Hannover unter Titz: eine Teamanalyse – FN

Hannover 96 hat in der zweiten Bundesliga mit 13 Punkten aus sechs Spielen einen starken Saisonstart hingelegt. Die starke Bilanz mit vier Siegen aus den ersten vier Spielen ist durch den radikalen Kaderumbruch im Sommer um so bemerkenswerter. 16 Abgängen stehen 17 Neuzugänge gegenüber. Zusätzlich sicherte sich Hannover mit Christian Titz einen der begehrtesten Zweitligatrainer. In dieser Teamanalyse werden wir darauf eingehen, wie weit Titz seine Spielidee bereits implementieren konnte, welche Strukturen und Abläufe die 96er auszeichnen und wie sich mögliche Lösungsansätze darstellen.

Typisch für Titz agiert Hannover aus einer sehr variablen 3-4-3 Grundformation. Im Tor steht der stark in den Spielaufbau eingebundene Noll. Den zentralen Part der Dreierkette besetzt Tomiak, der spielphasenabhängig auch in den Sechserraum aufrückt. Flankiert wird dieser von Ghita und Okon. Auf der nominellen Doppelsechs agieren Leopold und Aseko, wobei die Rollen sich hier maßgeblich unterscheiden. So ist Leopold sehr stark in den Aufbau eingebunden und kippt regelmäßig vor den Pressingwall, während Aseko eine offensive Achterrolle mit viel Präsenz im Zwischenlinienraum bekleidet. Die eingerückten Flügelverteidiger geben Neubauer und Matsuda. Die Breite wird in der Folge von den Außenstürmern Rochelt/Chakroun und Bundu gegeben. Diese flankieren die einzige Spitze Pichler.

Grundordnung

Druck anziehen, Druck lösen

Hannover definiert sich unter Titz über einen strukturell variablen Aufbau mit wiederkehrenden Mustern. Die zentrale Idee ist es Manndeckungen zu bespielen, was durch die konsequent manndeckende eigene Spielweise gegen den Ball unter Titz, die später besprochen wird, erhebliche Vorteile in der Trainingsgestaltung und Effektivität mit sich bringt. Die Spieler werden dadurch konstant gefordert unter Druck ruhig zu agieren und drucklösende Ideen zu entwickeln. So kann die limitierte Trainingszeit sehr effektiv genutzt werden, was auch für das schnelle Implementieren der Spielidee und die starke Frühform Hannovers spricht.

Strukturell agiert Hannover im tiefen Aufbau bei Abstoß aus einer 2(+1)-4-1-3 Struktur heraus. Ein Schlüsselelement ist das Involvieren von Torhüter Noll in einer Torwartkette. Dieser schafft eine +1 Überzahl im Aufbau, wodurch das Pressing ausgelöst und möglichst viel Druck angelockt werden soll. Positionsspieltypisch gilt es diese Überzahl auszuspielen und möglichst den freien Mann zu finden. Essenziell für diese Art des tiefen Aufbaus ist die spielerische Qualität des Torhüters, sowie der ersten Aufbaulinie. Diese sind wiederholt unter Druck gefordert um hoch zugestellt Lösungen zu finden. Speziell Noll weiß hier zu überzeugen. Nicht selten findet dieser durch Chipbälle über den ersten Anläufer den sich in die Breite absetzenden Halbverteidiger mit einem freien Fuß. Noll verfügt zudem über ein sehr gutes Raum-Zeit Gefühl und hat das Verständnis sowie den Mut die Lücke im Druchdecken des Gegners zu finden.

