Souveräner Atlético-Sieg gegen flexibles Valencia ohne Punch
Semi-Spitzenspiel in Spanien! Valencia und Atlético, zwei der größten Verfolger der großen spanischen (beziehungsweise katalanischen) Teams in La Liga, trafen im direkten Duell aufeinander. Valencia hängt aktuell mit nur zwölf Punkten aus acht Partien hinten dran, während Atlético sich mit einem Sieg wieder auf Platz 3 und vor Sensationsteam Celta Vigo katapultieren könnte.
Valencia mit Stabilitätsfokus und weiten Distanzen im Mittelfeld
Die Gäste aus Valencia starteten zwar intensiv und fast schon wild (schnelle Kurzpasskombinationen, aggressives Bewegungs- und Passspiel, sofortiges Gegenpressing vieler Spieler, intensives Pressing), doch prinzipiell hatten sie auch einen hohen Fokus auf die eigene Stabilität. Im tiefen Spielaufbau standen die Außenverteidiger anfangs relativ tief und nahe an den Innenverteidigern. Dadurch wollte man wohl einerseits das Pressing Atléticos anlocken und Räume öffnen und andererseits nach Ballverlusten schnell die Viererkette herstellen können.
Die Mittelfeldspieler und Stürmer wiederum standen in dieser Phase oftmals weiter auseinander, um die sich bietenden Räume besetzen zu können. Im zweiten Drittel boten sie sich an und wenn die Achter oder Flügelstürmer den Ball in den seitlichen Räumen erhielten, hinterlief sie der Außenverteidiger dynamisch. Mithilfe dieses Mechanismus wollte man wohl das Spiel in die Spitze sowie Präsenz beim Angriffsvortrag mit einer hohen Stabilität koppeln.
Besonders effektiv war dies nicht.
Atlético mit Kompaktheitsambivalenz
Es gibt häufiger Teams, die mit geringer horizontaler und hoher vertikaler Kompaktheit spielen. Das umgekehrte ist selten der Fall. Bei Atlético war es in dieser Partie jedoch immer mal wieder zu sehen. Grundsätzlich hat sich ihr 4-4-2 in letzter Zeit klar gewandelt. Das extrem enge und in alle Richtungen kompakte, hochintensive 4-4-2 mit enger Mittelfeldkette und breiter Abwehrkette gibt es ohnehin seltener zu sehen. Barcelona und Real hatten sich unter anderem mit Messi als Flügelstürmer, Vorstößen des ballfernen Innenverteidigers, Halbraumverlagerungen und fest positionierten Dribblern im ballfernen Halbraum dagegen ein paar Male durchsetzen können.
Simeone hatte darum zuerst die Breitenstaffelung angepasst und später etwas die horizontale Kompaktheit im zweiten Band gelockert. In dieser und Ende letzter Saison spielte Simeone schon mehrfach mit den Abständen. Mal gab es etwas größere Abstände in der Breite, mal in der Tiefe und mal erinnerten sie eher an eine 08/15-Mannschaft (mit viel mehr Intensität) als an die 2013/14-Defensivmaschine.
Gegen Valencia ließ man häufiger den Zwischenlinienraum etwas weiter offen, während die horizontale Kompaktheit enorm war. Grund dafür? Als Außenstehender kann man natürlich nur spekulieren. Allerdings wirkte es so, als ob Valencia eher Läufe in die Tiefe suchte und auch den Zwischenlinienraum nur situativ ordentlich besetzte, während sie häufig im Mittelfeld die Breite nicht ordentlich gaben.
Durch die enge Vier im Mittelfeld konnten Atléticos Sechser und Flügelstürmer immer wieder herausrücken und flexibel Valencias Spielaufbau im Zentrum pressen, ohne direkt Räume zu öffnen. Valencia wurde auf die Seite geschoben und konnte dann zugestellt werden. Um die offenen Räume zwischen den Linien zu kompensieren, ließ sich auch oft einer der Mittelfeldspieler etwas zurückhängen oder einer der Innenverteidiger rückte heraus. Dadurch gab es zumindest einen Spieler zwischen den Linien, der – wenn die Notwendigkeit entstand – aggressiv pressen konnte, bis die Mitspieler sich zurückfallen ließen.
Desweiteren rückten sie situativ auch enger zusammen, z.B. in Situationen nahe am eigenen Strafraum oder bei präsenterer Zwischenlinienraumbesetzung des Gegners; in letzterem Fall allerdings durch die zahlreichen Mannorientierungen in der Mitte.
Valencias Aufbaustruktur schnitt sich dadurch ins eigene Fleisch. Atlético umging nämlich durch diese Spielweise geschickt jene Probleme, die Valencias Mittelfeld sonst kreiert hätte.
Enorme Flexibilität bei den Gästen
Das aus taktischer Perspektive Interessanteste an dieser Partie dürfte die Variabilität Valencias gewesen sein. Eine klare Formation war selten auszumachen. Man stand immer wieder mit zwei Sechsern und einem Zehner, einem Sechser und zwei Achtern oder auch zwei Sechsern und zwei Achtern/Zehnern im Spielaufbau.
