Überladungen im Ballbesitz – MH
Ein zentrales taktisches Werkzeug im modernen Fußball sind Überladungen. Das Erzeugen einer (situativen) Überzahl sorgt unter anderem dafür, effektiver kombinieren zu können, Räume zu öffnen und gegnerische Deckungen durcheinander zu bringen. Dieser Artikel erklärt die strategischen Vorteile von Überladungen in verschiedenen Spielfeldzonen und zeigt, wie sie erstellt und ausgespielt werden können, um den Gegner vor Probleme zu stellen.
Überladungen beschreiben eine taktische Methode, bei der eine Mannschaft bewusst in einer bestimmten Spielfeldzone eine numerische Überzahl herstellt. Dabei werden feste Positionen der Spieler aufgegeben und stattdessen der Fokus auf bestimmte Räume verlagert.
In diesen Räumen lässt sich durch geringere Abstände zwischen den Spielern und der hergestellten Überzahl schneller und effektiver kombinieren. In Ballbesitz sorgen Überladungen außerdem für Probleme beim Gegner in der Deckung: Während bei einer Raumorientierung des Gegners einfacher die Schnittstellen bespielt werden können, kann bei einer Mannorientierung der Gegner gebunden und Räume aufgezogen werden.
Dabei beeinflussen gewisse Faktoren die Arten und Effizienz der Überladungen. Die Art des gegnerischen Pressings kann die am besten zu nutzende Überladung beeinflussen. Auch die Spielsituation bzw. das Spielergebnis können das eigene Ziel und somit die am besten zu nutzende Überladung bestimmen. Die eigenen Spielertypen und Spielerstärken können durch Überladungen sowohl in gewissen Räumen besser zur Geltung kommen, als auch bestimmte Überladungen effektiver bzw. ineffektiver gestalten. Zudem kann die Spielweise der eigenen Mannschaft besser zu einer Überladung in einem gewissen Raum passen.
Mit Überladungen können je nach Spielfeldzone unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Es erscheint besonders interessant, die möglichen Ziele, Vorteile und Möglichkeiten der Überladungen in spezifischen Räumen unter Beachtung der genannten Faktoren zu untersuchen. Hierbei werden wir in folgende Zonen des Spielfeldes und Linien des Gegners unterscheiden: Die erste Pressinglinie des Gegners / eigene Aufbauzone, die letzte Linie des Gegners / Abwehrkette des Gegners, das Zentrum, der Flügel, der Halbraum und der Zwischenkettenraum.
Überladung der ersten Pressinglinie des Gegners / eigene Aufbauzone
Funktionsweise
Überladungen gegen die erste Pressinglinie werden genutzt, um weniger Ballverluste im Spielaufbau zu riskieren. Diese können vor, auf oder kurz hinter der gegnerischen Pressinglinie stattfinden. Deshalb könnte man auch von einer Überladung der eigenen Aufbauzone sprechen. Aufgrund der Überzahl „vor dem Ball“ wird das gegnerische Pressing ineffektiv. Somit werden gegnerische Umschaltmomente verhindert und viel eigener Ballbesitz generiert.
Zudem kann der Gegner aufgrund der Unterzahl im Pressing kaum Druck auf den ballführenden Spieler ausüben. Aufgrund der zusätzlichen Zeit und des zusätzlichen Raums wird ein gezielterer und überlegterer Spielaufbau ermöglicht.
Dilemma des Gegners
Der Gegner wird vor das folgende Dilemma gestellt. Dadurch, dass kein Druck auf den Ballführenden erzeugt wird, hat der Gegner die Kontrolle über den Ballbesitz. Um weiterhin Umschaltsituationen durch Ballgewinne schaffen zu können, muss der Gegner mit mehr Spielern die erste Pressinglinie unterstützen. Das hat allerdings zur Folge, dass insbesondere im Mittelfeld, teils auch in der Abwehr des Gegners Schnittstellen aufgehen und sich Räume öffnen. Diese können gezielt belaufen werden, wodurch der Gegner Torchancen nach Überspielen der ersten Pressinglinie provoziert.
Das Prinzip „locken und schocken“ kommt hier besonders zur Geltung, da es durch die Überladung in erster Aufbaulinie immer wieder provoziert wird. Dadurch dass der Gegner Druck ausüben will, muss er sich aus seiner eigentlichen Formation ins Vorwärtsverteidigen begeben. Dieser Übergang ist aufgrund der sich verändernden Struktur der gegnerischen Formation eine besonders gute Möglichkeit für das schnelle und tiefe Bespielen des jetzt anfälligen Gegners mit Hilfe von gegenläufigen Bewegungen.
Diese kurze Phase des Spiels, in der die gegnerische Mannschaft aus einer tieferen Formation in ein höheres Pressing übergeht, lässt sich in den meisten Lehrbüchern allerdings nicht auffinden. Im vorrangig genutzten Modell der Spielphasen nach Louis van Gaal würde diese Phase in den „eigenen Ballbesitz“ eingeordnet werden. Dabei ist sie eigentlich eine Kombination von offensivem Umschalten aus eigenem Ballbesitz aufgrund des gegnerischen Umschaltens in eine andere Verteidigungsform. Selbstverständlich hat das 4-Phasen-Modell dennoch Vorteile hinsichtlich Kategorisierung und Verständlichkeit des Spiels.
Einfluss gegnerischer Deckungsvarianten
Besonders effektiv ist das Überladen auf der ersten Aufbaulinie gegen Gegner im Angriffspressing oder Mittelfeldpressing. Im Angriffspressing versucht der Gegner möglichst hoch den Ball zu gewinnen, um im offensiven Umschalten einen geringeren Weg zum Tor zu haben. Das Gewinnen des Balles wird durch die Überladung im Aufbau allerdings deutlich erschwert.
Zudem wird der Gegner dazu gezwungen, weitere Spieler in vorderen Räumen zu platzieren, wodurch sich die angesprochenen Räume im Rücken des Gegners öffnen. Ein weiterer Vorteil der Überzahl vor dem Ball gegen Angriffspressing ist die Möglichkeit des Schützens des eigenen Tors bei Ballverlust im Gegenpressing. Mehr Spieler vor dem Ball bedeuten bei Ballverlust auch mehr Spieler, die sofort verteidigen können.
