Real Madrid – Athletic Bilbao 5:1
Real Madrid zerfetzt Bielsas Mannorientierungen.
Nach sehr schwachem Saisonstart hat sich der Vorjahresfinalist der Europa League immerhin auf den zwölften Platz vorgeschoben und gastierte nun bei Real Madrid, deren Konkurrent aus Barcelona mit einem Heimsieg im Meisterschaftsrennen vorgelegt hatte.
In der vergangenen Spielzeit zeichneten sich die Basken durch eine sehr offensive Spielweise mit guten Kombinationen sowie einem sehr aggressiven und leidenschaftlichen Pressing aus. Dabei setzte Trainer Marcelo Bielsa in der Defensive oftmals auf eine sehr mannorientierte Spielweise und ordnete seinen Akteuren jeweils klare Gegenspieler zu. Mit dieser Strategie war das Team sehr erfolgreich, konnte international einige starke Gegner aus dem Weg räumen und machte auch in der Liga niemand geringerem als dem FC Barcelona mit diesem Ansatz zweimal Probleme. Dieses Gastspiel bei den Königlichen aus Madrid war aber ein Beispiel, wie diese Strategie auch gehörig nach hinten losgehen kann – mit einer starken Offensivvorstellung zerfetzten die Madrilenen die Mannorientierung von Bielsas Bilbao.
Wie Real Madrid die Mannorientierung zerfetzte
Der Schlüssel war dabei, wie die Angriffskräfte der Königlichen sich enorm intelligent bewegten, ihren Kollegen immer wieder Räume öffneten (siehe Modric und Alonso in der Spielgrafik), den Ball nach leichtem Absetzen gegen direkte Gegenspieler behaupteten, diese häufig gar noch aussteigen ließen und anschließend das Leder wieder zum freien Akteur weiterspielten. Dieses Laufen und Spielen in Freiräume, das individuelle Durchsetzen in direkten Duellen sowie das Anspielen des freien Mannes (in diesem Fall in der Grundformation einer der Innenverteidiger: Pepe und Ramos spielten diese Überzahl gegen Aduriz gut aus und insbesondere Letzterer rückte mit guten Libero-Läufen weit bis in die gegnerische Hälfte vor) sind gegen eine Mannorientierung essentiell wichtig – und die Madrilenen setzten dies hervorragend um.
So zeigte beispielsweise Benzema eine hervorragende Leistung im Bereich der Bewegungen gegen eine solche Defensivspielweise:
Weil bei den Basken allerdings die Außenverteidiger der Viererkette nicht so mannorientiert spielten wie gewohnt, sondern im Gegensatz zu ihren Mannschaftskollegen deutlich moderater, konnte Real sich gar zusätzliche Freiheiten sichern. Insbesondere Linksverteidiger Aurtenetxe hielt oftmals die Viererkette, was im rechten Halbraum große Räume für Callejón öffnete, der nicht nur die dortigen Freiheiten nutzte, sondern auch immer wieder ohne Gegenspieler sich über den Platz bewegte und als freier Unterstützungsspieler sogar Überzahlen in Überladungsaktionen herstellen konnte.
Ein etwas allgemeineres Beispiel für die Probleme durch die moderateren und stärker raumorientierten Außenverteidiger der Basken – eigentlich eine sehr gute Maßnahme, die in diesem Fall im Zusammenhang mit dem restlichen Mannschaftskollektiv allerdings kontraproduktiv wirkte – erkennt man hier:
Insgesamt war das Defensivspiel der Gäste alles andere als griffig, da sie nicht in die eigentlich geplanten Zweikämpfe bei gegnerischen Ballannahmen kommen konnten, überhaupt keinen Zugriff erhielten und somit enorm passiv und desillusioniert wirkten. Ohne Zugriff schien es, als ob sie nicht wüssten, wie sie sich weiterhin zu verhalten hatten. Wenn sie dann versuchten, defensive Überzahlen herzustellen oder vereinzelt raumorientierter zu verteidigen, entstand – wie bei dem Fall mit den Außenverteidigern – eine Desbalance mit den übrigen Teammitgliedern, da durch die inkonsequenten Zusammenhänge und Wechselwirkungen im Mannschaftskonstrukt bestimmte Akteure der Madrilenen frei wurden, die dann wiederum das gesamte Konzept Bilbaos und ihre Zuordnungen weiter aufbrechen konnten.
