Kleine Bewegungslichtblicke und stabile Defensivmechanismen im Abstiegsduell
Bis auf Hamburgs Flügelüberladungen und Dribblingszenen der Anfangsphase waren Torchancen zwischen dem HSV und Hertha rar. So sah es lange Zeit nach einem 0:0 aus, ehe eine Standardsituation den späten Auswärtssieg besorgte.
Zur Eröffnung des 26. Spieltags stieg das Abstiegsduell in Hamburg, zwischen dem HSV und der Hertha aus Berlin. Die Gäste konnten zuletzt einen Aufwärtstrend verzeichnen und traten in ihrer 4-2-3-1-Formation ohne Veränderungen, sondern exakt mit dem Personal der Vorwoche an. Erneut bildeten Skjelbred und Lustenberger die Doppel-Sechs, Beerens und Ben-Hatira das Flügelduo und Kalou die Sturmspitze vor dem beweglichen Valentin Stocker. Der Hamburger SV trat erneut in seiner 4-2-3-1/4-4-1-1/4-4-2-Formation mit Stieber als horizontal ausweichendem Halbstürmer bzw. Zehner an. Die auffälligste personelle Veränderung war die Rückkehr von Rafael van der Vaart in die Anfangself.
HSV-Aufbau gegen Hertha-Pressing
Der niederländische Kapitän begann anstelle des gelbgesperrten Jirácek als etwas offensiverer Teil der Doppelsechs neben Behrami. Auch wenn es einige höhere Phasen gab, ließ er sich – wie schon häufig gesehen – weit zurückfallen, um im Aufbau zu helfen und den nicht unbedingt spielmachenden Schweizer zu entlasten. Aus dieser Hinsicht war das kein schlechter Plan, allerdings fehlte es als Reaktion darauf nicht zum ersten Mal an Balance in den Rückfallbewegungen sowie an Konsequenz beim entsprechenden Auffächern der Innenverteidiger und den Folgepositionierungen Behramis. Grundsätzlich hatte der HSV also erneut eine gewisse Schwäche in den Vertikalstaffelungen.
Dagegen setzte die Hertha in der Verteidigung einige Variationen der genauen formativen Darstellung ihres Mittelfeldpressings zwischen 4-4-2 und 4-2-3-1-hafteren Phasen mit stärkerer Betonung einer Dreierreihe hinter Kalou. Die beiden Sechser achteten sehr bewusst auf den Kontakt zueinander, bewegten sich gut positionsorientiert und gingen bei Notwendigkeit etwas zum Flügel. Daneben wussten vor allem die situativ eingerückten Positionierungen und manchmal diagonal von hinten in die Halbräume nachpressenden Bewegungen der offensiven Außenspieler zu überzeugen. Auf diese Weise stand die Hertha in der Mitte kompakt und ließ die Hausherren über diesen Bereich erst recht nicht nach vorne kommen.
Dribblings und Flügelüberladungen meist abgeschnürt
Phasenweise wurde die Konzentration auf diese Bereiche aber – in Relation zur Raumwahl und Fokuslegung des HSV – fast schon zu viel und die Berliner öffneten stattdessen ein wenig die Flügelzonen, die die Hanseaten meistens suchen. So konnten diese trotz der kleineren Staffelungsprobleme im Aufbau doch einige Male seitlich weit bis ins Angriffsdrittel vorstoßen. Dort zeigte ihre Offensivabteilung die aus den letzten Wochen übliche Ausrichtung: Die beiden Spitzen zeigten sich sehr umtriebig, wichen aus und bewegten sich unterstützend zu den Flügelspielern, die breite Grundrollen hatten. Zwar versuchte Ilicevic in den Übergangsbereichen einige Male etwas in den Halbraum einzurücken, doch gerade Nicolai Müller war auf der anderen Seite wieder zu sehr auf eine simpel lineare Ausrichtung festgelegt. So gehörten vor allem die Dribblings der beiden nominellen vorderen Angreifer innerhalb dieses seitlichen Fokus zu den wichtigsten Angriffswaffen im Team.