Im Mittelfeldpressing versucht der Gegner das Spielfeld möglichst kompakt zu halten und gleichzeitig Druck auf den Ballführenden aufzubauen. Dabei wird der Weg zum gegnerischen Tor relativ geringgehalten, wodurch offensive Umschaltmomente sehr attraktiv aus einem Mittelfeldpressing heraus sind. Ein Nachteil ist allerdings der zumeist große Raum im Rücken der Abwehr.
Hier greifen die Vorteile der Überladungen gegen die erste Pressinglinie. Zum einen werden gegnerische offensive Umschaltmomente verhindert. Somit kann der Gegner keine Torgefahr entwickeln. Zum anderen wird der Gegner dazu gezwungen, mit mehr Spielern zu pressen. Das Prinzip „locken und schocken“ greift, da die im Mittelfeldpressing großen Räume im Rücken der Abwehr gut bespielt werden können. Lässt sich die Abwehrkette fallen und sichert die Räume im Rücken ab, entstehen große Räume im Mittelfeld zwischen den Ketten, welche bespielt werden können.
Eine Ausnahme im Mittelfeldpressing besteht, wenn der Gegner kein Druck auf den ballführenden Aufbauspieler ausüben möchte. Somit würden weitere Spieler in der Aufbaulinie „verschwendet“ werden. Hier eignet sich beispielsweise die noch im Laufe des Artikels vorkommende Überladung der letzten Linie.
Ähnliche Probleme zeigen sich generell, wenn der Gegner raumorientiert das eigene Tor verteidigt, ohne Druck auszuüben. Insbesondere im Abwehrpressing bzw. im Tiefstehen unternimmt der Gegner häufig wenig, um den Ball aktiv zu erobern. Das hat zur Folge, dass bei einer Überladung der eigenen Aufbaulinie die offensiven Anspielstationen fehlen.
Das Gegner keinen Druck ausüben, lässt sich im Übrigen besonders häufig bei einer knappen Führung des Gegners kurz vor Spielende sehen. Selbstverständlich lässt sich darauf mit Überladungen in anderen Zonen des Spielfeldes reagieren. Im Gegenteil kann allerdings eine 1:0 Führung in den letzten Minuten auch durch eigenen Ballbesitz „verteidigt“ werden. Dazu ist es besonders nützlich, die eigene Aufbaulinie zu überladen. So ist die Spielsituation bzw. das Ergebnis teils mitentscheidend für die Effektivität der Überladung.
Eigentlich naheliegend wäre, dass Überladungen der eigenen Aufbaulinie bei eigenen Abstößen und Zustellen des Gegners eine passende Variante sind, da der Gegner Druck ausüben möchte und somit gelockt werden kann. Dennoch schaffen es die meisten Mannschaften nicht, sich aus solchen Situationen ohne Ballverlust zu befreien. Das liegt zum einen daran, dass der Ball ruht, der Gegner sich problemlos zuordnen kann und der Druck maximal groß ist. Zum anderen ist das Spielfeld bei einem Abstoß nach hinten begrenzt durch die Torauslinie.
Somit kann die abstoßende Mannschaft sich nicht nach hinten aus dem Druck befreien. Außerdem befindet sich der Ball beim Abstoß nahe am eigenen Tor, wodurch das Risiko bei Ballverlust enorm hoch ist und Mannschaften selten versuchen, in diesen Räumen länger den Ball zu halten. Somit ist die Überladung der eigenen Aufbaulinie nicht so wirksam aufgrund der schwierigen Grundvoraussetzungen eines Abstoßes bei Zustellen der gegnerischen Mannschaft. Diese Problematik gilt es in den nächsten Jahren zu lösen und hat dementsprechend einen eigenen Artikel verdient.
Spielerprofile
Besonders profitieren können aus einer Überladung der eigenen Aufbaulinie sehr aufbaustarke Spieler, die gerne das Spiel vor sich haben. So war das Spiel Real Madrids auf Toni Kroos zugeschnitten, welcher sich immer wieder auf die halblinke Position hat fallen lassen. Durch seine Stärken im Aufbauspiel, werden die Innenverteidiger entlastet und unterstützt.
Alleine das Abkippen eines Sechsers in die Aufbaulinie erfüllt allerdings nicht alle Merkmale einer Überladung. Zwar entsteht bei gegnerischem Pressing mit zwei Stürmern eine 3gg2 Überzahl durch das Abkippen in eine 4er Kette. Allerdings lässt sich aus einem 2gg3 aus Sicht des pressenden Teams hervorragend Druck auf die gegnerischen Aufbauspieler ausüben mithilfe von Deckungsschatten. Die hauptsächlichen Vorteile des abkippenden Sechsers liegen im Verbindungsspiel: dem Öffnen von neuen Passfenstern, der veränderten Passwinkel sowie neu besetzten Räumen, die den Gegner zu einer Reaktion im Pressing zwingen. Definiert man eine Überladung nach ihrer Funktionsweise, lässt sich das alleinige abkippen eines Sechser nicht darunter zählen. Dennoch kann es Bestandteil eines Überladungsvorgangs sein, beispielsweise in Kombination mit einem mitspielenden Torwart und flachen Außenverteidigern.
Zudem begünstigt werden aus einer Überladung der eigenen Aufbauzone besonders schnelle Flügelspieler bzw. Stürmer, welche vom Locken des Gegners profitieren und somit einfacher in den Rücken des Gegners starten können.
Zusammenfassung
Überladungen der eigenen Aufbaulinie und Aufbauzone können für mehr Spielkontrolle durch Ballbesitz sorgen. Besonders effektiv sind sie gegen Gegner, die Aufbauspieler unter Druck setzen wollen. Der Gegner wird in ein Dilemma zwischen Druck ausüben und im Rücken der Pressinglinien absichern gebracht. Probleme entstehen u.a. gegen tief stehende Gegner, da Unterzahl in Tornähe entsteht.
Überladung der letzten Linie des Gegners / Abwehrkette des Gegners
Funktionsweise
Überladungen auf der gegnerischen Abwehrkette führen dazu, dass die gegnerische Abwehr gebunden wird. Es werden 1gg1 Situationen mit wenig Absicherung geschaffen. Somit liegt mehr Druck auf den Innenverteidigern, da sie zu vielen Entscheidungen gezwungen werden. Das provoziert auch folgenschwere Fehlentscheidungen.