Als Folge der hohen Einbindung Nolls rückt Zentralverteidiger Tomiak in dieser Variante bei Abstoß in den Sechserraum neben Leopold auf. Dies löst den Druck in der ersten Linie, wodurch der Gegner dazu gezwungen ist mit zwei Spielern die erste Aufbaulinie anzulaufen. Durch Tomiaks Flexibilität fällt gegen Hannover meist einer der Stürmer in eine tiefere Rolle und nimmt Tomiaks Lauf auf. So kann ein durch Tomiaks Flexibilität, jederzeit in die Kette zurückzufallen, bedingtes weites Rausschieben der Sechser verhindert werden und zentrale Kompaktheit gewahrt werden. Somit lösen die Außenstürmer von außen nach innen aus, wodurch über eine Spielfortsetzung über den Dritten auf den Halbverteidiger nicht direkt unterbunden werden kann. Bei einem Anlaufen von innen nach außen wäre Noll derjenige, der über den Dritten gefunden wird und es würde kein unmittelbarer Höhenverlust durch Tragen des Balles drohen.

Hannover verzichtet in im tiefen Aufbau auf ein konstantes Besetzen der Breite. Die Flügelverteidiger Neubauer und Matsuda rücken halbräumig ins Mittelfeld ein, und binden gegen ein Fünferkettenpressing die gegnerischen Flügelverteidiger. Durch die klare Zuordnung in einer Raute mit einem pendelnden Stürmer sowie manndeckenden Sechsern greifen mehrfach Teams gegen Hannover auf diese Pressingstruktur zurück. Das Aufrücken der Flügelverteidiger führt dazu, dass die Halbverteidiger in ungewohnten Räumen in der Breite gegen die Hannoveraner Außenstürmer agieren müssen. Die eingerückte Positionierung verlängert gerade im Übergangsspiel den Pressingweg für die Flügelverteidiger, um von strukturorientiert in manndeckend umzuschalten. Neubauer und Matsuda bieten so im Timingspiel gegen den Flow des Übergangsspiel eine progressive Passoption mit einem kleinen Zeitvorteil gegenüber dem direkten Gegenspieler.

gg Magdeburg

Ein weiterer Vorteil der eingerückten Flügelverteidiger ist die hohe Ballung im Zentrum, wodurch eine sehr gute Grundlage für die Eroberung von zweiten Bällen geschaffen wird. Wiederholt greift Hannover im tiefen Aufbau nach Locken des Gegners auf den gezielten langen Ball zurück. Die gegnerische Manndeckung soll durch Anspiel des Halbvertieidiger auf Noll ausgelöst werden. Häufig folgt anschließend ein Pass in den Druck auf einen der entgegenkommenden Sehser Tomiak/Leopold, die sich an die Kante der eigenen Box fallen lassen, wodurch deren Manndecker gebunden werden. Zielspieler für die langen Bälle von Noll oder Ghita sind gegnerabhängig Pichler zentral oder Bundu auf dem rechten Flügel. Gerade im Spiel gegen Düsseldorf, die aus einer Viererkette heraus mit einem aus der Kette auf Aseko herausverteidigenden Innenverteidiger pressten, machte sich Hannover die physische Überlegenheit Bundus gegenüber den meisten klassischen Außenverteidigern zunutze. Speziell Matsuda orientierte sich in diesen Momenten frühzeitig ballfern in den offensiven Halbraum um zweite Bälle aufzusammeln und eine Anspielstation für Bundu zu bieten. Bundu kann über diese Variante sehr gut in ein 1gg1 auf großem Raum isoliert werden und das Spiel über seine Dribblingstärke beschleunigen.

Gegen aus einer Fünferkette heraus pressende Teams wie Magdeburg setzt Hannover bei langen Bällen auf Zielspieler Pichler. Dieser kippt über eine Auftaktbewegung in den Zwischenlinienraum, um den Ball mit dem Rücken zum Tor festzumachen. Gerade Aseko überzeugt hier bei zweiten Bällen durch seine physische Spielweise und kann wiederhholt als Ablageoption für Pichler dienen. Hannover zeichnet sich bei diesen gezielten langen Bällen über ein kompaktes Nachrücken im Kollektiv aus. Nach diesen langen Bällen suchen die 96er zügig vertikal über die diagonal einlaufenden Außenstürmer oder Verlagerungen in isolierte 1gg1 Situationen den Weg zum Tor.

