Portugal rast gegen Uruguays Mauer
Uruguay zeigt eine beeindruckende Defensivleistung und setzt sich 2:1 gegen Portugal durch. Die Portugiesen stellen in der zweiten Halbzeit zigmal ihr Personal um, doch finden keine Lösungen gegen das uruguayische Abwehrbollwerk.
Im Vorfeld des Samstags drohte aus der Fußball-Weltmeisterschaft ein Zuchtwettbewerb für Ziegen zu werden. Lionel Messi und Cristiano Ronaldo, von ihren Followern als Goat betitelt (Greatest of all times – oder auch zu deutsch: Ziege), bestimmten die Schlagzeilen. Doch beide mussten mit ihren Teams Federn – oder sollte man sagen: ihr Ziegenbärtlein – lassen. Zumindest Ronaldo war im Spiel seiner Nation gegen Uruguay auch gar nicht sonderlich präsent; es waren andere Faktoren, die die Partie entschieden.
Uruguays Raute
Uruguays Trainer Óscar Tabárez blieb der Raute treu, die bereits beim 3:0-Erfolg gegen Russland zum Einsatz kam. Bentancur übernahm den Posten als Zehner hinter der Doppelspitze Cavani-Suarez. Die beiden Stürmer wichen gewohnt häufig auf den Flügel aus, zeigten sich sehr beweglich. Uruguay setzte auf Flügelangriffe, um Portugals defensives 4-4-2 auszuhebeln.
In der Anfangsphase griffen die Südamerikaner vor allem über die rechte Seite an. Ihr Spiel hatte eine leichte Unwucht in diese Richtung: Vecino ließ sich als linker Achter häufig auf eine Höhe mit Sechser Torreira fallen. Der rechte Achter Nandez wiederum bewegte sich häufig auf den Flügel und gab dem Spiel Breite. Zusammen mit Suarez und Rechtsverteidiger Caceres überlud er diese Seite. Nandez sorgte in diesen Situationen für die nötige Breite, Caceres startete diagonal in Richtung Spitze. Manchmal verblieb auch Nandez tief auf der Rechtsverteidiger-Position und Caceres rückte vor.
Die linke Seite besetzte etwas überraschend Cavani. (Wobei: Was heißt schon überraschend bei einem Spielertypen wie Cavani?) Somit tendierte die Formation der Uruguayer in der Offensive manches Mal zum 4-3-3, wenn Suarez im Zentrum verblieb. Manches Mal war jedoch auch gar kein Spieler im Zentrum, sobald Suarez auf links auswich. Uruguay verlagerte das Spiel von rechts dann auf den freistehenden Cavani auf der linken Seite. Damit hebelten sie Portugals eher enge Abwehrformation auseinander. Solch ein Spielzug führte zum 1:0, nur hier unter umgekehrten Vorzeichen: Cavani war nach rechts ausgewichen, Suarez nach links.
Tor verändert die Dynamik
Das frühe Tor der Uruguayer in der siebten Minute prägte den weiteren Verlauf der Partie. Es waren fortan die Portugiesen, die gezwungen waren, das Spiel zu gestalten. Uruguay störte die Portugiesen zwar früh, ging in der Raute zu einem aggressiven Angriffspressing über. Aber sobald Uruguays erste Pressinglinie überspielt war, zogen sich die Uruguayer nahezu geschlossen an den eigenen Strafraum zurück. Einzig Suarez verblieb vorne, selbst Cavani postierte sich sehr tief. Uruguays Raute formte sich um zu einem 4-4-1-1 oder gar zu einem sehr tiefen 4-4-2 (siehe Grafik etwas weiter unten).
Portugal hatte die undankbare wie schwere Aufgabe, das Abwehrbollwerk der Uruguayer zu knacken. Schwer deshalb, weil Uruguay über eine exzellente Strafraumverteidigung verfügt: Einmal taktisch, da sie den eigenen Strafraum exzellent besetzen und extrem anpassungsfähig sind. Wenn ein Spieler herausrückt, besetzt sofort ein anderer seine Position. Aber auch individuell ist Uruguay am eigenen Strafraum kaum zu bezwingen. Verteidiger wie Godin oder Gimenez klären alles wege – seien es hohe oder flache Hereingaben.
Dennoch versteiften sich die Portugiesen recht schnell auf das taktische Mittel Flanken. Andere Wege hinter die Abwehr fanden sie nicht. Sie versuchten zwar immer wieder, ihre einrückenden Außenspieler oder den vorrückenden Adrien Silva in Eins-gegen-Eins-Situationen zu schicken. Portugal dribbelte an, Uruguay ließ sich dadurch aber nicht locken. Uruguays Verteidiger warteten clever ab und blockierten die Passwege nach vorne. Einzig wenn Cristiano Ronaldo sich fallen ließ, zog er sofort zwei aggressiv störende Uruguayer auf sich. Häufig blieb für Portugal nur der Weg auf die Flügel, dort gab es aber mangels offensiver Unterstützung der Außenverteidiger nur selten die Möglichkeit, in dynamische Flankensituationen zu kommen. Oft schlug Portugal statische Flanken aus dem Stand, die leicht zu verteidigen waren.