Um die Überzahlsituationen auf der gegnerischen letzten Linie auszunutzen, wird das eigene Spiel dementsprechend vertikaler. Die dazu nötigen risikoreichen Pässe in die Tiefe sorgen gleichzeitig auch für mehr Ballverluste. Damit kommt es im Spiel zu einer höheren Ballbesitzwechselrate. Folglich werden viele Gegenpressing Situationen provoziert.
Dilemma des Gegners
Die Überladungen sorgen für mehr Tiefe und Durchschlagskraft, da die eigenen Angreifer viele Läufe in den Rücken der Abwehr starten können. Insbesondere bei gegenläufigen Bewegungen wird die Abwehr dazu gezwungen, sich zwischen risikohaften 1gg1 Situationen und fehlendem Druck auf entgegenkommende Angreifer zu entscheiden.
Aufgrund der hergestellten Probleme für die Verteidigung lässt sich gegnerisches Pressing mit hoher Abwehrkette besonders gut ausspielen. Schafft es die pressende Mannschaft nicht, genügend Druck auf den Ball auszuüben, kann sie mit wenigen tiefen Pässen in die überladene Zone überspielt werden.
Zudem führen mehrere Tiefenläufe dazu, dass die gegnerische Abwehrkette immer wieder nach hinten absichern muss. Somit verliert sie dauerhaft Höhe, der Raum zwischen Abwehrkette und Mittelfeld wird vergrößert und die Kompaktheit des pressenden Teams geht verloren. Der Gegner kann aufgrund der Raum-/ Zeit Ausweitung leichter überspielt werden. Um die Kompaktheit zu wahren, müsste sich der Gegner im Kollektiv fallen lassen und wird in Richtung des eigenen Tors gedrängt.
Eine mögliche Lösung dieser Problematik liegt in der aktuell von Barcelona praktizierten Abseitsfalle. Diese sorgt dafür, Tiefenläufe zu verhindern und gleichzeitig Druck ausüben zu können bei gleichbleibender Kompaktheit. Um das zugegebenermaßen sehr hohe Risiko dieses Mittels zu minimieren, könnte es zukünftig situativer angewendet werden. So kann der Gegner sich weniger gut darauf einstellen.
Einfluss gegnerischer Deckungsvarianten
Gegen gegnerisches Angrifspressing werden Überladungen der letzten Kette dazu genutzt, möglichst viel zu bespielenden Raum zu erzeugen. Aufgrund der Tatsache, dass Angriffspressing in der gegnerischen Hälfte stattfindet und die Mittellinie das Abseitsfeld begrenzt, kann so die gegnerische Abwehrkette bis an die Mittellinie gebunden werden. Das zerstört die Kompaktheit.
Auch gegen gegnerisches Mittelfeldpressing kann eine Überladung der letzten Kette sehr effektiv sein. Die Schwäche im Mittelfeldpressing liegt im Raum hinter der hoch postierten Abwehrkette. Die durch die Überladung hergestellten 1gg1 Situationen auf letzter Linie können durch Tiefenpässe immer wieder provoziert werden.
Dadurch dass die letzte Linie gebunden wird, können immer wieder Verteidiger rausgezogen und Raum im Rücken der Abwehr erzeugt werden. Der Fokus der Verteidiger liegt auf den 1gg1 Duellen. Durch Tiefenläufe von den weiter hinten postierten Mittelfeldspielern bzw. Außenverteidigern in die Schnittstellen hinter die letzte Kette kann die Abwehrkette überspielt werden. Rückt der gegnerische Verteidiger nicht raus, kann der Angreifer im Zwischenkettenraum angespielt werden. Es wird also ein Übergabeproblem zwischen Verteidiger und Mittelfeldspieler geschaffen.
Auch das durch die vielen Tiefenpässe immer wieder provozierte Gegenpressing kann hier zum Faktor werden. Im Gegenpressing befindet sich der Gegner in einer offensiven Umschaltsituation und ist im Falle eines erfolgreichen Gegenpressings defensiv sehr schlecht gestaffelt. Deshalb sind Ballgewinne nach Gegenpressing auch offensiv besonders gefährlich. Im Gegenpressing starke Mannschaften, wie beispielsweise Liverpool, überladen deshalb besonders gerne die letzte Kette des Gegners und spielen sehr viel vertikal, um möglichst viele Gegenpressing Situationen zu provozieren, in denen sie dem Gegner überlegen sind.
Gegen gegnerisches Abwehrpressing bzw. bei „Bus parken“ des Gegners sind Überladungen der letzten Kette weitaus weniger effektiv. Aufgrund der Kompaktheit des Gegners und der tief postierten Abwehrkette werden die nötigen Schnittstellen zum Einsetzen der eigenen Angreifer schwieriger gefunden. Ein Bespielen des Rückens der Abwehr kann somit kaum stattfinden. Deutlich sinnvoller ist eine Positionierung wenige Meter vor der Abwehrkette. Auf diese Überladung werden wir im Abschnitt des Zwischenkettenraums eingehen.
Zwar kann das provozierte Gegenpressing zu Torchancen führen, dieses ist allerdings aufgrund der großen Spielerzahl vor dem Ball weitaus weniger effektiv, als es sein könnte. Andere Zonen der Überladung bieten sich somit hier an. Durch eine Positionierung der überladenden Spieler wenige Meter vor der Abwehrkette kann ein effektives Bespielen eines tief stehenden Blocks stattfinden. Darauf werden wir im Rahmen der Überladungen des Zwischenkettenraums eingehen.
Spielerprofile
Insbesondere auf der letzten Linie sollten aufgrund der benötigten Tiefenläufe möglichst schnelle und 1gg1 starke Spieler sein. Somit werden die häufig langsameren Innenverteidiger immer wieder dazu gezwungen frühzeitig nach hinten abzusichern und zerstören die Kompaktheit. Zudem kann es hilfreich sein, auf der letzten Linie einen athletisch starken Wandspieler zu haben, welcher mit dem Rücken zum Gegner Bälle festmachen kann, dennoch aufgrund seiner Schnelligkeit flexibel in die Tiefe starten kann. Somit kann der Ball häufiger in die Überzahlsituation gespielt werden und gegenläufige Bewegungen werden schwieriger zu verteidigen.
