Eintracht Braunschweig – 1. FC Köln 1:0
Zu Saisonbeginn trafen die Kölner auf Eintracht Braunschweig, was bereits eine erste Standortbestimmung sein sollte. Die Braunschweiger waren in der letzten Saison eine positive Überraschung, während die Kölner unbedingt zurück in die Bundesliga wollen.
Wechselwirkung der jeweiligen Formationen
Beide Mannschaften traten in einem auf Mittelfeldkompaktheit orientierten System auf. Die Kölner wählten ein 4-2-3-1 ein, welches sie relativ konservativ interpretierten. Hier hatte Chihi auf der Position des rechten Flügelstürmers noch am ehesten eine Freirolle inne, doch er wurde gut gepresst und in eine Art Manndeckung des gegnerischen Außenverteidigers genommen, was seine gefährlichen Dribblings großteils verhinderte. Sein Pendant Royer hielt eher die Seite und zog erst im letzten Spielfelddrittel Richtung Tor, ansonsten versuchte er als klassischer Flügelstürmer aufzutreten.
Dazwischen war Bröker als Lückensucher unterwegs, der als moderne Zehn mit schnellen Aktionen – ob Kurzpässe oder Läufe ohne Ball im Fuß – für Chaos sorgen sollte, es gelang ihm aber kaum. Matuschyk und Lehmann dahinter spielten recht defensiv und konzentrierten sich im Offensivspiel großteils auf spätes Aufrücken in den Rückraum oder zumeist nur auf den Spielaufbau im zweiten Drittel. Das Ziel war es, Tese mit Lochpässen steil zu schicken oder über die Flügel zu kommen, was auch für die offensiven Außenverteidiger sorgte. Eine der gefährlichsten Aktionen war ein misslungener Vorstoß Breckos, den Bröker mit etwas Glück erhielt und danach in die Mitte brachte.
Braunschweig konzentrierte sich – trotz heimischen Publikums – hauptsächlich auf ein vertikales Konterspiel. Im 4-1-4-1 wollten sie bereits im Mittelfeld den Ball erobern und praktizierten logischerweise ein aggressives Mittelfeldpressing, wobei sie hier besonders auf den Flügeln eine hohe Kompaktheit erreichen wollten. Mit Theuerkauf auf der alleinigen Sechs hatten sie gar einen verkappten Verteidiger, der hinter den aufrückenden Außenverteidigern absicherte. Des Weiteren spielte er als primärer Spielgestalter von hinten heraus. Vorne war Kumbela alleine auf weiter Flur, er hatte die Aufgabe sich auf die Flügel für weite Bälle und Lochpässe fallen zu lassen.
Lokale Kompaktheit auf den Flügeln
Dafür formierten sie eine enge Mittelfeldviererkette, die stark ballseitig agierte. Auf den Flügeln entstanden mit den sehr mannorientierten Außenverteidigern und dem verschiebenden Sechser teilweise Rauten in Ballnähe. Diese verschlossen nach hinten und zur Seite im Dreiecksspiel die Passoptionen, zeitgleich verschob Kumbela auf die Seite und gab den vorderen Punkt der Raute. Nach Ballgewinn wurde sofort umgeschaltet und es rückte neben den Flügeln auch einer der beiden Sechser mit auf. Das Ziel war eine überfallartige Spielweise in die wegen des Spielaufbaus geöffneten Löcher der Kölner.
Dadurch entstand für die gegnerischen Außen eine extreme Enge, welche sie stresste. Kein Wunder also, dass es die Innenverteidiger der Kölner mit den meisten Fehlpässen waren – obwohl die Sechser mehr Pässe spielten. Der Grund war, dass die Innenverteidiger auf Spieler passten, welche sofort bedrängt wurden. Viele Bälle gingen schon im Passweg verloren, da sie abgefangen wurden. Die defensiven Mittelfeldspieler hingegen konnten Sicherheitspässe nach hinten spielen und bei größerem offenen Raum zogen sich die Braunschweiger ohnehin zurück. Dann stellten sie auf ein tiefes Mittelfeldpressing um, weswegen die Kölner mehr Ballbesitz beanspruchten. Allerdings hielten die Braunschweiger auch in der ersten Halbzeit schon gut dagegen, zumindest im Aufbauspiel.
