Krönung einer Ära – Manchester Uniteds Champions League Triumph 2008
Nachdem Sir Alexander Chapman Ferguson nach 27 Jahren und 38 gewonnen Titeln als Trainer von Manchester United zurückgetreten ist, werfen wir im Rahmen unserer Serie einen verspäteten Blick auf einen der vielen Höhepunkte in seiner Trainerkarriere. United unter Ferguson zwischen 2006 und 2009 gilt zurecht als eines der besten Teams der letzten zwanzig Jahre. 2007/08 spielte United einen wunderbaren Fußball und gewann die Champions League. Ein Überblick über eine kleine Ära.
Mit einem 5:5 bei West Bromwich Albion endete die Karriere von Sir Alex Ferguson bei Manchester United nach unfassbaren 27 Jahren. Der Schotte, der insgesamt 38 Titel mit dem englischen Rekordmeister sammelte, betreute in seiner Laufbahn viele große Spieler, ja sogar Spielergenerationen. Doch welches United-Team war das beste? Die 1999er-Mannschaft, die das Triple holte, hat allein aufgrund ihrer Erfolge einen festen Platz im Ranking der United-Anhänger. Doch auch das Team zwischen 2006 und 2009 war extrem erfolgreich – und spielte hochattraktiven, modernen Fußball. Den Höhepunkt der Ära stellt der Champions League Sieg 2008 in Moskau gegen Chelsea dar. Bevor es dazu kommen konnte, musste sich Ferguson jedoch erstmal einiger Altlasten entledigen und das Spielsystem umstellen. Der Beginn des Umbruchs war die Saison 2006/07.
Drei Jahre ohne Meisterschaft: Sir Alex rüstet auf
Nachdem Manchester United drei Jahre in Folge ohne Meistertitel blieb, führte Ferguson die Red Devils 2006/07 zur Meisterschaft und erreichte das Halbfinale in der Champions League.
Vor der Saison war Ruud van Nistelrooy zu Real Madrid gewechselt – der Beginn einer Umstellung des Spielstils. Um den im Strafraum absolute Weltklasse verkörpernden Neuner van Nistelrooy richtig in Szene zu setzen, war das Spiel in den Jahren zuvor zu flügellastig geworden und auf Hereingaben in den Strafraum fokussiert.
Mit dem Abgang von Van the Man und der Verpflichtung des defensiven Mittelfeldspielers Michael Carrick vom Ligakonkurrenten Tottenham sollte die spielerische Komponente wieder stärker in den Vordergrund rücken. Mit 89 Punkten hatte man zum Saisonende sechs Punkte Vorsprung auf Chelsea. Auffällig war jedoch die Anzahl und die Verteilung der geschossenen Tore. United traf in der Saison 2006/2007 83 Mal ins gegnerische Tor – 19 Mal öfter als der Zweitplatzierte in dieser Kategorie. Wayne Rooney und Cristiano Ronaldo ragten mit 14 bzw. 17 Toren heraus, aber vor allem war bemerkenswert, wie viele Spieler dahinter eine Vielzahl an Toren in dieser Saison erzielten. So traf Louis Saha 8 Mal, Edeljoker Solskjaer 7 Mal, Paul Scholes 6 Mal, Park Ji Sung 5 Mal, Giggs und O´Shea je 4 Mal.
Um auch international wieder ganz oben angreifen zu können, verstärkte Ferguson den Kader zur Saison 2007/08 erheblich. Mit Owen Hargreaves, Anderson, Carlos Tevez und Nani kamen gleich vier Topspieler nach Manchester. Besonders Hargreaves und Tevez sollten dafür sorgen, dass das Spiel der Red Devils noch variabler wurde.
Das variable 4-4-2 war zwischen 2006 und 2009 das Standardsystem unter Sir Alex. Tiefe Sechser waren ebenso ein Merkmal des Teams wie eine sehr fluide Offensive. Je nach Spielsituation und Gegner griff Ferguson auf verschiedene Varianten des 4-4-2 zurück.