Bilbaos Risiko – wenn es nicht funktioniert…
Ein weiterer Punkt, der die enorme Offensivgefahr der Hausherren befeuerte, war das sehr riskante Aufbauspiel der Basken, die oftmals mit fünf Akteuren sehr hoch standen und in diesen Bereichen gefährliche Überzahlsituationen herstellen wollte. Dafür mussten die tiefer stehenden Aufbauspieler aber sehr viel Risiko eingehen, um mit langen, flachen Vertikalpässen ihre Offensivkollegen in Szene setzen zu können.
Funktionierte dies nicht, konnten die Madrilen im Bereich der Mittellinie viele Zuspiele abfangen und dann gegen eine dezimierte und breit gefächerte Bilbao-Formation mit Tempo in die Räume hinein kontern.
Bilboas Risiko – wenn es funktioniert…
Doch die risikoreiche Offensivspielweise konnte für Athletic auch Früchte tragen und so kamen sie gegen die inkonsequente Rückarbeit der Real-Offensive – gerade Ronaldo blieb oft vorne und zockte, während interessanterweise Özil dann den linken Flügel besetzen und sich aufopfern musste – tatsächlich zu einigen Überzahlsituationen im Angriffsdrittel.
Viele dieser im Ansatz guten Szenen spielten die Nordspanier allerdings nicht optimal aus, da sie die vielen Räume, die sich gerade im Mittelfeld ergaben, nicht ruhig genug durchfuhren, sondern zu vorschnell den Weg in die Vertikale suchten. Dabei kamen sie sehr häufig über ihre Flügelakteure, die eine Reihe an Hereingaben spielten. Hier zahlte sich die sehr hohe und teilweise etwas zu ungestaffelte Positionierung der Angriffsreihe dann aus – insbesondere natürlich bei Hereingaben, die sowohl in den Rückraum als auch lang gespielt wurden, was sich exemplarisch bei Ibais Anschlusstreffer deutlich machte.
Fazit
Es bleiben wohl drei große Lehren aus dieser sehr unterhaltsamen Partie: Erstens zeigte sich das große Risiko von Athletics Angriffspiel sehr deutlich. Zweitens scheiterte ihre Mannorientierung diesmal komplett, da Real Madrid hervorragende Anpassungen daran fand und sehr intelligent gegen dieses Mittel arbeitete. Drittens muss man vielleicht auch konstatieren, dass wohl kaum eine Mannschaft wie die Madrilenen so prädestiniert dafür ist, eine solche Mannorientierung zu sprengen: Eine all-round-Angriffsmacht, die so viele verschiedene Attribute, beispielsweise in einer sehr ausgewogenen Mischung aus Technik und Physis, vereint und dabei so viel individuelle Klasse im Team hat wie Real Madrid, kann eine Mannorientierung wohl sehr gut knacken.
Einen großen Dank an laola1.tv für das Bildmaterial!
3 Kommentare Alle anzeigen
Häschber 18. November 2012 um 20:34
Ohne das Spiel gesehen zu haben, will ich etwas über die Mannorientiertheit philosophieren. Diese ist ja ganz offenichtlich am kommen ist. Eine „hundertprozentisch“ mannorientiert verteidigende Mannschaft gibt es praktisch ja kaum mehr.
Ich persöhnlich mag die Manndeckung aber garnicht. Das liegt möglicherweise auch an meiner privaten Spielweise, bei der ich mich eigentlich extrem raumorientiert verhalte.
Mein Problem bei dieser „totalen“ Manndeckung, also praktisch 1:1 über alle den 10 Spieler, ist, dass man sich eben auf 1:1 einlässt. Als individuell schwächeres Team macht das aber selten Sinn. Das war in diesem Spiel ja ganz offensichtlich der Fall. TR nennt Real prädestiniert, eine Mannorientierung zu knacken. Ich sage: Klar, sie sind schneller im antritt, schneller im Sprint und schneller im Kopf; sind offensiv zweikampfstark. Wenn sie diesen individuellen Vorteil durch richtige Bewegungen und Pässe ausspielen können, passt alles.
Wenn man komplett mannorientiert verteidgt, kann man eben nirgens doppeln. Sobald sich Ronaldo aber Richtung Tor drehen konnte, ist das dringenst notwendig, um ihn verteidigen zu können.
