Türchen 10: Feyenoord erkennt Angriffsmomente
Wenn es sich lohnt anzugreifen, riecht Feyenoord Lunte und forciert den Moment mit Aktivität und Nachrücken.
Heimniederlage gegen Salzburg, dafür aber spektakulärer Sieg bei Benfica und furiose Aufholjagd zum 3:3 bei Manchester City – die meisten Ergebnisse von Feyenoord in der laufenden Champions-League-Saison wirken wild. Eigentlich verfolgt das Team einen grundsätzlich strukturierten Ansatz. Aber wenn sich eine Gelegenheit ergibt, gehen die Rotterdamer aufs Ganze: Explosives Nachrückverhalten und Nachschieben zum Ball sind Feyenoords Faustpfand. Der neue dänische Trainer Brian Priske (zuvor Sparta Prag) hat dafür auf dem Fundament vom nach Liverpool gewechselten Arne Slot aufbauen können.
Die Charakteristik Feyenoords macht sich in den verschiedenen Spielphasen bemerkbar. Beispielsweise kommt das gute Nachschieben im Gegenpressing zum Tragen und auch in Pressingmomenten. Feyenoord erkennt als Kollektiv gut die Momente, in denen eine Balleroberung möglich wird und die Chance dafür hoch liegt – und reagiert schnell mit dem entsprechenden Nachschieben. Besonders eindrücklich ist das Nachrückverhalten aber im eigenen Ballbesitz in Angriffsübergängen, also den Anschlussaktionen nach Überspielen einer gegnerischen Linie.
Aktivität im Erkennen und Anspielen von Angriffsmomenten
Die besondere Stärke bei den Rotterdamern ist die gute Wahrnehmung der Momente, wann es innerhalb einer Ballbesitzphase gefährlich werden kann bzw. wann es sich (deshalb) lohnt, anzugreifen und auf den Durchbruch zu spielen. Ein gutes Beispiel sind Vorwärtspässe im Halbraum zwischen die Linien in kleine Engstellen: Manchmal wird eine Spielfortsetzung gegen das Zusammenziehen des Gegners möglich und manchmal lässt sie sich nicht realisieren.
In dem Szenario der Möglichkeit zur Angriffsfortsetzung kann es immer noch passieren, dass die Mannschaft den sich ergebenden Spielraum aus Gründen der Orientierung, Entscheidungsfindung oder Technik nicht nutzen kann. Feyenoord gelingt es zunächst einmal gut, die Situationen passend wahrzunehmen und entsprechend darauf zu reagieren. Wenn die Fortsetzung nach vorne möglich ist, drehen die Offensivspieler zuverlässig auf und Akteure ohne Ball starten sehr aggressiv in die Spitze nach. Auch die Besetzung von horizontalen Zwischenräumen innerhalb der letzten Linie ist ausgeprägt und wird häufig mit bewusst riskanten Pässen aggressiv angespielt.
Individualtaktisch sind gerade die explosiven Drehungen von Kapitän Quentin Timber auf der Achterposition entscheidende Auftaktmomente für solche Angriffssituationen. Im Detail kommt hinzu, dass die Tiefenbewegungen in die Spitze nicht als bloßes „Durchlaufen“ in die letzte Linie erfolgen. Der ballnächste Mitspieler, typischerweise ballnaher Achter oder ein eingerückter Flügel bei einer Dreieraufbaustruktur, orientiert sich klar auf den Ballführenden als kleinräumige Ablageaktion. Den Mittelstürmer zieht es häufig in die Schnittstelle leicht hinter dem ballfernen Innenverteidiger.
So effektiv das Einleiten der Angriffsaktionen erfolgt: Im Ausspielen lässt Feyenoord noch zu viel Potential liegen. Unabhängig von kleinen Details scheitern zu viele Szenen bereits durch überfrühte Distanzschüsse aus Dribblingsituationen im offenen Raum vor der gegnerischen Kette.
Kleine Einschränkungen und Schwächen
Die enorme Dynamik in den Offensivübergängen kann Feyenoord sowohl aus einer ruhigen Ballbesitzphase heraus entfachen als auch nach schnellem Überspielen der ersten gegnerischen Linie. Bei gegnerischem Angriffspressing hat Priskes Team ebenfalls gute (und oft erst einmal ballsichernde) Momente, aber noch nicht die große Konstanz. Auf der einen Seite bringen die Innenverteidiger neben ihren Qualitäten im Passspiel zudem Bewegungen im Absetzen und geschickte Zwischenkontakte in der Ballführung mit. Wiederum erkennen sie häufig die Momente, in denen sie nur auf Ballsicherung und Zirkulation gehen können. Zwischendurch gibt es aber noch erhebliche Schwankungen bei der Aktivität, um sich immer wieder gegen den Druck neu zu positionieren.
Die Spielweise des im 4-3-3 zentralen Sechsers Zerrouki funktioniert über sehr ausgeprägtes ballorientiertes Zulaufen, was gegen Angriffspressing allerdings zu Problemen führen kann. Wenn die Innenverteidiger im 2auf2 attackiert werden, droht er mit seinen normalen Bewegungsmustern in den Deckungsschatten des ballnahen Stürmers zu geraten droht, aus dem er seitlich nicht immer schnell genug herauskommen kann. Dann muss die Spielfortsetzung allein über den Außenverteidiger oder Verlagerungen nach Rückpässen erfolgen. Zudem sind die Achter inkonstant darin, die Aufbauspieler unter Druck zu ergänzen.
Wenngleich das Freilaufverhalten Zerroukis nicht immer optimal passt, ergibt sich seine Bedeutung für das Team auch über die Umsetzung von Aktionen: Bei Klatschbällen und Weiterleitungen sowohl nach Zuspielen des Außenverteidigers als auch im Zusammenspiel mit einem situativ flacheren Achter spielt er nicht nur die erwartbaren Pässe, sondern findet auch mal überraschende Entscheidungen gegen die Verschieberichtung.
Neben der Inkonstanz bei Angriffspressing und den verschenkten Offensivszenen durch zu frühe Distanzschüsse stellt die Restverteidigung einen dritten Schwachpunkt bei Feyenoord dar. Zusammengenommen sorgen diese drei kleineren Probleme dafür, dass trotz einer insgesamt wirklich guten Saison (7 Punkte aus 5 CL-Spielen und nur eine Saisonniederlage in der Liga) zwischendurch immer mal Punktverluste auftreten (und nur 3 von 20 Pflichtspielen ohne Gegentor endeten).
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