Der defensive Flügelspieler im 4-4-2/4-3-3
Gegen Gegner mit offensivstarken Außenverteidigern – zum Beispiel Chelsea mit Ashley Cole oder Barcelona mit Dani Alves – brachte Ferguson in der Regel eine asymmetrische 4-4-2-Formation aufs Feld, die auch zu einem 4-3-3 werden konnte. Laufstarke, disziplinierte und im Defensivzweikampf geschickte Spieler wie Park Ji Sung, Darren Fletcher oder Owen Hargreaves agierten in diesen Spielen als Bewacher des gegnerischen Außenverteidigers. Auf der anderen Seite spielte meistens Ronaldo in einer hohen, zockenden Rolle, wie er es heutzutage auch bei Real Madrid tut.
Gegen starke gegnerische Linksverteidiger (Gleiches gilt auch für den anderen Flügel) halfen Park, Fletcher oder Hargreaves dem eigenen Rechtsverteidiger in sehr tiefen Zonen, bei Angriffen über die gegenüberliegende Seite rückten sie weit mit ein. Ronaldo und die beiden Stürmer – in der Regel Rooney und Tevez – standen in diesen Situationen sehr breit, sodass ein 4-3-3 entstand. Ging der gegnerische Linksverteidiger nun nach vorne, konnte Rooney oder Tevez in den Raum hinter ihn ausweichen und sich dort bei Kontern anspielbar machen. Diese Gefahr verleitete offensivstarke Außenverteidiger wie Ashley Cole dazu, erst gar nicht so weit vorzurücken, was auf Kosten der Breite im Angriffsspiel ging. Indem er Fletcher, Park oder Hargreaves in einer Doppelrolle als dritter Sechser und Rechtsaußen brachte, erzwang Ferguson eine Anpassung des Gegners an seine eigene Anpassung.
Verdichtung der Zentrale im 4-4-1-1 und 4-5-1
Gegen im Zentrum stark besetzte Gegner opferte Ferguson oftmals einen seiner Stürmer und brachte stattdessen einen weiteren Mittelfeldspieler. Im Viertelfinale der Champions League 2006/2007 gegen den AS Rom, der zu dieser Zeit ein 4-6-0-ähnliches System unter Luciano Spalletti spielte, wollte Ferguson die Spielfeldmitte stärken und forcierte gleichzeitig schnelle Konter. Er brachte Anderson für Tevez ins Spiel und zog Rooney auf die linke Seite, Cristiano Ronaldo rückte dafür in den Sturm. Mit Rooney und Park auf den Flügeln und Anderson vor Carrick und Scholes hatte United einen sehr kompakten und laufstarken Fünferblock, an dem sich die Roma nicht vorbeikombinieren konnte.
Im Umschaltspiel nutzten sie Ronaldos ausweichende Bewegungen auf die Flügel, wo er zusammen mit Park, Rooney und Anderson kombinierte und den Teamkollegen Zeit zum Aufrücken gab. Ronaldo orientierte sich im Verlaufe der Angriffe wieder ins Zentrum und setzte seine Kopfballstärke ein. Der Portugiese köpfte nach Flanke des nachgerückten Scholes das 1:0, Rooney erhöhte später auf 2:0 und besiegelte den Halbfinaleinzug.
Fluidität und Offensive pur: Das 4-2-4
Gegen schwächere Gegner schickte Ferguson immer mal wieder vier der fünf Offensivkräfte Rooney, Tevez, Ronaldo, Giggs und Nani aufs Feld. Während Scholes oder Carrick neben einem laufstarken Sechser wie Hargreaves oder Fletcher den Spielaufbau organisierte, drifteten die vier Offensivkräfte frei über das Spielfeld und erzeugten Überladungen. Besonders Ronaldo kam diese Spielweise sehr entgegen, da er nun näher am Tor war und somit häufiger zum Abschluss kam. In der Saison 2007/08 erzielte er in 34 Spielen 31 Tore und wurde Torschützenkönig der Premier League.
