Coutinho und Benteke bringen The Bridge zum Schweigen
Normal One gewinnt gegen Special One. Chelsea befindet sich weiter in der Erfolgs- und Cheftrainer Mourinho in der Sinnkrise. Jürgen Klopp feiert derweil den ersten Premier-League-Sieg seiner Karriere.
Es war das Aufeinandertreffen zwischen dem Fünfzehnten und dem Neunten der Premier League. Was wie ein kalter Donnerstagabend in Stoke klingt, war in Wirklichkeit ein sonniger Samstagnachmittag an der Stamford Bridge. Chelsea und im Besonderen Trainer José Mourinho stehen aktuell mit dem Rücken zur Wand. Jürgen Klopp versucht Liverpool wieder neues Leben einzuhauchen.
Der deutsche Trainer entschied sich in dieser Partie gegen einen Mittelstürmer wie Divick Origi (nicht im Kader) oder Christian Benteke (auf der Bank) und setzte stattdessen auf Roberto Firmino in der Spitze einer 4-2-3-1-Grundformation. Im Gegensatz zum Auswärtsspiel bei Tottenham zum Beispiel versuchte es Klopp in dieser Partie mit einer Dreierreihe hinter der Spitze, da James Milner als rechter Flügelstürmer auflief.
Bei Chelsea gab es nur wenig knifflige Entscheidungen für Mourinho. Anstelle des verletzten Serben Branislav Ivanović spielte Kurt Zouma als Rechtsverteidiger. Im zentralen Mittelfeld bekam John Obi Mikel den Vorzug gegenüber Nemanja Matić. Oscar ersetzte Cesc Fàbregas, spielte aber nicht auf der Zehn, sondern auf dem linken Flügel des gewohnten 4-2-3-1.
Früher Treffer für die Blues
Direkt nach vier Minuten erzielten die Gastgeber die Führung. Dem Tor ging ein guter Durchbruch an der linken Seite voraus. Milner wurde mit einer Hackenablage von Diego Costa in Richtung Torauslinie überrumpelt. César Azpilicueta nahm den Ball auf und hatte sogar Zeit, um sich noch zu drehen und mit seinem starken rechten Fuß die Flanke in den Strafraum zu bringen. Dort kam Ramires aus dem Rückraum angerauscht und hatte aufgrund der Dynamik den Vorteil gegenüber Verteidiger Alberto Moreno.
Im Anschluss übernahm Liverpool schnell die Kontrolle über das Geschehen. Chelsea stand tief im 4-4-1-1. Lediglich Diego Costa und Eden Hazard spekulierten vor den beiden Viererketten auf Kontergelegenheiten.
Die Reds bevorzugten Angriffe über die Flügel und dabei insbesondere über die rechte Seite. Nathaniel Clyne zeigte sich in der ersten halben Stunde sehr präsent. Allerdings wirkte das Zusammenspiel mit Milner nicht optimal abgestimmt. Der nominelle Rechtsaußen driftete teilweise zu früh in den offensiven Halbraum und verschwand dabei im Deckungsschatten von Clynes direktem Gegenspiel. In anderen Szenen standen beide Liverpool-Spieler fast nebeneinander auf der Außenbahn.
Es schien so, als wäre Milner vor allem für die Defensivarbeit auf der rechten Seite abgestellt. Immerhin konnten die Reds damit rechnen, dass Hazard diesen Flügel besetzen würde. In Ballbesitz hingegen pendelte Milner horizontal zwischen den Räumen.
Ausgeglichen und langweilig
Positiv in Bezug auf Liverpools Ballbesitzverhalten waren die Bewegungen beider Sechser. Emre Can stieß erwartungsgemäß über den Halbraum häufig nach vorn. Doch auch der etwas defensivere Brasilianer Lucas Leiva rückte mehrfach auf und fungierte als Anspielstation im Rückraum.
Zudem wechselten Firmino und Lallana oft geschickt die Positionen. Letzterer probierte es in der Spitze mit gekonnten Ablagen, während Firmino vermehrt mit kurzen Doppel- oder Lochpässen operierte.
Aber: Liverpool war im Endeffekt zu stark auf die Flügel fokussiert. Die avisierten Bewegungen nach innen erfolgten zu spät, sodass die Reds nicht selten an den kurzen Enden des Chelsea-Sechzehners isoliert wurden.
Allerdings verhielten sich die Londoner in einigen Szenen zu passiv. Ihr Abwehrpressing war derart reaktiv ausgerichtet, dass sich Liverpool trotz drohender Isolation noch befreien konnte. Das perfekte Anschauungsbeispiel war der Ausgleich in der vierten Minute der Nachspielzeit der ersten Halbzeit.
