Was macht Tuchel in Paris? Eindrücke vom Liga-Spiel gegen Angers
Thomas Tuchel geht in seine erste Saison bei Paris St. Germain – und wirft mit dem Start gleich mal Vieles über den Haufen. Gegen Angers gab es dabei einige recht kreative Anpassungen von Einzelspielerrollen und auch formativ recht viel Interessantes zu sehen.
Die Ausgangskonstellation: Angers mauert mal richtig
Als klarer Underdog gestartet, nutzte Angers von der ersten Minute an ein tiefes Abwehrpressing. Das Team von Trainer Moulin fokussierte sich dabei auf die Kompaktheit im Zentrum. Aus der 4-1-4-1-Grundordnung im Spiel mit Ball wurde in der Defensive ein 6-3-1, weil die beiden Flügelspieler in die letzte Linie zurückrückten. Mit dem einzigen Stürmer Reine-Adelaide gab es lediglich einen nach vorne geschobenen Akteur, der die Aufgabe hatte Paris auf den Flügel zu lenken, sich dabei aber stets so positionierte, dass er nie die Bindung zu den drei Mittelfeldakteuren im Zentrum verlor. Hatte Paris den Ball am Flügel in den eigenen Reihen, versuchte Angers die diagonalen Passwege ins Zentrum zu versperren und so in erster Linie zu vermeiden, dass PSG zwischen die Ketten kam – aggressiven Ballgewinn forcierte man kaum.
Paris in der ersten Halbzeit: Irgendwas mit Raute oder Dreierkette
Im Spiel mit Ball nutzte Paris im Wesentlichen eine 4-1-2-1-2-Grundordnung, die im Spiel mit Ball aber auch gut als irgendeine Formation mit Dreierkette durchgegangen wäre. Denn im Aufbau rückte der nominelle Außenverteidiger Meunier auf der rechten Seite schnell und früh nach vorne auf, um im Auf- und Übergangsspiel für die Breite im Spiel zu sorgen. Sein Durchschieben bis in die letzte Linie sollte im Angriffsspiel schließlich die Präsenz in der letzten Linie erhöhen. Auf diese sollte er dem Spiel auf seiner Seite Breite und Tiefe zu geben. Linksverteidiger Kimpembe blieb hingegen deutlich tiefer und agierte in allen Spielphasen mit Ball bis auf seltene, nachstoßende Läufe im Stile eines klassischen Halbverteidigers – genauso wie es Innenverteidiger Kehrer auf der rechten Seite vorbehalten war. Komplettiert wurde die Abwehrreihe schließlich durch Kapitän Thiago Silva.
Vor der Abwehr agierte Marquinhos als alleiniger und tiefer Sechser, der stets Bindung zur ersten Aufbaulinie hielt. Rabiot interpretierte seine Position als rechter Achter zumeist in die Spitze nachstoßend oder dorthin aufrückend, um dort Gegner zu binden oder Cavanis situatives Zurückfallen mit einer gegengleichen Bewegung zu beantworten. Hin und wieder balancierte er das Spiel auch mit Läufen auf den rechten Flügel aus. Ebenso kam Angel di Maria auf der Position des linken Achters die Aufgabe zu für Balance im Spiel zu sorgen. Er rückte nach der ersten Aufbauphase zumeist schnell auf den Flügel heraus und schob dort in die letzte Linie. Genauso wie Meuniers Positionsfindung hatte dieses Verhalten zum Ziel dem Spiel auf dieser Seite Breite und Tiefe zu geben. Di Maria übernahm diese Rolle vor allem dann konsequent, wenn man den tief agierenden Defensivblock Angers an deren eigenem Sechzehner bespielte. Netter Nebeneffekt: Aus seiner Grundposition konnte di Maria häufig Läufe hinter die gegnerische Abwehrkette anbieten.
Der entscheidende Grundgedanke bei der Auslegung von di Marias Rolle waren aber nicht die zuletzt diskutieren Aspekte, sondern die Tatsache, dass Neymar seine Rolle als Zehner nach links hängend interpretierte – und damit so ziemlich genau im linken Achterraum aufschlug. Paris nutzte die entstehenden Überladungen, um Angers im Halbraum zum Zusammenrücken zu zwingen. Neymars diagonale Dribblings zur Mitte und die Nutzung vieler kurzer und mittellanger Zuspiele in diesem Bereich verstärkten den Effekt. In Kombination mit der hohen Präsenz in letzter Linie ergaben sich deshalb ballnah Durchbruchsmöglichkeiten über Außen oder ballfern Räume für Spielverlagerungen. Auffällig: Insgesamt konstruierte Tuchel Neymars Rolle recht frei. Auch wenn der Brasilianer häufig im linken Halbraum auftauchte, war der Kreativgeist ebenfalls auf dem linken oder rechten Flügel zu finden und insgesamt wenig an klare Vorgaben gebunden.