Leopold kippt ab

Ein auffälliges Muster im Locken des Gegners ist das Abkippen von Leopold oder Tomiak neben Noll. Das Abkippen erfolgt noch vor Ausführen des Abstoßes, der nun von Leopold auf Noll ausgeführt wird. Die Halbverteidiger schieben als Folge des Abkippens in die maximale Breite auf die Höhe des Sechsers. So kann das Zentrum gelockert und die Manndeckung noch vor Anspiel in Bewegung gebracht werden. In extremerer Form kennt man dies hauptsächlich von Fernando Diniz mit dem „Diniz Wheel“. Zusätzlich wird bewusst eine Zone im Sechserraum unbesetzt gelassen. Dieser kann in der Folge dynamisch durch Neubauer besetzt werden. Die Dynamik durch die Bewegung erzeugt einen kleinen Zeitvorteil Neubauers gegenüber seinem direkten Gegenspieler, wodurch Leopold über den Dritten gefunden werden kann.

Ein auffälliges Detail ist hier das Herauszögern Nolls. Durch die Sohle auf dem Ball versteckt dieser maximal lange die Passrichtung vor dem ersten Anläufer und provoziert das volle Durchziehen des Laufs, was den Abstand zu Gegenspieler Leopold maximal verlängert. Durch weiteres Hochschieben lösen die Halbverteidiger den Druck in der eigenen Box weiter auf und Hannover ist in der Lage eine 4gg3 Überzahl im Zentrum auszuspielen. So kann der perfekte Zeitpunkt für einen gezielten langen Ball von Noll auf Pichler oder einen Dynamikwechsel durch Freispielen im Zentrum gefunden werden.

gg Kiel

Generell ist das Abkippen von Taktgeber Leopold im Hannoveraner Spiel ein Auslöser für Tempowechsel und Progressivität. Über den Tempowechsel soll Dynamik erzeugt werden, um gegen das Momentum des Pressings in den Block zu kommen. Leopold kippt hierfür gerne vor den Pressingwall oder bei aufgerückter Positionierung von Tomiak auch zwischen die Halbverteidiger. Hintergrund des Abkippen Leopolds ist nicht eine dauerhafte Überzahl in der ersten Aufbaulinie herzustellen. Vielmehr soll durch dynamisches Auffüllen eine Lösung gegen den durch das Abkippen angezogenen Druck geschaffen werden. Über diagonale Passwinkel soll der Druck progressiv aufgelöst werden. Leopolds Auffüllen ist hierbei häufig der Lauf des dritten Mannes, um in offener Position das Spiel nach vorne zu beschleunigen. Nach Anziehen des Drucks durch eine Verlagerung in die Breite kann dieser Lauf über Tomiak als Wandspieler im Sechserraum gefunden werden.

gg Magdeburg

Diese diagonalen Passketten ziehen sich auch in den höheren Aufbau. Bei seitlichem Ausbrechen neben den Stürmer des gegnerischen Mittelfeldpressings kann Leopold bei fehlendem Zugriff seines direkten Gegenspielers den Ball direkt auf einen der halbräumigen Flügelverteidiger weiterleiten.

Flexibler hoher Aufbau

Auch im hohen Aufbau agiert Hannover sehr flexibel. Noll agiert in dieser Spielphase situativ in einer Torwartkette und schaltet sich in den hohen Aufbau mit ein. Bei Aufrücken Tomiaks bildet Noll zusammen mit den Halbverteidigern einen Dreieraufbau. Situativ agiert Hannover auch aus einem 2+4 Aufbau heraus. Die Halbverteidiger schieben in die Breite und auf Höhe der zweiten Aufbaulinie, während Tomiak und Noll die Basis bilden. Gerade gegen passiv verteidigendere Teams hilft die breite Positionierung der Halbverteidiger, um Pressingwege der sich aus ihrer strukturorientierten Haltung lösenden Anläufer zu verlängern. So kann ein freier Außenfuß des Halbverteidigers erzeugt werden, um nach schnellen Verlagerungen den direkten Weg in den Block zu suchen. In den meisten Fällen baut Hannover allerdings aus einem 3+1 Aufbau heraus auf. Das dazustoßen Nolls verändert bei längeren Ballbesitzphasen dann die Stafflung.