Nominell dürften viele die Formation als ein 4-3-3 wiedergeben; Andre Gomes wird z.B. bei WhoScored als Flügelstürmer klassifiziert mit Parejo und Danilo als Achter vor Perez. Allerdings rückte Gomes immer wieder in die Mitte, während sich Parejo und Danilo flexibel neben Perez zurückfallen lassen konnten.
In einigen Aufbauphasen wirkten sie dadurch beispielsweise wie eine typische Rautenformation. Gomes schob in die Mitte und besetzte vor den beiden Achtern den Zehnerraum. Diese konnten wiederum etwas breiter agieren und dadurch die Außenverteidiger unterstützen, was vermutlich zu den besten Aktionen Valencias gehörte; insbesondere bei passender Einbindung des enorm spielstarken Joao Cancelo als Rechtsverteidiger.
Diese flexiblen 4-1-2-3, 4-3-1-2 und 4-2-2-2-Strukturen wurden ebenfalls von den Stürmern unterstützt. Sie pendelten vorne zwischen Mitte und Flügel, wobei Santi Mina und Rodrigo beziehungsweise der verletzungsbedingt später eingewechselte Alcacaer die Bindung ans Mittelfeld fehlte. Hier kam einerseits das aggressive Pressing Atléticos hinzu und andererseits die bereits angedeuteten schlechten individuellen Positionen, welche den Übergang nach vorne verschlechterten.
Trotz der starken Einzelspieler in der Mitte und der hohen Präsenz dort konnte Valencia Atléticos Zentrum nicht durchbrechen. Nur gelegentlich starkes Timing des Hinterlaufens ab zweitem Drittel (Verlagerungen mit Achter am Ball) und im letzten Drittel (Flügelstürmer am Ball seitlich beim Einrücken) durch die Außenverteidiger sowie einige Konter mit direkten langen Pässen entlang der Linie führten zu annährend gefährlichen Aktionen.
Defensiv war es ebenfalls „Gute Idee, mäßige Umsetzung“. Gegen den Ball formierten sie sich zwischen 4-4-2 und 4-2-3-1; Mina und Rodrigo/Alcacer spielten beim 4-4-2 meistens vorne, die Flügelstürmer – einer der „Achter“ oder einer der Stürmer auf rechts und Gomes auf links besetzten beim 4-2-3-1 die Flügel. Letzteres gab es häufiger zu sehen.
Allerdings wurden die Seiten (ballferner Flügel und ballferner Halbraum) oftmals fast fahrlässig freigelassen; der ballnahe Flügelstürmer fiel aus der 4-2-3-1-Struktur situativ nach hinten zurück neben die Sechser und gemeinsam presste man auf den Flügel, während der ballferne Flügelstürmer diagonal in den gegnerischen Sechserraum schob. Die Sechser rückten generell sehr viel heraus und öffneten Räume, die Flügelstürmer zockten einige Male. Allerdings hatten die Rojiblanco auch hier die richtige Lösung parat.
Atlético: Simpel, intelligent, effektiv
Offensiv hat sich Atlético – abgesehen von den Spielertypen und den damit einhergehenden Umstellungen – nur wenig in den letzten Jahren verändert. Die Flügelstürmer rücken weit in die Mitte ein und überladen diese, oftmals kreieren sie sogar Verbindungen zueinander. Die zahlreichen 4-2-2-2-Strukturen werden durch die beweglichen Stürmer und die aufrückenden Außenverteidiger unterstützt sowie die Sechser und Innenverteidiger abgesichert. Die Stürmer pendeln oft nach außen oder einer lässt sich zurückfallen (aktuell eher Griezmann), während einer der Flügelstürmer auch breiter bleiben und mit dem Außenverteidiger überladen kann. Häufig schiebt dann einer der Sechser nach vorne.
Diese Spielweise half auch gegen Valencia. Immer wieder konnte man die vielen herausrückenden Bewegungen Valencias umspielen oder schnell in den ballfernen Halbraum verlagern, wo dann der ballferne Flügelstürmer schon wartete. Mit Ferreira-Carrasco und Griezmann hatte man – neben Balancegeber und Spielgestalter Koke – zwei dribbelstarke Akteure auf den vier Offensivpositionen. Der vierte im Bunde, Mittelstürmer Jackson Martinez, fungierte als Ablagestation, gab Tiefe und bot sich für längere Pässe an.
Diese Mischung ermöglichte Atlético schnellen Raumvortrag und natürlich gute Konter. Ferreira-Carrascos Tor zum 2:0 war beispielsweise ein typischer Abschluss; unangenehme Dynamik für den Gegner, Eindringen in die Mitte, Kreieren und Verwerten einer guten Abschlusssituation mittig am Strafraum.
Der Anschlusstreffer Valencias täuschte letztlich nicht darüber hinweg, dass Atlético das Spiel über weite Strecken dominiert und verdient gewonnen hatte.
1 Kommentar Alle anzeigen
Sylvana 30. Oktober 2015 um 12:08
Danke für den Bericht! Freue mich immer wieder, etwas aus der spanischen Liga zu lesen 🙂 weiter so!