West Bromwich Albion – Chelsea FC 2:1
Steve Clarke, ehemaliger Assistenztrainer von José Mourinho bei Chelsea, bezwang mit Überraschungsmannschaft West Bromwich seinen ehemaligen Arbeitgeber und stellte ihnen ein Bein im Meisterschaftskampf.
Wechselwirkungen der jeweiligen Formationen
West Bromwich Albion begann mit einem hochinteressanten System, welches nominell als 4-2-3-1 deklariert wurde. Auf den Flügeln begannen Peter Odemwingie und Zoltan Gera als Flügelstürmer, während James Morrison im Zentrum Mittelstürmer Shane Long unterstützte. Sie hatten viele defensive Aufgaben und sollten offensiv Long bedienen. Dahinter sicherte eine Doppelsechs Claudio Yacob und Youssuf Mulumbu die Offensive ab.
Dabei spielte Yacob etwas defensiver und horizontaler, Mulumbu spielte leicht erhöht. Allerdings ging er auch selten mit in die Spitze, sondern diente lediglich eine Ebene höher als Anspielstation und Ballzirkulator. Durch diese Tiefenstaffelung hatten sie bei Bedarf eine passable Ballbehauptung, auch wenn sie vorrangig auf schnelle Konter ausgerichtet waren. Wenn diese aber nicht gefahren werden konnten, ließen sie den Ball in den eigenen Reihen laufen, um nicht in billige Ballverluste und somit in einen Gegenkonter zu laufen.
Eine ähnliche pragmatische Herangehensweise gab es bei den Außenverteidigern, die zwar aufrückten, aber nur situativ und bei passenden Umständen ins letzte Drittel eindrangen. Sie gaben aber die nötige Breite und taten dies auch im zweiten Spielfelddrittel überaus gut, wodurch Chelseas Pressing oftmals ins Leere gelaufen lassen wurde.
Die Londoner begannen ebenfalls mit einem 4-2-3-1, wobei hier der zentrale Akteur in der Mitte, Eden Hazard, als Strippenzieher für die gesamte Offensiv diente. Daniel Sturridge und Victor Moses auf den Flügeln spielten sehr offensiv, Sturridge suchte den Weg zum Tor und Moses die eins-gegen-eins-Situationen. Sturridge kam dementsprechend auf sieben Abschlüsse, welche allerdings glücklos blieben.
Unterstützt wurden sie von den vorrückenden Außenverteidigern, wobei insbesondere Linksverteidiger Ryan Bertrand weit nach vorne aufrückte und offensiv spielte. Er hinterlief Moses und fast die Hälfte aller Angriffe der Blues kamen über die linke Seite, doch ihnen fehlte die Durchschlagskraft und hohe Anspielstation in der Mitte. Die flachen Hereingaben waren zwar gefährlicher, doch sie standen nicht mit ausreichend Mann in der Mitte.
Dahinter spielten John Obi Mikel und Oriol Romeu auf der Doppelsechs. Rein von der Spielerbesetzung in dieser Formation her hätte man eine Trennung der Mannschaftsteile und ein kreatives Loch erwarten. Dies fand aber selten statt, weil West Bromwich nach den jeweiligen Führungen etwas tiefer stand sowie die Sechser eine sehr interessante Rolle hatten.
Der aufrückende Sechser
Obi Mikel hatte den vertikalen Part inne und verschloss immer die Lücken zwischen Angriff und Abwehr. Dabei agierte er quasi als box-to-box-Spieler und wich viel in die Halbräume aus, um dort in der Enge eine Anspielstation zu bieten. Defensiv sicherte Oriol Romeu ab, er war die Anspielstation in der Tiefe und verlagerte von dort aus das Spiel bei gegnerischem Druck auf die Seiten.
Letztlich war das Ziel, mit diesem Dreieck sämtliche Aspekte zu bedienen: Romeu sollte absichern, Mikel Räume füllen und als Anspielstation dienen, während Hazard als dritter Mittelfeldakteur für die Kreativität sorgte. Oftmals ließ sich der Belgier auch sehr weit nach hinten fallen und schaltete sich von Anfang ins Aufbauspiel mit ein. Damit wollte er die Geradlinigkeit nach vorne erhöhen und für schnelleres Aufrücken sowie mehr Kombinationen sorgen.
Flexibles Pressing, flexible Raumdeckung
Problematisch wurde dabei, dass WBA sehr diszipliniert spielte. Wenn sie höher pressten, verstellten sie die Passwege in die Tiefe geschickt und orientierten sich stärker mannorientiert. Auch die Flügelstürmer wurden stärker verfolgt, weswegen sie sich nicht drehen und ins Dribbling gehen konnten. Wenn Chelsea aber aufrückte, erhöhte West Bromwich die Kompaktheit und Stabilität.
Dies taten sie durch eine tiefere Formation und eine Veränderung der Mannorientiertheit. Sie spielten nicht mehr so aggressiv, sondern orientierten sich in einer losen mannorientierten Raumdeckung, wobei sich das zentrale Mittelfeld stärker in den Positionen in der Grundformation aufstellte. Dadurch ließen sie weniger Platz zwischen den Linien und drängten Chelseas Spiel in die Tiefe und auf die Außen.
Chelsea hatte somit wenig Zugriff auf den Strafraum, wurde in der Mitte immer wieder aggressiv angelaufen und konnte keine größeren strategischen Spielzüge planen. Außerdem war nicht nur die Raumdeckung flexibel, sondern auch die Formation.
