Leverkusens souveräner Sieg nach unsouveräner Anfangsphase
Der VfB Stuttgart befindet sich im Abstiegskampf und musste auswärts bei Bayer 04 Leverkusen antreten.
Die Schmidt-Elf ist bekannt für ihr extremes Pressing und Gegenpressing, während der VfB in dieser Saison ein erfolgsstabiles Aufbauspiel unter Druck weitestgehend vermissen ließ. Somit war ein Fokus auf schnelle Konter und ein eigenes, intensives Pressing zu erwarten. Normalerweise funktioniert das nur, wenn Leverkusen einen schlechten Tag erwischt – ansonsten hat es eher etwas davon, einen Vulkan mit einem Feuerzeug bekämpfen zu wollen. Doch dieses Mal klappte es; eine halbe Stunde lang.
Stuttgart startet gut im 4-4-1-1/4-2-1-3
Der VfB begann mit einer etwas überraschenden Personalwahl und einer durchaus treffend an den Gegner angepassten Ausrichtung. Maxim auf der Zehn, Ginczek als Mittelstürmer und die Flügelzange Werner/Kostic spielten in dieser Saison spielten vergangene Woche gegen die Hertha erstmals gemeinsam und wurden auch dieses Mal miteinander aufgestellt. Serey Dié und Gentner bildeten die Doppelsechs. Das in dieser Saison häufig genutzte 4-1-4-1 war eigentlich nur situativ und auch hier sehr selten zu sehen, meistens war es eben ein 4-4-1-1, welches aber etwas ungewöhnlich interpretiert wurde.
Zwar verfolgten die Flügelstürmer häufig die gegnerischen Außenverteidiger mannorientiert weit nach hinten und standen gelegentlich auf Höhe der Viererkette, häufig zockten die Flügelstürmer aber auch. Sowohl Kostic als auch Werner versuchten sich einige Male bei zentralen Kombinationen der Leverkusener auf engem Raum schon für den kommenden Konter zu positionieren. In der Zwischenzeit ließ sich Maxim oftmals weit zurückfallen und unterstützte die Doppelsechs bei der Zentrumsverteidigung, verengte den Raum zusätzlich und versuchte mit seinem tollen Passspiel auch nach Balleroberungen direkt Konterangriffe auf die beiden Flügelstürmer einzuleiten.
Ohnehin ließ sich der VfB auf den Leverkusener Spielrhythmus ein. In der gesamten ersten Halbzeit gab es nur sechs Abschlüsse, je drei auf beiden Seiten. Die Passquoten lagen auf beiden Seiten unter 70%, es fanden insgesamt 36 Luftzweikämpfe bei 81 langen Bällen statt – nur Rolfes hatte mehr Pässe im Spiel als es Luftzweikämpfe gab.
Der VfB baute im hohen Mittelfeld und einem 4-4-1-1/4-4-2 relativ früh Druck auf, bevor sie in der eigenen Hälfte eben Maxim tiefer nutzten und die Flügelstürmer situativ zocken ließen. Nur bei tieferer Ballzirkulation Bayers ließen sie die Leverkusener in Ruhe, nutzten aber ansonsten viele Mannorientierungen, um immer Zugriff zu haben und den Hausherren die Anspielstationen zu nehmen. Bayer hingegen zeigte die übliche Spielweise gegen den Ball und war mitverantwortlich für das zerfahrene, intensive Spiel.
Schmidts Pressingmaschine zwischen 4-2-3-1, 4-4-2 und 4-2-2-2
Obgleich die Leverkusener wieder Castro und Rolfes situativ zurückfallen ließen und die Außenverteidiger sich öfter etwas zurückhielten, hatten sie ein eher ungeduldiges Aufbauspiel im Vergleich zu den letzten Spielen. Die geringe Passquote zeigte, dass sie sich wieder verstärkt auf das schnelle Erzeugen lokaler Überladungen mithilfe der Offensivspieler konzentrierten und diese früh einzubinden versuchten. Die etwas erhöhte Zurückhaltung der Sechser und Außenverteidiger sorgte wiederum dafür, dass sie auf relativ wenige Abschlüsse kamen, dafür aber die Stuttgarter Konter kaum zur Entfaltung kamen. Obwohl es viele Angriffsversuche und Ballverluste auf beiden Seiten gab, hielten sich aussichtsreiche Situationen im letzten Drittel in Grenzen.
Desweiteren waren die Leverkusener einmal mehr sehr gut im Pressing und Gegenpressing. Immer wieder stellten sie die Anspielstationen ins defensive Mittelfeld bei den Stuttgartern zu, die Flügelstürmer schoben situativ vor und rückten ein, wodurch die 4-2-2-2artigen Staffelungen im tiefen Angriffspressing entstanden. Stuttgart band hierbei die Außenverteidiger nicht gut ein, auch die Sechser hatten Probleme beim Anbieten. Ulreich spielte zahlreiche lange Bälle in Leverkusens Formation, welche im Gegenpressing und Kampf um die zweiten Bälle verloren gingen.
