Neutralisation im Chaos – FN

2:0

Die Bayern scheiden im Viertelfinale gegen Paris Saint-Germain aus der Klub-WM aus. In einem ausgeglichenen Spiel, das von hohem Tempo, Manndeckungen und zweiten Bällen geprägt war, setzten sich neun Pariser am Ende mit 2:0 durch. Wir werfen einen Blick darauf, was den Ausschlag in dieser umkämpften Partie gegeben hat.

Nach dem Gruppensieg in Gruppe B setzte sich PSG auch im Achtelfinale souverän gegen Inter Miami mit 4:0 durch. Entsprechend wenig veränderte Trainer Luis Enrique im Vergleich zum Achtelfinale. So schickte dieser die exakt selbe Startelf ins Rennen. Barcola ersetzte im Sturmzentrum weiterhin Dembele, der noch nicht ganz bei 100% war. Die Viererkette sowie das Dreiermittelfeld im 4-3-3 blieb wie gewohnt.

Vincent Kompany hingegen veränderte die Startelf im Vergleich zum 2:4 Achtelfinalsieg gegen Flamengo auf zwei Positionen. Musiala, der sich in diesem Spiel noch schwer verletzen sollte, kehrte nach Verletzung auf der Zehn für Gnabry zurück in die Startelf. Zudem ersetzte Pavlovic Goretzka an der Seite von Kimmich. Von diesem Wechsel versprach man sich eine höhere Pressingresistenz gegen das hohe Pariser Anlaufen.

Anpassungsfähige Münchner Manndeckung

Die Bayern stellten gegen den das Pariser 4-3-3 gewohnt manndeckend zu. Kompany passte hierfür den gewohnten Mechanismus der Manndeckung etwas an. Normalerweise erzeugt Bayern die Manndeckung gegen einen Viereraufbau durch einen neben Kane einschiebenden Außenstürmer. Dies hat ein Durchschieben auf der Seite des Außenstürmers zur Folge. Ein großer Vorteil ist, dass nur ein Sechser zusätzlich zum Zehner auf die gegnerischen Sechser vorschieben muss. So kann der verbliebene Sechser einen abkippenden gegnerischen Zehner/Stürmer aufnehmen und für eine klarere Zuteilung im Zentrum sorgen.

Der Nachteil ist jedoch, dass das Durchschieben zu minimalen Zeitvorteilen für den Gegner führen kann. Dieser minimale Vorteil reicht auf höchstem Niveau aus, um ein für ein kurzes Zeitfenster entstehendes zwei gegen eins auszuspielen oder durch einen offenen Fuß einen Angreifer in der Tiefe zu finden.

Das 4-3-3 bietet zudem grundlegende strukturelle Probleme in der Manndeckung aus einer Viererkette heraus. So wird häufig ein Innenverteidiger dazu gezwungen weit aus der Kette heraus auf einen der Achter herauszuverteidigen. Dies kann in der Folge vom Gegner durch Einbinden jenes Achters in den tiefen Aufbau leicht manipuliert werden, da der Innenverteidiger diese weiten Wege nicht mitgeht oder einen signifikanten Teil der Tiefensicherung sowie einen Vorteil bei langen Bällen aufgibt.

Um das Durchschieben zu verhindern, entschied sich Kompany dazu mit Musiala in der ersten Pressinglinie neben Kane anzulaufen. Das Mittelfeldtrio wurde neben den Manndeckungen von Kimmich gegen Vitinha und Pavlovic gegen Neves zusätzlich von Laimer zugestellt. Dieser rückte von seiner rechten Seite konstant auf Ruiz ein, was für eine klare Zuteilung sorgte. Upamecano orientierte sich deshalb stark an Kvaratskhelia. Dies hatte zur Folge, dass dieser wiederholt in einer breiteren Position als Laimer verteidigte. Bei Brechen des Münchner Angriffspressings füllte Laimer natürlicherweise wieder die Viererkette auf. Durch Upamecanos breite Positionierung gegen Kvaratskhelia fiel Laimer nun allerdings in eine Rolle als rechter Innenverteidiger, was für eine ungewohnte Zuordnung der Bayern im Mittelfeldpressing ergab. Dies sorgte speziell in der ersten Halbzeit gegen das Kombinationsspiel von Kvaratskhelia und Doue bei Herauskippen Doues für Probleme.

8. Minute

Der Vorteil der breiten Positionierung Upamecanos war jedoch, dass dieser durch seine physischen Voraussetzungen und Defensivfähigkeiten besser dafür geeignet war, 1gg1 gegen Kvaratskhelia zu verteidigen. Zudem konnte dieser wiederholt Luftduelle nach langen Bällen von Donnarumma auf den Flügel für sich entscheiden.

