Türchen 6: Dennis Bergkamp
Dennis Bergkamp. Ich weiß nicht, wie ich den Artikel zu Dennis Bergkamp einleiten soll außer mit seinem Namen. Ich hab leider nicht unendlich viel Zeit für diesen Text hier und befürchte daher, dass ich der Perfektion nicht gerecht werden kann, die das Thema ist, wenn Dennis Nicolaas Maria Bergkamp das Thema ist.
Dazu kommt, dass ich einen starken persönlichen Bezug zu Bergkamp habe. Als Knirps hab ich sein Jahrhundert-Tor bei der WM 98 gegen Argentinien live gesehen, seitdem war er mein Lieblingsspieler. Wie ich diesen brillanten, eleganten Treffer in unserem Wohnzimmer bewundern durfte, ist eine der wenigen bildlichen Erinnerungen an meine Kindheit, die ich abrufen kann. Mein persönliches Gefühl für Fußball ist dem von Bergkamp offenbar sehr ähnlich. Kollege RM meinte mal auf die Frage, wie er mein Passspiel findet: „Noch ähnlicher zu Bergkamp als dein Bewegungsspiel, oder?“ Man spielt eben so, wie man das Spiel fühlt.
Aber hier soll es nicht um mich gehen. Eher darum, wieso der „Iceman“ von so vielen zu den besten Spielern aller Zeiten gezählt wird und wieso der Respekt vor dem ruhigen Niederländer immer ein bisschen anders eingefärbt ist als der vor vergleichbaren Fußballern. Oder kommt es mir nur so vor, als sei die Wertschätzung von Bergkamps Fähigkeiten auch immer ein bisschen Profilierung? Zu sagen, Bergkamp sei einer der, sagen wir mal, besten fünf Stürmer aller Zeiten, ist doch bei weitem nicht so selbstverständlich und selbsterklärend wie das bei Ronaldo, van Basten oder Gerd Müller der Fall ist. Seine technischen Fähigkeiten werden nicht mit der gleichen Natürlichkeit angeprießen wie die von Zidane oder Ronaldinho. Dennoch gibt es normalerweise auch keine Zweifler, wenn jemand Bergkamp einen ähnlichen Status zuspricht.
Es ist so, als ob seine Brillanz nicht ganz so augenfällig, so spektakulär und nicht so aufmerksamkeitsheischend ist wie die der anderen großen Künstler des Fußballs; wer aber genau hinsieht, der fühlt, dass man ihn dennoch nicht abwerten darf. Als stehe er auf der Bühne der ganz Großen, ohne vom Rampenlicht berührt zu werden. Als sei gerade dieses Paradoxon das Besondere. Eine Art stilvoller Bescheidenheit, die ihn zu einem einzigartigen, einem spektakulär unscheinbaren Außenseiter unter den Giganten der Fußballgeschichte macht.
Bergkamp
Aber genug der großen Worte. Was Bergkamp für ein Spielertyp war, was ihn herausragend machte und wieso er eine Art Sonderling ist, lässt sich eigentlich leicht beschreiben und begründen. Sein Stil zeichnet sich in klaren Linien, er war kein wirrer, wechselhafter oder besonders ambivalenter Spieler.
Seine Faszination speist sich zum Großteil aus seiner überragenden Ballkontrolle. Das angesprochene Tor gegen Argentinien war ein Musterbeispiel dafür. Er kontrolliert den schwierigen langen Ball mit dem ersten Kontakt. Ein Kontakt und der Ball ist tot. Ein weiterer Kontakt und der Gegenspieler ist tot. Ein weiterer Kontakt und das Spiel ist beendet. Simpel, präzise, elegant. Kaum ein Spieler in der Fußballgeschichte konnte den Ball so kontrollieren wie Bergkamp.
„I’m not sure why, but the thing that always interested me most was controlling the ball, especially when it was in the air. I wasn’t interested in dribbling or doing tricks or scoring goals. Control. That was my thing.“
Bergkamp über seinen ästhetischen Bezug zur Ballkontrolle
Diese technischen Fähigkeiten nutzte Bergkamp auf allen Offensivpositionen für eine kreative, effiziente Spielweise. Er suchte die simplen, aber perfekten Aktionen. Zu Beginn seiner Karriere häufig als Rechtsaußen, später als Mittelstürmer. Vor allem aber als Zehner oder hängende Spitze in seiner Musterrolle als „Schattenstürmer“.
In der vorletzten Linie der Angriffe erhielt er die Bälle, verarbeitete sie optimal, suchte den richtigen Moment und ließ die gegnerische Abwehr kollabieren. Mit eiskalten flachen Bällen durch die Kette oder Lupfern über die Köpfe der Verteidiger spielte er den Raum zwischen den Akteuren des Spiels gegen sie aus und kreierte Tore, die zwangsweise fallen mussten, ohne sie zu erzwingen.
Zudem bewegte er sich selber hervorragend in der Angriffslinie und strahlte kühle Torgefahr aus. Er tauchte im richtigen Moment auf, um die Bälle zu bekommen und brachte sie in seiner eigenen Art und Weise unter Kontrolle, sodass der Abschluss meist nur der leichteste Teil eines souveränen Auftritts war. Hier und da setzte er jedoch auch Glanzpunkte mit Lupfertoren oder plötzlichen Distanzschüssen, die er fast grundsätzlich mit Schnitt in die Ecken des Tores drehte.
Ästhetik
Wenn man beziffern will, was Bergkamp von anderen herausragenden Offensivspielern unterscheidet so ist es vielleicht dies: Der ruhige Künstler war nie brachial. Der Begriff für offensiven Effekt im Fußball lautet „Durchschlagskraft“. Kraft. Schlagen. Bergkamp benötigte beides nicht, um effektiv zu sein. Das brachiale Element ging Bergkamps Spiel vollkommen ab.