Er profitierte hier stark von den gut nach hinten arbeitenden Nebenleuten, die ihm die Defensivarbeit abnahmen und ihn so fürs Zocken befreiten. Die vier Stürmer bewegten sich im letzten Drittel oft sehr nah aneinander, wodurch sie nach Ballverlusten in der Regel in guten Ausgangspositionen fürs Gegenpressing standen. United konnte im Aufbau schwache Gegner so regelrecht hinten einschnüren und lange Bälle erzwingen. Diese waren für Ferdinand und Vidic nur in Ausnahmefällen ein Problem, auch für die zweiten Bälle stand Fergusons Elf mit den beiden Sechsern gut gestaffelt. Gegen stärkere Gegner griff Ferguson immer mal wieder auf ein dem 4-2-4 sehr ähnliches System zurück.
Das 4-2-4-0
Gegen Gegner mit starkem Zentrumsfokus ließ Ferguson seine Mannschaft häufig im 4-2-4-0 spielen. Im Gegensatz zum eben beschriebenen 4-2-4 wurden hier jedoch etwas andere Spielertypen benötigt. Auf den Außenbahnen setzte er defensivstarke Spieler wie Hargreaves oder Park ein, auch Rooney hat viele Spieler als defensivstarker Flügelspieler gemacht. Die Abwehrkette stand im 4-2-4-0 nicht besonders tief, dafür zog sich die vorderste Linie sehr weit zurück und wartete an der Mittellinie. Dabei ließ United die gegnerischen Innenverteidiger frei, ähnlich wie es der FC Bayern in der vergangenen Saison gegen den FC Barcelona tat.
Durch den geringen Abstand zwischen den Linien entstand ein sehr kompakter Block, den sie sehr weit in Richtung des Ballführenden verschoben. Im Vergleich zum 4-4-1-1/4-5-1, das Ferguson gegen spielstarke Gegner ebenfalls nutzte, bot das 4-2-4-0 noch mehr Potenzial für starke Konter. Die vier vordersten und durchweg schnellen Spieler hatten nach Ballgewinn sehr große Räume vor sich und konnten in hohem Tempo auf die gegnerischen Innenverteidiger zulaufen. Die Verteidigung dieser Hochgeschwindigkeitskonter, die häufig auch mit ansehnlichen Direktkombinationen verbunden wurden, war extrem schwierig und ohne Fouls kaum möglich.
Der Höhepunkt der Ära: Das Champions League Finale 2008 in Moskau
Den Höhepunkt der Ära 2006-2009 bildete der Triumph in der Champions League 2008 in Moskau. Wie sie den Rivalen Chelsea vor allem in der ersten Halbzeit dominierten, war exemplarisch für die Fähigkeiten Fergusons, seine Personal-, System- und Strategiewahl an den Gegner anzupassen.
Chelsea spielte unter Interimstrainer Avram Grant das gewohnte 4-3-3. Wegen Personalproblemen musste Essien als Rechtsverteidiger auflaufen, der Rest der Viererkette bestnd aus dem Stammpersonal. Davor agierte Claude Makelele in seiner Paraderolle als löcherstopfender Sechser und Durchlaufstation im Aufbau. Frank Lampard und Michael Ballack agierten als Achter, die situativ in den Zehnerraum oder in die Spitze stoßen sollten. Linksfuß Malouda gab einen klassischen Linksaußen, Joe Cole interpretierte seine Rolle als Rechtsaußen nur leicht enger. Im Sturm war Didier Drogba Zielspieler für lange Bälle und Wandspieler für die Achter.
Ferguson wählte gegen die Blues ein asymmetrisches 4-4-2. Vor van der Sar wurden die Innenverteidiger Ferdinand und Vidic von Wes Brown und Patrice Evra flankiert. Paul Scholes und Michael Carrick bildeten davor eine recht tiefe, spielstarke Doppelsechs. Cristiano Ronaldo spielte als linker Mittelfeldspieler deutlich höher als Hargreaves rechts. Die Doppelspitze bildeten Carlos Tevez und Wayne Rooney, wobei Letzterer sich häufig auf den rechten Flügel bewegte.
4-3-3 gegen 4-4-2: Durch den zusätzlichen Mann im Mittelfeld kontrollieren viele Mannschaften im 4-3-3 das Zentrum gegen Gegner im 4-4-2. Manchester United bot jedoch ein Lehrbeispiel dafür, wie man im 4-4-2 das dominante Team sein kann.