Bayern war innerhalb ihrer Manndeckung allerdings auch sehr anpassungsfähig. So wurde im Zweifel gemäß dem Prinzip „Der ballnächste übt Druck aus“ agiert. Hier wurde sich stark auf die Intelligenz der Mitspieler verlassen, um den ballnächsten abzusichern und freiwerdende Gegenspieler aufzunehmen. Die Kommunikation stimmte in diesen Momenten und speziell im Angriffspressing konnten so auch sehr flüssig Manndeckungen getauscht werden.

Vereinzelte Pariser Lösungen

Bayern hatte zu Beginn der Partie etwas Probleme in der horizontalen Verschiebebewegung im Pressing aus dem Spiel heraus gegen die Pariser Mittelfeldrotationen. Musiala schob wiederholt diagonal aus dem Zentrum heraus auf Marquinhos während Kane Pacho zustellte, um den Ball auf Hakimi zu forcieren. Die zweite Pressinglinie in Person von Kimmich und Laimer verschob jedoch nicht schnell genug. Dadurch konnte sich Vitinha aus dem Deckungsschatten Musialas in Richtung Auslinie bewegen. Dies führte zu einem noch längeren Weg für Kimmich und sorgte für eine kurzzeitige 2gg1 Situation gegen Coman. Ruiz verschob in der Folge ebenfalls stark ballnah, was durch das lückenhafte Verschieben eine Kettenreaktion auslöste und dafür sorgte, dass PSG ballfern auf Kvaratskhelia im 1gg1 im letzten Drittel verlagern konnte.

Gegen Ende der ersten Halbzeit zeigte sich ein weiteres Muster. Durch eine tiefere Positionierung gelang es Neves Pavlovic bis an die eigene Box herauszuziehen. Bayern lenkte den Ball durch Herausspringen von Musiala erneut auf Hakimi. Dieser wurde zunächst durch eine etwas engere Positionierung von Coman freigelassen, bevor dieser heraussprang. Diesen Zeitvorteil nutze Hakimi, um den durch Neves geöffneten Zwischenlinienraum diagonal zu bespielen. Wiederholt lief Barcola in dieser Situation von außen in den Halbraum ein, um durch eine offene Körperstellung im Anschluss ins Zentrum zu dribbeln. Ein entscheidendes Detail hierbei war das gleichzeitig erfolgende Abkippen von Doue. Dieser öffnete durch Herausziehen von Tah nicht nur die Tiefe, sondern blockt dadurch auch Barcolas Manndecker Stanisic. Dies schaffte Barcola einen entscheidenden Vorteil im Dribbling ins Zentrum.

31. Minute

Ein Mittel auf individualtaktischer Ebene, das speziell im zweiten Durchgang zu beobachten war, war das Auflösen der Manndeckung über Dribbling. Gerade Mendes gelang es so durch dynamsiche Vorstöße wiederholt ins Zentrum zu dribbeln und für große Gefahr zu sorgen. Dies stellte die Bayern vor große Probleme, die nur durch eine sehr gute Rückzugbewegung behoben werden konnten.

Dies blieb jedoch die Ausnahme. So wählte PSG nur selten den flachen Aufbau und vermied ihn in der zweiten Halbzeit gar komplett. Donnarumma wählte deshalb wiederholt lange Bälle auf die Außenstürmer. Durch starkes Nachschieben und weites ballfernes Einrücken sollten zweite Bälle gewonnen werden. Ziel war es durch diese zweiten Bälle auf der Außenbahn in kontrolliertere Ballbesitzphasen oder ins hohe Anlaufen zu kommen.

Intensive Pariser Manndeckung

Auch Paris stellte nach Abstößen und ruhenden Bällen gewohnt manndeckend im 4-4-2 gegen Bayerns 4-2-4 Aufbau zu. Auch PSG erzeugt die Manndeckung gegen eine Viererkette üblicherweise durch das Durchschieben einer Seite. Meist agiert Hakimi als rechter Außenspieler im 4-4-2, während Vitinha abkippende Spieler im Zwischenlinienraum aufnimmt oder zwischen die Innenverteidiger fällt.

Enrique entschied sich jedoch aus den bereits im Abschnitt zu Bayerns Manndeckung thematisierten Gründen ebenfalls gegen diese Variante. So agierte Vitinha als zweiter Manndecker gegen die Münchner Sechser. Als Folge schob Neves in die Breite und stellte Stanisic zu. Auch PSG zeigte sich in dieser Manndeckung anpassungsfähig. Bei Springen von Kvaratskhelia auf Upamecano verschob die zweite Pressinglinie und Ruiz gab den linken Mittelfeldspieler, während Barcola sich auf der rechten Seite fallen ließ.