Aufgrund der Überzahl auf der letzten Linie können die eigenen Aufbauspieler schneller unter Druck geraten. Das bedeutet, dass besonders spielstarke Innenverteidiger benötigt werden, welche auch unter Druck mit linienbrechenden Pässen die eigenen Angreifer einsetzen können. Diese können ggf. durch spielstarke einrückende Außenverteidiger im Spielaufbau entlastet werden. Gleichzeitig kann die Schnelligkeit der Außenverteidiger bei dieser Spielweise eine wichtige Eigenschaft. So können die Außenverteidiger die angesprochenen Wege in die Tiefe gehen und den Rücken der Abwehr attackieren.
Insbesondere bei den Außenverteidigern ist es hier wichtig, auf die individuellen Stärken zu achten und sie dementsprechend einzusetzen. So attackiert bei Bayern München beispielsweise der schnelle Davies häufig die Tiefe, während Guerreiro als spielstarker Außenverteidiger hauptsächlich die Innenverteidiger im Halbraum entlastet.
Besonders wichtig bei dieser vertikalen Spielweise ist ein im Gegenpressing starkes Mittelfeld. Im Gegenpressing stark bedeutet nicht ausschließlich Zweikampfstärke. Antrittsschnelligkeit, Handlungsschnelligkeit, Spielintelligenz oder auch eine gute Raumwahrnehmung sind einige Attribute, die für Stärke im Gegenpressing nützlich sind. Der Spieler, der das momentan am besten beherrscht, ist wahrscheinlich Rodri von Manchester City.
Zusammenfassung
Eine Überladung der letzten Linie sorgt für ein vertikales Spiel und ist für im Gegenpressing starke Mannschaften besonders geeignet. Durch viele Tiefenläufe kann der Kompaktheit des Gegners insbesondere bei Hochstehenden Verteidigungslinien geschadet werden. Herausforderungen liegen bei den Anforderungen an die Verteidigung im Spielaufbau sowie an die 6er im Gegenpressing.
Überladung des Zentrums
Funktionsweise
Das Zentrum gilt als die strategisch wichtigste Zone des Spielfeldes. Es verbindet alle Spielfeldbereiche, wodurch Spieler flexibler und schneller jeden Spielfeldbereich attackieren können. Offensiv beinhaltet das Zentrum den kürzesten Weg zum Tor und die torgefährlichsten Räume. Defensiv sind die tornahen Räume im Zentrum somit am wichtigsten zu schützen. In Umschaltmomenten bestimmt das Zentrum die Spielrichtung. Somit wird im Zentrum das Spieltempo und der Rhythmus bestimmt.
Eine Überladung des Zentrums hat im Umschaltspiel einen großen Vorteil. Das Gegenpressing wird aufgrund der hohen Spielerzahl im Zentrum deutlich effektiver. Die Wege in Richtung Ballnähe sind vom Zentrum aus kürzer. Somit kann bei Ballverlust schneller Überzahl in ballnähe geschaffen werden. Außerdem kann der Gegner nicht durch das Zentrum in die offenen ballfernen Räume verlagern. Bei Ballgewinn kann wiederum aus dem Zentrum schneller das gegnerische Tor attackiert werden.
Das ist auch ein Grund, weshalb Manchester City eine unfassbar gute Quote an gewonnenen Gegenpressingsituationen vorweisen kann. Liverpool, das eigentlich mit dem Gegenpressing verbunden wird, hat aufgrund der Überladungen der vorderen Zonen und des vertikaleren Spiels eine weniger erfolgreichere Quote, dafür quantitativ mehr (erfolgreiche) Gegenpressingsituationen.
Es liegt nahe, das Zentrum zu überladen, um die Spielkontrolle ausüben zu können. Insbesondere Pep Guardiola hat den Anspruch, jedes Spiel durch Ballbesitz zu dominieren und überlädt immer wieder das Zentrum. Das kann durch verschieden Spieler ausgeführt werden.
Ein häufig genutztes Mittel sind einrückende Außenverteidiger aus einer 4er Kette. Da lediglich zwei Breitengeber im Ballbesitz ausreichen, um das Spielfeld breit zu halten und Schnittstellen im Zentrum zu öffnen, können die Außenverteidiger durch einrücken in die Halbräume das Zentrum überladen. Bei entgegenkommen des Flügelspielers in der Breite wird für den Gegenspieler des Außenverteidigers ein Dilemma geschaffen. Entweder erzeugt er einen Deckungsschatten auf den einrückenden Außenverteidiger oder er schließt den Passweg zum in der Regel 1gg1 starken Flügelspieler.
Eine weitere Möglichkeit ist das Aufrücken des zentralen Innenverteidigers aus einer 3er Kette. Bei gegnerischem Anlaufen mit mind. 2 Stürmern kann ein 3er Aufbau weiterhin mit der Torwartkette erzeugt werden. Fabian Hürzeler ließ bei St. Pauli im Spielaufbau regelmäßig seinen zentralen Innenverteidiger vorschieben. Aber auch Guardiola schiebt regelmäßig beispielsweise Akanji ins Mittelfeld.
Die „falsche Neun“ ist eine weitere Möglichkeit für ein Überladen des Zentrums. Hier kommt der nominelle Stürmer immer wieder entgegen und lässt sich in das Zentrum fallen. Insbesondere Kai Havertz nimmt bei Arsenal und bei Deutschland diese Rolle ein.
Auch mit zwei Stürmern kann diese Bewegungen gezielt genutzt werden, um die gegnerischen Innenverteidiger vor ein Dilemma zu stellen. Schieben die Innenverteidiger nicht mit, so können die beiden Stürmer im Zentrum in den Schnittstellen problemlos anspielbar werden und das gegnerische Pressing wird überspielt. Üben die Innenverteidiger wiederum Druck auf die sich fallenlassenden Stürmer aus, so öffnet sich im Zentrum auf der letzten Linie ein Raum, welcher durch die schnellen Flügelspieler, Außenverteidiger oder 8er belaufen werden kann.