gg Kaiserslautern

Das Prinzip des Lockens des Drucks ändert sich im Vergleich zum Aufbau nicht. So wird auch gegen Mittelfeldpressing versucht das Auslösen durch die Sohle auf dem Ball und Querpässe in der ersten Aufbaulinie zu locken. Auch hier setzt Hannover nach Zirkulation auf der linken Seite situativ auf diagonale lange Bälle auf Zielspieler Bundu, um diesen in 1gg1 Situationen gegen den Außenverteidiger zu isolieren.

Das Spiel um den Block mit klaren Abläufen ist gegenüber den diagonalen Passketten durch den Druck die häufigere Variante im Hannoveraner Spiel. Über klare Abläufe und Automatismen versucht Hannover den durch den Zugriff ausgelösten Zugriff des gegnerischen Mittelfeldpressings zu nutzen.

Wiederkehrende Muster

Flügelspiel

Ein häufig verwendetes Mittel unter Titz im Spiel um den Block ist die Verbindung zwischen den Flügelverteidigern und Außenstürmern. Durch das Einrücken der Flügelverteidiger entsteht eine wechselspurige Positionierung. Ziel ist es nicht wie üblich im Flügelspiel über Vorderlaufen der Flügelverteidiger die Tiefe zu bedrohen, um den Außenstürmer bestmöglich in 1gg1 Situationen zu isolieren und bei lückenhaftem Sichern der Tiefe den Lauf des Außenverteidigers zu finden. Stattdessen versucht Hannover den durch die tiefe Startposition der Flügelverteidiger unbesetzten offensiven Halbraum über dynamische Läufe zu attackieren. Das Verständnis des Flügelpaares füreinander ist hier entscheidend.

gg Magdeburg

Der Außenstürmer kommt aus seiner Breite gebenden Positionierung entgegen und bietet dem Halbverteidiger eine Anspielstation um den Block herum. Der Flügelverteidiger bewegt sich zuvor intelligent in den Deckungsschatten des den Halbverteidiger anlaufenden Spielers. Zusätzlich bewegt sich dieser durch die tiefe Positionierung aus der Zugriffszone des Halbverteidigers heraus, wodurch dieser beim Herausrücken ins Zögern kommen kann. Der Flügelverteidiger startet anschließend einen auf das Entgegenkommen des Außenstümers abgestimmten Lauf im Halbraum. Über eine Ablage in den Lauf des Flügelverteidigers kann so Dynamik erzeugt werden. Ein Vorteil des halbräumigen Laufs des Flügelverteidigers ist, dass sofort auf die Kette angedribbelt werden kann und kein Aufdrehen erforderlich ist.

Die durch das Abkippen des Außenstürmers geöffnete Tiefe kann anschließend von diesem selbst erneut belaufen werden. Zusätzlich bietet sich über ballnahes Abkippen von Aseko oder Pichler die Möglichkeit diagonal durch das Zentrum auf den ballfernen Außenstürmer zu verlagern und Zug zum Tor zu entwickeln.

Häufig kippt der Flügelverteidiger auch aus dem Block heraus, um die erste Anspielstation für den Halbverteidiger zu bieten. Das Ziel den Halbraum dynamisch zu attackieren, bleibt dennoch gleich. Der Flügelverteidiger sucht anschließend Außenstürmer vertikal mit dem Rücken zum Tor entgegenkommend. Dem Außenstürmer bleibt durch den unvorteilhaften Passwinkel und dem herausschiebenden gegnerischen Flügelverteidiger im Rücken nur die direkte Ablage ins Zentrum. Der Flügelverteidiger beläuft durch Herausziehen des eigenen Gegenspielers im Anschluss den offenen Halbraum, um die Ablage im Lauf zu empfangen. Zusätzlich öffnet dieser dadurch den Rückpass auf den sich absetzenden Halbverteidiger.