Milner hatte an der rechten Außenbahn eigentlich keine Chance, noch in die Mitte zu gelangen. Azpilicueta blieb jedoch passiv und machte sogar noch einige Schritte nach hinten in Richtung eigenem Strafraum. Daraufhin passte Milner in die Mitte zum heranlaufenden Firmino. Dieser wurde ebenfalls nicht wirklich attackiert, sodass er an der Sechzehnergrenze auf Philippe Coutinho passen konnte. Dieser tanzte Ramires aus und schlenzte den Ball ins lange Eck.
Zweite Halbzeit
Nach der Pause nahm das Angriffsspiel der Reds etwas mehr Fahrt auf. Zudem wurde ihr Gegenpressing phasenweise intensiver. Im Pressing gegen Chelseas Aufbau leiteten sie den Ball einige Male auf Mikel, indem Lallana direkt bei Ramires blieb und Firmino als Keil zwischen die beiden gegnerischen Innenverteidiger schob.
Die Blues waren bei eigenem Angriffspressing nur gefährlich, wenn Diego Costa bis Simon Mignolet durchpresste und der belgische Torwart zu einem schnellen Pass gezwungen wurde. In diesen Moment war das Aufrückverhalten der Hausherren akzeptabel. Aber ansonsten blieben sie auch in den zweiten 45 Minuten zu passiv.
Außerdem blieb Eden Hazard als Umschaltzehner sehr blass. Der Belgier wurde noch vor der 60. Minute durch den brasilianischen Außenbahndribbler Kenedy ersetzt. Während Mourinho zudem mit der Hereinnahme von Fàbregas für Mikel positionsgetreue Wechsel vornahm, versuchte es Klopp mit kleineren Änderungen in der Offensive.
Benteke ersetzte Milner in der 64. Minute. Lallana ging deshalb vermehrt auf den Flügel, Firmino auf die Zehn. Eben jener Benteke war dann auch an beiden Treffern der Reds beteiligt. Beim 2:1-Führungstreffer kam ein langer Ball auf die halbrechte Seite, wo Benteke gegen Azpilicueta das Spielgerät locker nach innen legen konnte. Dort ließ Coutinho erneut mit einem Haken die Gegenspieler ins Leere laufen und brachte den Ball, von John Terry leicht abgefälscht, im Gehäuse unter.
Beim abschließenden 3:1 war es Benteke selbst, der im gegnerischen Sechzehner den Ball verarbeiten und einschieben konnte. Erneut ohne notwendigen Druck der Chelsea-Verteidigung.
Fazit
Wie soll man Chelseas Leistung bewerten? Wahrscheinlich war der frühe Führungstreffer sogar ungünstig für die Blues. Denn anschließend verfielen sie in alt bekannte Muster. Doch warum sie im heimischen Stadion dem keinesfalls gefestigten Gegner derart das Kommando überließen, sollten sich Mannschaft und Mourinho fragen. Denn das teils praktizierte Abwehrpressing war selbst gegen die schwachen Angriffsstrukturen Liverpools zu wenig.
Und hiermit kommen wir zu Klopps Team. Gewisse Elemente und Probleme erinnern an Klopps Anfangs- und Endjahre beim BVB. Liverpool rennt sich zu oft fest und greift phasenweise zu blind an. Aber ein langer Ball auf Lewandowski Benteke könnte sich zumindest in den nächsten Wochen als effektives Mittel erweisen.
16 Kommentare Alle anzeigen
side 1. November 2015 um 21:47
Ist es von Klopp und Co. nicht ein Bisschen zu kurz gedacht, jetzt die PL wegpressen zu wollen?
Wo ist da die Weiterentwicklung der Spielidee bzw. -des system? Letztlich war es ja auch das, was dann beim BVB zum Stillstand geführt hat.
CE 2. November 2015 um 07:35
Ich glaube kaum, dass sein Engagement bei Pool sieben Jahre dauern wird. Er plant sicher eher für ein drei- (Vertragslaufzeit) oder vierjähriges Projekt. Und da die EPL in Sachen Pressing doch noch derart viel Aufholbedarf hat, war die Verpflichtung Klopps sicherlich gut gewählt. Im ersten Jahr der Rebuild, im zweiten Jahr dann das Herantasten an die Spitze sowie Veränderungen im Kader und im dritten Jahr der Peak.
Koom 2. November 2015 um 08:12
Je nachdem, wie gut der Peak läuft, setzt es dann wieder 2 Meisterschaften *g* und 80% der Liga zieht dann taktisch nach. Also in etwa wie in der Bundesliga. Wobei es in der Premier League wesentlich mehr Spieltage sind, dazu 2 Cup-Wettbewerbe und international wird man bestimmt auch regelmässig dabei sein. In Dortmund profitierte Klopp auch sehr davon, dass er die ersten 2-3 Jahre praktisch keine englischen Wochen hatte.