„I wasn’t obsessed. I was just very intrigued by how the ball moves, how the spin worked, what you could do with spin.“
Bergkamp über Experimente mit dem Ball als Kind
Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil Spieler wie Pelé oder Messi gerade durch die Verbindung von Kraft und Technik so viel Kreativität entfalten können wie sie es tun. Sie sind ihren Gegenspielern athletisch überlegen und spielen diese Überlegenheit mit Geschick aus. Bergkamp war zwar durchaus schnell, aber kein Monster. Und gerade bei seinen besten Aktionen spielte er keineswegs seine athletische Vorteile aus. Im Gegenteil: Seine herausragendsten Szenen glänzten durch Kraftlosigkeit. Minimalismus.
Explosivität führt dazu, dass Abwehrreihen pulverisiert werden. Bergkamp spielte nicht explosiv; vielleicht war er implosiv. Er zerstörte die Defensive nicht, er ließ sie zusammenfallen. Er ließ sie völlig intakt im leeren Raum vereinsamen. Er überragte das Chaos und die Energie des Spiels nicht, er war Teil davon und nutzte alles für sich, um im richtigsten Moment mit der kleinstmöglichen Aktion den größtmöglichen Effekt zu verursachen.
Auf diese Weise entfaltete Dennis Bergkamp eine gewisse Melancholie im wütenden Lärm des umkämpften Spiels. Alles, was er tat, folgte einer speziellen Ästhetik. Einer Ästhetik der eleganten Kontrolliertheit. Das Gefühl für diesen Gestaltungsstil ist die Basis des Spielers Bergkamp. Sie lässt sich in vielen seiner Aussagen und der Aussagen über ihn ablesen und ungefiltert in seinem Spiel wiederfinden. Jeder Fußballer ist ein Mensch ist ein Gesamtkunstwerk. Bergkamp macht diesen Umstand greifbar. So verkörpert Bergkamp wie sehr das Spiel Charakterfrage und Kunstform ist.
Perfektion
Zum Schluss ist Bergkamps Anspruch die Ästhetik der Perfektion. Existiert Perfektion in irgendeinem Sinne außer im harmonischen? Ein absoluter Faktor wie die Kraft oder die Geschwindigkeit kann immer noch ein bisschen größer werden und kann daher niemals perfekt, unverbesserbar sein. Perfektion entsteht dort, wo etwas spezifisch zu den Umständen passt. Wo Aktion und Reaktion harmonisch sind.
Bergkamp hat eine Leidenschaft für diese Harmonie und die Ambition, sie zu erreichen. Sein Trainingsfleiß, sein Ehrgeiz und seine Professionalität werden gelobt, doch vor allem sticht ein pedantischer Perfektionismus hervor. Robin van Persie beschrieb einmal, wie es ihn entscheidend anspornte und inspirierte, als er Bergkamp einmal nach dem Training zusah, wie dieser noch individuell weitertrainierte.
„It was a forty-five-minute session and there wasn’t one pass Dennis gave that wasn’t perfect. He just didn’t make a single mistake! And he did everything one hundred per cent, to the max, shooting as hard as possible, controlling, playing, direct passing . . . That was so beautiful! To me it was plainly art.“
Robin van Persie über Bergkamp
Ich denke, dieser Perfektionismus ist weniger eine Sache von Ehrgeiz als vielmehr eine Resultat seines ästhetischen Empfindens. Man findet ihn wieder, wenn er über das Spiel redet. Ihm ist die perfekte Kontrolle wichtig und aus einer Aktion das Maximum herauszuholen. Sein legendäres Tor gegen Newcastle betrachtet er schlechter als beispielsweise das gegen Argentinien – mit der Begründung, dass ein bisschen Glück dabei war. Er hatte also nicht die volle Kontrolle, es war spontan, ein bisschen wild. Das ist nicht Bergkamps Anspruch.
„Well, you set yourself goals, targets. And once you’ve got there you want to move on and go further. You keep raising the bar, and therefore it’s never good enough. You want perfection. (…) But passion is . . . no . . . you keep . . . you want to grab it. You do the hard thing, always go for the difficult thing, and then you have to go for the next thing.“
Bergkamp über seine Motivation
Wenn man sich ein Video mit Torvorlagen Bergkamps ansieht, fällt auf: Dem Torschützen reicht meistens genau ein Ballkontakt. Er muss häufig nichts tun außer dem Ball den letzten Stoß zu geben. Er muss keinen Zweikampf gewinnen, keinen Gegenspieler ausspielen, er muss den Ball nicht einmal unter Kontrolle bringen. Der Pass ist so gewichtet, dass der Ball genau an der richtigen Position liegt mit genau dem richtigen Restimpuls, um ihn ohne Probleme sauber und zuverlässig im Tor zu versenken. Der Torwart versucht häufig den Winkel zu verkürzen, aber ist gerade noch so weit weg, dass das noch nicht funktioniert. Bergkamp hat verzehrfertig serviert. Er hat alles angerichtet für den Todesstoß und legt seinem Mitspieler den Dolch in die Hände. Er erschafft das Tor.
Diese Art von Vorlagen waren kein Zufall. Sie waren ganz einfach das, was Bergkamp über Fußball denkt und empfindet. Es ist die Art und Weise, wie er das Spiel spielen will: perfekt.
„In my mind the idea is: ‚Make it a fantastic pass.‘ But what is the best pass? For some people it’s get it over the defender and the striker can receive the ball. To me that’s not good enough. No, I have to beat the defender, and make the goalkeeper think he can get it, so he comes out, leaving space. And I have to get the ball in front of my striker or onto his head so he can put it into the corner . . . It’s a different way of thinking.“
Bergkamp angesprochen auf seine Pässe
„When his ball came through to me, the defender couldn’t do anything, the midfielder couldn’t do anything . . . It gave me time to do something and it was a gift. It was just . . . bang!“
Ian Wright beschreibt das Thema von der anderen Seite
Spielgeist
Perfektion ist auch die optimale Antwort auf eine Frage. Um Bergkamps Ausstrahlung, Effektivität und Attitüde zu verstehen ist die Erkenntnis wichtig, dass er bei aller Ästhetik seines Spieles niemals im Sinne der Ästhetik spielte. Es gab in seinem Spiel keine brotlose Kunst. Seine Eleganz ist auch eben deshalb so beeindruckend, weil sie so minimalistisch und rational ist. Ein Ronaldinho im Vergleich ist viel extrovertierter, viel mehr Zirkus; das muss nicht heißen, dass Aktionen ineffektiv sind, aber der Effekt kommt hier und da an zweiter Stelle. Bergkamp war stets effizient.