Theuerkaufs Rolle
Im Spielaufbau ließ sich der Sechser Theuerkauf weit nach hinten fallen. Er bildete dann eine Dreierkette mit den beiden Innenverteidigern, die extrem weit auseinander agierten. Sie spielten fast auf der Außenlinie, wodurch die Außenverteidiger bis zur Mittellinie aufrückten. Damit verschafften sie der Dreierkette etwas Ruhe im Aufbauspiel, weil sich die Kölner ebenfalls weit nach hinten fallen ließen und Tese musste sich alleine vorne aufreiben – er bestritt die meisten Zweikämpfe in der ganzen Partie von allen Spielern.
Theuerkauf suchte dann die Verbindung nach vorne zur Doppelacht, woran es allerdings haperte. Die Kölner blockierten diese Passwege und versuchten sich wieder nach vorne zu tasten. Durch ein langsames und kompaktes Aufrücken ließen sie keine Lücken zu und in weiterer Folge wollten sie mit Bröker einen zweiten Stürmer neben Tese zur Erhöhung der Pressingintensität platzieren. Das zwang Theuerkauf dazu, das Spiel auf die Seiten zu verlagern und die Braunschweiger von dort aus über Kombinationen mit den Außenverteidigern und den Flügelstürmern nach vorne zu kommen. Diese positionierten sich in einer Halbposition und die Sechser agierten ballnah, um weitere Anspielstationen zu bieten.
Ein paar wenige Erfolge gab es, allerdings kamen sie zumeist nicht über das Ende des zweiten Spielfelddrittels hinaus. Die Kölner zeigten nämlich taktisch eine disziplinierte Vorstellung und kämpfen in der ersten Halbzeit sehr gut – nach dem Seitenwechsel konterten die Braunschweiger überraschend mit einer höheren Ausrichtung und mehr Zug nach vorne, was die Geißböcke vor ein paar Probleme stellte. Der interessanteste taktische Aspekt der Partie gehörte Braunschweig, wurde aber leider nur selten gesehen.
Dogans Aufrücken
Durch die tiefe Stellung der Kölner, wo elf Mann hinter dem Ball agierten, stand die Dreierkette der Braunschweiger im Aufbauspiel mit viel Raum vor sich. Theuerkauf fungierte in den wenigen Aktionen als Absicherung, wo die Innenverteidiger – hauptsächlich Dogan – aufrückten. Die Idee war simpel: es gab auf den Flügeln viel Raum, weil die Außenverteidiger und Flügelstürmer hoch standen und ihre Gegenspieler mitnahmen. Darum konnte Dogan sehr weit nach vorne kommen, denn die zentralen Spieler der Kölner orientierten sich etwas wirr im Raum.
Matuschyk und Lehmann zogen sich tief und spielten vor der Abwehr, gleichzeitig gingen die zentraloffensiven Spieler nach vorne. Sie wollten den Pass nach hinten zu Theuerkauf blocken, was Dogans Aufrücken erleichterte. Bei einem dieser Ausflüge kam er sogar bis weit in die gegnerische Hälfte, worüber er selbst so verblüfft schien, dass er in den Gegner lief. Alles in allem ein interessanter Punkt, der gegen die Kölner öfter genutzt werden hätte sollen.