Aus dem offenen Spiel heraus presste Paris zumeist mit einer 3gg4 Unterzahl des Angriffstrio gegen die Münchner Viererktette. Doue kontrollierte die beiden Münchner Innenverteidiger und versuchte diese im Bogen anzulaufen. Die Außenstürmer waren etwas eingerückt, um ein Andribbeln der Innenverteidiger zu unterbinden. Zusätzlich konnten diese bei einem zu steilen Pressingwinkel Doues den andribbelnden Innenverteidiger zu springen. So sollte ein Andribbeln der Innenverteidiger ohne Druck von vorne unterbunden werden.

Münchner Ansätze

Bayern gelang es gegen die Pariser Unterzahl in der ersten Pressinglinie über die Außenverteidiger auflösen. Diese konnten wiederholt durch Einrücken in eine höhere Position im Halbraum aus dem Deckungsschatten ausbrechen und aus dem Zentrum heraus gefunden werden. Durch die manndeckende Zuteilung ergaben sich für die Münchner Außenverteidiger in diesem Fall große Räume im Halbraum, wodurch der Ball dynamisch ins letzte Drittel getragen werden konnte. Im Anschluss wurde so häufig der Außenstürmer im 1gg1 isoliert, was wiederholt in Flanken endete. Jedoch zeichnete sich auch PSG durch ein sehr gutes Rückzugsverhalten aus, wodurch mehrfach vielversprechende Schnellangriffe unterbunden wurden.

Aufgrund des intensiven manndeckenden Angriffspressing griffen auch die Bayern in der ersten Halbzeit häufig auf lange Bälle zurück. Diese wurden aus der 4-2-4 Struktur im Aufbau heraus vorbereitet. Kane und Musiala kippten hierfür in den Zehnerraum mit dem Ziel die Innenverteidiger mitzuziehen und die Tiefe für die aus der Breite diagonal einlaufende Außenstürmer zu öffnen. Häufig wählte Neuer den langen Ball auf Kane. Laimer und Kimmich schoben in diesem Fall konsequent auf Kane nach und fungierten als Ablageoptionen, während Musiala und Olise versetzt die Tiefe für eine Verlängerung attackierten. Dies sorgte wie bei den langen Bällen PSGs für umkämpfte zweite Bälle.

4. Minute

Zur zweiten Halbzeit ließen sich strategische Veränderungen im tiefen Aufbau der Bayern beobachten. Upamecano und Tah starteten zunächst diagonal versetzt. Ziel war es durch Upamecanos höhere Position Kvaratskhelia zu binden und Neuer mehr Zeit am Ball zu verschaffen. Dies führte dazu, dass Barcola, der nun als Stümer agierte, Neuer im Bogen anlief und versuchte Tah in Deckungsschatten zu nehmen. Durch Anspiel von Tah auf Neuer sollte jener Bogenlauf gelockt werden. In der Folge schob Tah sofort in die Breite und vergrößerte den Abstand zu Barcola. Durch Pavlovics halbräumige Positionierung und Neuers geschicktem Locken konnten die Bayern Tah über den Dritten finden. Dies sorgte für kleinere Vorteile und etwas mehr Spielkontrolle im zweiten Durchgang.

53. Minute

Die Außenverteidiger schoben in diesem Fall in eine höhere Position. Diese doppelte Besetzung der Breite bot Neuer die Möglichkeit das Angriffspressing auch durch gezielte lange Bälle zu überspielen. Speziell die Bälle auf Olise in engen Abständen mit Boey waren auffällig. So zwang der Ball auf Olise PSG zu einem kollektiven Rückzug, wodurch sich die Möglichkeit bot über Olise und Boey und die Viererkette zu verlagern. So wollte man etwas Ruhe in das hektische Spiel bringen.

Neutralisation

Beide Teams zeigten ähnliche Ansätze. Wie bereits thematisiert setzten sowohl Bayern als auch PSG auf eine sehr gut organisierte Manndeckung, die durch vereinzelt gute Lösungen gewinnbringend bespielt wurde. Beide Teams sahen über weite Teile des Spiels aufgrund der Manndeckung den flachen Aufbau als Risiko für Ballverluste anstatt als Chance den Gegner kontrolliert zu überspielen. Durch den langen Ball galt es die Gleichzahl in der letzten Linie, als größte Schwäche der Manndeckung möglichst direkt zu bespielen. Dennoch lässt sich dieser Schwachpunkt auf dem höchsten Niveau durch die hohe Intensität und starke Rückzugsbewegung beider Teams nicht so einfach bespielen wie in der Theorie.