„With every pass, there needs to be a message or a thought behind it.“
– Dennis Bergkamp
Ich mag den Begriff des „Spielgeists“ im Gegensatz zum Kampfgeist. Damit meine ich den Willen, die spielerischen, die taktischen Elemente des Spiels für sich zu perfektionieren. Alles aus jeder Situation herauszuholen. Ideen zu haben und ein Gefühl dafür, was das Spiel benötigt. Nicht nur die individuelle Intensität zu maximieren, sondern auch die individuelle Qualität. Einen Pass zu spielen, weil es der richtige Pass ist, nicht weil man den Ball loswerden will. Einen Gegner zu attackieren, weil es die richtige Entscheidung ist, nicht um dann sagen zu können, dass man sich reingehauen hat. Ins Dribbling zu gehen, um strukturiert näher zum Tor zu gelangen, nicht um Tricks vorzuführen. Abzuschließen, weil es eine vielversprechende Position ist, nicht aus Egoismus oder Aktionismus.
„(…) it comes from me being a team player. I have individual skills, but those skills are based on the idea there has to be an end product.“
Bergkamp über fehlendes Spektakel in seinem Spiel im Vergleich zu Zinedine Zidane
Bergkamp hat diesen Spielgeist total verinnerlicht. Er hat den Anspruch an sich, kreativ zu sein und technische Qualität zu entwickeln, doch beides dient der Sache: das Spiel zu spielen. Durch diese Mischung aus Pragmatismus und Perfektionismus sind seine besten Momente so einzigartig. Wenn Zlatan Ibrahimovic ein spektakuläres Tor erzielt, dann tut er es zuweilen auch, weil es spektakulär sein soll. Wenn Bergkamp ein spektakuläres Tor erzielte, tat er es, weil es erforderlich war. Weil es der richtige Gedanke war.
„I got upset when people complained about me only doing it the nice way. I said, ‚No, it’s the best way. There’s a lot of space above the goalkeeper.‘ “
Bergkamp über seine Lupfertore
Ruhe
Ein Erfolgsfaktor, der gleichermaßen Grundlage wie Resultat seines Stils ist und ihn dadurch greifbar macht, ist Bergkamps absolute Ruhe. Immer wieder wird das als eines seiner herausstechendsten charakterlichen Merkmale bezeichnet. Bergkamp selbst beschreibt sich als Beobachter im Alltag.
Diese Ruhe ermöglicht erst die Perfektion und Rationalität seines Spiels. Sie ist vor allem immer wiederzufinden in einer Geduld, die ihn von anderen Spielern unterscheidet. Bergkamp sucht nicht den schnellsten Pass, aus Angst den Ball zu verlieren. Bergkamp kontrolliert die Situation und wartet auf den richtigen Moment, den Moment für den perfekten Pass. Das macht ihm zum Herrscher über das Spiel.
‘That’s my point. Dennis waits. That’s Dennis Bergkamp. Any other player would have played the ball first touch and then screamed about it: “Hey! You didn’t move!” But Dennis sees the player isn’t moving, so he waits and he’s toying with all the defenders around him and he’s like “Come on, Freddie . . .” Aaaaaah, it’s so beautiful . . .!’
Thierry Henry über Bergkamps Vorlage zu Freddie Ljungbergs Tor gegen Juve
Auch sein Dribblingstil lebte von dieser Ruhe. Als Rechtsaußen zu Beginn seiner Karriere nutzte er noch seine Geschwindigkeit hier und da für Durchbrüche im Eins-gegen-Eins. Später fokussierte er sich viel mehr auf die Ballführung durch die Zwischenräume. Bei Bedarf waren das eben auch sehr enge Zwischenräume, in denen er sich sehr gut zu orientieren wusste. Auch in Unterzahl war er meist nur mit einem Foul zu stoppen, weil er sich nicht zu hektischen Aktionen verleiten ließ. Er bewegte sich konzentriert und effizient zwischen den Gegnern, drehte sich immer wieder in kleine Freiräume, sodass die Verteidiger gerade nicht rankamen. Das verzögernde Dribbling vor der besagten Vorlage für Ljungberg ist ein wunderbares Beispiel für diese Fähigkeit und auch für den Nutzen davon.
Bergkamps Empfinden für das Spiel ist der Motor hinter seinem Erfolg. Ästhetik führt zu Kontrolle, Kontrolle führt zu Ruhe, Ruhe führt zu Geduld, Geduld führt zu Perfektion, Perfektion führt zu Ästhetik.
Schattenstürmer
Auch seine taktische Rolle, seine Bewegung durch den Raum ist von dieser Ruhe geprägt. Sein Spiel prägte vor allem in den Niederlanden den Begriff des „schaduwspits“, des Schattenstürmers. Der Stürmer, der im Schatten lauert. Louis van Gaal legt Wert darauf, dass er der erste war, der Bergkamp so einsetzte.
Man kann meinen, dass es unpassend sei, wenn ein Spieler mit so herausragenden Fähigkeiten wie Bergkamp im Schatten des Spiels ist. Man mag meinen, gerade er müsse doch die ganze Zeit präsent sein, jeden Ball fordern, das Spiel schultern. Vielleicht hätte Bergkamp das tun können, vielleicht hätte er es hier und da tun sollen. Seine Effektivität aber lebte von diesem Understatement. Es war die intuitive Erkenntnis, dass Fußball zu elft gespielt wird und es für jeden Einzelnen ein Limit gibt. Und das Gefühl, dass er den meisten Effekt entwickelt, seiner Mannschaft am meisten hilft, wenn er auf den richtigen Moment wartet. Anstatt den Ball zu fordern, um den Ball zu haben, forderte Bergkamp den Ball, weil es die Situation verlangte und ermöglichte. Er wartete im Schatten, bewegte sich um die Räume herum und wenn die Strukturen es hergaben ließ er sich in den Raum tropfen, nahm den Ball auf und spielte den tödlichen Pass, den Pass, den die Verteidiger nicht kommen sahen. Wenn im Schatten plötzlich ein Gedankenblitz auftaucht, können die Augen schon mal überfordert sein.