Vor allem auf halblinks konnte sich nach dem Aufrücken einige Male auch van der Vaart zusätzlich einschalten und suchte dabei das Zusammenspiel mit Ilicevic. In den meisten Fällen hatten die Herthaner diese Überladungsversuche aber selbst bei zusätzlicher Unterstützung des Niederländers gut im Griff. Ihre beiden Sechser formten bei solchen Szenen meist frühzeitig eine zur Seite verschobene Grundorientierung und konnten von dort aus – wie schon gegen Schalke – mit sauberem, konsequentem Verschieben die Situationen zustellen. Gerade auf der linken Offensivseite hatte der HSV mit Skjelbred einen Spieler neben sich, dem es ohnehin liegt, herausrückend in diese Zonen zu driften. So waren die Gäste ballnah kompakt und konnten aus den 4-2-3-1-haften Phasen zudem effektivere Rückzugsbewegungen starten, um die Szenen noch stärker am Flügel abzuschnüren.
Allein in der Anfangsviertelstunde fand der HSV dagegen noch gelegentliche Möglichkeiten, sich zu lösen. In ihren Defensivbewegungen zogen die Berliner Außenstürmer einige Male etwas zu flach nach hinten und öffneten damit horizontale Rückwege, die der ballbesitzende Hamburger für schnelle Dribblings zurück ins Zentrum bzw. den Halbraum nutzen konnte. Vereinzelt wurde das mal durch die Kombination verschiedener Laufwege fokussiert, indem beispielsweise Nicolai Müller kurz einrückte und sofort wieder breit ging, während Stieber sich außen den Ball holte und dann dribbelnd nach innen zog. Im besten Fall konnten die Bewegungen dabei Ben-Hatira nach hinten drücken und kurzzeitig auch noch einen Sechser beschäftigen oder blocken, um Stieber Raum zu schaffen. Auch wenn es im Zusammenspiel nicht immer so gut klappte, konnte der HSV zumindest diese Bewegungsdynamik einbringen, um zu Abschlüssen zu kommen. Nach der Anfangsphase stellte sich die Hertha aber besser darauf ein und ließ im weiteren Verlauf der Partie praktisch keine wirklich gute Torchance der Hansestädter mehr zu.
Viele lange Bälle bei Hertha
Gegenüber den eher harmlosen Offensivversuchen machten die Hamburger Defensivaktionen in dieser Begegnung erneut einen besseren Eindruck. Aktuell ist das Pressing nicht mehr so durchgehend aggressiv und 4-1-3-2-haft angelegt wie noch in einigen wilden Phasen der Hinrunde, aber weiterhin von Intensität und Engagement geprägt. Sie zeigten sich konsequent beim Pressen der gegnerischen Verteidiger, versuchten die Passwege auf die Sechser abzusperren und rückten vereinzelt kurz heraus, ohne zu brillieren. Zwar gab es bei Hertha gelegentlich sogar Rückfallbewegungen von Ben-Hatira, der hinter der Mittelfeldreihe Raum zu suchen gedachte. Allerdings fehlte es durch die hohen Offensivkollegen an weiterführenden Möglichkeiten und eingeschränkten Bewegungsoptionen, so dass das ballnahe Hamburger Dreieck Druck machen konnte. So gelang es der Hertha zu selten, sich aus der unangenehmen Spannung der Hamburger Spielweise zu lösen, und griff aufgrund dessen immer wieder zu frühzeitigen langen Bällen, die einen Hauptbestandteil ihrer Spielweise ausmachten.
So setzten sie die unter Dardai weiterhin eher simple Anlage in der Offensive fort, überzeugten darin aber erneut mit der horizontalen Ausrichtung ihrer Bewegungen. Dadurch konnten sie einige Male fluide Einzelmomente, Flügelüberladungen oder dynamische Verlagerungsmöglichkeiten herstellen und positionierten sich für die langen Zuspiele recht gut. Entsprechend gewannen sie manches Mal den zweiten Ball und schufen so die Möglichkeit, die genannten Angriffsmittel einzuleiten. Daneben versprühten sie über gelegentliche Konter Gefahr und konnten sich ansatzweise aus den viel besetzten Flügelzonen lösen, waren in ihren Umschaltstrukturen aber wiederum eher simpel. Mit der Einwechslung Haraguchis gewannen sie hier noch einmal etwas an Qualität. Alles in allem war es aber für diese Begegnung nicht ganz unpassend, dass ihr 1:0-Siegtreffer kurz vor Schluss nach einer Standardsituation fallen musste (wenngleich die Hamburger mehr Abschlüsse auf diesem Wege verbucht hatten). Beim HSV war mit der Lasogga-Einwechslung bereits auf ein 4-4-2 umgestellt worden, das aber ebenso wenig noch den Ausgleich erzwingen konnte, wie der Einsatz von Nicolai Müller als eine Art Wing-Back in den Schlussminuten.