Das 3:0 durch Bellarrabi entstand beispielsweise exakt dadurch. Ulreich hatte den Ball, die Stuttgarter waren inkonsequent beim Anbieten beziehungsweise beim Bespielen der tiefen, freien Anspielstationen, weswegen Ulreich auf den langen Ball zurückgriff. Leverkusen holte sich diesen und konterte über Bellarrabi zum dritten Tor. Zu diesem Zeitpunkt war das Spiel allerdings ohnehin schon gelaufen.
Leverkusen profitiert von der Führung und neutralisiert Stuttgart
Vor dem ersten Tor für Bayer war der VfB eigentlich keineswegs schlecht. Eine Großchance von Ginczek wurde von Leno herausragend pariert und hätte die Führung bedeutet; zwar war das 4-4-1-1 gegen den Ball nicht besonders komplex oder spektakulär umgesetzt, war zu jenem Zeitpunkt aber gegen die Leverkusener Spielweise ansatzweise stabil.
Die Spielerbesetzung selbst war für diese konterorientierte Spielweise bei einem chancenarmen Spiel eigentlich passend, doch nach einer Hereingabe von der rechten Seite erhielt Wendell – dank Hilfe einer flipperartigen Situation im Strafraum als Konsequenz einer fehlgeschlagenen Klärungsaktion der Stuttgarter – den Ball außerhalb des Strafraums, ging an zwei Stuttgartern vorbei und traf zur Führung. Kurz darauf war es eine Flanke von rechts auf Drmic, welche das 2:0 besorgte.
0:3-Schüsse waren es vor dem 1:0 für die Leverkusener, vor dem nächsten Torschuss für die Stuttgarter stand es 7:3. In jener Phase dominierten die Leverkusener das Spiel komplett, fanden die richtige Balance und konnten Stuttgart gut herausziehen. Nach der Halbzeit beziehungsweise nach dem 3:0 nahmen sie das Tempo aus dem Spiel, konterten aber nach einem Ballgewinn zum 4:0. Letztlich war alles, was nach dem Treffer und in der letzten halben Stunde passierte, irrelevant.
Leverkusen schonte sich für die Partie gegen Atlético, Stuttgart spielte Alibi-Fußball bis zum Spielende.
Fazit
Ein schwierig zu bewertendes Spiel. Mit sehr simplen Mitteln, Intensität und versuchtem Umschaltfokus wollte Stuttgart zu Spielbeginn Leverkusen beikommen, was eigentlich auch gelang. Leverkusen erzielte aber eben schnell das 1:0 und 2:0, tat sich fortan taktisch, strategisch und vermutlich auch psychologisch leichter. Stuttgarts Angriffe gingen lange Zeit komplett ins Leere, während Leverkusens Pressing und Gegenpressing immer besser griff. Nach dem 3:0 und 4:0, zwei Toren direkt nach einer Balleroberung, war das Spiel effektiv gelaufen.
Die Schmidt-Elf überließ Stuttgart mehr vom Ball, zog sich zurück, war insgesamt weniger intensiv in der Arbeit gegen den Ball und fokussierte sich auf das Konterspiel aus der eigenen Hälfte heraus. Stuttgart konnte das aber kaum nutzen und es blieb bei der klaren Niederlage.
Metapher des Spiels: Die Werbebande „Simple is smart“. Das mag zwar oft stimmen, nicht aber bei einem mannorientierten 4-4-1-1.
3 Kommentare Alle anzeigen
Braindrain 14. März 2015 um 10:28
Bezüglich defensiver Staffelung – mein Eindruck war, dass das horizontale Verschieben auch nicht gut funktioniert hat. Sakai, der gegen Bellarabi völlig überfordert war (alle Tore fielen letztlich über diese Abwehrseite) musste immer wieder gegen Bellarabi ins 1-1, ohne dass Werner, Gentner oder Niedermeier die Abstände verkürzten, um Bellarabi zu doppeln (wie es z. B. Dortmund üblicherweise gegen Robben macht).
Der VfB hat viele Probleme, aber m. E. derzeit ein großes auf den (offensiven) Außenpositionen im Mittelfeld. Spielt er mit Werner und Kostic, verteidigen diese nur unkonstant mit – wie im Artikel ja auch beschrieben. Deshalb versuchte es Stevens anfangs mit Klein und Hlousek. Dann passt zwar die Defensive besser, aber offensiv läuft überhaupt nichts mehr. Äußere Mittelfeldspieler, die die Balance finden, in dem sie nach vorne gefährlich sein können, aber trotzdem defensiv gut mitarbeiten (das müssen keine Überflieger sein – sagen wir mal Kategorie Werner/Augsburg) hat der VfB derzeit keine.
Valentin 14. März 2015 um 13:20
Ja das mangelhafte horizontale Verschieben war wirklich auffällig. Immer wieder konnte Leverkusen bei Kontern oder nach Überladungen vor allem Bellarabi durch Verlagerungen ins eins gegen eins bringen. Und Bellarabi ist dann eben gegen die allermeisten Gegenspieler in solchen unabgesicherten Situationen in der Lage sich durchzusetzen. Dafür muss jetzt nicht Sakai kritisiert werden. Beispielhaft dafür natürlich das dritte Tor.
Lenn 14. März 2015 um 14:40
Aber dafür zentrale Spieler wie Sand am Meer, dann muss ich als Trainer halt so flexibel sein dann Tannenbaum oder Raute zu spielen.