Türchen 15: Steaua – Barcelona 1986

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Einer der größten Überraschungssiege in der Champions-League-Geschichte war Steauas Triumph im Landesmeister-Finale von 1986 über Barcelona. Wie kam es dazu?

Der Erfolg des rumänischen Hauptstadtklubs geschah nicht völlig aus dem Nichts, war kein reines One-Hit-Wonder. Über die 80er-Jahre verfügte der rumänische Fußball, noch etwas ausgeprägter als in der vorigen und der darauffolgenden Dekade, über eine gute Spielergeneration. Auch das Nationalteam kam immer wieder zu guten Ergebnissen. Rumänien schaltete etwa in der Qualifikation zur EM 1984 Italien und Schweden aus, wurde aber in eine Gruppe mit Spanien, Portugal und der BRD gelost. Die Teilnahme an der WM 1986 verhinderten zwei Niederlagen in der Quali-Gruppe gegen Nordirland, so dass die Punktgewinne gegen England nichts nutzten. Die EM 1988 verpasste Rumänien wieder nur denkbar knapp, ehe es bei der WM 1990 aus einer kniffligen Gruppe ins Achtelfinale ging. Steaua wiederum schaffte es 1989, den Finaleinzug von 1986 noch einmal zu wiederholen, wenn auch beim zweiten Auftritt ohne Erfolg. Drei Jahre später standen zumindest noch vier Sieger von 1986 in der Startaufstellung, ergänzt um neue Namen wie den später berühmten Gheorge Hagi. Zum damaligen Zeitpunkt war – vor dem Bosman-Urteil und vor der Champions-League-Reform – die Gefahr für Steaua noch etwas geringer als für spätere Überraschungsteams, dass eine gute Generation durch viele schnelle Transfers gänzlich auseinander gerissen worden wäre.

In dieser Gemengelage hatte Steaua keine Elf mit Top-Klasse aufzubieten, aber eine international ordentliche und konkurrenzfähige Truppe. Unterstützt von etwas Losglück und einer überdurchschnittlichen Flexibilität im Vergleich zu den um 1985 in vielen europäischen Ländern aufkommenden 3-5-2-Libero-Spielweisen konnte diese Mannschaft das Finale erreichen und es mit einem in erster Linie stabilen Auftritt im Elfmeterschießen nach einem torlosen Remis gewinnen.

Strukturell waren sich die beiden Finalisten ziemlich ähnlich, setzten auf Viererkette statt auf Libero und Manndeckung, wenngleich einzelne Spuren dieser beiden taktischen Konzepte gelegentlich aufschienen. Die Teams brachten grundsätzlich viele Spieler in die zentralen Räume, machten spielerisch aus dieser Mittelfeldpräsenz aber zu wenig – eine typische Konstellation für den oftmals improvisierten Angriffsfußball des späten 20. Jahrhunderts.

Steauas Unterzahlangriffe gegen Barcelonas 4-3-3-0-Staffelungen

Während die Rollenverteilung bei beiden Teams ein bewegliches Sturmduo und ein Vierermittelfeld irgendwo zwischen Raute und flacher Viererreihe implizierte, stellten sich die jeweiligen Defensivformationen kaum einmal als 4-4-2 dar.

Defensivformation Barca, Offensivformation Steaua

Bei Barcelona schob der aus dem rechten offensiven Halbraum heraus sehr umtriebig angreifende Marcos Alonso gegen den Ball meistens in eine Art Zehnerposition und die Stürmer etwas in die Breite. Diese aufgefächerte und passive 4-3-3-0-hafte Struktur ließ der ersten Aufbaulinie Zeit am Ball und passte gut zur Zurückhaltung des Gegners. Steauas Innenverteidiger agierten im Aufbau konservativ und wurden wiederkehrend von verschiedenen Mittelfeldspielern außerhalb der katalanischen Defensivformation entlastet. Auch die Außenverteidiger blieben zunächst typischerweise flach. Insbesondere in den ersten 30 Minuten wollte der Außenseiter sichtlich das Risiko vermeiden, brachte dafür kaum Spieler nach vorne und musste dementsprechend mit ausgeprägten Unterzahlangriffen geringe Aussichten auf Torchancen in Kauf nehmen.

Asymmetrische Gegnerzuordnungen und Zusatz-Liberi

Auf der Gegenseite ergab sich ein ähnliches Bild, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt. Barcelona sah sich im Aufbau zumeist nur mit Piturca als alleinigem Stürmer konfrontiert, da Lacatus sich gegen den Ball oft auf den rechten Flügel zurückzog und gegen Alberto vereidigte. Damit hatte Steaua Ansätze von 4-2-3-1- oder situativ 4-1-4-1-Defensivstaffelungen im (erhöhten) Mittelfeldblock, wenn auch erst unsauber ausgeprägt. Das lag auch an einigen Unregelmäßigkeigen, weil etwa der halbrechte Mittelfeldspieler Balan – Sechser oder Achter je nach Definition – viel mit nach Außen verteidigen musste, um dort mit Pedraza den linken Flügel des Gegners aufzunehmen, der sich oft auf halber Höhe in der Nähe von Alberto bewegte. In der letzten Linie blieb Steauas Rechtsverteidiger Iovan sehr eng an den Innenverteidigern und weit hinten, um diese gegen Barcas Sturmduo zu unterstützen.

