Türchen 4: Adama Traoré
Die Fußballwelt hatte schon immer Muskelpakete, die nicht nur aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung, sondern auch ihrer spielerischen Fähigkeiten für Furore sorgten. Adama Traoré, der 24-jährige Flügelstürmer von Wolverhampton Wanderers, ragt aber aus der „Muskelmasse“ noch einmal im Besonderen heraus.
Der spanische Nationalspieler hat in den vergangenen Jahren eine beachtliche Fangemeinde angesammelt, die ihn für einen der interessantesten Kicker auf dem Erdball hält. Natürlich liegt es partiell an der imposanten Statur wie auch der besonderen Spielweise Traorés. Wer ihn noch nie am Ball gesehen hat, der muss sich das in etwa so vorstellen: Seine vollaufgeladenen Füße stoßen mit kraftvollen Impulsen den Ball in jede Himmelsrichtung, die er gerade für die richtige hält. Anschließend folgt er der Kugel mit kraftvollen Schritten und verpasst ihr die nächsten Impulse.
Traoré ist wie gemacht für die Kategorie der Risikospieler, weil seine unorthodoxe Spielweise immer so wirkt, als müsste sie sehr rasch zum Ballverlust führen, aber es sehr selten tut. Der 24-Jährige, der wahlweise als Flügelläufer oder zweite Spitze im 3-5-2 oder als Rechtsaußen im 3-4-3/4-3-3 der Wolves agiert, sucht insbesondere auf der Außenbahn ständig Eins-gegen-Eins-Situationen. Dabei ist er auf mehr als eine Weise ein Dribbling-Provokateur. Wenn er aus dem Stand oder in relativer Statik zu beschleunigen beginnt, legt er sich den Ball zumeist etwas vor und verliert für einen Moment den unmittelbaren Kontakt zum Objekt der Begierde. Das veranlasst natürlich Verteidiger dazu, sich zum Ball hinzubewegen. Allerdings kommt Traoré aufgrund seiner grandiosen Athletik eine Nanosekunde früher ans Leder und kann aufgrund der Nähe zum Verteidiger direkt an diesem vorbeiziehen und sich foulen lassen.
Zudem provoziert Traoré die gegnerische Verteidigung, indem er des Öfteren freiwillig den Weg in dichtbesetzte Räume sucht. Das erinnert, wenngleich in anderer Ausführung, an Jadon Sancho, der bekannt dafür ist, in eigentlich stabile Verteidigungen hinein zu dribbeln, um diese zu destabilisieren. Es würde zu weit führen, nun zu behaupten, dass Traoré identische Intentionen verfolgt. Aber auch er ist trotz seiner Tempovorteile kein klassischer Linienschrubber. Diese gewollte Diagonalität gepaart mit seiner risikohaften Art des Dribblings macht ihn zu einem ganz besonderen Stabilitätsbrecher. Denn normalerweise stürzen sich Abwehrspieler auf ihn, weil sie um jeden Preis einen Durchstoß Traorés verhindern wollen. Zugleich handelt er aber immer unter der Maßgabe, dass seine Aktionen in der großen Mehrheit zum Erfolg führen sollten, da er andernfalls die eigene Mannschaft destabilisieren könnte. Das gilt insbesondere, wenn Traoré als Flügelläufer zum Einsatz kommt und auf dem Paper doch mehr defensive Verantwortung zu tragen hat.
Selbst in einer offensiveren Rolle kreiert er gewisse Risiken, die im Falle eines Misserfolges fatal sein können. Aufgrund Traorés konfrontativer Art, aber erst recht aufgrund seiner relativen Erfolgsstabilität bringen sich Mitspieler stets in aussichtsreiche Positionen, um von seinen Qualitäten unmittelbar zu profitieren. Etwas lapidar gesprochen lassen sie sich von Traoré mitreißen und wollen an seinem Sturmlauf partizipieren. Im besten Fall kann das zu einer – vielleicht leicht ungewollten – Gegenpressing-Absicherung führen. Allerdings kann es genauso sein, dass mehrere Mitspieler auf Traorés Höhe oder sogar etwas vor ihn schieben und somit bei Ballverlust nur noch schwerlich eingreifen können.