„I was completely obsessed with being decisive. I was always watching my opponents, paying attention to details, observing the situation on the pitch. I constantly watched for opportunities to win the ball. All I needed was the slightest chance and I would rush at it.“
Bergkamp über sein Bewegungsspiel unter van Gaal
Auch hier spricht wieder der Spielgeist aus Bergkamp. Er zeigt sich darin, wie er sich in die Gesamtstruktur des Spiels einfügt. Er bezieht Mitspieler und Gegenspieler konsequent in seine Überlegungen ein und versucht sich in diesem Muster optimal zu positionieren, um es maximal zu beeinflussen. Deshalb fiel es ihm wohl auch in seiner Zeit bei Inter in Italien schwer, einen Zugang zum Spiel zu finden. Dort musste er sich meist mit nur einem Nebenmann im Sturm durchsetzen. Er sollte Durchschlagskraft entwickeln und er konnte nicht aus dem Schatten heraus agieren. Wenn man selber das Zusammenspiel sucht, aber die anderen von einem Einzelaktionen erwarten, stößt man auf Probleme.
„I’d say: ‚Come on, let’s have a good game today!‘ and they’d say: ‚No let’s get a result today.‘ It was so difficult because you see the space, you see the things you can do, and you see the quality in the team. But nobody wants to play the way I want to play.“
Bergkamp über seine Zeit bei Inter
„I look back and my defenders and the other midfielders are still deep in their own half! There’s a huge space between us and it’s dead space! It’s killing me.“
Ein Mann, der Fußball fühlt, darüber, wie sich schlechter Fußball anfühlt
Das Gefühl für das strukturelle Element prägte seine Rolle auch über den Effekt des „being decisive“ hinaus. Seine Bewegungen in die Spitze wurden davon getragen und sein Passspiel profitierte von der permanenten Orientierung auf dem Feld. Zudem war Bergkamp ein intuitiver Pressing- und Gegenpressingspieler. Man sah ihn immer wieder auch über längere Phasen und in größerem Raum nachsetzen, wenn der Gegner den Ball erobert. Gegen den gegnerischen Spielaufbau war er mangels strategischer Pressingsysteme häufig allein auf weiter Flur, doch versuchte auch hier punktuell Druck zu machen, wenn der Gegner sich ungeschickt verhielt.
„You have to pay attention, use your brain and find the right position. If you get to the ball late, it means you chose the wrong position. Bergkamp was never late.“
Johann Cruyff über Bergkamps Spielintelligenz
Legende
Was im Schatten liegt, wird leicht übersehen. So ist es auch bei Bergkamp in gewissem Maße. Der Schattenstürmer erscheint nicht als Lichtgestalt. Seine spezielle Art von Leichtigkeit, die unstete Präsenz, die unscheinbare Wuchtlosigkeit seiner genialsten Aktionen drängen ihn aus dem Licht der Öffentlichkeit. Ein oberflächlicher Beobachter wird erst auf Cristiano Ronaldo sehen, wenn er und Bergkamp nebeneinander auf dem Feld stehen.
Im Grunde ist Bergkamp deshalb prädestiniert dafür, ein übersehener, unterschätzter Spiele des Weltfußballs zu sein. Durch viel Glück in seinem Karriereweg ist ihm dieses Schicksal wenigstens teilweise erspart geblieben. Er ist vielleicht nicht ganz so gefeiert wie seine Fähigkeiten außergewöhnlich sind, doch er gehört zu den unzweifelhaften Legenden des Fußballs. Das lag aber nicht daran, dass er nie Rückschläge gehabt hätte oder es ihm nie an Wertschätzung mangelte. Im richtigen Moment kamen aber die richtigen Personen in sein Fußballerleben: Er hatte in Cruyff einen brillanten ersten Förderer, wurde dann nach dessen Abgang bei Ajax aussortiert, doch von einem gewissen Louis van Gaal wieder nach oben geholt und auf die Zehnerposition versetzt. Nachdem er in Italien nicht zurechtkam, fand er bei Arsenal unter Arsene Wenger eine passende Heimat für seine restliche Karriere.
Dennoch blieben ihm die ganz großen Erfolge verwehrt. Bei den Nationalmannschaftsturnieren scheiterte Oranje mehrfach im Elfmeterschießen. Im Champions-League-Finale 2006 holte sich Jens Lehmann die rote Karte und der 37jährige Bergkamp blieb bis zum Schluss auf der Bank. So war sein wichtigster Erfolg wohl die Saison mit den „Invincibles“, der Arsenal-Mannschaft die ohne eine Niederlage die Meisterschaft gewann. Immerhin. Aber eben nur „immerhin“. Wer weiß, wie sein Standing wäre, wenn die Niederlande bei der EM 2000 das Elfmeterschießen gegen Italien überstanden hätten und Bergkamp anstelle Zidanes das Turnier gewonnen hätten. (Bergkamps Goal-Impact über seine gesamte Karriere liegt übrigens bei etwa 180. Klar über Zidane, auch über Maradona und Beckenbauer, nicht aber auf dem Level von Cruyff oder Messi. Passt wohl ganz gut.)
Sein Stil hingegen lässt sich nicht vermessen. Bergkamp steht dafür, dass Fußballkunst und Rationalität keine Widersprüche sind. Er steht dafür, wie das Schöne zum Effektiven wird. Er steht für minimalistische, bescheidene Perfektion ohne Feuerwerk. Er steht für Individualität, Kreativität und echte Leidenschaft.
Dennis Bergkamp.