Dilemma des Gegners
Zusätzlich zu den aufgezeigten Dilemmata der einzelnen gegnerischen Spieler, erzeugt eine Überladung des Zentrums aufgrund der strategischen Wichtigkeit normalerweise zwangsweise einen gegnerischen Zentrumsfokus. Somit entstehen auf Außen sehr häufig 1gg1 Situationen mit viel Raum. Durch eine Überladung des Zentrums lassen sich somit 1gg1 Situationen auf dem Flügel gezielt provozieren. So können 1gg1 Stärken der Außenbahnspieler besser zur Geltung kommen.
Einfluss gegnerischer Deckungsvarianten
Überladungen im Zentrum sind unabhängig der gegnerischen Deckungsvarianten immer sinnvoll zu nutzen. Das liegt an den genannten Gegebenheiten des strategisch wichtigen Zentrums. Nichtsdestotrotz wird die Positionierung der Spieler, die das Zentrum überladen, beeinflusst vom gegnerischen Pressing.
Bei gegnerischem Angriffspressing liegt der Fokus der pressenden Mannschaft auf der vordersten Pressinglinie. Ziel ist es schließlich, die Aufbauspieler möglichst stark unter Druck zu setzen, um Ballgewinne möglichst nahe am Tor zu provozieren. Somit ist es besonders wichtig, Überladungen im Zentrum näher an der eigenen Aufbaulinie in den Schnittstellen der ersten gegnerischen Pressinglinie herzustellen. So kann die erste Pressinglinie einfacher diagonal, flach durch die Schnittstelle überspielt und der Fokus der vorderen Zonen des gegnerischen Angriffspressings zerstört werden.
Ein weiteres Beispiel hierfür sind sich weit fallenlassende Zehner, wie beispielsweise Musiala bei Bayern München. Der Vorteil des fallenlassenden Zehners liegt auch in den Stärken des Spielers. Musiala, welcher im 1gg1 auf engstem Raum besondere Fähigkeiten besitzt, ist damit nicht nur besonders pressingresistent, sondern kann auch weitere Überzahl durch ein gewonnenes 1gg1 Duell herstellen. So empfiehlt es sich, Spieler mit ähnlichen Fähigkeiten bei gegnerischem Angriffspressing in den Schnittstellen hinter der vordersten gegnerischen Pressinglinie zu positionieren.
Bei gegnerischem Mittelfeldpressing und Abwehrpressing wird das Zentrum besonders verdichtet. Somit sollte eine Zentrumsüberladung in sich unterschiedlich tief bzw. hoch gestaffelt sein. Das sorgt für einfachere Anspielmöglichkeiten und Passwege, da die gestaffelte Positionierung die Räume zwischen den Linien besser öffnet, diagonale Verbindungen herstellt und das Ablagespiel erleichtert. Guardiola positioniert seine beiden Sechser im Spielaufbau deshalb niemals horizontal auf einer Höhe.
Zudem sorgt eine Höhenstaffelung bei der Zentrumsüberladung für einen erleichterten Übergang ins Gegenpressing, da sofort defensive Absicherungen vorhanden sind.
Spielerprofile
Warum überladen zumeist die Außenverteidiger das Zentrum, während die Flügelspieler als Breitengeber fungieren? Das liegt an den unterschiedlichen Stärken der Spieler auf diesen Positionen. Die provozierten 1gg1 Situationen auf dem Flügel sind besonders hilfreich für Spieler, die im offensiven 1gg1 stark sind und zudem viel Tempo mitbringen.
Ein Beispiel hierfür ist Vinicius Junior. Durch das gezielte Binden des Gegners im Zentrum, können die Stärken Vinicius deutlich besser in das eigene Spiel integriert werden. Vinicius kann deutlich häufiger das 1gg1 suchen. Außenverteidiger wiederum denken zumeist defensiver und sind somit auch im Gegenpressing stärker. Durch das Einrücken der Außenverteidiger wird das Gegenpressing effektiver.
Zusammenfassung
Das Zentrum ist die strategisch wichtigste Zone des Spielfeldes. Eine Überladung des Zentrums sorgt auch für ein effektiveres Gegenpressing. Hergestellt werden kann die Überladung beispielsweise durch einrückende Außenverteidiger, aufrückende Innenverteidiger oder auch sich fallenlassende Stürmer. Durch das Überladen des Zentrums kann der Flügel freigezogen werden und 1gg1 Situationen können provoziert werden. Somit profitieren vor allem Spieler wie Vinicius Junior, welche offensiv stark im 1gg1 auf dem Flügel sind.
Überladung des Halbraums
Funktionsweise
Um die Funktionsweise von Überladungen im Halbraum erklären zu können, sollte zunächst auf die Zone des Halbraums selbst eingegangen werden. Der Halbraum befindet sich bei einer vertikalen Einteilung des Spielfeldes zwischen Außen und dem Zentrum. Somit gilt der Halbraum als Verbindungszone. Diese kann aufgrund der geringen Abstände zum Flügel und zum Zentrum mit kürzeren Laufwege schneller und einfacher überladen werden als andere Zonen. Schnellere Überladungen bedeutet für den Gegner eine kürzere Reaktionszeit.
Zudem erfüllt der Halbraum offensiv strategisch wichtige Eigenschaften. Im Gegensatz zur Außenzone haben Spieler komplette Entscheidungsfreiheiten, da die Außenlinie das Spielfeld hier nicht begrenzt. Aufgrund der besonderen Tornähe wird das Zentrum am besten abgesichert. Im Gegensatz zum Zentrum herrscht im Halbraum kein sehr hoher Gegnerdruck.
Außerdem lässt sich aus dem Halbraum einfacher torgefährliches diagonales Spiel erzeugen. Diagonalität aus dem Zentrum führt unweigerlich weg vom Tor, während Diagonalität aus dem Flügel ausgehend schwieriger zu erzeugen ist, da dieser durch die Außenlinie strategisch eingeschränkt ist. Im Halbraum hingegen werden diese beiden Nachteile logischerweise egalisiert.
Ein weiterer Aspekt ist die Ungewohntheit des Halbraums für Verteidiger. Verteidiger sind es gewohnt, entweder auf dem Flügel oder in der zentralen Verteidigung zu spielen. Der Halbraum ist jedoch eine Zwischenzone, die nicht vollständig einem dieser Bereiche entspricht – es entstehen Zuordnungsprobleme. Zusätzlich ändern sich die Passwinkel und Optionen im Vergleich zu den gewohnten Positionen, wodurch ein anderes Defensivverhalten gefordert ist.