Hargreaves gibt Balance und neutralisiert Ashley Cole
In der Mitte waren Scholes und Carrick gegen Ballack, Lampard und Makelele in Unterzahl. Um in diesem wichtigen Bereich dennoch Zugriff zu erhalten, nutzte Ferguson zwei grundlegende taktische Mittel.
Owen Hargreaves spielte eine Hybridrolle aus Rechtsaußen und halbrechtem Achter. Kam Chelsea über die rechte Seite, schob der ehemalige Bayernspieler extrem weit ins Zentrum, sodass eine Dreierkette aus ihm, Scholes und Carrick entstand. Aus dieser rückte der halblinke Akteur – meistens Scholes – heraus, um den Flügel zusammen mit Evra und Ronaldo zu verteidigen.
Bauten die Blues durch die Mitte auf, rückte Hargreaves zwar ein, jedoch in deutlich geringerem Maße als bei den Angriffen über die rechte Seite. Er ließ sich dennoch recht weit fallen und schirmte Ashley Cole somit ab. Dieser hatte nun zwar oft Zeit am Ball, jedoch keinen Raum, den er für seine gefürchteten Vorstöße nutzen konnte. Hargreaves verhielt sich sehr passiv und lockte Cole in schlechte Positionen, aus denen er entweder schlecht vorbereitete und somit ungenaue Flanken schlagen oder den Ball nur die Linie entlang spielen konnte. Darauf war Hargreaves´ Hintermann Wes Brown jedoch vorbereitet: Durch Hargreaves´ Deckungsschatten war Malouda ohnehin kaum anspielbar, sodass Brown auf jene Linienpässe lauern konnte.
Baute Chelsea das Spiel über die linke Seite auf, reagierte United auf zwei verschiedene Arten. Hargreaves erwartete in breiter Position auf Höhe der Mittelinie Ashley Cole. Dieser hatte im ersten Drittel Zeit am Ball, konnte aber durch Hargreaves´ Versperren des Raumes kein Tempo aufnehmen. In ausgewählten Momenten wagte United ein Angriffspressing in einer asymmetrischen 4-2-4-Anordnung, bei dem Ronaldo – oder wer gerade links war – etwas tiefer spielte, um Zugriff auf den Zehnerraum zu haben. Hargreaves ging in diesen Situationen sehr weit vor und war nicht selten der höchste Akteur seines Teams und setzte Ashley Cole sofort unter Druck. Dieser riskierte in dieser gefährlichen Zone keine Dribblings und spielte folglich risikolose, ungenaue lange Pässe nach vorne. Chelsea konnte kaum einmal längere Ballbesitzphasen einstreuen, was neben dem variablen Pressing Uniteds noch weitere Gründe hatte.
Chelseas Probleme im Ballbesitz
Wegen zu großen Abständen zwischen den Spielern, einer schlechten Tiefenstaffelung und geringem Aufrücken waren die Angriffe Chelseas in der ersten Halbzeit sehr leicht zu verteidigen. Manchester hielt die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen stets klein, egal in welcher Höhe und Formation sie gerade pressten. Chelsea hatte große Probleme damit, zwischen die Linien zu kommen. Zwischen den kurzen und intensiven Phasen des Angriffspressings zog sich United weiter zurück und formierte sich in einem 4-4-2-0/4-2-4-0, das Chelseas Innenverteidiger und Makelele frei ließ.
Michael Ballack und Frank Lampard waren nun kaum anspielbar, da sie sich ständig in einem Viereck aus Tevez, Rooney, Carrick und Scholes befanden. Für ein Abkippen auf die Flügel rückten die Außenverteidiger nicht weit genug auf. Zudem wäre die Zentrumspräsenz vollkommen verloren gegangen, da Makelele auch nicht mit vorging.
