Türchen 7: Unions Abwehrpressing
Mit dem neuen Trainer Bo Svenson kam das gut organisierte Abwehrpressing und damit auch der Erfolg zurück nach Köpenick. Nachdem Union zum gleichen Zeitpunkt der letzten Saison bereits 27 Gegentore hinnehmen musste, sind es aktuell lediglich elf. Svenson setzt dabei konsequent auf die Spielweise, die Union in ihren ersten Bundesligajahren ausgezeichnet hat – kompaktes, gut organisiertes Abwehrpressing, das situativ mit aggressiverem höheren Pressing kombiniert und mit einem Fokus auf Standardsituationen abgerundet wird.
Union beherrscht die Basics perfekt
Gegen den Ball organisiert sich Union im altbekannten 5-2-3, das situativ zum 5-4-1 wird. Sie verteidigen klar raumorientiert, was beim Verteidigen im tiefen Block wesentlich sinnvoller ist als eine Mannorientierung, da das primäre Ziel nicht der sofortige Ballgewinn (im direkten Duell), sondern das Verhindern von Torchancen durch defensive Kompaktheit ist.
Mannschaftstaktisch fällt auf, dass die Abstände zwischen den Ketten und innerhalb der einzelnen Mannschaftsteile nahezu perfekt sind. Rück- und/oder Querpässe werden genutzt, um die gesamte Höhe des Blocks, aber auch die Abstände untereinander anzupassen.
Die Spieler stehen in der initialen 5-2-3 Grundordnung konsequent auf Lücke, verstellen damit Passoptionen bzw. verhindern linienbrechende Pässe und bilden automatisch Sicherungsdreiecke. Diese Positionierung auf Lücke wird permanent aufrecht erhalten, auch in der Schiebebewegung wirkt die gesamte Mannschaft perfekt aufeinander abgestimmt. Das hat zur Folge, dass der Gegner kaum linienbrechende Pässe spielt bzw. durch Dribblings in den Block der Berliner kommt. Initial positionieren sich die beiden Winger von Union jeweils im Halbraum, lenken den Gegner damit weiter auf den Flügel und behalten gleichzeitig den Zugriff auf den gegnerischen Außenverteidiger. Sie haben somit immer einen kurzen Schiebeweg zu eben diesem Außenverteidiger.
Aus dem 5-2-3 bzw. 5-4-1 heraus verhält sich die ganze Mannschaft eher passiv bzw. reaktiv. Union geht fast nie in ein aktives Anlaufen mit dem Ziel des Ballgewinns. Ballbesitzende Gegenspieler werden nie attackiert, sondern nur gestellt. Das Stellen und die engen Ketten des Blocks ermöglichen es Union insbesondere am Flügel zum Doppeln zu kommen. Eine Eins-gegen-Zwei-Situation lösen die meisten gegnerischen Teams eher mit dem ballbesitzsichernden, aber für Union ungefährlichen Rückpass, den Union wiederum nutzt, um Höhe zu gewinnen.
Union verschiebt mit Wingback, Zentrumsspieler und Winger recht weit auf den ballnahen Flügel, um den ballbesitzenden Außenverteidiger bzw. Winger des Gegners dort zu isolieren und den Rückpass zu provozieren. In diesen Situation priorisieren sie dennoch die Zentrumssicherung höher als das Auslösen einer Pressingaktion und einen damit verbundenen Ballgewinn. Insbesondere der Winger kommt zwar am Flügel dazu, verstellt aber eher den Passweg zum Sechser als auf den Rückpass zum Innenverteidiger zu spekulieren und dann zu attackieren. Damit nehmen sie in Kauf, dass sie lange im “passiven Schiebeverhalten” bleiben und den Ballgewinn eher nach einem Pass in den Block oder einen individuellen (in der Regel technischen) Fehler des Gegners gewinnen.
Die Wingbacks von Union können aufgrund der Fünferkette so frühzeitig raustreten, um den Winger oder Außenverteidiger des Gegners zu markieren, dass damit fast schon die Dynamik des Ballbesitzspiels des Gegners gebrochen wird: Aufgrund der losen Markierung wird der Pass auf Winger oder Außenverteidiger, also den am breitesten positionierten Spieler des Gegners ein Stück weit unattraktiv. Er erzeugt kein Schiebeverhalten des Gegners mehr, denn der Wingback ist schon da. Der Pass auf den breitesten Spieler hätte somit sogar eher noch die Isolation dessen zur Folge. Aufgrund des sehr disziplinierten Doppelns am Flügel bietet sich dann für den Gegner wie gesagt nur noch der ballbesitzsichernde Rückpass an.
Auffällig ist außerdem das Verhalten der drei Innenverteidiger, die immer wieder aus der Kette in den Zwischenlinienraum vorstoßen, wenn sie einen linienbrechenden Pass auf einen gegnerischen Spieler in eben diesem Zwischenlinienraum erwarten. Das Raustreten des Innenverteidigers ist nahezu die einzige spekulative Verteidigungsaktion, die Union beim Verteidigen im tiefen Block nutzt. Oft bewegen sie sich deshalb gar nicht bis zum Gegenspieler, sondern deuten die Bewegung nur an, was den Pass verhindert.
Individuelle Beobachtungen
Beim Raustreten zeichnet sich insbesondere Kevin Vogt als zentraler Innenverteidiger durch seine hohe Aufmerksamkeit und ein gutes Timing aus. Er verhindert so zuverlässig den linienbrechenden Pass.
Die Körperposition der Spieler in der Fünferkette ist insofern untypisch, als dass die ballfernen Spieler sich nicht mit Blick zum gegnerischen Tor positionieren (also aktiv bzw. in Vorbereitung auf eine vorwärts gerichtete Verteidiungsaktion). Sie stehen “eingedreht” in Richtung des eigenen Tores. Damit fokussieren sie das Verteidigen des möglichen hohen Diagonalballs hinter die Kette. Sie nehmen in Kauf, dass sie einen Dynamiknachteil haben, wenn der Ball nicht hinter die Kette, sondern als Verlagerung in den Fuß des Gegenspielers gespielt wird.
Im tiefen Block entscheiden sich die Zentrumsspieler von Union, insbesondere Aljoscha Kemlein, häufig dafür, den Innenverteidiger frühzeitiger und in Erwartung des Rückpasses zu attackieren. Das öffnet den Raum im Zentrum. Insbesondere im Spiel gegen den FC Bayern wurde dieser Raum mit Sechser und eingerücktem, im Halbraum bindenden Außenverteidiger häufig über den Dritten attackiert. Das führte dazu, dass Achter bzw. Zehner von Bayern auf die Kette dribbeln konnten. Im Verlauf des Spiels blieb Union dabei, den Innenverteidiger zu attackieren, sicherte dann aber über den Halbverteidiger wesentlich frühzeitiger und (für Union untypisch) mannorientierter.
1 Kommentar Alle anzeigen
Laurin 8. Dezember 2024 um 10:56
Danke für den Artikel. Stimmt schon, dass Svensson Union defensiv wieder auf ein hohes Grundniveau gebracht hat.
Aber soo selten waren sie gar nicht im höheren, mannorientierten Pressing, in den Spielen die ich gesehen hab.