Fazit
Insgesamt kann man durchaus von einer etwas unglücklichen Niederlage für den HSV sprechen, wenn man die wenigen Chancen auf beiden Seiten, das Zustandekommen des Gegentreffers kurz vor Schluss und die Tatsache betrachtet, dass ein torloses Remis vielleicht besser zur Begegnung gepasst hätte. Unabhängig vom Ergebnis bleibt für die Norddeutschen allerdings ein weiteres Mal die große Harmlosigkeit in der Offensive hängen. Die zu simple Ausrichtung der Flügel und der Fokus auf die Seiten sowie die immer wieder auftretenden Aufbau-Probleme von der Sechserposition sind unveränderte Makel des Teams.
Dass – wie übrigens auf der anderen Seite – gewisse Bewegungsmuster der vorderen Spieler durchaus als Positivpunkte gewertet werden können und die Defensivarbeit weiterhin auf einem soliden Niveau ist, reicht nicht und hilft in dieser Situation nicht entscheidend. Für die Hertha, die sich mit dem Sieg erst einmal etwas Luft verschafft hat, gilt von der Tendenz ähnliches, wenngleich sie in den Angriffsabläufen schon etwas geschickter und den Defensivmechanismen ausgewogener agieren. Unter Dardai haben sie bisher zu etwas mehr Stabilität und Solidität gefunden.
3 Kommentare Alle anzeigen
Tzaduk 23. März 2015 um 09:36
Überhaupt: Hertha… Ich als Hauptstädter finde ja relativ wenig Beiträge zur Alten Dame an der Spree. Hat das vielleicht damit zu tun, dass deren „taktisches Portfolio“ einfach extrem begrenzt ist? Wundern würde es mich nicht, im Moment haben die auch echt andere Sorgen. Aber es fällt schon auf, dass die Beiträge, die sich „lohnen“ eigentlich immer bei Mannschaften zu finden sind, deren Trainer etwas mehr Spielraum in Bezug auf Taktik haben.
Vinnies Beitrag zeigt ja auch, dass die Hertha nicht unbedingt taktisch zu überzeugen weiß, sondern mehr durch Fleiß ihre begrenzten Fähigkeiten einzubringen versucht. Das Spiel hier war in dieser Hinsicht auch geradezu Not gegen Elend. Der ständige Wunsch, in Berlin mal so einen Taktikfuchs (Tuchel…?) zu installieren, sollte diesbezüglich auch besser mal unerfüllt bleiben, bis die Spieler das notwendige Fähigkeitengerüst vorzeigen können…
Vinnie 22. März 2015 um 22:51
Seit Dardai den BSC übernommen hat wurde dieser von einer der laufschwächsten zu einer der laufstärksten Mannschaften der Liga. Ebenso wurde er von der zweikampfschwächsten Mannschaft der Hinrunde zu einer eher zweikampfstarken Mannschaft. Gegen Hamburg war man in fast allen statistischen Kategorien (Anzahl der Pässe, Passsicherheit etc.) unterlegen, während man in Sachen Laufleistung und Zweikampfquote die Nase vorn hatte. Was meint ihr: Ist das lediglich auf Dardais Fähigkeiten als Motivator zurück zu führen (so wie die Mainstream-Presse es deutet) oder hat die Verbesserung eine taktische Dimension?
Bergkamp 22. März 2015 um 00:50
Wenn man schon anhand der Überschrift erkennt dass es sich um eine TR Analyse handelt 😀 Bester Mann!