Nur extrem selten trauten sich die Blues, anspruchsvolle, scharfe Vertikalpässe in das gegnerische Zentrumsviereck zu spielen. Einige Male rückte Ricardo Carvalho mit dem Ball am Fuß gut vor, kreierte so veränderte Passwinkel und konnte Lampard oder Ballack anspielen. In der Regel baute Chelsea jedoch über die Außenbahnen auf, wo United aber wie schon beschrieben ständig Überzahlen herstellen konnte. Ein auf die Flügel ausweichender Zehner hätte ihnen hier gut getan, da Ashley Cole und Essien im Prinzip nur ihre direkten Vorderleute Joe Cole und Malouda anspielen konnten. Die Alternative war der lange Ball in die Spitze auf Drogba.
Diesen verteidigte Manchester jedoch exzellent. Nemanja Vidic spielte gegen Drogba sehr mannorientiert und verfolgte ihn auch, wenn er sich mal weiter zurückfallen ließ. Rio Ferdinand agierte dabei einige Meter tiefer und etwas seitlich versetzt. Vidic konnte physisch mit Drogba mithalten, Ferdinand behielt den Raum dahinter gut im Auge. ar nicht so unähnlich praktizierten dies Tymoschchuk und Boateng im Finale 2012 gegen Drogba
Dies war enorm wichtig, da Drogba immer wieder versuchte, lange Anspiele direkt in der Drehung auf die in die Mitte startenden Flügelstürmer durchzustecken. Während Vidic das ohnehin schon schwierige Anspiel durch seine physische Präsenz noch weiter erschwerte, antizipierte Ferdinand die Anspiele und klärte sie zusammen mit dem jeweiligen Außenverteidiger. Drogba konnte den Ball also nie lange halten, was vor allem an den fehlenden Anspielstationen lag.
Chelsea war im Zehnerraum nicht präsent genug, Ballack und Lampard standen im Nirgendwo – also zwischen gegnerischen Stürmern und Sechsern – sodass es für Manchester nicht schwer war, die zweiten Bälle zu gewinnen. Bahnte sich ein langer Pass auf Drogba an, ließ sich Scholes ein paar Meter fallen. Vidic war nah an Drogba, Ferdinand dahinter, Scholes davor und die Außenverteidiger standen naturgemäß eingerückter als Malouda und Joe Cole. United gewann problemlos die zweiten Bälle und dominierte dann über Scholes und Carrick das Tempo. Neben ihren Hochgeschwindigkeitskontern bespielten sie immer wieder die schematischen Schwachstelle in Chelseas System.
Unpassende Anordnung des Dreiermittelfelds
Diese Schwachstellen waren die Halbräume neben Makelele. Diese waren unbesetzt, da Chelsea in einer 1-2-Anordnung im Mittelfeld spielte. Der Gedanke hinter dieser Anordnung war sicherlich, Uniteds Schaltzentrale unter Druck setzen zu können. Nicht trotz, sondern wegen dieser Anordnung konnte Chelsea jedoch keinen Zugriff auf Carrick und Scholes bekommen.
Weil Lampard und Ballack vor Makelele spielten, wurden neben Letzterem Räume frei, in die sich Rooney oder Tevez – in vielen Situationen sogar beide – bewegten. Carvalho und Terry trauten sich nicht, mit aus der Abwehrkette herauszurücken, denn gerade über die rechte Abwehrseite drohte durch Ronaldos Diagonalläufe immer wieder Gefahr.
United konnte so im Zentrum mit vier Akteuren Überzahlsituationen gegen Ballack, Lampard und Makelele herstellen, situativ wurden sie dabei zusätzlich von Hargreaves´ einrückenden Bewegungen unterstützt. Für Ballack und Lampard war es unmöglich, gleichzeitig die Passwege in die Räume neben Makelele zuzustellen und Druck auf den Ball zu machen. Scholes und Carrick konnten das Tempo bestimmen, und abwechselnd weiter vorstoßen – da Chelsea keinen Zehner hatte, reichte die einfache Absicherung in diesem Raum völlig aus.
Ein Missmatch verstärkt Uniteds Dominanz
Durch die totale Kontrolle des Zentrums konnte United sehr geduldig auf passende Situationen für den letzten Pass bzw. den Abschluss warten. Mit guter Endverteidigung und einem starken Torwart konnte Chelsea erst einmal ohne Gegentor bleiben, stand jedoch permanent unter Druck. Für das aus United-Sicht erlösende 1:0 sorgte Cristiano Ronaldo, der das Missmatch gegen Essien ausnutzte.
