Türchen 3: Milan – Benfica 1963
Nach zwei furiosen Europacup-Triumphen 1961 und 1962 musste sich das legendäre Benfica um Eusébio und Coluna beim dritten Finale in Serie dem AC Milan geschlagen geben. Es war ein ausgeglichenes Spiel mit vielen Umschaltmomenten, das in beide Richtungen hätte gehen können.
Ausgeglichener Kampf um zweite Bälle

Grundformationen
Wie für den Fußball der 60er-Jahre typisch, wurde grundsätzlich erst einmal jeder Abstoß und fast jeder Abschlag lang nach vorne geschossen – und so ging es viel um zweite Bälle. Diese Duelle um die Abpraller waren aber hochwertig. Beide Mannschaften spielten ihre 4-2-4-ähnlichen Grundformationen kompakter als die meisten zeitgenössischen Konkurrenten und beide hatten eine überdurchschnittliche Aktivität in jeglichen Umschaltsituationen gegenüber anderen Teams jener Jahre.
Dazu war es ein Duell starker Mittelfeldbesetzungen, angeführt bei Titelverteidiger Benfica von der wuchtigen Zentrumsmaschine Coluna und bei Milan von dem etwas biederen Allrounder Dino Sani, der aber ein sehr gutes Gespür im Timing dafür hatte, wann genau (oder ob überhaupt) er in springende Bälle hineingehen und wie er lange dafür warten musste.
Zu diesem Finale gibt es die Anekdote, dass Milans Trainer Nereo Rocco einen seiner besten Torschützen vom linken Flügel auf die Bank setzte, Rechtsaußen Bruno Mora auf diese Seite zog und dafür rechts den arbeitsamen Gino Pivatelli aufbieten konnte, der die Kreise von Coluna einschränken sollte. Aber schon im Verlauf der ersten Halbzeit tauschten die beiden oft den Flügel. Ohnehin arbeitete auch Mora von beiden Seiten nach zweiten Bällen sehr viel ins Zentrum hinein. Im Übrigen glänzte er in den Anschlussaktionen mehrmals mit cleveren Entscheidungen gegen die Bewegungsrichtung des nachschiebenden Gegners.
Strukturell war Benfica näher an einem 4-2-4 und konnte zusätzlich ebenfalls von unterstützenden Bewegungen des Rechtsaußen José Augusto in die Mittelfeldbereiche profitieren. Bei Milan stellte sich die Verteidigungsreihe noch eher wie eine Mischkette mit Libero-Logik dar: Das bedeutete, dass Benítez und Trapattoni vorwiegend gegen Torres und den häufiger zurückfallenden Eusébio verteidigten. Gegen die langen Bälle zog sich Trapattoni immer wieder weit in die hinterste Linie zurück, um in Luftduellen unterstützen zu können.
Kleine Nachlässigkeiten bei Milan
Bei Flügelangriffen von Benfica schob Milans ballferner äußerster Verteidiger etwas ein und hielt den Anschluss nach innen zu den Kollegen. Gingen Angriffsversuche durch die Mitte unterlag die Kompaktheit zwischen den Verteidigern der Italiener dagegen noch stärkeren Einschränkungen. In diesen Situationen blieben die äußeren Abwehrspieler eher breit, also näher an ihren direkten Gegenspielern, so dass sie weniger Absicherung nach innen bieten konnten.
Dies machte sich auch bei Benficas Führungstor Mitte der ersten Halbzeit bemerkbar, wenngleich es aus einer ungewöhnlich „billigen“ Defensivsituation der Mailänder resultierte. Zuvor hatte Milan ausnahmsweise einen eigenen Abstoß kurz und schnell ausgeführt, ohne dass die eigene Mannschaft dies geschlossen realisierte. Anschließend unternahm Trapattoni einen willkürlichen Ausflug mit einem Dribbling zum linken Flügel und selbst Maldini schenkte in der finalen Verteidigung des Konters die Szene ab.