AG 23. August 2019 um 10:28
Top Vorhersage, nur eine Saison hat es länger gedauert 😉 Hoffentlich kommt jetzt nicht der Absturz (defensive Wackler gegenüber der letzten Saison gab es trotz zwei von zwei Siegen in der Liga).
studdi 2. November 2015 um 12:32
Ist doch auch normal das man als neuer Trainer erst mal am spiel gegen den Ball Arbeitet, wenn dieses noch nicht ausgereift ist. Wenn die Defensiven Abläufe Funktionieren geht man an die Offensiven Probleme. Man kann ja nicht alles von heute auf morgen verändern.
vanGaalsNase 2. November 2015 um 22:42
Da die Qualität des Gegenpressings maßgeblich von den Staffelungsstrukturen des eigenen Ballbesitzes abhängt, kommt man kaum umhin, sich simultan um den offensiven Moment zu kümmern.
Dr. Acula 31. Oktober 2015 um 23:28
hab auf eine analyse zu diesem spiel gehofft und insbesondere der satz „Gewisse Elemente und Probleme erinnern an Klopps Anfangs- und Endjahre beim BVB.“ findet anklang bei mir.. ich hätte nichts gegen eine gewisse eingewähnungszeit, nach der klopps liverpool die PL in grund und boden presst, woraufhin nach 5,6 jahren eine schwache phase folgt und er nach spanien wechselt.. würde mir glaub spontan ein sky abo holen, sollte ich erste anzeichen dahingehend erkennen;-)
Wasserkocher 31. Oktober 2015 um 23:00
Das war Spitze:
Klopp was up on his feet, applauding wildly, like the world’s most enthusiastic primary school teacher celebrating a correct piece of working in the margins of another dud long division.
(aus dem guardian.co.uk, Artikel von Barney Rooney)
HW 1. November 2015 um 20:00
Muss für die Engländer eine Überraschung sein, dass sich ein Trainer mal am Fußball erfreut.
Allerdings hat sich in der zweiten Halbzeit ein Trainer von Chelsea mit Klopp wegen seines typischen Verhaltens angelegt. Wenn das mal nicht von Mourinho geplant war.
Generell zwei Cheftrainer mit total unterschiedlicher Ausstrahlung. Mourinho versucht schon vor dem Pausenpfiff in Richtung Kabine zu verschwinden. Das gibt dem Team auf Dauer einen ganz anderen Eindruck als ein Trainer, der noch auf dem Nachhauseweg aufgedreht ist.
Mourinho wirkt auf mich mittlerweile viel zu kalkulierend was seine Außendarstellung betrifft. Oder er glaubt zumindest, dass er seine Außendarstellung noch im Griff hat.
kamuka 2. November 2015 um 03:56
„Muss für die Engländer eine Überraschung sein, dass sich ein Trainer mal am Fußball erfreut.“
Nicht nur ein Trainer, sondern überhaupt mal jemand. Regeln die da den Stadionsound einfach viel leiser als in D, oder ist da wirklich absolut keine Stimmung? Ich kann mir die Spiele echt nicht ansehen. Dann ja noch lieber Vuvuzelas…
The Wall 31. Oktober 2015 um 21:26
Danke für die interessante Analyse!
Die Passivität im Abwehrpressing von Chelsea fällt doch generell auf. Mourinho fordert dies von seinen Spielern, was durch die individuelle Klasse des Gegners allerdings durch Aktionen, wie den im Artikel erwähnten Schlenzer von Coutinho ausgenutzt wird. Mich würde interessieren wie das gegen Bayern mit Robben, Costa und Co. aussehen würde.
csp 31. Oktober 2015 um 20:02
Danke für die schnelle Analyse.
Ich hatte den Eindruck, dass Liverpool seine Pässe häufig sehr hart gespielt hat und sie dann Schwierigkeiten hatten den Ball unter Kontrolle zu bringen und so sich „leichter“ festgerannt hat. Kann das sein?
CE 1. November 2015 um 09:23
Ja, ist mir auch teilweise aufgefallen. Es gab ein paar Aktionen, wo einerseits die Positionierung und andererseits das Timing nicht stimmte.
cali 1. November 2015 um 17:39
Firmino konnte diese Bälle allerdings überragend verarbeiten!
CF 31. Oktober 2015 um 19:46
Kurze, knackige und informative Analyse! Vielen Dank dafür!
wie ist das Pressing/Gegenpressing der Liverpooler insgesamt zu bewerten?
CE 1. November 2015 um 09:25
Insbesondere für PL-Verhältnisse ist das Gegenpressing schon stark. Aber noch lange kein Vergleich zum BVB in Hochform, was natürlich auch nicht direkt zu erwarten war.