Der positionsfremde Ghanaer hatte nicht nur an der Außenlinie Probleme mit dem schnellen und wendigen Portugiesen – sondern auch in der Luft. Immer wieder suchten Hargreaves und Brown mit ihren Flanken Ronaldos Kopf am langen Pfosten. In der 25. Minute lösten Brown und Scholes nach einem Einwurf am rechten Flügel eine Zwei-gegen-Zwei-Situation gegen Malouda und Lampard. Brown fand mit seiner Flanke Ronaldo, der sich am zweiten Pfosten gegen Essien durchsetzte und zu seinem 42. Pflichspieltor der Saison einköpfte.
Wes Brown wurde in den nächsten Minuten immer mutiger, ging bei jedem Angriff mit nach vorne und schlug Flanke um Flanke auf den langen Pfosten. Um Essien nicht noch einmal ins direkte Kopfballduell mit Ronaldo zu bringen, ließ Carvalho einen großen Abstand zu Nebenmann Terry und orientierte sich in Richtung Ronaldo. Dies nahm zwar etwas die Gefahr durch den Portugiesen, allerdings öffnete es United noch einmal größere Räume. Makelele rückte bei Flanken mit in die Viererkette zwischen Terry und Carvalho, Ballack und Lampard verteidigten den Rückraum allein gegen Scholes, Carrick und einen der Stürmer. United nutzte dies gelegentlich, brach die Flügelangriffe ab und kombinierte sich über die Halbräume in gefährliche Positionen. Zwischenzeitlich hatte die Ferguson-Elf mehr als 65% Ballbesitz und war drückend überlegen – ohne jedoch nachzulegen.
Ferguson lockt Chelsea
Nachdem United gleich mehrfach an Chelseas hervorragender Strafraumverteidigung gescheitert war, beorderte Ferguson sein Team weiter zurück. In einer 4-2-4-0-Stellung lockten sie die Londoner etwas hinten raus und warteten auf passende Situationen für ihre Hochgeschwindigkeitskonter.
Erst in der 33. Minute kam Chelsea zum ersten Mal vor das Tor von United – und traf fast zum Ausgleich. Ballack, der in die Spitze gerückt war, warf sich gemeinsam mit Rio Ferdinand in eine Flanke von Lampard, van der Sar wehrte jedoch zur Ecke ab.
Im Anschluss an Selbige zeigte United einen seiner gefürchteten, für das Team typischen Konter. Rooney, der bei Ecken stets den Rückraum sicherte, eroberte den zweiten Ball und spielte einen diagonalen, 60 Meter langen Traumpass auf Ronaldo. Dieser nutzte sein Tempo, zog bis zur Grundlinie und flankte auf Tevez, der per Kopfball an Cech scheiterte. Terry traf den Ball beim Klären falsch und ermöglichte Carrick eine Schusschance von der Strafraumgrenze, doch Cech hielt abermals.
Auch im weiteren Verlauf konnte Chelsea keine klar ausgespielten Offensivaktionen gegen Uniteds tiefere 4-2-4-0/4-4-2-0-Stellung zeigen. Wurde die erste Pressinglinie einmal überspielt, blieben Rooney und Tevez (oder situativ Ronaldo) trotzdem vor dem Ball. Grund dafür war, dass Chelsea mit zu wenigen Spielern aufrückte. Terry, Carvalho, Makelele und Essien blieben fast permanent hinter dem Ball, sodass den Red Devils ihre beiden Viererketten zum Verteidigen der restlichen Londoner Spieler ausreichte.
Mit dem Halbzeitpfiff erzielte Chelsea genauso überraschend wie kurios den Ausgleichstreffer. Essien nutzte Ronaldos Zocken und rückte diagonal vor. Mangels Alternativen schoss er aus ungünstiger Position aus dem Halbfeld. Der Ball wurde zwei Mal abgefälscht und landete genau im Lauf vom in die Spitze startenden Lampard, der das 1:1 erzielte.