Dribblingfokus

Zusätzlich zu diesen Abläufen legt Titz großen Wert auf Dribblings. In der Zusammenstellung des Kaders wurde mit Spielern wie Bundu, Chakroun, Rochelt oder Aseko bewusst Wert auf die Dribblingfähigkeiten der Offensivreihe gelegt. Gerade die Außenstürmer spielen hier eine elementare Rolle und sollen durch ihre 1gg1 Stärke gegen tiefstehende Gegner gefunden werden. Titz lässt seinen Spielern im letzten Drittel so die nötigen Freiheiten, um nach Spiel in den Block oder Isolieren des Außenstürmers für kreative Momente zu sorgen.

Auffällige Dribblingmuster sind zum einen der schnelle Antritt von Bundu in Richtung Grundlinie, um für Seperation zu sorgen und anschließend mit einer flachen Flanke an den ersten Pfosten für Gefahr zu sorgen. Ein weiteres Muster ist das zentale Schleppen des Balles durch Aseko. Gerade nach Ablagen von Pichler kann dieser durch Behaupten des Balles und Ausdribbeln seines Gegenspielers Dynamik erzeugen. Wichtig ist auch das Kombnieren von dribblingstarken Spielern. So orientiert sich Aseko bei Ballbesitz Rochelts in der Breite häufig ballnah, um sich über kleinräumige Dribblings durch das gegenseitige Verständnis im linken Halbraum freizuspielen.

Ghitas inside diagonal

Ein weiteres Muster des Hannoveraner Ballbesitzspiels sind die inside diagonals von Ghita. Dieser positioniert sich zunächst in einer sehr breiten Halbverteidigerrolle, wodurch der Pressingweg des aus dem Zentrum anlaufenden Gegenspielers maximal verlängert werden soll und einem möglichst großer Zeitvorteil auf dem Außenfuß geschaffen wird. Speziell bei Abkippen von Leopold in die erste Aufbaulinie oder Einbeziehen von Noll kann Ghita diese breite Rolle einnehmen. Durch das Locken Nolls als Extraspieler im Aufbau wird Ghitas Gegenspieler räumlich gebunden, was das Timing im Rausschieben verzögert. Zusätzlich wird der Pressingwinkel des Anläufers durch Ghitas breite Position immer flacher, was zu weniger Druck auf dem Ball führt.

Der inside diagonal wird gezielt vorbereitet, um nach Ablage dieses Passes Dynamik zu erzeugen. So ist der Halbraum, in den der Pass von außen ins Zentrum gespielt werden soll zunächst durch den eingerückten Neubauer besetzt. Dieser startet noch vor Ballannahme Ghitas einen diagonalen Lauf kreuzweise zum Passweg Richtung Seitenauslinie. Pichler kippt als Reaktion darauf aus seiner Stürmerposition kurz in den linken Halbraum ab, um den Pass in einer diagonalen Körperhaltung zu empfangen. Der Vorteil dieses diagonalen Pass ins Zentrum besteht in den Anschlussmöglichkeiten Pichlers. Dieser besitzt durch die diagonale Haltung einen wesentlich größeren Wahrnehmungsbereich. Dies macht die Anschlussaktion für den Verteidiger unausrechenbarer. Dieser wird zudem in eine unvorteilhafte Situation gebracht, da er die Tiefensicherung auflösen muss und trotzdem keinen direkten Zugriff auf den Gegenspieler hat. So kann der Verteidiger nicht von einer Seite aus zustellen und den Passweg antizipieren.

gg Düsseldorf

Für Pichler bietet sich nun durch die offene Körperhaltung die Möglichkeit ins Zentrum auf den nachrückenden Aseko abzulegen und dadurch eine Verbindung zur ballfernen Seite herzustellen. Zudem bietet die Ablage auf den aus der Breite ballnah orientierten Außenspieler die Möglichkeit über ein Dribbling des Außenstürmers für eine kreative Fortsetzung zu sorgen und auch die direkte Weiterleitung in die Tiefe bleibt eine Option. Pichler und Neubauer bieten in diesem Fall durch ihre vorhergegangenen ballorientierten Bewegungen durch kurze Abstände weitere Fortsetzungsmöglichkeiten.