Benfica wusste solche Momente, in denen Milan kleine Schwächen anbot oder hochwertige Eroberungen aus zweiten Bällen erfolgten, sofort gut mit den zeittypischen Doppelpässen und dem Dreiecksspiel ihrer Offensivakteure zu nutzen. Sobald die Portugiesen im Mittelfeld einmal mehr Zwischenlücken hatten und ins Spielen kamen, konnte sie ihr kombinatives Potential abrufen. Im unmittelbaren Gefolge ihres Führungstors waren sie kurzzeitig mehrmals einem zweiten Treffer nahe. Dagegen agierte Milan im Ausspielen etwas hektischer und suchte selbst für damalige Verhältnisse sehr schnell den Steilpass in die Tiefe.
Unterschiede im Aufrückverhalten
Ein weiterer leichter Vorteil für die Portugiesen in der insgesamt ausgeglichenen Begegnung bestand darin, dass sie mit mehr Spielern angriffen. Häufig schalteten sich die vordersten fünf Akteure in die Bemühungen ein. Während Rivera innerhalb von Umschaltsituationen mehrfach durch kleine Rückwärtspressingaktionen glänzte, wurde er gegen den Ball passiver, sobald Benfica den Ballbesitz gesichert hatte. Manchmal blieb er zusammen mit dem ohnehin lauernden Altafini vor dem Ball und manchmal zog er sich gleich sehr weit zurück. Das bedeutete aber, dass die erste und zweite Defensivlinie – unabhängig von der zahlenmäßigen Verteilung – mit der Zeit in größere Abstände verfiel und Benfica in diesen Lücken das Spiel aufziehen konnte.
Santana und Coluna holten sich die Bälle ab und dribbelten aus den Halbräumen an, um die Kombinationsversuche einzuleiten. Auch der situativ in den äußeren Halbraum ausweichende und elegante Torres oder der einrückende Augusto operierten mit vielen balltreibenden Dribblings, deutlich ausgeprägter als auf der Gegenseite. Dazu kamen einige ankurbelnde Aktionen von Rechtsverteidiger Cavém, der sehr schnell 2gegen2-Gleichzahlsituationen am Flügel auszuspielen versuchte, wenngleich Mora und Trebbi diese Szenen aufmerksam gruppentaktisch verteidigten. Im Laufe der Partie schaltete sich Cavém verstärkt auch durch Hinterlaufen ein.
Dagegen rückten bei Milan häufig nur jeweils vier Spieler für die eigenen Angriffe auf. Zumindest bedeutete dies stets eine gute Absicherung, während Benfica gelegentlich im Raum hinter Coluna und Santana für Konter anfällig wurde. Auch nach dem Rückstand erhöhte Milan ur zögerlich das Risiko. Mit der Zeit rückte Dino Sani häufiger nach und ansonsten schaltete sich ab der zweiten Halbzeit der rechte Verteidiger David einige Male ein.
Milan dreht das Spiel nach der Pause
David nahm schließlich bei der Einleitung des Ausgleichs eine wichtige Rolle ein, nach einem langen Ball aus einer Umschaltsituation. Da Simoes beim Angriff zuvor für eine Überladung mit auf die rechte Seite Benficas rochiert war, konnte David im Gegenzug diagonal nach innen gehen und dort einen offenen Ball aufsammeln. Aus Benficas 4-1-Struktur musste der Sechser weit nach außen auf David herausschieben, der ihn mit einem sehenswerten Lupfer auf Rivera im Zehnerraum überraschte.
So hatte Rivera ein freies Dribbling auf die Kette – zusammengenommen in 4gegen4-Gleichzahl. Einer der portugiesischen Innenverteidiger rückte auf den ballführenden Gegner aus der Kette nach vorne, der andere rutschte allerdings gleichzeitig aus. In dieser unglücklichen Konstellation funktionierte die Absicherung nicht vollends und schließlich prallte der abgefälschte Steckpass zu Altafini, der aus der Drehung verwandelte. Bei dessen zweitem Treffer wenige Minuten später lief es für Benfica noch ungünstiger – das Tor fiel nach Konter aus einer eigenen Ecke, provoziert durch starkes Nachsetzen von Rivera.
Fazit
Am Ende fehlte Benfica nicht viel zu einem dritten Titel in Serie. Milan hatte aber mit zwei starken Szenen von Altafini das Abschlussglück auf seiner Seite. Es war ein ausgeglichenes und auch recht komplettes Spiel, das insgesamt gute, kurzweilige Qualität bot, aber auch nicht ganz zu den hochklassigsten Finals der Geschichte gehören darf.

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