Ein ausführlicher Artikel zu den strategischen Vorteilen der Halbräume ist hier verlinkt.
Die Halbräume sind folglich eine entscheidende Zone, um Torgefahr gegen kompakte Gegner zu entwickeln. Überladungen der Halbräume stellen Überzahl und somit Kontrolle über diese wichtigen Zonen her. Überladungen sind also eine Art Multiplikator dieser Vorteile. Die schwierig für den Gegner zu begreifende Asymmetrie bei Überladungen generell sorgt für das nötige Chaos beim eigentlich kompakten und gut organisierten Gegner.
Dilemma des Gegners
Durch die Überladung des Halbraums können verschiedenste Dilemmata erzeugt werden. Grundsätzlich liegt hier auch der Schlüssel zum Knacken von kompakten Gegnern. Durch die Flexibilität mit unterschiedlichsten Spielern den Halbraum zu überladen, werden unterschiedlichste Dilemmata erzeugt, Räume aufgezogen und die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Angriffs steigt.
Der einschiebende Außenverteidiger kann sowohl ins Zentrum als auch in den Halbraum einrücken. Es ergeben sich ähnliche Vorteile: Freiziehen des Passwegs nach Außen auf den Flügel und / oder Überzahl in einem zentralen Raum. Ist allerdings das Ziel des Außenverteidigers primär nicht das Wegziehen seines Gegenspielers, sondern eine pressingüberwindende Anspielstation zu schaffen, so ist es von Vorteil, wenn sich der Außenverteidiger in den Halbraum orientiert.
Hier herrscht weniger Gegnerdruck, wodurch er eher gefunden kann. Außerdem hat der Außenverteidiger einen weniger langen Laufweg, wodurch sein Gegenspieler weniger Reaktionszeit hat. Um ein wirksames Dilemma zu erzeugen, sollten sich die im Halbraum befindlichen Mitspieler vertikal gegenläufig zu dem einrückenden Außenverteidiger verhalten.
Der einschiebende Flügelspieler erzeugt ein ähnliches Dilemma bei einrücken in den Halbraum. Überzahl im Halbraum oder die Außenbahn verwaisen lassen. Die Außenbahn kann beispielsweise von einem hochschiebenden Außenverteidiger genutzt werden. Zudem ist die Asymmetrie bei verwaisen lassen des Flügels schwieriger zu verteidigen. Der Gegenspieler muss sich in ungewohnte Räume begeben und spontan reagieren, da die Situation für ihn unbekannt ist.
Eine weitere Möglichkeit ist das Einrücken eines ballfernen Spielers in den ballnahen Halbraum. Aus einem 4-4-2 könnte das der ballferne Stürmer, aus einem 4-2-3-1 der ballferne Flügel sein. Durch diesen Laufweg wird meist Überzahl im Halbraum geschaffen, da die allermeisten Gegenspieler an die Verteidigung eines Raumes gebunden sind. Insbesondere Spieler aus der gegnerischen letzten Verteidigungskette sind dadurch in ein besonders schwieriges Dilemma verwickelt, da das Verlassen dieses Raumes besonders risikoreich ist.
Insbesondere gegen die Halbraumverteidiger einer gegnerischen 3er Kette kann dieses Mittel erfolgreich sein. Durch das Überladen des ballfernen Spielers zusammen mit dem ballnahen Stürmer kann eine gegenläufige Bewegung erzeugt werden, die den Verteidiger zum entgegenkommen oder fallenlassen zwingt. Dadurch wird eine tiefgehende oder entgegenkommende Anspielstation geschaffen.
Auch das Einrücken von Zentrumsspielern in den Halbraum erzeugt ein Dilemma für deren Gegenspieler. Insbesondere bei Ballbesitz eines Aufbauspielers kann durch verschieben eines oder mehrerer Zentrumsspieler in den Halbraum der Gegner dazu gezwungen werden, Räume im Zentrum zu öffnen. Das öffnet Passwege auf den ballfernen Stürmer und Flügel, die sich in den freien Raum fallen lassen können. Somit können mehrere Ebenen überspielt werden.
Einfluss gegnerischer Deckungsvarianten
Halbraumüberladungen sind unabhängig der gegnerischen Deckungsvarianten effektiv nutzbar. Gegen Abwehr-/ Mittelfeld-/ und Angriffspressing sowie gegen tief stehende Gegner können Halbraumüberladungen funktionieren.
Besonders interessant ist allerdings die Wirkung gegen kompakte Mannschaften. Halbraumüberladungen haben hier eine besondere Stärke, da sie den Gegner zu ungewohnten Bewegungen zwingen. Die genannten Eigenschaften des Raumes sorgen für das einfachere Kreieren von Torchancen.
Spielerprofile
Besonders profitieren von Halbraumüberladungen können spiel- und dribbelstarke 10er, wie Wirtz oder Musiala. Diese Spieler haben ihre Stärken nicht im temporeichen 1gg1, sodass sie auf der Außenbahn weniger gut ihre Gegenspieler überwinden können. Im Zentrum herrscht enorm hoher Gegnerdruck, der das Überspielen des Gegners schwierig macht. Im Halbraum hingegen können diese Spieler ihre kreativen Stärken ausspielen, da im Gegensatz zur Außenbahn die Entscheidungsfreiheit hoch ist und im Gegensatz zum Zentrum mehr Raum und Zeit vorhanden ist. Durch die Überladung im Halbraum wird Überzahl geschaffen, die es diesen Spielern erleichtert Torchancen zu kreieren oder es werden Räume freigezogen, die sie aus dem Halbraum finden können.
Vor allem die Kombination von zwei Spielern mit diesen Stärken sorgt für enorme Probleme bei kompakten Gegnern. Durch die Positionierungen im linken und rechten Halbraum können immer wieder sehr schnell beide Halbräume abwechselnd überladen werden. Beim provozierten Verschieben des Gegners, kann von dem überladenen Halbraum in den unterladenen, freien Halbraum auf den anderen kreativen 10er verlagert werden. Der deutsche Nationaltrainer Nagelsmann positioniert Musiala und Wirtz bereits in diesen Räumen.