Die Zitate sind ausnahmslos Bergkamps Buch „Stillness and Speed“ entnommen.
Das Buch ist eine interessante Mischung aus Erzählung und Interviews, hauptsächlich mit Bergkamp selber. Viele interessante Einblicke in das Gedankenleben von Bergkamp und Details des Fußballgeschäfts – empfehlenswert!
42 Kommentare Alle anzeigen
LkHld 4. Januar 2016 um 14:50
Klasse Portrait, Bergkamp gehört zu einem meiner absoluten Lieblingsspieler, und dieser Artikel beschreibt die Besonderheit in seinem Spiel sehr, sehr gut.
Sehr treffend finde ich vorallem die Aussage, dass die Stürmer oft nur einen Ballkontakt brauchten um ein Tor zu erzielen. Die Pässe waren einfach so perfekt gewichtet, dass sie sich gefühlt vor den Stürmern in der perfekten Position bereit legten. Ich bekomme immer wieder Gänsehaut wenn ich die perfekten Zuspiele in Videos sehe. Bester Mann für den tödlichen Pass aller Zeiten?
Wie sieht es mit einer Analyse des Spielers aus, der am meisten von ihm profitiert hat – Thierry Henry?
JSA 16. Dezember 2015 um 22:45
http://www.90min.com/de/posts/2803024-ueberraschende-wahl-thierry-henry-nennt-den-besten-fussballer-mit-dem-er-je-gespielt-hat?a_aid=35109
hooma 10. Dezember 2015 um 08:16
JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA
endlich, das warten hat sich gelohnt. 2 Jahren nach unserem E-Mailverkehr können endlich mehr Einblick in dieses Genie erleben.
LucasG 8. Dezember 2015 um 08:52
Danke für diesen überaus gut lesbaren Artikel!
Dennis Bergkamp hat mich immer schon begeistert! Und ich wusste nie genau, wie ich ihn analysieren sollte. Dabei hat der Artikel mir jetzt sehr geholfen.
Da ich selbst oft 6er bzw. 10er spiele und somit eher der Vorbereiter bin, wie Bergkamp es später bei Arsenal ja auch war, kann ich noch sehr viel von ihm lernen.
Danke auch für die Buchempfehlung; damit hab ich meinen ersten Wunsch für Weihnachten gefunden 😀
Die Zitate aus dem Buch hast du sehr gut in den Text eingefügt. Als ich dann am Ende gelesen habe, dass diese ausschließlich aus dem Buch entnommen sind, wusste ich sofort, dass ich das noch lesen werde!
Der bisher beste Artikel des Adventskalenders meiner Meinung nach!
Danke nochmal
luckyluke 8. Dezember 2015 um 08:08
Ich denk doch, bei diesem Artikel ist es angebracht auch mal stilistische Kritik zu üben…
Was mich allgemein daran etwas stört sind die Tötungsmetaphern. Zum einen gefallen mir diese absolut nicht im Zusammenhang mit einem Spiel und genau das ist Fußball nunmal, aber das ist eher eine persönliche Meinung und zum anderen frage ich mich da auch, hätte Bergkamp tatsächlich so etwas brachiales wie töten gemacht? Hätte er nicht viel eher etwas chirurgisches, sauberes und kontrolliertes getan?
RM 9. Dezember 2015 um 12:45
Bergkamp selbst nutzte den Begriff häufiger („The ball has to be dead“) und ich denke, das war eine Anspielung daran. Im englischen Sprachraum wird das „kill the ball“ auch genutzt, um den Ball quasi ‚tot‘ zu stoppen, ergo eine Ballannahme, nach der der Ball keine Bewegung oder sonstwas hat und sofort verarbeitbar ist.
king_cesc 9. Dezember 2015 um 13:07
Ein Trainer hat mir mal erklärt, dass man den Ball nie totstoppen darf 😀 ich zweifel daran….
Peda 9. Dezember 2015 um 14:54
So eine ähnliche Aussage habe ich auch von Rangnick in Erinnerung – und gefunden!
Wobei RM/MR und Rangnick/dein Trainer da meiner Meinung nach von zwei unterschiedlichen Dingen sprechen:
a) Ball annehmen/führen, sodass er möglichst einfach weiterzuverarbeiten ist
b) Ball stoppen, sodass Dynamik/Spielfluss zum Erliegen kommen
Zweiteres war ja bei Bergkamp nicht der Fall.
blub 9. Dezember 2015 um 15:55
Ich glaube es geht dabei um die Torschussvorlagen. Wenn der Mitspieler nurnoch einen 1-Kontakt-Abschluss hat sollte der Ball an diesem Punkt tatächlich maximal tot sein. Das ermöglicht den besten Abschluss.
Bei Rangnick gehts um was anderes.
RM 9. Dezember 2015 um 17:44
Nein, Bergkamp sprach von Ballannahmen. Wenn man den Ball stoppt, muss er sofort „tot“ sein.
luckyluke 10. Dezember 2015 um 19:26
Interessant das wusste ich (offensichtlich) nicht.
Aber gerade im Hinblick auf das Töten der Abwehr finde ich es dennoch unpassend muss ich sagen. Meine persönliche Empfindung ist dabei, dass es bei so vielen Menschen zweifellos eine brachiale Methode sein muss (@shadowcamp, auch auf deinen Einwand bezogen). Die Tötung des kleinen und sehr schnellen Objektes Ball kann meiner Meinung nach präzise und filigran sein…bei der Abwehr sehe ich das anders.
Auch wenn ich zugeben muss, dass die häufige Verwendung dieser Metapher Bergkamps selbst das ganze in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt…
shadowchamp 9. Dezember 2015 um 15:02
Ich finde auch bei deinem zweiten Argument ist es einfach Geschmackssache oder Empfindung ob man töten als Brachial betrachtet oder ob es für einen in diesem Moment nicht auch chirurgisch und präzise sein kann.
Rm hat ja auch schon erklärt das Bergkamp diesen Ausdruck selbst häufig nutzt weswegen ich es im Text auch gut finde wenn das so weiter geführt wird macht es finde ich runder.