Luft nach oben

Trotz dieser Frühform besitzt Hannover im Spiel mit dem Ball, gerade im Bespielen eines Mittelfeldpressings noch Luft nach oben. So tat man sich gerade gegen die Raumverteidigung Düsseldorfs lange schwer. Hannover kam nur zu wenigen Tormöglichkeiten und entschied das Spiel letztlich über zwei Standardtore.

Eine große Rolle in der kompakten Düsseldorfer Stafflung spielten die beiden Außenstürmer. Diese agierten raumorientiert im Halbraum mit dem Ziel den Zugang ins Zentrum auf die eingerückten Hannoveraner Flgüelverteidiger zu blocken. Zusätzlich agierte Sechser Azzouzi mannorientiert gegen Leopold und minderte dessen strategischen Einfluss auf den Aufbau. Die Achter im Düsseldorfer 4-3-3 waren durch das Blocken der Außenstürmer in der Lage raumorientiert zu agieren, wodurch das Zentrum kompakt gehalten werden konnte. Durch die einfache Flügelbesetzung und das kompakte Verschieben der sechs Düsseldorfer Zentrumsspieler fand Hannover nur selten den Weg in den Block und war dazu gezwungen auf die Mechanismen im Spiel, um den Block zurückzugreifen. Düsseldorf ließ sich zudem nicht durch die Lockmechanismen locken. Stattdessen lauerte man auf Zugriff auf dem Flügel und versuchte über Stürmer Itten den Verlagerungsweg abzuschneiden.

gg Düsseldorf

Die Düsseldorfer Außenverteidiger zeigten sich in diesen Situationen sehr aggressiv im Rausrücken auf die Außenstürmer. Zusätzlich sorgten der ballnahe Außenstürmer sowie die raumorientierten Achter durch ballnahes Verschieben für Mehrkampfsituationen. Hannover fehlte in diesem Spiel gegen ein gut eingestelltes Düsseldorf häufig das Timing in den Abläufen über den Flügel. Hinzu kam eine schwache Tagesform individueller Spieler, um über Dribblings für Dynamik zu sorgen. Zudem verpasste 96 es durch Auffüllen von Aseko häufiger den Sechserraum zu überladen und so den zuständigen Innenverteidiger vor Entscheidungen zu stellen. Dies hätte eine effektive Möglichkeit geboten in den Block zu spielen. Stattdessen spielte man in den Düsseldorfer Zugriff hinein und war auf viele lange Bälle der ersten Aufbaulinie in Richtung Bundu angewiesen.

Trotz des Ballbesitzfokus im Titz’schen Spiel bevorzugt dieser das dynamische Überspielen des Angriffspressings. So soll über gezielte Abläufe und gerne auch direktes Spiel unter Druck möglichst viel Dynamik erzeugt werden.

Eckpfeiler Manndeckung

Die Manndeckung ist das zentrale Element der dominanten Spielweise unter Titz. Sowohl gegen als auch mit dem Ball basiert die Spielidee grundlegend auf der Manndeckung. Gegen den Ball wird im eigenen Angriffspressing aggressiv manndeckend zugestellt, während mit dem Ball wie bereits besprochen der Fokus auf dem Manipulieren dieser liegt.

Als erste Anläufer agieren typisch für eine Manndeckung aus einer Fünferkette heraus die Außenstürmer, während Pichler einen der beiden Sechser oder einen aufrückenden zentralen Innenverteidiger zustellt. Die Außenstürmer agieren gegen eine weitläufige erste Aufbaulinie des Gegners zunächst eingerückt, bevor diese das Pressing bei Annahme des Innenverteidigers durch einen Bogenlauf von innen nach außen auslösen.