Ähnlich wie Zentrumsüberladungen den Flügel freiziehen und von dort 1gg1 Spielerstärken besser zum Vorschein kommen, ließe sich durch eine Halbraumüberladung der gegenüberliegende Halbraum freiziehen. Somit könnte es sinnvoll sein, Spieler wie Musiala phasenweise in dem ballentfernten Halbraum zu positionieren und somit mehr Raum und Zeit zu gewähren. Am besten ließen sich Halbraum zu Halbraum Verlagerungen, wie oben beschrieben, mit der Kombination von zwei kreativen und dribbelstarken Spielmachern umsetzen.
Zusammenfassung
Halbraumüberladungen sind besonders effektiv gegen kompakte Gegner. Die Besonderheiten des Raumes lassen sich durch Überladungen besonders gut ausspielen. Zudem profitieren Spielmacher, wie Wirtz und Musiala von solchen Überladungen.
Überladung des Flügels
Funktionsweise
Überladungen des Flügels sind weniger effektiv aufgrund der mangelnden Entscheidungsfreiheit der Spieler durch die Begrenzung der Außenlinie. Aus gegnerischer Sicht ist eine Unterzahl am Flügel einfacher zu verteidigen, als im Zentrum, da weniger Richtungen abgedeckt werden müssen. Zudem werden durch Überladung des Flügels die Stärken der meisten Flügelspieler genommen: temporeiche 1gg1 Dribblings, für die möglichst viel Raum benötigt wird.
Nichtsdestotrotz können Überladungen des Flügels in bestimmten Situationen Sinn ergeben. Hauptvorteil ist hier weniger die Überzahl und viel mehr das Freiziehen zentraler Räume im letzten Drittel.
Dilemma des Gegners
Bei Überladungen der Räume auf dem Flügel muss die gegnerische Mannschaft insbesondere Läufe in die Tiefe abdecken. Suchen die ballnahen Spieler die Tiefe, so steht der Gegner vor dem Dilemma, die Tiefe abzusichern und das Zentrum aufzuziehen oder Pässe auf dem Flügel hinter die Kette zuzulassen.
Liverpool nutzt diese Form der Überladung im letzten Drittel aus, um für Salah die Mitte aufzuziehen. Durch die Laufwege von den ballnahen Außenverteidiger, 8er und Stürmer in die Tiefe in Richtung Flügel werden die zentralen Gegenspieler aus dem von Salah präferierten Raum rausgezogen.
Spielerprofile
Wie bereits beschrieben profitieren dribbelstarke Flügel, die invers auf ihren starken Fuß in die Mitte ziehen. Dem dribbelstarken Spieler wird der Weg Richtung Tor geöffnet.
Überladung des Zwischenkettenraums
Funktionsweise
Der Zwischenkettenraum befindet sich zwischen den Verteidigungslinien bzw. Ketten des Gegners. Spieler können sich in diesem Raum vom hohen Gegnerdruck befreien, da sie den Abstand zu den Gegenspielern vergrößern.
Der Zwischenkettenraum ist keine festgelegte Zone des Spielfeldes, sondern verändert sich je nach gegnerischer Staffelung. Deshalb können die Eigenschaften von bereits beschriebenen Überladungen gewisser Zonen mit denen des Zwischenkettenraums übereinstimmen.
Überladungen des Zwischenkettenraums können logischerweise im Gegensatz zur Besetzung des Raumes durch einzelne Spieler nur fluide eingesetzt werden. Das dauerhafte kollektive Besetzen des Zwischenkettenraums ist deshalb nicht möglich, weil der Gegner gesammelt verschieben kann und die Räume daraufhin verändert.
Überladungen des Zwischenkettenraums unterscheiden sich insbesondere vor der gegnerischen Abwehrkette zwar nur durch wenige Meter von denen der letzten gegnerischen Linie, haben allerdings eine andere Wirkung auf den Gegner. Auch deshalb ist es notwendig, den Zwischenkettenraum als separate Überladungszone anzusehen.
Dilemma des Gegners
Die Überladung des Zwischenkettenraums löst das folgende Dilemma aus. Die Abwehrspieler müssen eine Entscheidung treffen zwischen den Ballführenden zu stören und die Abstände klein zu halten, um keine Schnittstellen zu öffnen.
Besonders große Probleme entstehen bei gegenläufigen Bewegungen aus dem Zwischenkettenraum ausgehend, da der Gegenspieler zu einer Entscheidung gezwungen wird. Dazu ist eine Überzahl im Zwischenkettenraum nötig, welche sich durch eine Überladung herstellen lässt.
Einfluss gegnerischer Deckungsvarianten
Gegen gegnerisches Angriffspressing ist es zur Herstellung von Kontrolle sinnvoll, den Zwischenkettenraum unmittelbar hinter der ersten Pressinglinie zu überladen. Dieser gehört mit zur Aufbauzone. Somit lassen sich ziemlich ähnliche Vor- und Nachteile finden wie bei der Überladung der eigenen Aufbaulinie finden.
Besonders interessant erscheint es, den Raum unmittelbar vor der gegnerischen Abwehrkette zu überladen. Der Effekt dabei ist das erzwungene Herausrücken von Verteidigern, die dadurch Räume im Rücken der Abwehrkette aufreißen. Gegen hochstehende Abwehrketten hat das Überladen des Zwischenkettenraums allerdings auch einen entscheidenden Nachteil. Der Gegner kann durch das Aufrücken der Verteidigungslinie das Spielfeld noch kompakter gestalten und die Zwischenkettenräume verengen. Es bleibt weniger Zeit, um sich aus dem Druck zu befreien.
Dennoch kann das Überladen des Zwischenkettenraums gegen eine hochstehende Abwehrkette effektiv sein. Gemäß dem Prinzip „locken und schocken“ sollte dazu durch das Fallenlassen des Mittelfelds ein möglichst großer Zwischenkettenraum zwischen Mittelfeld und Sturm geschaffen werden. Der nun große Raum wird durch die Angreifer belaufen, welche die Abwehrkette zum rausrücken zwingen. Entweder entsteht eine Anspielstation oder der freie Raum kann von einem Außenverteidiger oder 8er belaufen werden.