Zweite Halbzeit und Verlängerung
In der zweiten Halbzeit agierte United deutlich zurückhaltender. Da Chelsea ebenfalls wenig Risiken einging, entstand ein Spiel ohne große Höhepunkte. Avram Grant wies seine Flügelstürmer offenbar an, ihre Positionen zu verlassen, um Überzahlsituationen auf der anderen Seite herstellen zu können. Ferguson konterte dies mit einer klareren 4-3-3-Ausrichtung: Hargreaves ging als halbrechter Achter neben Carrick und Scholes ins Mittelfeld, Rooney kümmerte sich um Cole. United konnte dadurch die Breite des Platzes besser abdecken und mindestens einen der zentralen Akteure mit auf die Flügel schicken, wenn Chelsea dort mit mehreren Spielern überladen wollte.
In der 87. Minute nahm Ferguson den ersten Wechsel des Spiels vor und brachte Ryan Giggs für den angeschlagenen Paul Scholes. Grant wechselte erst in der Verlängerung und brachte mit Kalou und Anelka zwei frische Flügelstürmer für Joe Cole und Malouda. Zehn Minuten vor Schluss kam Nani für Rooney ins Spiel, um mit seiner Beweglichkeit noch einmal für Probleme bei den erschöpften Abwehrspielern zu sorgen. Unmittelbar vorm Elfmeterschießen brachten beide Trainer noch je einen guten Elfmeterschützen ins Spiel, bei Chelsea kam Beletti für Makelele, während Ferguson Anderson für Brown aufs Feld schickte.
Im Elfmeterschießen schien Ronaldo der tragische Held zu werden, nachdem er als einziger der ersten acht Schützen verschossen hatte. Nani verwandelte Uniteds fünften Elfmeter und glich aus, bevor John Terry zum Punkt schritt. Der Kapitän der Blues konnte den Sieg perfekt machen, verlud van der Sar, rutschte dabei jedoch aus – Pfosten. Nachdem Anderson, Kalou und Giggs im Stechen getroffen hatten, hielt van der Sar gegen Anelka und bescherte United den Sieg in der Königsklasse. Nach dem Triple von 1999 war der Titelgewinn Fergusons zweiter großer internationaler Triumph mit United. Es war der Höhepunkt einer kleinen Ära, die aber noch ein weiteres Jahr andauern sollte. In der folgenden Saison gewann United unter Ferguson die Klub-WM und bekam die Chance, als erste Mannschaft überhaupt den Champions League Titel zu verteidigen.
Die Saison 2008/09
Dafür erhöhte Sir Alex zur Saison 2008/09 noch einmal den Konkurrenzkampf und holte Dimitar Berbatov von Tottenham. Der Bulgare brachte zusätzlich zu den schnellen, beweglichen Stürmern die spielmachende Komponente mit ein und machte das Spiel der Red Devils noch variabler.
Manchester United holte in dieser Saison die dritte Meisterschaft in Folge und zog mit dem damaligen Rekordmeister Liverpool gleich. Im Winter gewann United die Klub-WM in Japan. Im Halbfinale schlugen sie Gamba Osaka 5:3 und holten den Titel im anschließenden Finale mit einem 1:0 über den ecuardorianischen Vertreter LDU Quito.
In der Champions League lief der Start äußerst schleppend. In einer vermeintlich einfachen Gruppe mit Aalborg, Villareal und Celtic Glasgow wurde United zwar Gruppensieger, gewann aber lediglich zwei Spiele.
In der K.O.-Runde fing sich das Team jedoch wieder und schaltete Inter Mailand, den FC Porto, und den FC Arsenal aus. Im Finale gegen den FC Barcelona stieß Fergusons Team jedoch an seine Grenzen und verlor mit 0:2.
