Türchen 13: Ronald de Boer
Januar 1999: Ronald de Boer, als Offensiv- und Mittelfeldallrounder schon bekannt, wechselt von Ajax zu Barcelona – und startet dort zunächst mal als Rechtsverteidiger.
Als umstritten kann man die Zeit von Louis van Gaal beim FC Barcelona in der Rückschau zusammenfassen. Drei Jahre lang war der Niederländer in seiner ersten Phase bei den Katalanen dort aktiv. Insgesamt blieben letztlich stets einige kleine Schattenwürfe auf dieser prinzipiell gelungenen Verbindung, auch wenn sie im Grundsatz eigentlich recht erfolgreich verlief. Ein spektakulärer Eindruck auf internationaler Bühne sollte am Ende fehlen. Mit starken Ergebnissen erreichte man aber im ersten Jahr nach einer längeren Durststrecke mal wieder die spanische Meisterschaft und dazu noch den Pokal, auch in der zweiten Saison gelangte das Team schnell klar auf Titelkurs.
Zwischendurch rumorte es schon von Anfang an immer wieder im Verein und in der medialen Berichterstattung, gerade bezogen auf Personalentscheidungen. Früh hatte van Gaal damit begonnen, den Kader nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Damit stieß er nicht überall auf Nachsicht. Aus der Rückschau sollte er vor allem später eingestehen, dass die zahlreichen Verpflichtungen niederländischer Neuzugänge ungeschickt gewesen sein dürften. Gerade seit der zweiten Saison kamen zahlreiche ehemalige Schützlinge seiner erfolgreichen Ajax-Truppe ins Camp Nou: Kluivert folgte – nach einer unglücklichen Zwischenstation bei Milan – auf Reiziger und Bogarde und erhöhte damit die Anzahl der Niederländer auf sechs, ehe in der Winterpause sich gleich zwei weitere Transfers auf einen Schlag anschließen sollten.
Barca mit starker Phase Anfang 1999
Diese beiden Verpflichtungen waren spektakulär: Barca warb beide Brüder de Boer von Ajax ab, tatsächlich nicht nur einen, sondern beide. Sofort brachten sie es zu vielen Einsätzen, kamen dabei als zusätzliche Ergänzungen in eine eigentlich schon sehr erfolgreiche Mannschaft hinein. Zu jenem Zeitpunkt ließ van Gaal bei Barcelona ein recht klares 4-3-3 – gerade in der Anordnung gegen den Ball – praktizieren, mit nur sehr vereinzelten Erscheinungen höherer Positionierungen eines Switch-Innenverteidigers, ansonsten geprägt durch verschiedene weiträumige Pendelbewegungen von Luis Enrique als dem offensiveren der nominellen Achter nach vorne. Bei eigenem Ballbesitz stieß er immer wieder in die Spitze nach, ging gelegentlich auch nach außen.
In dieser Spielphase gehörten die positionellen Rochaden in Freiräume hinein zu den wichtigsten Stärken des Teams. Als Basis diente eine saubere Verteilung der Linien, indem die wechselnden Besetzungen mit jeweils einem Spieler als Breitengeber gut umgesetzt wurden. Von der Linksaußenposition genoss Rivaldo einige Freiheiten und durfte sich häufig ins Zentrum ziehen, wofür Philip Cocu von der linken Achterposition gegenläufig nach außen wich. Der Brasilianer suchte sich geschickt seine Momente aus, wenn die Bewegungen seines Teamkollegen gerade besonders wirksam Gegner weglockten und auch entsprechende Passmöglichkeiten aus den – von Pep Guardiola orchestrierten – Aufbauräumen heraus gegeben waren.
Das Ganze balancierte Linksverteidiger Sergi noch zusätzlich, hielt sich dafür zudem ein wenig tiefer. Dadurch durfte der Rechtsverteidiger prinzipiell etwas mehr Offensivdrang entfalten, rückte entweder auf der Innenbahn gegenüber der häufig breiten Position von Außenstürmer Luis Figo nach vorne, manchmal aber auch umgekehrt selbst über den Flügel. An dieser Stelle ergab sich nun eine personelle Überraschung: Während Zwilling Frank einen Platz in der Innenverteidigung erhielt, stellte van Gaal den anderen Bruder Ronald auf jenen Posten rechts in der Viererkette. Er bildete ein unerwartetes Duett mit Figo. Bei Ajax hatte sich der Niederländer zunehmend schon das Etikett einer offensiven Allzweckwaffe erworben – aber die Aufstellung als Rechtsverteidiger ließ dennoch aufhorchen.