Reut 7. Dezember 2015 um 00:07
Hi, ich finde euren Schreibstil ja prinzipiell durch die Bank weg nicht so geil, aber hier gebe ich gern ein großes Lob.
Der beste Artikel den ich je gelesen habe und das waren einige.
Sehr schön. Man muss aber sagen, dass Bergkamp den Artikel stark vorgelegt hat.
Man kann ja praktisch Gedichte über den Kerl schreiben.
Freut mich, da es mein Lieblingsspieler war. Damals, als Fußball noch was magisches hatte.
tk 8. Dezember 2015 um 07:02
Ha! Lustig. Ich halte diesen Artikel nämlich für mit das prätentiöseste Geschwafel, das ich seit langem gelesen hab. Wenn man sich durch den ganzen Bullshit wühlt, bleibt am Ende nicht viel Substanz übrig.
luckyluke 11. Dezember 2015 um 12:49
Findest du wirklich? Also ich meine den Teil mit der Substanz. Dass der Artikel mindestens prätentiöse Tendenzen hat, ist wohl schwerlich zu bestreiten. Aber die Eigenheiten des Spielers werden doch sehr gut beleuchtet, sein Passspiel, seine Abschlüsse, seine „Philosophie“ und wie die anderen Aspekte da rein passen oder was fehlt dir da noch an Substanz?
Reut 15. Dezember 2015 um 11:39
Mir gehts nicht um die Wortwahl an sich. Auch hier wird wieder viel schwadroniert, was aber scheinbar ein allgemeines Problem dieser Seite und der User. Jeder versucht besonders Clever zu wirken und in den Kommentaren gibt es selten eigene Meinung, sondern zu 90% Zustimmung. Praktisch Bildleser auf hohem Niveau.
Mir fehlt da etwas das Hinterfragen und dass, das eben von den Autoren auch besser aufgenommen wird.
Einiges im Artikel an sich ist auch recht Subjektivit. Was mich aber nicht stört, ich lese gerne die eigene Meinung des Autors.
Hier gefällt mit zusätzlich, dass Zitate der beschriebenen Person angeführt werden. Gibts ja sonst meist nur vom Zlatan 🙂
Wie auch immer, die Gliederung und genau das was Bergkamp ausmacht wurde beschrieben. Solche Artikel gibt es in den normalen Medien nunmal nicht. Deshalb freu ich mich darüber.
Wäre auch mal ein Portrait Wert.
Reut 15. Dezember 2015 um 11:42
Also Zlatan!
a_me 6. Dezember 2015 um 23:55
Toller Artikel, jetzt bin ich auch ein bisschen Bergkamp-Fan geworden
Spielverderber 6. Dezember 2015 um 21:41
Damals, als auf MTV noch rund um die Uhr Musik gespielt wurde – aber nur ein Fussballspiele pro Woche live übertragen wurde – und man sich die ganze Woche auf die eine Stunde Zusammenfassungen der europäischen Ligen gefreut hat, weil man sich sicher war, dieser unscheinbare blonde dude im rot-weißen Trikot hat ganz bestimmt wieder was total krasses gemacht das man unbedingt gesehen haben muss…
felixander 6. Dezember 2015 um 17:49
Und warum wird so eine Denkmaschine von Spieler nicht Trainer?!
MR 6. Dezember 2015 um 18:44
Ist er. Trainiert als Co von Frank de Boer Ajax Amsterdam.
Im Buch finden sich auch ein paar Aussagen zu seiner Philosophie, was Spielerausbildung betrifft. Er betont die Bedeutung von Einzigartigkeit, „be unique“.
felixander 6. Dezember 2015 um 20:33
Weil er meint, dass jeder Spieler so geil ist, wie er selbst? ????
isco 6. Dezember 2015 um 16:02
Was ich an diesem Kalender so liebe ist, dass es jeden Tag was komplett anderes gibt. Jeder Autor hat nicht nur einen ganz anderen Schreibstil, sondern auch eine komplett andere Herangehensweise an die Texte. Manche sind klare taktische Analysen mit einer kleinen porträthaften Einleitung, manche sind Porträts mit kleinen analytischen Elementen; großartig.
Dieser Text ist – passend zum behandelten Spieler – sehr ästhetisch, wenn auch nicht gerade auf diese minimalistische Art und Weise die hier beschrieben wird; vermutlich mein Lieblingswerk bisher.
Vielen Dank für den Kalender, macht das Aufstehen in der Früh im Dezember etwas erträglicher 🙂
PS und OT: Das vierte Türchen wurde nicht bei den Spielerporträts verlinkt
JSA 6. Dezember 2015 um 14:00
Was für ein Text! Hat da jemand Germanistik studiert? 😀
Questlove 6. Dezember 2015 um 12:45
Auf ein Bergkamp-Portrait hatte ich schon länger gehofft – vielen Dank dafür!
Ich finde gerade das Tor gegen Argentinien sehr schön beschrieben – mein persönliches Lieblingstor. Warum? Weil der ganze Bewegungsablauf so unfassbar kontrolliert und im Fluss abläuft. Da ist nichts Zufall, nichts Glück, auch keine Hektik oder ruckartigen Bewegungen. Nur drei Ballberührungen, aber jede der Situation perfekt angepasst und die gesamte Ausführung insgesamt brilliant.
Dennis Bergkamp.
Peda 6. Dezember 2015 um 12:36
Ein riesengroßes Dankeschön für dieses Geschenk!
Es beschämt mich ein wenig, dass es trotz meinem riesigen Fußballinteresse immer wieder eurer Beiträge bedarf, um an und für sich offen zugängliche Informationen derart verzehrfertig serviert zu bekommen.
Gerade dieser Artikel bot wieder einige Aha-Erlebnisse, die neue Verknüpfungen in meinem ganz persönlichen Fußballverständnis woben. Bei der Lektüre von Inverting The Pyramid wurde mir zum ersten Mal bewusst, welche unterschiedliche Möglichkeiten das Spiel zu begreifen es eigentlich gab. Dribblingsfokussierte, bisweilen eigensinnige Mitspieler trieben mich bis dahin – und auch heute noch – zur Weißglut, weil es für mich damals denkunmöglich war, darin eine erstrebenswerte Form des Spiels zu sehen.