In der Umsetzung des Pressings war man formativ sehr flexibel, WBA variierte nämlich zwischen einem 4-4-2 im Angriffspressing, einem 4-3-2-1 im Mittelfeldpressing und einem 4-4-1-1 im Abwehrpressing. Ersteres wurde kompakt gespielt und die Innenverteidiger so angelaufen, dass die Sechser versperrt blieben. Funktionierte dies nicht, standen sie nahe an den Sechsern in einer 4-2-4-0-ähnlichen Anordnung und versuchten damit das gegnerische Aufbauspiel auf die Außenverteidiger zu lenken.
Im Mittelfeldpressing ließ sich der ballferne Außenmittelfeldspieler weit und tief zurückfallen, der ballnahe presste hoch und die Sechser verschoben. Aus dieser Anordnung entstand im Zurückfallen dann das 4-4-1-1, wenn sich der ballnahe Außenstürmer ebenfalls fallen ließ. Morrison als hängender Stürmer verschob dann vor der Abwehr hin und her, versuchte Rückpässe zu antizipieren sowie im offensiven Umschaltspiel als Anspielstation nach vorne zu dienen.
Chelseas großer Fehler
Nach der Halbzeit wollten der Favorit den Druck erhöhen und früher pressen, was letztlich einen folgenschweren Fehler nach sich zog. Vor dem zweiten Treffer stand Mikel hoch und Romeu tief, wie schon öfters in der Partie. Um den Druck auf den Ballführenden zu erhöhen, schob Bertrand nach vorne und presste. Auch Romeu ging nach vorne, um die Intensität des Pressings zu erhöhen, den Kombinationspartner zu attackieren und ließ einen großen Raum hinter sich offen.
Dadurch entstand ein großes Loch vor der Viererkette Chelseas und zwischen den Linien. In diesen Raum kam ein Pass, wodurch West Bromwich vor die Abwehr kam. Sie überbrückten den Raum und drangen ins letzte Spielfelddrittel ein. Als der Ballführende vom rückwärtspressenden Betrand attackiert wurde, spielte er den Ball nach rechts, also auf die von Bertrand geöffnete Seite. Dieses Attackieren Bertrands war ein kleiner Fehler, wenn gleich je nach Spielphilosophie unter Umständen vertretbar.
Der zweite Fehler war, dass Luiz zu Beginn schon Shane Long verfolgte und die Mitte öffnete. Long erhielt den Ball auf rechts, Bertrand rückte dann in die Mitte ein, wohin sich auch Odemwingie bewegte. Luiz und Bertrand hatten nun einen kommunikativen Fehler: Luiz wollte zurück auf seine Position, Bertrand aber sicherte den Raum und orientierte sich natürlich an einem hereinrückenden Gegenspieler Odemwingie.
Darum war Long auf rechts frei und unbedrängt. Bis Luiz wieder herauswich und ihn attackierte, konnte Long flanken. Dabei kam es zum unabwendbaren Duell, nämlich Bertrand gegen Odemwingie, was letzterer gewann und zur Führung wie Endstand verwertete.
Offensivflexibilität bei Chelsea
Ein anderer Schwachpunkt bei Chelsea waren ihre vielen ineffektiven Distanzschüsse, welche teilweise aus ihrer Offensivflexibilität entstanden. Dabei war natürlich das Problem, dass diese Flexibilität Chelseas gegen die intelligent und eng agierende Viererkette versandete.
Wie üblich bewegte sich Fernando Torres sehr viel, wich auf die Flügel aus und versuchte mit diagonalen Pässen oder Hereingaben seine Mitspieler in Szene zu setzen. Eine statistische Kennzahl zur Orientation: Chelseas Torres spielte bislang fünfzig Flanken, Atléticos Falcao kommt in dieser Saison auf sechs.
Problematisch wird es, wenn es keinen Abnehmer gibt. Die Bälle trudeln herein, es gibt wenig Nutzen und es fehlt ein Fixpunkt im Angriff. Die hereinrückenden Flügelstürmer können dies nicht ausreichend schnell besetzen, schon gar nicht gegen eine horizontal kompakte Abwehrkette.
Daraus resultieren viele Schüsse aus der Distanz. Auch hier ein paar nette Statistiken: Sturridge kam auf sieben Abschlussversuche, Hazard und Moses auf jeweils drei, Torres hatte aber keinen. Bei West Bromwich kamen 56% der Abschlüsse auch aufs gegnerische Tor, bei Chelsea war es nur knapp mehr als ein Drittel.
Fazit
Einerseits dominierte Chelsea Ballbesitz und hatte mehr Torchancen, andererseits stand West Bromwich gut, spielte taktisch besser und konnte letztlich einen knappen, aber auch knapp verdienten Sieg für sich verbuchen.
3 Kommentare Alle anzeigen
blub 20. November 2012 um 19:15
Minimale Korrektur: Eden Hazard ist Belgier und nicht Franzose.
ansonsten fand ichs gut.
Hendrik 20. November 2012 um 17:22
Super Analyse, danke! Wir sind hier natürlich nicht bei „Wünsch dir was!“, aber falls ihr irgendwann einmal noch Artikel-Inspirationen sucht, fände ich persönlich den Fall (im doppelten Sinne) des Fernando Torres höchst interessant. Mir scheint da immer sehr viel Hysterie im Spiel zu sein (Die Ablösesumme erdrückt ihn! Er hat sein Herz in Liverpool gelassen! Falcao rein, Torres raus!), wenn viele Formschwankungen durchaus spieltaktisch zu erklären sind.
MR 20. November 2012 um 17:33
Ein bisschen was dazu haben wir sogar: https://spielverlagerung.de/2012/06/05/der-neue-fernando-torres/