summen, um die es da geht, sind schon beeindruckend für einen jungen Mann und seine Familie. Die ‚Berater‘ spielen da oft eine weniger gute Rolle, wobei sie durchaus ihre Berechtigung haben. Die Medien jagen heute im Sekundentakt neue Meldungen durch die Welt und brauchen ständig Nachschub, den sie z.T. selbst produzieren. Der hype und die Vermarktung bereits sehr junger Fußballspieler gehört da zum System. Im Prinzip ist dies nicht viel anders als zu damaligen Zeiten, allerdings im Ausmaß potenziert. Nicht wenige zerbrechen daran, wenn es dann doch nicht klappen sollte mit der Topkarriere. Es gibt aber durchaus positive Beispiele, wie ein junger Spieler mit großem Talent schrittweise aufgebaut und nicht unsinnig medial und sportlich verheizt wird. Jonas Hector sei hier stellvertretend genannt. Wobei wir über Ausnahmen reden. Die Regel im bezahlten Fußball ist nicht das hochbezahlte Supertalent, der zu höchstbezahlten Superstar wird. Denn „man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“, um es mit Bertolt Brecht zu sagen.
„Granate im Sport“? Nein, das kann man so bestimmt nicht sagen. Als Jugendlicher habe ich mehrere Sportarten nebeneinander ausgeübt. Das war seinerzeit durchaus üblich, zumal die Vereine damals ein breit gefächertes Spektrum an Sportarten anboten. In einigen war ich vielleicht etwas talentierter als in anderen und auch in den entsprechenden Kadern. Daher die Verbindung zu den Verbänden, über die ich letztlich zu den Spielen kam. Und das war auch entscheidend dafür, dass ich zu einer Sportfördergruppe bei der Bundeswehr kam. Die Bundeswehr hatte auch Auswahlmannschaften. Mit heutigen Maßstäben ist dies nicht zu vergleichen. Na ja, und dann habe ich Sport studiert. Da kam mit meine entsprechende Vielseitigkeit zugute. Eine sportliche Karriere erwähnenswerter Art habe ich aber verletzungsbedingt recht früh ad acta legen müssen. Dem Sport bin ich dann aber beruflich und privat immer verbunden geblieben. Neben dem Studium habe ich übrigens Fußball gespielt, hat Spaß gemacht und ein wenig Kleingeld in die Schatulle obendrein gebracht. Alles auf eher bescheidenem Niveau. Zu mehr hätte ich andere Prioritäten setzen müssen und das Talent war wohl auch nicht so groß. Für die ‚Nettoliga‘ hat es gereicht, mehr aber auch nicht.
savona 25. August 2016 um 15:45
Matte? Wenn ich heute mal Lust habe, einen Überraschungseffekt zu erzielen, brauche ich nur meinen Führerschein zu zeigen. ????
savona 25. August 2016 um 16:42
Die von Dir dargestellte Problematik betrifft in besonders hohem Maße eine Vielzahl junger Afrikaner, die mit völlig unrealistischen Erwartungen nach Europa kommen bzw. angelockt werden und dann in der Regel feststellen müssen, dass es nichts wird mit der erhofften großen Fußballkarriere.
Musiclover 8. August 2016 um 13:43
Wird es denn auch in dieser Saison wieder kaum Berichte und Analysen zur 2. Bundesliga bei Spielverlagerung.de geben? Wäre schade.
Grüße aus der Hauptstadt
kolle 8. August 2016 um 18:56
Wäre schön, nur ist das Interesse wohl (beidseitig) eher gering. Leider gibt es taktisch auch eher weniger interessante Teams (oder?)…
TR 10. August 2016 um 17:06
Ich hatte am Wochenende tatsächlich in das eine oder andere Spiel hineingeschaut, ob eine Partie interessant genug für einen kurzen, eher aspektorientierten Text, der nicht so ausführlich das ganze Spiel analysiert, sondern über den inhaltlichen Fokus mehr Auffälligkeit erzeugt, sein könnte. Ganz uninteressant war es nicht, aber hat letztlich auch zeitlich nicht für einen Text gereicht. Insgesamt versuchen wir die 2. Liga schon im Blick zu haben, sind da aber insgesamt nicht ganz so aufmerksam dran, wie man meinen sollte. Andererseits ist es eben tatsächlich so, dass nicht so besonders viel „Besonderes“ geboten würde.
Ein Zuschauer 10. August 2016 um 17:38
Aber, vergesset nicht lieber mit-Taktik-Freunde, dass dieses Jahr der VFB-Stuttgart und Hannover 96 in der Zweiten Bundesliga sind – das wird uns allerlei fundierte Berichte über die Zweite Liga auf den beiden großartigen Taktik-Bogs niemalsallein und vfbtaktisch bescheren! Wer also zweite Liga lesen möchte der wird dort einigermaßen bedient werden! Vermutlich haben wir dann zu den meisten Zweitlgiamannschaften am Ende der Saison zumindest vier Analysen.