Mbappe und Cavani kam eine Linie weiter vorne die Aufgabe zu dem Spiel im Aufbau die nötige Tiefe zu geben. Beide fokussierten sich diesbezüglich aber nicht nur auf das Sturmzentrum, sondern rückten auch auf die Flügel heraus, wenn Meunier und di Maria hier noch nicht selbst Breite und Tiefe geben konnten. Im späteren Angriffsverlauf war das Bewegungsspiel Mbappes weiterhin auf die letzte Linie ausgelegt, ohne dass der französische Nationalspieler wie gesagt auf das Zentrum fixiert gewesen wäre. Cavani ließ sich hingegen gerade im Übergangsspiel das ein oder andere Mal nach hinten fallen, um an der Ballzirkulation mitzuwirken.
Umstellungen zur Halbzeit: Standardsachen
Nach einer vor allem defensiv etwas durchwachsenen Leistung im ersten Durchgang, in der sich gerade die Einbindung Neymars im Spiel gegen den Ball und im defensiven Umschaltmoment etwas problematisch zeigte, nutzte Tuchel die Möglichkeit in der Halbzeit an der Grundordnung zu schrauben und brachte außerdem Nsoki für den debütierenden Ex-Schalker Kehrer. Was die Zuschauer dann im zweiten Durchgang zu sehen bekamen, war ein recht klassisches 4-2-3-1 mit kleineren Anpassungen, denn für Kehrer rückte Thiago Silva eine Position nach rechts, genauso wie Kimpembe, der von nun an als linker Innenverteidiger fungierte und so auf links Platz für den fortan häufig aufrückenden und umtriebigen Nsoki machte. Rabiot rückte eine Position nach hinten und bekleidete gemeinsam mit Marquinhos die Doppelsechs. Während Mbappe auf rechts entweder recht vertikal und nachstoßend im Halbraum agierte, um von dort Läufe in die Tiefe hinter die Kette Angers anzubieten, oder am Flügel klebte und dort Ähnliches probierte, agierte di Maria nun weiter eingerückt, tiefer und deutlich spielmachender, indem er häufig aus der letzten Linie zurückfiel, sobald Nsoki aufgerückt war.
Auch in diesem Konstrukt war Neymars Rolle von der Zehn wieder relativ frei. Unterstützung erhielt er nun vor allem durch die beiden Sechser, die sich viel um Neymar herum und in den tiefen Halbräumen bewegten. Beide boten dem Brasilianer häufig kurze Anspielstationen, um den Ball aus der Enge heraus zu sichern oder für kurze Zuspiele, mit denen man den Gegner lokal zusammenziehen wollte, nur damit Neymar diese Engen über Dribblings wieder auflösen konnte. Im klassischeren 4-2-3-1 war man durch die vier zentralen Akteure im Zentrum (beide Innenverteidiger und beide Sechser) prinzipiell besser für den defensiven Umschaltmoment gestaffelt. Und auch gegen den Ball war die Einbindung Neymars einfacher: Im hohen Anlaufen rückte Neymar ganz klassisch neben Cavani. Kam Anger ins Übergangsspiel, orientierte er sich stattdessen am tiefen Sechser, um diesen zuzustellen.
Fazit
Am Ende stand gegen Angers ein klarer 3:1 Sieg für Paris. Die ersten Eindrücke, die sich in den ersten Spielen des PSG unter Tuchel offenbaren sind vielversprechend. Tuchel nutzt viele kleinere und auch größere, recht flexible Anpassungen an den jeweiligen Gegner und um die Einbindung einzelner Spieler zu optimieren. Dabei greifen die Mechanismen und Abläufe aber noch nicht so, wie Tuchel sich das vermutlich vorstellt. Und auch im Spiel gegen den Ball ist noch viel Luft nach oben. Bisher gelingt es Paris deshalb hauptsächlich ihre Spiele aufgrund der individuellen Qualität zu gewinnen. Die nächsten Wochen und Monate bleiben deshalb in vielerlei Hinsicht spannend.