Noch einmal danke für diesen großartigen Artikel und ich werde mir wohl das Buch bestellen – um euch zu unterstützen wohl ausnahmsweise sogar beim Sklaventreiber.
Tank 6. Dezember 2015 um 12:30
Das ist zwar irgendwie so, als würde ich vor einem Berg(kamp) stehen und auf einen Maulwurfshügel zeigen, aber ich habe über Dennis auch mal ein paar Sätze im Rahmen eines Team of the Decade ’95-’05 Blogposts geschrieben: https://footballarguments.wordpress.com/2015/10/04/team-of-the-decade-1995-2005/
Will man sich mal eine sehr gelungene Partie von Bergkamp ansehen, dann kann ich nur dieses CL-Gruppenspiel gegen Barcelona aus dem Jahre 1999 empfehlen: http://footballia.net/matches/arsenal-fc-fc-barcelona (Barcelona bietet zudem ein ziemliches All-Star-Lineup auf. U.A. kommt es zu direkten Duellen zwischen Bergkamp und Guardiola. Was jeden Freund des gepflegten Denkerfußballs gefallen muss. )
Tank 6. Dezember 2015 um 19:02
Ich fang mal so an: Ich mag Dennis Bergkamp. Sehr sogar. Seine kühle, rationale, präzise Art zu spielen, die hier grenzpoetisch erörtert wird, entspricht meine fußballerischen Vorlieben. Und nicht nur das: Ich glaube, dass Fähigkeiten, wie sie Dennis Bergkamp verkörpert, noch immer unterschätzt werden, grade auch bei der Bewertung von historischen Spielern. Ja, seine Fähigkeiten sind teils so, dass sie erst bei etwas näherem Hinsehen so richtig augenfällig werden, aber das heißt keinesfalls, dass sie weniger wertvoll wären, als die Brachialkünste von manch anderen Spielern. Unauffälliger ungleich unwichtiger!
In manchen Kommentaren klang ja bereits an, dass man auch ein Wort zu Bergkamps Schwächen sagen sollte. Ein paar Bemerkungen dazu finden sich bereits im Haupttext. So wird die fehlende Brachialität genannt. Das trifft es meiner Meinung nach ganz gut. Wobei hier ‚Brachialität‘ zweifelsfrei nicht abwertend gemeint ist. Sie wird ja auch u.a. Spielern wie Messi und Pelé zugeschrieben, die bekanntlich auch von den SV-Autoren geschätzt werden. Brachialität kann was Gutes sein und Bergkamp hatte nichts davon.
Kurz angedeutet wird auch seine manchmal mangelnde Präsenz. Über diesen Punkt habe ich auch selbst länger nachgedacht, als ich mich gefragt habe, ob ich Bergkamp in eines oder mehrere meiner Teams der Dekade stellen soll. Bergkamp war oft der beste Spieler einer Mannschaft, aber war er jemals „das Herz einer Mannschaft“? Nun ist dieser Begriff natürlich hoffnungslos schwammig, aber vielleicht trifft die Frage einen (kleinen) Zweifel an Bergkamps historischen Standing, den ich und auch andere haben (bzw. mich plagt dieser Zweifel, ich will Bergkamp auf’s Podest heben!). Bergkamp, so könnte man diesen Zweifel entpacken, war ein großartiger Veredler von Mannschaften, nicht aber ihr Zentrum – anders als im Falle von Leuten wie Messi, Maradona, Cruyff, Di Stefano und Pelé (Zidane lass ich mal außen vor). Nun kann man als „Veredler“ ein ganz großer Spieler sein – Bergkamp ist ein ganz großer Spieler! – aber… es bleibt ein kleiner Zweifel, ob er nicht mehr hätte sein können. Will man beschreiben, was dieses „mehr“ hätte sein können, dann gerät man schnell in Gefahr, schon wieder in eine eher metaphorische Sprache zu verfallen: Spiele an sich reißen, den Stempel aufdrücken, konstant dominieren, das Spiel nach seinem Willen formen.
Die Tatsache, dass ich auf der Suche danach, was Bergkamp noch mehr hätte tun können, schnell auf solche eher diffusen Begriffe stoße, lässt mich wiederum an meinen eigenen Zweifeln zweifeln (Beste Grüße an Rene Descartes). Ich will mich daher schlussendlich gar nicht voll hinter diese Zweifel stellen, sondern sie nur ansatzweise formulieren und darauf hoffen, dass andere sie entweder erhärten oder aber zerstreuen.
Danke für das gelungene Portrait!
shadowchamp 6. Dezember 2015 um 22:26
mhhh ohne so viel Ahnung zu haben wie die meisten hier wahrscheinlich ( geschweigen denn die Autoren.. ) meine 2cent zu dem Thema, denn habe auch so ähnliche Zweifel. Denn wie du sagst fehlt ihm das brachiale ,das ich würde mal so sagen, ich kann ein spiel im allein gang entscheiden. Dieses was Messi kann wenn halt doch mal nix läuft aus gründen warum auch immer kann er einfach ein Tor aus dem nix erzwingen, sich einfach durch dribblen und das Ding rein schlenzen. Da ja schon angemerkt wurde das Bergkamp schnell ist und es auch ein paar Tore gibt wo er sich gut durch dribbelt würde ich einfach mal behaupten das er einfach zu perfektionistisch war um das in Erwägung zu ziehen ( jedenfalls häufig). Das was im Text in der Italien Epoche erwähnt wurde… das ist für mich seine größte „schwäche“ seine nicht so große Anpassungsfähigkeit, ich denke er hätte es gut gekonnt Chancen aus Einzelaktionen zu erzwingen aber Mental wollte er es nicht weil er überzeigt war/ist das es effektiver ist mehr als Team zu arbeiten, zu kombinieren. Manchmal denke ich das er ins heutige Spiel besser passen würde als zu der Zeit des „Heroen“ Fußballs ( und CR7 umgekehrt;) ). Das ist vlt der Unterschied zu den Spielern die du genannt hast Messi, Cruyff oder Pele hätte zu ihrer zeit jede Mannschaft besser gemacht Bergkamp nur diejenigen die ihn richtig einbinden. Ob ihn das wirklich schlechter macht ist eine andere Sache… man kann es auch so sehen das eine Mannschaft nur ein Herz haben kann und nicht zwei somit zwei Weltklasse Spieler sich auch schlechter machen können wenn sie zu Präsent sind…was auch zu der Frage führt ob eine große Mannschaft ein „Herz“ braucht oder nicht ….