Die Flügelverteidiger positionieren sich zunächst im Raum und sollen bei Lenken durch die Außenstürmer auf eine Seite auf die Außenverteidiger springen und so für Zugriff sorgen. Der Vorteil dieses Auslösemechanismus ist, dass der ballferne Flügelverteidiger in die Kette fallen und über Durchschieben für eine Überzahl in der letzten Linie sorgen kann. Zudem kann das Zentrum so über enge Manndeckungen der Sechser kompakt gehalten werden, da Lücken im zentralen Durchschieben eine größere Gefahr in Umschaltmomenten des Gegners darstellen. Nachteil ist jedoch der weite Pressingweg der Flügelverteidiger, wodurch der gegnerische Außenverteidiger einen gewissen Zeitvorteil besitzt, um einen linienbrechenden Pass vorzubereiten oder mit dem ersten Kontakt direkt ins Zentrum zu dribbeln.

gg Magdeburg

Hannover weiß in der Manndeckung durch eine sehr hohe Intensität und Aggressivität zu überzeugen. Dies zeigt sich auch im konsequenten 1gg1 Verteidigen der Innenverteidiger und Sechser. Durch ein aggressives Zweikampfverhalten können nach linienbrechenden Pässen der Außenverteidiger können Umschaltmomente wiederholt durch Ballgewinne der Sechser und herausverteidigenden Innenverteidiger unterbunden werden. Diese Zweikampfstärke basiert in der Manndeckung auch auf der qualitativen Überlegenheit Hannovers gegenüber den meisten Teams der zweiten Bundesliga. Durch den hohen dauerhaft hohen Druck und ständigen 1gg1 Duelle kann diese individuelle Qualität bestmöglich ausgespielt werden.

Titz zieht dieses mannbezogene Verteidigen sehr konsequent durch alle Spielphasen durch. Tieferes Verteidigen aus einem Mittelfeldpressing soll möglichst vermieden werden. So sucht Hannover bei gezwungenem Mittelfeldpressing ähnlich wie Bayern durch weiterhin engen Mannbezug im Zentrum sofort die Gelegenheit, um in den Pressingübergang zu kommen. Den Druck auf dem Ball aufrechtzuerhalten hat stets Priorität. Die Spieler zeigen sich dadurch anpassungsfähig in den Manndeckungen und decken gemäß dem Prinzip „Der ballnächste übt Druck aus“ durch. Die Mitspieler sichern in diesem Fall ab und jeder Spieler schiebt durch. Hannover zeigt sich in der Frühphase der Saison bereits sehr klar in diesen Abläufen.

Die hohe Intensität der Hannoveraner zeigt sich auch im Gegenpressing. Nach Ballverlust kann durch die kurzen Abstände der Zentrumsspieler, sowie die hohe Präsenz Hannovers durch das Einrücken der Flügelverteidiger ein Pressingnetz gebildet werden. Nach Ballverlust zieht sich dieses Netz zusammen und die äußeren Spieler stellen Mannbezug her. Nach Ballgewinn agiert Stürmer Pichler als Verbindungsspieler und erste Anspielstation im Umschalten. Dieser kippt in den Zwischenlinienraum und bietet die erste Anspielstation nach Ballgewinn. Durch das Abkippen lockert dieser die Tiefensicherung des Gegners und bindet einen Gegenspieler mit Rücken zum Tor. Über Ablagen auf die nachrückenden Zentrumsspieler oder direkte Verlagerungen durch Pichler sollen die Außenstürmer in Dribblingmomente eingesetzt werden oder diagonal einlaufend in der Tiefe gefunden werden.

Mögliche Gegenmittel

Ein mögliches Gegenmittel gegen die Hannoveraner Manndeckung ist das Herauskippen eines Sechsers in eine Zwischenebene, um den Auslösemechanismus durch das Springen des Flügelverteidigers zu manipulieren. Dies zeigte sich vor allem im Spiel gegen Magdeburg. Sechser Gnaka brach wiederholt aus dem Zentrum auf den Flügel in eine Zwischenebene zwischen Halbverteidiger und hochschiebendem Flügelverteidiger aus.