Defensivformation Steaua, Offensivformation Barca

Asymmetrisch liefen die beiden Formationen damit fast wieder auf eine Vielzahl von 1gegen1-Zuordnungen mit jeweils einem freien Mann in der letzten Linie zu. Weil mitunter der rotierende Marcos Alsonso hinzukommen konnte, waren typischerweise beide Außenverteidiger der Rumänen hinten in der Kette gebunden. Dort bildeten sie eine 4gegen3-Überzahl, die stets für eine numerische Absicherung sorgte und situativ auch Libero-Verhaltensmuster ermöglichte. Wichtig war in diesem Zusammenhang die Rolle von Steauas hinterstem Mittelfeldspieler Bölöni, der schnell von oben nacharbeitete, die Kette zusätzlich gegen Bälle in kompakte Staffelungen des katalanischen Offensivtrios unterstützte und aufmerksam den Rückraum sicherte. Solange Muñoz primär absicherte, konnte er praktisch zu einem weiteren freien Mann und Zusatz-Libero von oben werden.

(Unter-)Besetzung der Zielzonen langer Bälle

Nur so überstand Steaua die längeren Bälle des Gegners, mit denen Barcelona häufig gezielt die dreifache Besetzung der Sturmspitze suchte. Gerade über die halbrechte Seite von Marcos Alonso konnte der Favorit solche Ballungen gut anvisieren, insbesondere bei herauskippenden Aktionen von Schuster nach rechts. Auch wenn schnelle Steilpässe der Katalanen auf ihre Stürmer in diesen kompakten Staffelungen für Unruhe sorgten, sprangen letztlich aber nur zwei oder drei wirklich hochwertige Chancen über die Partie hinweg heraus.

Abgesehen von diesen Momenten wusste Barcelona im Aufbau- und Angriffsspiel nicht allzu viel anzubieten. Die Übergänge nach vorne funktionierten beim Favoriten ganz im Durchschnitt der Zeit primär über Improvisation und verschiedene längere Flug- oder Chip-Pässe, darunter zu viele auf Mitspieler in nachteiligen Positionen oder Körperstellungen. Dass Steaua mit Piturca alleine im 1gegen2 nicht besonders viel Druck machen konnte, bedeutete für die Rumänen daher kein nachdrückliches Problem. Für zusätzliche Kreativität und Offensivstärke gingen den Katalanen eine gute Tagesform ihres potenziellen Spielmachers Schuster und die klare Einbindung von Pedraza und Alberto von der linken Seite ab, die zum Strafraum hin oft in uninteressanten flachen und seitlichen Zonen verblieben.

Das Spiel tendiert zugunsten Steauas

Nach der ersten halben Stunde nahmen Barcelonas Ansätze noch weiter ab. Hohe Positionen von Piturca am gegnerischen Strafraum genügten oft für eine lange Ausführung von Abstößen seitens der Katalanen. Diese Spieleröffnung ließ Barcas Spielanteile schrumpften. Die langen Abstöße konnten nicht so tief in die gegnerische Hälfte reichen wie die Flugbälle der Innenverteidiger aus dem laufenden Spiel und landeten auch weniger gezielt als diese. Insgesamt wurde die Partie in der Folgezeit als Gesamtes noch etwas gestreckter und unkompakter.

Davon konnte am ehesten Steaua profitieren, weil die Mannschaft inmitten des vermehrten raumgreifenden Hin und Her ein günstiges Umfeld vorfand, um die eigenen spielerischen Qualitäten einzubringen. Angesichts des Potentials der Rumänen wirkte es wie eine verpasste Chance, dass sie sich mit ihrem dermaßen vorsichtigen Aufrückverhalten bis zum Ende der ersten Halbzeit so lange selbst einschränkten. Insgesamt bestanden bei Steaua Licht und Schatten nebeneinander: Ihrer Vielzahl an großgewachsenen und schlaksigen Spielertypen merkte man koordinative Mängel an, die einfach aus der zur damaligen Zeit noch wenig systematischen Fußballerausbildung resultierten und die das gruppentaktische Geschick und technische Können mitunter relativierten.

Gerade Allrounder Marjeanu von der linken Seite spielte sehr kombinativ und mit guter diagonaler Orientierung. Die emsige Natur des wendigen, aktiven Balan ergänzte seine Aktionen mit passenden unterstützenden oder gegnerblockenden Bewegungen. Die größer werdenden Abstände in der Partie ließen zudem das raumgreifende Bewegungsspiel von Balint besonders zum Zuge kommen, der daher seine One-Touch-Ablagen mit zunehmender Spieldauer häufiger einbringen konnte.

Mit diesen Ansätzen hatte Steaua im Gesamtbild der zweiten Halbzeit die besseren (der wenigen) Torannäherungen. Schließlich begannen mit der Zeit auch mehr Spieler in die Angriffe aufzurücken, so dass es zum Ende hin sogar einige Szenen mit sieben Spielern im vordersten Drittel gab. Barcelona ließ insbesondere im Rückraum zunehmend fahrlässige Lücken, weil Schuster und Muñoz mehrmals nicht mehr diszipliniert mit verteidigten, sondern in weiter entfernten Räumen verblieben. Während Schuster einige Nachlässigkeiten in seinem Defensivspiel hatte, ließ sich Muñoz viel zu weit – auch ballfern – mannorientiert nach außen herausziehen, sobald Linksverteidiger Barbulescu mit in höhere Zonen aufrückte und er diesen verteidigen wollte.

Fazit

Zusammengenommen passte das torlose Remis nach 120 Minuten zu den Schwächen beider Teams im Angriffsspiel, so flexibel sie jeweils von ihrer Grundsystematik her auch aufgestellt sein mochten. Zum Helden des Abends avancierte Steauas Keeper Duckadam, der alle vier Elfmeter von Barcelona parierte.

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