Kölns Probleme zusammengefasst
In diesem Spiel zeigten die Geißböcke einige Unzulänglichkeiten im spielerischen Bereich. Taktisch waren sie jedoch durchaus gut. Es gab zwar keine Wunderdinge, aber phasenweise zeigten sie ein ordentliches Pressing, gute Kombinationen, aber es fehlte am letzten Pass und der Effektivität. Dennoch war die Arbeit gegen den Ball und das Kombinationsspiel akzeptabel. In der ersten Halbzeit waren sie mindestens ebenbürtig, doch spätestens nach dem Halbzeitpfiff verdiente sich die Eintracht die drei Punkte mehr. Sie gingen mehr Risiko, zeigten sich taktisch einen Tick besser und im Spielverlauf individuell konstanter. Tese und Bröker im offensiven Zentrum enttäuschten nach dem Seitenwechsel, Lehmann und Matuschyk mangelt es an Kreativität und die Flügelspieler waren alleine gelassen – lediglich die offensiven Außenverteidiger unterstützten sie, was wegen der Enge einige Male kontraproduktiv war. Ein stärkerer Tese, mehr Kreativität und Präsenz der defensiven Zentrale und ein besseres Herausrücken von Eichner beim Standard, der zum Gegentreffer führte – das Spiel würde von den Kölner Fans wohl gänzlich anders gewertet. So steht nur eine Niederlage zu Buche, denn Fußball ist kein Spiel der Konjunktive.
11 Kommentare Alle anzeigen
Kurt C. Hose 8. September 2012 um 22:17
„… während die Kölner unbedingt zurück in die Bundesliga wollen.“
Wollen sie nicht – zumindest nicht in dieser Saison.
Gut, natürlich wollen alle Team so erfolgreich wie möglich spielen und demzufolge wohl auch aufsteigen (wenn sie unterklassig sind), aber der genannte Halbsatz über den FC am Artikelanfang suggeriert einen direkten Aufstiegsplan des FC. Das Gegenteil ist der Fall, der FC hat deutlich gemacht, dass angesichts des Neuaufbaus (nur noch 2 Spieler des Erstliga-Teams in der Stammformation!) der direkte Wiederaufstieg nicht das primäre Ziel für diese Saison ist.
Gottinga-Leone 7. August 2012 um 21:04
Danke für die gute Analyse! Ein paar Sachen sind mir noch aufgefallen:
Die Rolle des zurückfallenden 6ers wurde hier in BS schon Ende letzter Saison, damals meist mit Pfitzner(z.B. in Bochum) probiert. Der Spielaufbau folgt dann meist über den Innenverteidiger Richtung Flügel:
Die Außenverteidiger rücken dabei weit nach vorne und stehen an der Linie. Davor steht der Außenbahnspieler der vorderen 4er Kette auch direkt an der Linie, während sich der 8er dahin verschiebt. Der eigentliche Innenverteidiger läuft dann auf diese Spieler zu und versucht den Ball in diese Raute zu spielen. Geglückt entseht eine schnelle Passfolge über 3 Stationen und der Außenbahnspieler rennt mit dem Ball Richtung Grundlinie. Auf höhe des 5m Raumes kommt dann die Flanke.
Diese Taktik scheint von Lieberknecht favorisiert zu sein, schon letzte Saison war Braunschweig das Team mit den meisten Flanken.
blub 8. August 2012 um 23:23
Kumbela ist ja auch immerhin 1,71 groß. der knallt die rein wie nix XD
Gottinga-Leone 9. August 2012 um 03:42
Kumbela ist tatsächlich enorm kopfballstark für seine Größe. Er macht rund ein drittel der Treffer mit dem Kopf.
Happyman 7. August 2012 um 10:18
Danke für die interessante Analyse.
Für einen Fan, der das Spiel nicht gucken konnte, gibt mir das eine bessere Einschätzung wo meine Mannschaft steht als wenn ich mich auf die Zusammenfassung in anderen Medien beschränke.