gg Magdeburg

Sechser Leopold agierte in diesen Momenten zunächst strukturorientiert, um linienbrechende Vertikalpässe auf die abkippenden Magdeburger Halbraumzehner zu unterbinden. Dadurch dass Neubauer vom Flügelverteidiger gebunden war, musste Leopold zwangslöufig aus dem Zentrum auf Gnaka herausspringen, was in einem Zeitvorteil für diesen resultierte. Den Zeitvorteil nutze Gnaka, um wiederholt den im Halbraum abkippenden Ulrich digaonal zu finden. Sowohl Aseko als auch die Dreierkette zeigten sich sehr konsequent und zweikampfstark im nach vorne Verteidigen, wodurch Lücken im Angriffspressing kompensiert werden konnten. Hannover zeigt sich generell sehr stark in der Rückzugbewegung und übt nach Überspielen der ersten Pressinglinie von hinten über Rückwärtspressen der Angreifer Druck aus. Dennoch präsentierte Magdeburg gute Lösungen, um über ausbrechende Sechser Lücken in der Manndeckung aufzuzeigen.

Eine weitere bereits gesehene Möglichkeit bietet die Spiegelung der Magdeburger Torwartkette, um den Zugriff auszulösen und über lange Bälle auf die Flügel die Gleichzahl der letzten Linie Hannovers zu bespielen. Über die doppelte Besetzung der Breite mit gegengleichen Bewegungen des Flügelpaares gelang es Düsseldorf so mehrfach Durchbrüche über den Flügel zu erzielen. Zudem tuen sich die Außenstürmer Hannovers gegen einen aus einer weiträumigen Torwartkette schwerer das Pressing auszulösen. Durch das Warten auf den richtigen Moment des Auslösens entwickeln sich längere Phasen des hohen Blockens. Zudem entstehen so für die Außenstürmer durch das Anlaufen aus dem Zentrum flache Pressingwinkel, wodurch der gegnerische Innenverteidiger einen temporär freien Außenfuß hat, um sofort vertikal zu spielen oder anzudribbeln. Durch jenes vertikale Anspiel kann durch den Innenverteiger mit dem temporär freien Außenfuß direkt der im Halbraum abkippende Zehner/Stürmer gefunden werden. Durch das Herausziehen Leopolds oder Tomiaks wird zusätzlich die Tiefe geöffnet. Diese kann anschließend über den Lauf eines Dritten belaufen und über eine Ablage oder Aufdrehen des Zehners/Stürmers gefunden werden.

Fazit

Hannover legte trotz der Dämpfer gegen die Hertha und Dresden einen sehr guten Saisonstart hin und gilt als einer der Favoriten im Rennen um den Aufstieg in der zweiten Bundesliga. Christian Titz konnte der neu formierten Mannschaft auf Anhieb eine neue Identität geben. So sind bereits nach kurzer Zeit klare Prinzipien des Titz’schen Fußball aus Magdeburg erkennbar. Dabei stechen vor allem das Anziehen und Auflösen des Drucks mit starker Inolvierung des Torhüters im eigenen Ballbesitzspiel, sowie die klaren Prinzipien im Spiel über die Flügel heraus. Und auch gegen den Ball überzeugen die Hannoveraner durch eine konsequente aggressive Manndeckung mit klaren Auslösern.

Dennoch weist die Hannoveraner Manndeckung im Springen der Flügelverteidiger Schwächen auf, wodurch Gegner durch gezielte Matchpläne vermehrt in der Lage sein werden diese ähnlich wie die Hertha oder Magdeburg zu bespielen. Zudem wird es durch die hohe Intensität und Aufwand der Manndeckung auch Phasen in der Saison geben, in denen die Schärfe innerhalb der Manndeckung fehlt, was zu schwächeren Spielen führen kann. Auch mit Ball besteht im konstanten Bespielen von kompakten Mittelfeldpressings noch Verbesserungsbedarf. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Problem in der Frühphase der Saison normal sind und sich die titz’schen Prinzipien im Laufe einer Saison weiter einschleifen werden, was dadurch eher für eine weitere Leistungssteigerung spricht.

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