Flexibler Pass- und Gegenpressingspieler auf der Rechtsverteidigerposition
Gerade das positionelle Wechselspiel zwischen Halbraum und Flügel in Anpassung an die Spielweise seines Vordermanns, das sich als eine wichtige Aufgabe aus der taktischen Ausrichtung des Teams ergab, konnte Ronald de Boer gut und geschickt erfüllen – mit seiner generellen Aufmerksamkeit und seiner Vielseitigkeit. Für einen Allrounder und zumal für jemanden, der als Stürmer oder Achter gegen den Ball meistens viel gearbeitet hatte, trug diese Aufstellung in ungewohnter Rolle zumindest in gewisser Weise ein naheliegendes Element an sich.
In Feinheiten bei der Ballführung deutete sich vereinzelt an, dass Ronald de Boer sich als Rechtsverteidiger noch nicht ganz so sicher fühlte. Insgesamt fügte er sich gut ins Positionsspiel ein und besetzte grundsätzlich die jeweils richtigen Räume, am häufigsten diagonal im Halbfeld hinter Figo. Nur gestaltete sich die genaue Orientierung manchmal etwas schematisch, wenn er den Abstand zu Figo oder Luis Enrique kleiner hätten wählen und so einen harmonischeren Anschluss der Staffelung hätte schaffen können.
Bei seinen Auftritten als Rechtsverteidiger brachte sich Ronald de Boer vor allem als guter Passspieler ein. Das bezog sich in erster Linie auf die saubere technische Umsetzung, ob in der Ballverteilung bei einfachen Zuspielen in die nähere Umgebung oder mit ambitionierten scharfen Diagonalpässen zwischen gegnerische Linien, die er aus tieferen Positionen als Rechtsverteidiger nochmals besser zur Geltung bringen konnte. Darüber hinaus zeigte er als Passgeber häufig eine gute Entscheidungsfindung. Im Zuge der positionellen Anordnungen in den Flügelzonen war er recht stark auf kleingruppentaktische Pärchenbildungen und Dreiecksaktionen mit Doppelpässen fokussiert.
Schließlich betätigte sich Ronald de Boer in dieser Position ansonsten entscheidend als Führungskraft im Gegenpressing. Dass er in solchen Momenten und allgemein im Umschalten ohnehin schnell reagierte, brachte er in dieser Konstellation entsprechend zur Geltung. Zwar erfolgte das erste Nachschieben nach Ballverlusten Barcas in einigen Begegnungen zögerlich und eher im Zuge von Mannorientierungen, doch spätestens sobald er sich in eine Gegenpressingsituation eingeklinkt hatte, verhielt er sich darin klug, versuchte den Druck hochzuhalten und brach das individuelle Nachsetzen nicht wieder ab. Vor allem nahm er nicht einfach nur die rein jagende Haltung ein, sondern erkannte recht gut, wann er jeweils seine Mitspieler unterstützend ergänzen sollte.
Schlussworte
Im Grunde genommen machte Ronald de Boer also hauptsächlich das, was er sonst auch machte, unterschied sich sein Spiel in dieser Rolle gar nicht großartig von anderen Konstellationen. In der Ausführung dieser Rolle repräsentierte sich vor allem sein generelles Fähigkeitenprofil. Genau das machte ihn aus: Er stand für eine grundlegende Komplettheit und für Variabilität in der Einbindung, er lieferte mit weitgehend gleichbleibender und „erwartbarer“ Konstanz ein systematisches, sauberes Spiel ab, auf einem – wenn auch ohne groß zu dominieren oder in bestimmten Feldzonen überragende Raumkontrolle auszuüben – taktisch hohem Grundniveau.
In der Folge wiederum dürfte genau das auch dazu beigetragen haben, dass die Einbindung als Rechtsverteidiger nicht von Dauer sein sollte. Kurzfristig kann man nur spekulieren, was van Gaal bewog, wieder dem defensiveren Reiziger den Vorzug zu geben: Beim 2:4 gegen Valencia verpasste Ronald de Boer zwar gelegentlich den ersten Moment in der Rückzugsbewegung, aber dort spielte er ohnehin mehr wie ein Flügelverteidiger, da Barca mit den drei anderen Spielern der Kette mannorientiert verteidigte, und presste häufiger in Folgesituationen noch recht gut ins Mittelfeld hinein. Im Hinblick auf den Karriereverlauf jedoch scheint entscheidend gewesen zu sein, dass es gar nicht so viel ausmachte, seine Rolle zu ändern – und dann blieb Ronald de Boer eben eher ein Offensivakteur, zumal der Torabschluss auch dafür sprach.
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