Türchen 19: Ki Sung-yong

Eine der – zumindest potentiell – „schönsten“ Alternativrollen im Fußball ist wohl der spielmachende Sechser in der Innenverteidigung. Spieler wie Weigl oder Busquets können als Innenverteidiger oftmals komplizierte Situationen eleganter lösen als gelernte Innenverteidiger. Auch wenn sie vielleicht nicht konstant die gleiche defensive Stabilität mitbringen können, ist es zumindest für den Zuschauer immer ein Mehrwert.

So auch im Falle von Sung-yong Ki, der in seiner Zeit bei Swansea ausgerechnet in einem Pokalfinale von Michael Laudrup in die Innenverteidigung beordert wurde (wir hatten Ki schon einmal im Kalender). Im Finale des englischen League Cups 2013, das Swansea mit 5:0 gewann, traf die Underdog-Ballbesitzmannschaft auf einen Viertligisten. In dieser Konstellation wollte Laudrup die Ballbesitzqualitäten seiner Elf noch betonen.

Die Formationen im Finale 2013.

Stürmer rausziehen, Gegner bewegen

Erste Kompetenz von Ki in dieser Rolle war natürlich seine Ballkontrolle und sein Passspiel. Er konnte mehr Druck auf sich ziehen und dadurch Raum im Mittelfeld schaffen. Bradford verteidigte etwa gegen Arsenal eher in einem 4-4-1-1, teils sogar einem 5-3-1-1, und ließ den Innenverteidiger offen; bei Arsenal war dies oft Per Mertesacker. Ki dribbelte häufig an, sodass der Zehner reagieren musste und aus dem Mittelfeld herausgezogen wurde. So mussten wiederum die gegnerischen Sechser auf Britton oder de Guzman herausrücken, wodurch Raum zwischen den Linien entstand.

Durch dieses Andribbeln und Kis Passsicherheit waren außerdem bessere Verlagerungsbälle möglich als üblich. Oft überspielte er einen Nebenspieler und brachte etwas schiwerigere Bälle in den fernen Halbraum oder direkt auf den fernen Außenverteidiger. Das ist in der Ballzirkulation ein wichtiger Aspekt: Zum einen bringt das Auslassen einer Position zusätzliche Zeit nach der Verlagerung; effektiv ist es häufig so, dass der Gegner eine „kurz-kurz-kurz-Verlagerung“ außen herum zuschieben kann, aber zu spät ist, wenn man direkt und länger verlagert. Zum anderen ist die Orientierung für die Defensive schwieriger, da sich die „überspielten“ Akteure der Ballbesitzmannschaft freilaufen können, ohne bereits verfolgt werden, wie in der folgenden Szene beispielsweise Britton. (Wenn die Verlagerung über Britton gespielt worden wäre, wäre der Sechser schon nah an ihm dran, wenn Davies anschließend den Ball hat; eine Isolation am Flügel ist also deutlich einfacher für den Gegner.)

Ki leitete das 4:0 ein: Sein Andribbeln zieht den Zehner aus dem Mittelfeld, zieht dadurch beide Sechser heraus, sein Pass bewegt den Gegner und ermöglicht Britton, sich abzusetzen.

Ein passendes Detail: Swansea spielte mit den Außenverteidigern teilweise asymmetrisch. Der spielmachendere Davies hielt links eine tiefere Position, rückte teils sogar diagonal ins Mittelfeld, während Rangel rechts höher ging. So war Williams in einer zentraleren Position, Ki etwas breiter im Halbraum und dadurch besser positioniert, um anzudribbeln und vorwärts zu spielen.

Trick gegen zweite Bälle: Kopfballduell umdrehen

Ein besonderer Aspekt in dieser Partie: Swansea hatte einen speziellen Plan gegen die langen Bälle von Bradford. Bradford eröffnete schon in den Spielen davor konsequent mit langen Bällen auf den großen Mittelstürmer Hanson, der dafür sogar oft auf die Zehn zurückfiel. Dadurch hatten Bradfords Gegner Unterzahl im Kampf um zweite Bälle.