Musiclover 11. August 2016 um 13:18
Danke für diesen Tipp. Werd ich mir mal für die Spiele gegen meinen Verein vormerken.
Grüße aus Berlin
Ein Zuschauer 11. August 2016 um 15:22
Gern geschehen!
Union-Fan?
Grüße ebenfalls aus Berlin
ES 11. August 2016 um 17:44
Für Union-Fans (und eventuell wiederum für die Anhänger des jeweiligen Gegners) findet sich noch dieser Blog: https://eiserneketten.de
Zudem berichtet Autor TW immer mal wieder auf der Facebook-Seite „Blau-weiße Taktikecke“ über den VfL Bochum.
Musiclover 12. August 2016 um 20:43
Jawoll, bin ein Eiserner.
Wird jetzt mal bei Fortuna – VfB reinschauen.
Man liest sich.
Musiclover 11. August 2016 um 13:17
Soweit ich das in Erinnerung habe, gab es am Anfang der letzten Saison kurze Schnipsel zu den Zweitliga-Spieltagen. Ausführliche Analysen könnte man zu Spitzenspielen oder den – für ein größeres Publikum zugänglichen – Montagspielen anbieten!? Gab es nicht auch mal ne Bochum-Reihe?
brasiu 8. August 2016 um 04:19
Selbstverständlich sind alle Augen auf GJ und Gabriel Barbosa gerichtet. Ich weiß nicht, ob du auch schon andere Partien dieser beiden Spieler gesehen hast. Es wäre vielleicht bisschen reduktiv, einen Urteil nur anhand dieses Spiels abzugeben. Jedoch wen findest du besser, wer hat mehr Potenzial und vielleicht eine kleine Beschreibung beider wäre richtig nice.
Ich habe selber paar Spiele von GJ bei Palmeiras angeguckt und ich finde ihn nicht besonders toll, sowohl auf außen als auch als Stürmer. Er hat einen krassen Pace aber mir ist aufgefallen dass er bei viel Platz im Sprintmodus nicht gut im Dribbling ist. Mehr in engen und statischen Situationen kann er sich durch Dribblings ganz nice in auch komplizierten Situationen lösen. Zudem ist er ein sehr direkter Spieler. Was mir auch noch positiv aufgefallen ist, dass er off the ball eine sehr gute Arbeitsrate hat, was für einen Brasilianer in der brasilianischen Liga recht ungewöhnlich ist.
Daher habe ich den Eindruck, dass GJ aufgrund seiner off the ball-Kapazitäten gruppentaktisch für Europa angebrachter ist, Gabriel Barbosa jedoch in terms of technique deutlich talentierter ist.
tobit 8. August 2016 um 22:13
Die starke defensive Beteiligung ist mir bei Jesus auch schon aufgefallen. Gerade als Stürmer hat er da immer mal ein paar Aktionen drin, die man so von brasilianischen Talenten sehr selten sieht. Aber auch Barbosa (den ich aber noch weniger gesehen habe) hat da schon gute Momente gehabt.
Technisch sind beide verdammt stark, aber Jesus wirkt auf mich insgesamt balancierter. Mal schauen was wir von den beiden in den nächsten Jahren noch sehen und hören werden – die Anlagen zu einer steilen Karriere haben sie auf jeden Fall.
TR 10. August 2016 um 17:14
Hallo, von Gabriel Barbosa hatte ich immer einen seltsamen Eindruck und bin mir auch weiterhin ob einer abschließenden Einschätzung nicht ganz sicher. Seine Entscheidungsfindung oder seine teilweise schematische Orientierung gefielen mir nicht so sehr, insgesamt halte ich ihn auf oberstem Niveau eigentlich allein in einer gut abgestimmten Mittelstürmer-Einbindung für passend. Im Vergleich gefällt mir daher – rein persönlich von der Bewertung – Gabriel Jesus besser, den ich als Spielertypen einfach mehr mag. Er ist schon noch sehr unsauber bis grobschlächtig, außerdem etwas wild und noch sehr schwankend in Sachen Erfolgsstabilität, aber mir gefällt seine engagierte Spielweise. Punktuell ist er in Sachen Durchschlagskraft aus statischen Szenen, Dribblings aus unsauberen Momenten und einzelnen ungewöhnlich guten Ballverarbeitungen schon sehr stark. Bei seiner weiteren Entwicklung bin ich mir aber auch noch unsicher, mal schauen.