Das Beeindruckende an Traoré ist, schaut man einmal auf die Gesamtheit des Spielers, dass seine Spielweise eigentlich nicht funktionieren sollte, sie es aber tut. Natürlich gibt es in diesem Zusammenhang gewisse Fragezeichen, was die Zukunft betrifft. Vielleicht verliert er irgendwann athletisch an Vorsprung und kommt deshalb nicht mehr die Nanosekunden eher an den Ball. Vielleicht stellen sich clevere Abwehrspieler noch besser auf ihn ein und involvieren sich selbst weniger direkt in Eins-gegen-Eins-Situationen und versperren stattdessen in leicht zurückgezogener Position die wichtigen Dribblingräume. Aber das ist rein spekulativ.
Aktuell ist Traoré eine Maschine mit einer ganz und gar nicht-maschinellen Kreativität und vorteilhaften Unsauberkeit. Er ist ein Risikospieler par excellence.
5 Kommentare Alle anzeigen
Yilde 15. Dezember 2020 um 00:28
Der Aspekt „vorteilhafte Unsauberkeit“ ist total spannend, da habe ich letztes Jahr mal ziemlich lange mit einem Freund drüber diskutiert. Durch die Unsauberkeit werden Verteidiger oft vor Unerwartetes gestellt und gehen dann riskant raus. Ich frage mich da immer ein bisschen, ob Spieler die so etwas gut beherrschen neben der physischen Geschwindigkeit die es für Erfolg in so einer Situation braucht eventuell auch einfach den Tick handlungsschneller sind, da sie solche Situationen einfach besser kennen (aus der Logik heraus, dass Spieler wie Traore solche Situationen ja ständig selbst herstellen und daher gewohnt sind).
Allgemein ein spannendes Thema, da es ja eigentlich etwas Unsauberes ist, jetzt aber einen Vorteil verschafft.
Ein Paradebeispiel für das Thema „vorteilhafte Undauberkeit“ ist für mich Davies, speziell das Tor gegen Barca, wo er völlige Unordnung schafft indem ihm der Ball zu weit wegspringt und er ihn dann doch bekommt. Sonst fallen mir nicht mehr viele Spieler auf hohem Niveau ein, vielleicht noch Dembele, speziell als er jünger war.
(Ist ein bisschen zu einem unzusammenhängenden Monolog geworden, sorry for that.)
tobit 15. Dezember 2020 um 10:42
Absolutes Paradebeispiel wäre für mich Immobile. Der macht das meiner Meinung nach sogar manchmal mit Absicht. Hat zum Beispiel sowohl für Torino als auf für den BVB ein Tor erzielt bei dem er vorher einen Gegner ausgedribbelt hat indem er sich selbst „angeschossen“ hat.
Ein anderes Ding, das da etwas verwandt ist, ist der Robben-Move. Der war oft eher unsauber vorbereitet aber durch seine überragende Ausführung trotzdem nicht zu verteidigen.
BM 15. Dezember 2020 um 12:29
Young real Ronaldo. Der hat bei Eindhoven auch immer die Bälle zu weit vorgelegt. Zu weit für die anderen, aber nicht für sich. Gegner anlocken, mit Dynamik und Tempo überwinden, freie Räume schaffen.
tobit 16. Dezember 2020 um 08:42
Auch ein gutes Beispiel. Nur hat der das so bewusst (und so perfekt dosiert) gemacht, dass es für mich nicht mehr wirklich als Unsauberkeit registriert. Es hat auf den Gegner sicherlich einen ähnlichen Effekt gehabt, aber eben viel kontrollierter und stabiler als bei Davies oder Immobile, die halt meistens wirklich eine unsaubere Aktion erstaunlich bereinigen während für Ronaldo die normalen Regeln einfach nicht gelten.
savona 4. Dezember 2020 um 11:09
Die geschilderten Qualitäten zeigte er aktuell sehr schön in der Vorbereitung der beiden Treffer zum Sieg bei den Gunners.