Außerdem verliert man komplett seinen proaktiven Part im Pressing. Da man ganz hinten im defensiven Zentrum keine echte Gleichzahl eingehen kann, muss man sonst wo auf dem Platz Unterzahl eingehen. Für gewöhnlich ist das irgendwo im Dreieck Innenverteiger/Innenverteiger/Sechser, was einen sehr geregelten Aufbau beim Gegner zulässt. Diese Überzahl kann der Gegner durch gut mitrückende Innenverteiger gar verlagern, was immer gefährliche Situationen heraufbeschwören kann.
Hierzu passt traumhaft das Zitat Ernst Happels, mit dem ihr euren Artikel über ihn begonnen habt: „Bei Manndeckung hast du elf Esel auf dem Platz!“
Tank 18. November 2012 um 20:58
Spot on, wie der Brite sagt. Nun bleibt natürlich die große Frage: Wie sieht es mit den weniger „totalen“ Varianten der Manndeckung aus, bei denen nicht jeder Spieler seinem Gegenspieler bis aufs Klo folgt? Bleiben die gleichen Probleme, nur in abgeschwächter Form? Und wie kann man die mit den eventuellen Vorteilen verrechnen? Und wie verhält sich die Summe aus Vor- und Nachteilen einer weniger totalen Form der Manndeckung zu der Summe der Vor- und Nachteile der diversen Formen der Raumdeckung?
Und, um mal noch weitere Fragen in den Äther zu pusten, hat eine „totale“ Raumdeckung mehr oder weniger Probleme als eine „totale“ Manndeckung? Und sagt uns das was, über die jeweiligen abgeschwächten Formen beider Deckungssysteme?
(Ich meine die Fragen übrigens alle ernst. Deckungssysteme sind der Punkt, den ich am wenigsten „intuitiv sehe“, wenn ich Fußball gucke. Mir fällt das auf gut Deutsch gesagt, einfach nicht so schnell auf, ob Mannschaft X nun Deckungssystem Y oder Z spielt. Daher mein Wissensdurst.)
Häschber 18. November 2012 um 21:35
Tatsächlich? Du erkennst nicht, ob eine Mannschaft im Groben eher mann- oder raumorienteirt verteidigt? In Feinheiten kann man sich natürlich schnell irren, aber ob der Außenverteidiger den Außenspieler komplett quer über den Platz verfolgt, oder eigentlich konsequent stehen bleibt (Gladbach eins der wenigen Beispiele), finde ich recht leicht zu erkennen. Um mal kurz abzuschweifen: das liegt, glaube ich, an meiner defensiven Denkweise. Sodass ich defensive Laufwege, Verhaltensweisen so verinnerlicht habe, dass ich sie leichter durchschaue, als offensive. (Sehr flexible, freie Bewegungen zB der Außen, kann ich eher schwerer verfolgen.)
Aber um zurück zu kommen: der Trend geht ja nicht zurück zur Manndeckung weil diese schlichtweg besser ist, sondern weil Mannschaften Antworten auf die Raumdeckung gefunden haben. Schnelles Kombinationsspiel zwichen den Linien nach Überladungen, um Stichwörter zu nennen. Mit dem (tweilweisen) Wechsel zur Mannorientiertheit ändert man einfach die Fragen.
Für mich ist das Problem, dass man nicht wirklich „total“ mannorientiert spielen kann. Dann gibt man seine eigene Staffelung nämlich komplett auf und übergibt die Bestimmung seiner Formation praktisch dem Gegner. Wenn der ein starres 4-4-2/4-2-4 spielt, kann das klappen.
Sobald aber (genug) Bewegung im Spiel des Gegners ist, muss man aber einen liberoähnlichen Innenverteiger abstellen, weil sonst das Risiko unverantwortlich hoch ist. (das fällt mir jetzt erst wirklich ein: Bei Manndeckung hat man weniger Sicherheitsmechanismen im Defensivspiel, bei der angesprochenen „kompletten“ teilweise garkeine)
Das heißt, dass man IMMER eine Kompromisslösung, die für Überzahl in letzter Ebene im Zentrum führt, dafür aber, wenn der Gegner es richtig spielt, für Unterzahl in Ballnähe (!).
Ich glaube, dass sich diese totale Manndeckung, wie sie Athletico wohl eigentlich gespeilt hatte in der letzten Saison, nicht halten wird, weil sie einfach nur ein kurzer Schock für den Gegner war. Viele Mannschaften waren bzw. sind diese noch nicht gewohnt, was bei ordnetlicher Vorbereitung, wie sie hier bei Real vorgelegen haben muss, aber normalerweise nicht der Fall sein wird.