Gegen die Katalanen hatte Ferguson sein Team im 4-4-1-1 aufgestellt, das zu einem 4-5-1 wurde, wenn Anderson zurückfiel. Mit Rooney und Park Ji Sung besetzte Ferguson die Außenbahn sehr defensivstark, um Barcelonas Flügelspiel zu bremsen. Das Defensivtrio hinter Ronaldo sollte Xavi, Busquets und Iniesta bändigen, sah sich aber überraschenderweise einem weiteren Gegenspieler gegenüber. Pep Guardiola zog Mittelstürmer Samuel Eto´o auf die rechte Außenbahn und stellte Messi als falsche Neun auf. Schon während der Saison hatte Guardiola diese Variante gegen Real Madrid mit Erfolg ausprobiert. Während heutzutage einige Mittel gegen die falsche Neun bewährt haben, gelang es United damals nicht, Zugriff auf Messi zu erhalten.
Durch die hergestellte Überzahl im Zentrum konnte Barca sich immer wieder zwischen die Linien kombinieren und für Torgefahr sorgen. Guardiolas Umstellung machte sich bezahlt, Eto´o traf aus Rechtsaußenposition und Messi stellte mit seinem Kopfballtor aus Mittelstürmerposition den Endstand her.
„We got into good positions but in fairness we were beaten by the better team“
Sir Alex Ferguson nach dem Champions League Finale 2009
Nach der titelreichen Saison mit dem Gewinn des Community Shields, des Liga Pokals, der Klub-WM und der Meisterschaft verließ Cristiano Ronaldo den Verein für eine Rekordablöse von ca. 93 Millionen Euro und schloss sich Real Madrid an. Auch Carlos Tevez ging, nachdem man sich nicht auf einen neuen Vertrag einigen konnte.
Mit Ronaldo und Tevez fehlten zwei für Uniteds Spielweise unersetzliche Akteure, was gleichbedeutend mit dem Ende einer kleinen Ära war. Sir Alex Ferguson begann damit, den nächsten Umbruch einzuläuten, an die Klasse des Teams zwischen 2006 und 2009 kamen seine Mannschaften in den letzten Jahren aber einfach nicht mehr heran.
Sir Alex, der Unterschätzte
Fergusons Manchester United zwischen 2006 und 2009 gilt zurecht als eines der stärksten Teams der vergangenen zwanzig Jahre. Besonders die Saison 2007/08 mit dem Triumph in der Champions League stach heraus. Sir Alex wird häufig mit einem sturen, kaugummikauenden, sich mit Stars anlegenden Trainer alter Schule assoziiert. Betrachtet man allerdings Uniteds taktische Variabilität in der beschriebenen Ära, sieht man, wie passend der Schotte makro- und mikrotaktische Anpassungen an den Gegner vornahm und welchen Erfolg er damit hatte.
Als „modern“ geltende taktische Aspekte wie Asymmetrien, verschiedene Pressingformationen, -höhen und -intensitäten, situative und permanente Manndeckungen, Überladungen, inverse, ausweichende oder gar falsche falsche Stürmer hat Sir Alex schon vor Jahren je nach Situation genutzt. Ihn nicht zu der Riege der großen Taktiker der Trainergilde zu zählen, hat sich offenbar unter vielen Fußballfans und -experten eingebürgert, wird dem United-Urgestein in Ruhestand aber nicht wirklich gerecht.
2 Kommentare Alle anzeigen
Dr. Acula 3. Januar 2015 um 19:01
In Verbindung mit Chelsea und allgemein englischen Teams wird auf SV oft die hervorragende Strafraum-Verteidigung genannt. Was genau kann ich mir darunter vorstellen? Ist es das herausrücken der Verteidiger? Im Kopf habe ich eine Situation, die für Trainer wie guardiola nichts ungewöhnliches ist: das Team mit Ball ist hoch aufgerückt, Breite ist gegeben und das Team ohne Ball ist um den Strafraum versammelt und das Ganze erinnert etwas an Handball.. Worin genau unterscheidet sich jetzt ein Team mit guter zu einem Team mit schlechter Strafraum Verteidigung?
blub 3. Januar 2015 um 19:35
Ordnung halten(Ähnlich wie bei raumdevkung bei ecken), kein wirres herumlaufen, keine dummen fouls.
Gutes Kopfballspiel der big men und verhindern das Spieler aus höheren positionen Tempo aufnehmen.
Absichern des rückraums.
Und halt alles konstant und anhatend, wenn nötig auch über mehrere Minuten.