Gegen tief stehende Gegner kann das Überladen des Zwischenkettenraums sehr effektiv sein. Die gegnerische Abwehrkette hat die Intention, die Tiefe zu verteidigen und die Kompaktheit zu wahren. Bei Überladung des Zwischenkettenraums werden allerdings die Verteidiger dazu gezwungen aufzurücken oder kein Druck auf den Spieler auszuüben. Somit können Räume im Rücken der Abwehr geschaffen werden oder Anspielstationen vor der gegnerischen Abwehrkette geschaffen werden. Überladungen der letzten Linie sind hier, wie im obigen Abschnitt beschrieben weniger effektiv.
Spielerprofile
Ähnlich wie der Halbraum ist auch der Zwischenkettenraum eine Zone, die Entscheidungsfreiheiten mit weniger Gegnerdruck kombiniert. Dementsprechend profitieren vor allem kreative Spielmacher, die sich im Zwischenkettenraum dem Gegner entziehen und gleichzeitig strategische Freiheiten genießen können.
Zusammenfassung
Der Zwischenkettenraum ist abhängig von der gegnerischen Staffelung und kann sich dementsprechend verändern. Somit ist eine situative Besetzung notwendig. Probleme beim Gegner entstehen, da Verschiebebewegungen provoziert werden. Insbesondere tief stehende Mannschaften können durch die Überladung des Zwischenkettenraums vor der gegnerischen Abwehrkette effektiv bespielt werden.
Überladungskombinationen
Die beschriebenen Überladungen lassen sich nicht nur isoliert anwenden. Die gemeinsame Anwendung von mehreren Überladungen zeitgleich ist sehr sinnvoll. Eine bereits beschriebene Möglichkeit wäre das Überladen der eigenen Aufbaulinie und des Zentrums. Somit kann eine möglichst große Kontrolle über den Ballbesitz geschaffen werden.
Auch der Halbraum und Zwischenkettenraum können zeitgleich sinnvoll überladen werden. Insbesondere die Schnittpunkte zwischen diesen beiden Räumen vor der letzten Kette sind bei einer Überladung schwer zu verteidigen. Dadurch könnte besonders gut Tiefe gegen kompakte, tief stehende Gegner geschaffen werden. Es kombiniert sämtliche Vorteile einer Halbraum- und einer Zwischenkettenraumüberladung. Diese „goldene(n) Zone(n)“ sind ein wichtiger Schlüssel zum Knacken von kompakten Systemen, wie 5-4-1, 4-5-1 oder 5-3-2 sein.
Zusätzlich sind Überladungen des Zentrums gepaart mit Überladungen der letzten Linie ein effektives Mittel, um hochstehende Abwehrketten zu überspielen. Aus dem Zentrum ausgehend können kurze und schnelle diagonale Läufe auf die letzte Kette Tiefe schaffen. Ebenso funktioniert es andersherum, um das Zentrum zu verstärken. Aufgrund der Kürze der Laufwege hat der Gegner weniger Reaktionszeit. Gleichzeitig wird durch die Überladung des Zentrums bei einem Ballverlust sofort ein griffiges Gegenpressing initiiert.
Spielprinzipien Überladungen
Um solche komplexen taktischen Überlegungen die eigene Mannschaft möglichst schnell umsetzen zu lassen, ist es empfehlenswert auf Spielprinzipien zurückzugreifen. Dazu könnte die Unterscheidung in Prinzipien zur Herstellung von Überladungen und Prinzipien zum Ausspielen von Überladungen sinnvoll sein. Die Prinzipien zur Herstellung von Überladungen können sich je nach Philosophie des Trainers unterscheiden.
Mögliche Spielprinzipien zur Herstellung von Überladungen (Philosophie/ Spielziel – Kontrolle durch Ballbesitz):
- Druck auf ballführenden Aufbauspieler bestimmt Überzahl/ Spielerzahl in der Aufbauzone
- Überzahl im Zentrum suchen
- …
Mögliche Spielprinzipien zur Herstellung von Überladungen (Philosophie/ Spielziel – Vertikales Ballbesitzspiel):
- Gegnerische hohe Kette bedingt mind. + 1 auf letzter Linie des Gegners
- Gegnerische tiefe Abwehrkette bestimmt Besetzung des Zwischenlinienraums
- Gegnerische enge Abstände der Ketten bedingt mind. +2 im Halbraum
- …
Mögliche Spielprinzipien zum Ausspielen von Überladungen:
- Auf letzter Linie / im Halbraum / im Zwischenkettenraum diagonal gegenläufige Bewegungen suchen
- Locken und schocken (Pressing/ Verschieben auslösen und in freien Raum überspielen)
- Im Zentrum diagonale Anspielstationen schaffen durch Höhenstaffelung
- Je näher am Ball, desto mehr Bewegung der Mitspieler (effektives Ablagespiel)
- …
Fazit
Asymmetrien sind für uns wegen ihrer fehlenden Logik schwerer zu begreifen als Symmetrien. Eine Asymmetrie schafft Chaos beim Gegner. Aus dieser Überlegung lässt sich schlussfolgern, dass Überladungen (=Asymmetrie) im Ballbesitz besonders hilfreich zur Erzielung von Toren sein können.
Überladungen sind die Zukunft des Fußballs, um im Ballbesitz gegen kompakte Gegner Tiefe zu schaffen, Torchancen zu kreieren und das gegnerische Team vor Herausforderungen zu stellen. Zentraler Bestandteil von Überladungen ist das Erzeugen von Dilemmata beim Gegner. Je nach überladenem Raum entstehen unterschiedliche Vor- und Nachteile. Diese gilt es entsprechend der eigenen Spielphilosophie gezielt einzusetzen.
Es ist gut möglich, in Zukunft attraktivere und torreichere Spiele zu sehen, da kompakte Defensivreihen mithilfe von vielfältigen Asymmetrien einfacher geknackt werden können und das Offensivspiel deutlich facettenreicher wird.
Autor: MH ist Fußball-Aficionado von Herzen. Seine Wohnung gleicht einer Fußball-Bibliothek in deren Regalen Bücher über die großen Taktiker von Rinus Michels bis Pep Guardiola stehen. Das Buch von Spielverlagerung.de fehlt hier natürlich nicht. Für MH ist Fußball nicht nur ein Spiel. Es ist ein Lebensgefühl.Auf X ist er unter Mh_sv5 zu finden.
Keine Kommentare vorhanden Alle anzeigen