Swansea und insbesondere Ki verhinderten diese zweiten Bälle weitestgehend. Wie? Sie verteidigten Hanson nicht wie üblich aus dem Rücken und versuchen „über ihn“ in den Kopfball zu springen, sondern stellten sich immer wieder vor ihn. Dadurch wurden die meisten langen Bälle in die Spitze verlängert, anstatt ins Mittelfeld abgelegt. Dort konnte die restliche Kette von Swansea 3-gegen-1 spielen, da Bradfords Winger nicht auf Breite oder Tiefe positioniert waren, sondern eng auf den zweiten Ball. In der Folge kam Swansea meistens sofort wieder in Ballbesitz und mussten kaum in den Mittelfeldkampf, der Britton und Co. nicht entgegenkam.

Ausspielen nachgehender Stürmer

Eine wenig beachtete Aufgabe für Abwehrspieler ist das Lösen von Situationen nach langen Bällen, insbesondere langen Bällen in die Tiefe. Wenn der Verteidiger den Ball abläuft, steht er mit Gesicht zum eigenen Tor, oft sogar zur Seitenlinie, sieht also nichts vom Feld und ist unter Druck von mindestens einem Stürmer. Auch die Nebenspieler werden dann oftmals angelaufen oder können zumindest angelaufen werden, was der Verteidiger wegen seines Sichtfeldes schlecht einschätzen kann. Nach Rückpässen auf den Torwart können die Stürmer ihren Laufweg fortsetzen und da die Kette noch eng ist, ist es schwierig, schnell genug für den Torwart zu öffnen, um die anlaufenden Stürmer sicher zu umspielen. Darüberhinaus ist es meistens schwierig, den Ball zu kontrollieren: lang, unter Druck, aus der Luft, im Rückwärtslaufen.

Spieler wie Ki sind oftmals sicherer und geschickter darin, diese Bälle zu kontrollieren, sich kleinräumig aus Druck zu lösen und dann Passoptionen zu finden, auf die der Gegner nicht so einfach nachgehen kann. Gerade in chaotischen Spielen mit viel Umschaltsituationen und langen Bällen kann das ein unheimlich wichtiger Faktor sein. In dieser Partie kam es nicht wahnsinnig oft zum tragen, da Swansea früh führte und die langen Bälle durch das „Umdrehen“ gut unter Kontrolle bekam.

Sonstiger Nutzen der Rolle

Ähnliches lässt sich über das Ausspielen, insbesondere Ausdribbeln, von gegnerischem Angriffspressing sagen, welches Bradford aber nicht praktizierte. Gegen einen Gegner, der das konstant macht, kann es auf dem Papier äußerst wertvoll sein, einen spielstarken Mittelfeldspieler zurückzuziehen, der den ersten Druck des Gegners auflösen kann und dann die freie ballferne Anspielstation findet, die man gegen ein Angriffspressing meistens hat, aber selten erreicht.

Ansonsten ist das Zurückziehen des Spielmachers auch für den Spieler und seine Entwicklung durchaus nützlich: Er ist gezwungen, im Defensivverhalten noch mehr auf Stabilität zu achten (statt riskante Balleroberungen zu versuchen) und die Tiefe abzusichern, kann das Defensivverhalten der Sechser beobachten und coachen, kann durchgängig das Spiel mit Blick nach vorne aufbauen und bekommt womöglich ein besseres Gefühl dafür, wann ein Innenverteidiger welche Passoption benötigt. Gerade für Freundschaftsspiele ist diese Maßnahme daher durchaus empfehlenswert.

tobit 23. Dezember 2019 um 10:27

Interessant, dass wir Leser quasi genau diese Einbindung unter dem letzten Ki-Artikel diskutiert haben, ohne zu wissen, dass es das schonmal gab.

Antworten

Riesenarsch 23. Dezember 2019 um 00:24

„extremst wertvoll“
extrem kann man nicht steigern

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MR 23. Dezember 2019 um 01:41

Doch. Mit dem Wort „extremst“.

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savona 23. Dezember 2019 um 10:22

Stimmt. Und an guten Tagen wird es manchmal noch extremster. 😉

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