8 Kommentare Alle anzeigen
Daniel 31. August 2018 um 18:22
Tuchel mit einem solchen Kader ist extrem spannend zu sehen, da darf man gespannt sein. Jammerschade, dass er nicht mehr in der Buli ist. Wobei seine Kaderzusammenstellung mit seinen Fähigkeiten in der Trainingsarbeit nicht Schritt halten kann. Nix gegen Choupo-Moting, aber ihn zu einem Verein wie PSG mitzunehmen ist schon eine komische Idee. Erinnert an Transfers wie Park oder Schürrle beim BVB…
tobit 1. September 2018 um 11:13
EMCM kostet fast nichts (vor allem keine Ablöse) und man hat endlich einen dritten Stürmer (hinter Cavani und Mbappé) mit ernstzunehmender Profi-Erfahrung. Für die eine oder andere Cavani-Schonung gegen Abstiegskandidaten dürften auch Chuopos Qualitäten ausreichen. Kann ich vor dem Hintergrund der FFP-Beschränkungen schon verstehen.
Komischer finde ich da schon, dass man über 50 Mio. in Abwehrspieler steckt, dann Lo Celso abgibt und Marquinhos ins Mittelfeld muss. Kehrer hätte ich mir wahrscheinlich gespart und dafür eher einen Sechser a la Witsel oder Weigl geholt. Zur Not hätte es auch Badelj getan, der war sogar ablösefrei (und einen Monat lang vereinslos). So werden jetzt Verratti (der ist aktuell schon/noch verletzt) und Rabiot fast jedes Spiel komplett durchspielen müssen, weil Diarra offensichtlich keine Option ist und sonst nur noch di Maria, Draxler (die sind beide eher offensiver und braucht es auch auf dem Flügel) und ein paar Jugendspieler für’s Zentrum da sind.
Koom 1. September 2018 um 12:10
EMCM, Schürrle und Park kann ich alle nachvollziehen.
Park war damals ein richtig guter LV. Warum der sich exakt in Dortmund nicht durchgesetzt hat – schwer zu sagen. Vielleicht hatte da die Schmelzerclique mit zu tun, würde mich zumindest nicht wundern. Schürrle ist ein fleissiger, eigentlich robuster Offensiver. Zum Zeitpunkt der Verpflichtung aber irgendwie sehr kaputt. Da hatte Tuchel noch die Mainzer Variante im Kopf, wo er stabil im Kopf und auf dem Platz war. Weltklasse war er nie, aber wie gesagt: eigentlich ein fleissiger Spieler, der taktisch gut arbeitet und flexibel ist. EMCM ist für lau schon geil. Gehaltstechnisch halt abgehoben, spielerisch aber gut. Auch ein sehr flexibler Offensivser, der auf dem Flügel, in der Spitze und dahinter agieren kann. Er wird einiges an Spielzeit haben in Paris, da die Granden da nicht jedes Spiel machen können.
Torsten 1. September 2018 um 12:43
Bin mir ziemlich sicher, dass PSG noch einen 6er holen wollte und das einfach nicht realisiert bekommen hat (FFP Geldsorgen oder Kante wollte nicht?). Normalerweise hätte man dann einen Ersatz verpflichtet, dieses Jahr sind aber erstmals auch die Winterwechsel in der CL spielberechtigt, somit wird man sich einfach vertagt haben. Die französische Liga führt man auch so an und das es in der Gruppenphase der CL knapp werden könnte glaubte man vor dem Liverpool-Los wohl auch nicht.
fewepe 31. August 2018 um 04:35
Anschaulicher Artikel, danke dafür. Schön zu sehen, dass die Tuchel’sche Asymmetrie weiter existiert, hoffe, dass er sich in Paris vollauf austoben kann. Bin gespannt, wie PSG jetzt in ~6-7 Monaten, während der CL-Halb/Viertelfinals ausschaut.
Koom 29. August 2018 um 10:30
Klassischer „Work in progress“. Ich freu mich auf weitere Berichte. Tuchel ist einer der wenigen kreativen Trainer. 🙂
tobit 29. August 2018 um 14:47
Absolut. Ein echter Verlust für die Bundesliga.
Wird aber aktuell schon stellenweise für seine kreativen Aufstellungen kritisiert (Neymar solle doch gefälligst von LA kommen, …) – so sind halt die Fussballfans, stehen mehr auf „kreatives“ Recycling bekannter Ideen, statt mal wirklich was neues (oder länger nicht gesehenes) zu probieren.
Kann jemand was genaueres zu N’Soki (traut ihr dem direkt den Sprung zu? Was ist der für ein Spielertyp?) Marquinhos als Sechser (ist Diarra dafür wirklich so ungeeignet? Alle restlichen sind ja leider verletzt) und di Maria (endlich wieder als Hybrid zwischen Innen und Außen) sagen?
em es 28. August 2018 um 23:51
cooler Beitrag, danke. Formativ sieht es schon sehr kreativ aus.