Maks 6. August 2012 um 09:42
Guter Artikel, fasst die Kölner Probleme ganz gut zusammen, ist aber eben erst der Beginn der Saison, da kann noch nicht alles laufen. Mir hat Royer eigentlich ganz gut gefallen, hatte weniger von ihm erwartet…
Außerdem, das hat zwar nichts mit Taktik zu tun und es kann sein, dass ich vollkommen falsch liege; ich würde mich über andere Meinungen freuen: der Treffer war sehr wohl abseits, oder? Ich meine nicht die erste Situation, da hebt Eichner das Abseits klar auf, aber wenn Dogan köpft, steht Ardemi trotzdem im Abseits.
Wenn es die Latte/Pfosten=Pass Abseitsregel noch gibt, ergibt sich durch den Kopfball eine neue Spielsituation, in der Ardemi klar im Abseits steht. Hat mich während dem Spiel total aufgeregt, der Kommentator hat nichts davon gesagt und auch heute habe ich nirgendwo davon gelesen… Liege ich da richtig?
RM 6. August 2012 um 10:48
Bin ich verrückt oder steht Ademi nicht gut und gerne 4-5m hinter Dogan, als der den Kopfball macht? Damit ist er dann hinter dem Ball bei dieser neuen Spielsituation und nicht Abseits.
Käsebrot 6. August 2012 um 11:58
Du liegst völlig richtig. Ademi war weit hinter Dogan bei seinem Kopfball.
Maks 6. August 2012 um 13:53
Ahja natürlich, das habe ich natürlich locker außer Acht gelassen. Deswegen wurde es wahrscheinlich nirgendwo erwähnt… 😉 da ist mein Fan-Herz mit mir durchgegangen, wollte wohl einfach nicht glauben, dass es ein reguläres Tor war. Gut gut, alles klar, das Thema ist beendet.
blub 5. August 2012 um 20:56
Ich kann dazu nix sagen da ich in der Kurve stand und am Feiern war.
Aber schön mal zu lesen was in dem Spiel wirklich vorgefallen ist.
Ich denke im Endeffekt hat die größere Eingespieltheit der Eintracht den Ausschlag gegeben. Die von dir genannten Probleme Kölns lassen sich im laufe der Saison lösen, das dauert halt. Die Umstellung von Solbakken auf Stanislawski ist ja nicht grade gering und in der Offensive müssen ja im Prinzip komplett neue Automatismen entwickelt werden.
Effzeher 5. August 2012 um 18:38
D’accord mit allen wesentlichen Punkten, sehr gelungenes Fazit. Meine persönlichen Einschätzungen:
-Eichner motiviert, kann aber mit 30 immer noch keine Abseitsfalle und seine Flanken sind auch immer noch nicht schön
-Brecko mal wieder stark, auch mit einem schönen Abschluss
-Tese zwar motiviert, aber spielerisch quasi Totalausfall, bis auf die dicke Chance eigentlich nur mit Fouls aufgefallen
-Die OAs können noch besser werden, Chihi immer wieder erfolglose Dribblings, Royer, wie bei euch erwähnt, zu stark an der Außenlinie geklebt, dann aber nicht wirklich gut mit CE kombiniert. Abwarten, was Clemens da bringt…
Habe natürlich jetzt zumeißt den FC beobachtet. Was ich zu Braunschweig aber sagen kann, ist, dass ihre Flügelspieler eigentlich immer (aufgrund unserer hohen AVs) gefährlich bei Kontersituationen waren, und das Team, auch dadurch, dass der FC öfters den freien Mann in oder an der Box ignoriert hat, durch eigentlich gute Deckung wenig zugelassen hat.
Allgemein BOCKSTARK, dass der Artikel eine Stunde nach dem Spiel schon oben ist, ein Riesenkompliment dafür! Aber trotzdem würde ich mir mittelfristig wünschen, dass ihr das „Projekt Junge FC-Mannschaft + Stani“ im Laufe der Saison als einen der Hauptfokuspunkte der 2.BL seht, weil es einfach auch superinteressant ist, bestimmt auch für Fans anderer Teams
lg
mats