Melkor 6. Dezember 2015 um 23:12
@Tank:
Ich kann deine skizzierten Zweifel schon nachvollziehen, aber ich stelle mir die Frage, ob etwas Wesentliches über den Spieler Bergkamp gewonnen wird, wenn man allzu angestrengt nach dem sucht, was ihm eventuell fehlen könnte. Klar: Zu den von dir genannten Spielern fehlt ihm insgesamt ein Stück, aber – gerade eingedenk der Zitate – scheint er doch genau der Spieler geworden zu sein, der er sein wollte. Vielleicht gelang es ihm also nicht, alle Facetten seines Talentes zu realisieren, aber doch die Punkte, die seinem Verständnis des Spiels entsprochen haben.
Aus theoretischer Sicht mag es so sein, dass die absolut größten Spieler der Geschichte auch immer dazu neigten, „das Herz ihrer Mannschaften“ zu sein. Gönnen wir uns ruhig diesen poetischen Überschuss. 😉 Ich finde, dass du diesen vermeintlichen Mangel mit den Überlegungen zur „Präsenz“ und Bergkamps Bestimmung als „Veredler“ schon ganz passabel ausgedrückt hast.
Letztendlich würde man ihn in einem Ranking schon irgendwo zwischen Top 15 – Top 30 einschätzen, denke ich. Das ist an und für sich eine gigantische Leistung, die bewundernswert ist.
Ich sehe Bergkamps ideellen Wert vor allem in der beschriebenen Rationalität, die sich in einer zweckorientierten Ästhetik äußerte. „Sich in die Galerie spielen ohne für die Galerie zu spielen.“ —-> darin zeigt sich wahre Meisterschaft.
Phil 6. Dezember 2015 um 11:38
Wenn man diesen Artikel mit dem über Zidane vergleicht, könnte man glauben die beiden haben auf einem komplett anderen Niveau gespielt. Mir war der Artikel zu verklärt, es wurde nur stilsicher eine Art Gedicht verfasst. Mir fehlen die Schwächen, die tiefergehenden taktischen Analysen (sogar weniger als bei Spielern, zu denen es kaum Bildmaterial gibt).
Nichtsdestotrotz ist er sehr gut geschrieben, würde ich dasselbe über Zidane oder Torres schreiben müssen, käme wohl ähnliches dabei heraus.
MR 6. Dezember 2015 um 12:26
Das ist sicher mehr Porträt als Analyse. Aber welche Schwächen siehst du bei Bergkamp, die für seine Rolle relevant waren?
Phil 6. Dezember 2015 um 23:32
Ging jetzt nicht per se darum, welche Schwächen mir konkret einfallen, sondern eben nur, dass es mir zu wenig Analyse war. Wie du sagst, halt ein Portrait, keine Analyse.
drklenk 7. Dezember 2015 um 00:03
Aber wenn (abgesehen von der auch erwähnten fehlender Brachialität) keine Schwächen gab, kann man auch über keine schreiben.
shadowchamp 6. Dezember 2015 um 11:03
Ja vielen dank für den Artikel :D. Sehr schön geschrieben und versucht das besondere an ihm greifbar zu machen thump up. Er gehört auch zu meinen Lieblingsspielern und hat großen anteil daran das ich Arsenalfan geworden bin …. so kann der Nikolaus beginnen 😀
joeking 6. Dezember 2015 um 09:30
Sehr schöner Artikel, Bergkamp ist auch mein Lieblingsspieler. Bei dem Teil über die Athletik bin ich aber anderer Meinung, Bergkamp war durchaus Athletisch und körperlich (wie fast jeder Spieler der Invincibles) schon ziemlich stark, besonders für jemanden der technisch so stark war. Das Arsenal zu dieser Zeit war da sowieso ziemlich einzigartig, habe selten ein Team gesehen, bei welchem die Spieler technisch so unglaublich gut waren, gleichzeitig aber auch physisch so stark waren.
MR 6. Dezember 2015 um 11:01
Türlich war er schnell aber eben so „wie fast jeder Spieler der Invincibles“, nicht so wie Messi und Pele. Im höheren Alter nutzte er Geschwindigkeit fast gar nicht mehr.
joeking 6. Dezember 2015 um 11:30
Meinte jetzt gar nicht so die Geschwindigkeit, sondern die körperliche Stärke.
MR 6. Dezember 2015 um 12:28
Die war doch total durchschnittlich für einen Mittelstürmer? Die meisten aktuellen PL-Stürmer dürften doch deutlich robuster sein als er.
mk 6. Dezember 2015 um 09:04
Kleiner drei! Für Schreibstil und Spieler.
blub 6. Dezember 2015 um 07:49
Lay down peasants! The King is here.
In einer Zeit als viele Fußball gekämpft haben und nur wenige Fußball gespielt haben hat er ihn zelebriert.
disco43spider 6. Dezember 2015 um 06:17
Bei Bergkamp bekommt der Begriff „tödlicher Pass“ mal endlich einen sinnvollen Kontext.
Großartiger Spieler, unglaubliche (Pass-)technik…weniger ästhetisch als bspw. Valdivia oder Laudrup, aber so dermaßen klinisch sauber, dass es einem teilweise eiskalt den Rücken runterläuft, wahrscheinlich deswegen auch „Iceman“ genannt.