Der Fokus auf den langen Ball hatte ein umkämpftes, auf zweite Bälle fokussiertes Spiel, das sich großteils ausgeglichen gestaltete zur Folge. Dies führte zu vielen Gegenpressingmomenten, weshalb beide Teams auf ein sehr geradliniges Spiel Richtung Tor nach Ballgewinnen aus waren.

Schwächen im Mittelfeldpressing

Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Teams ist die Schwäche im Mittelfeldpressing. Durch die dominante Spielweise in nahezu allen Spielen der Saison legen beide Trainer einen sehr großen Fokus auf das intensive Angriffspressing, sowie ein fluides Positionsspiel. Das Mittelfeldpressing kommt hier meist etwas zu kurz, was sich auch in den wenigen kontrollierten Ballbesitzphasen in diesem Spiel zeigte. So zogen sich beide Teams nach Überspielen des Angriffspressing fast schon panisch in Richtung des eigenen Tores zurück. Dies ist für ein für manndeckende Teams typisches Verhalten, da der numerische Nachteil so schnell wie möglich ausgeglichen werden und zugleich das eigene Tor geblockt werden soll. Dies führte wiederholt zu einer unzureichenden Besetzung der Zone 14, was zu Torschüssen auf beiden Seiten führte (Pavlovic 41. Minute + Doue 78. Minute beim 1:0).

Gerade das Einschalten der Pariser Verteidiger in die Offensive bereitete den Bayern Probleme. Hakimi, der häufig als Breitengeber in der letzten Linie agierte band so wiederholt Coman, der in einer Art Flügelverteidigerrolle verteidigte. Dies erschwerte zusätzlich zu den weiten Wegen, die Coman gehen musste, das Umschalten ins Angriffspressing. Vor eine größere Aufgabe stellte die Münchner Defensive allerdings das Einrücken von Mendes in eine Halbraumzehnerrolle. Diesem gelang es so mehrfach Upamecano zum Springen aus der Kette zu zwingen. Dieser Sprung war durch die starke Mannorientierung der Sechser notwendig, da so die Passwege in den Zehnerraum nicht effektiv zugestellt wurden. Durch dieses Herausspringen konnte PSG die Tiefe öffnen, welche in diesem Fall zumeist durch Doue belaufen wurde.

35. Minute

Diese Probleme entstanden, da die höchste Priorität im Mittelfeldpressing stets auf dem erneuten Umschalten ins Angriffspressing lag. So stellte Kane Vitinha im 2+1 Aufbau PSGs zu. Musiala und Olise lauerten auf Rückpässe als Auslöser, um im richtigen Moment die Innenverteidiger von außen nach innen anzulaufen. So gelang es konstant an Höhe zu gewinnen.

In der zweiten Halbzeit kippte deshalb Ruiz häufiger aus dem Block heraus. Dies sorgte zwar für einen freien Münchner Sechser innerhalb des Blocks, bot PSG jedoch die Möglichkeit einen Verlust an Höhe zu verhindern und durch die 3gg2 Überzahl gegen Gnabry und Olise länger in Ballbesitz zu bleiben.

Auch Paris zeigte Schwächen im Mittelfeldpressing. So versuchte Bayern gerade nach Freispielen der Außenverteidiger die Tiefe durch Herauskippen von Musiala und Abkippen von Kane in den Zehnerraum zu öffnen. Da auf der ballnahen Seite durch den ballführenden Münchner Außenverteidiger durchgeschoben werden musste, zog Kanes Abkippen mit Pacho auch den verbliebenen Innenverteidiger heraus. Bayern versuchte anschließend über eine Kombination aus Dribblings und Kombinationsspiel die geöffnete Tiefe zu bespielen.

Die Schwächen beider Teams im Mittelfeldpressing waren im Laufe des Spiels jedoch zweitrangig, da es selten einem Team gelang das Spiel über längere Zeit in die gegnerische Hälfte zu verlagern.

Fazit

In einem von intensiven Manndeckungen und zweiten Bällen geprägten Spiel neutralisierten sich Bayern und PSG über weite Strecken. Beide Teams zeigten sich bestens auf die Partie vorbereitet und wussten durch einen guten Matchplan sowie eine enorm hohe Intensität zu überzeugen. Die Zielstrebigkeit im Ausspielen ihrer Momente gab in einem umkämpften Spiel den Ausschlag zugunsten PSGs.

Autor: FN ist durch seine Faszination für Guardiola zur Fußballtaktik gekommen. Er bevorzugt fluiden Ballbesitzfußball. Je Flunder und ausgefallener desto interessanter.

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