Personelle, aber kaum taktische Umstellungen
Nach der Pause stellte Portugal leicht um. Stürmer Guedes ging raus auf den linken Flügel, Mario rückte auf die rechte Seite, Bernardo Silva agierte als Zehner hinter Ronaldo. Ihrem 4-4-2-System blieben sie weitestgehend treu, auch wenn es von der Aufgabenteilung jetzt teilweise einem 4-2-3-1 gleich.
Guedes startete vom linken Flügel meist in den Strafraum, agierte also praktisch noch als Stürmer für Hereingaben. Für Breite auf links sorgte Raphael Guerreiro, der nun merklich offensiver agierte als in der ersten Halbzeit. Tatsächlich gelang es Portugal nun, häufiger Bälle auf den Flügel in den Lauf der Spieler zu passen. Das brachte zwar kaum Torchancen ein, zwang aber Uruguay, häufiger Hereingaben zu Eckbällen zu klären. Und siehe da: Nach einer solchen Ecke erzielte Pepe den Ausgleich (55.).
Der Ausgleichstreffer zwang die bis zu diesem Zeitpunkt absolut defensiven Uruguayer, etwas offensiver aufzutreten. Mit ihrem ersten richtigen Angriff der zweiten Halbzeit erzielten sie die erneute Führung (62.). Abermals war Cavani in dieser Szene auf die linke Seite ausgewichen und narrte damit die weit einrückenden Portugiesen.
Portugals Sturmlauf bleibt aus
In den letzten zwanzig Minuten lieferten sich die beiden Teams einen typischen K.O.-Runden-Kampf. Uruguay stellte das hohe Pressing völlig ein, das zuvor wenigstens ab und an Portugals Rhythmus unterbrach. Die Portugiesen wiederum stellten ihr Personal innerhalb der Formation mehrfach um: Qaresma (65., für Adrien Silva) kam für die Rechtsaußen-Position, Bernardo Silva rückte ins zentrale Mittelfeld. Mehr Spielstärke aus dem Rückraum sowie Dribblings von Qaresma sollten es richten. Tatsächlich belebte Qaresma das Spiel.
Andre Silva kam in der 74. Minute für Guedes und ging in die Spitze. Fernandes beackerte in den Schlussminuten die Sechser-Position und streute vermehrt Fernschüsse ein. Ansonsten blieb das Bild beim Alten: Portugals Mittefeldspieler dribbelten an. Uruguays Mittelfeldspieler rückten zurück und blockierten die Zuspielwege. Portugals Mittelfeldspieler spielen den Ball nach Außen. Flanke. Herausgeköpft. Und das Ganze von vorne. Schnelle Passfolgen über mehrere Stationen? Fehlanzeige.
In den Schlussminuten bließ Portugal zur totalen Offensive, schickte Innenverteidiger und zuletzt auch Torhüter Patricio in den Strafraum. Doch Uruguay verteidigte mit acht, neun Mann im eigenen Sechzehner. Sie hatten zu Spielende sogar noch gute Kontermöglichkeiten, als der eingewechselte Sanchez die hohe Rolle von Rechtsverteidiger Pereira attackierte. Doch auf beiden Seiten fielen keine Tore mehr.
Fazit
Nach Lionel Messi muss auch Cristiano Ronaldo vorzeitig die Heimreise antreten. Er blieb in den neunzig Minuten recht blass. Seine Versuche, in den linken Achterraum oder auf den Flügel auszuweichen und zu Dribblings anzusetzen, blockierte Uruguay mit zwei Mann. Ansonsten fiel seinem Team wenig ein, um das uruguayische Bollwerk zu knacken. Der beste Stürmer der Welt kann wenig ausrichten, wenn er keine Zuspiele erhält.
Uruguay vertraute ganz auf die eigene Defensive – und das nicht zu Unrecht. Uruguay blieb cool, selbst wenn sie am eigenen Strafraum eingekesselt waren. Die eigene Strafraumbesetzung war exzellent. Sie waren zudem clever genug, sich nicht von den portugiesischen Dribblings locken zu lassen. Auch wenn sie gerade kurz vor und nach der Halbzeit-Pause kaum Entlastung hatten in Form von Kontern: Diese Defensive dürfte durch ihre schiere individuelle Qualität und ihre Anpassungsfähigkeit auch im weiteren Turnierverlauf nur schwer zu bezwingen sein. Vielleicht finden ja die zukünftigen Ziegen Paul Pogba und Kylian Mbappe Mittel und Wege…
7 Kommentare Alle anzeigen
Gh 1. Juli 2018 um 13:09
Bei Uruguay hat man, denke ich, einen Aspekt ganz gut gesehen: die klare Aufgabenteilung und sehr gute Kommunikation führte dazu, dass alle gegangenen Wege „sinnvoll“ waren. Es kam nie Frust auf. Damit war die Laufbereitschaft auch sehr hoch. Motivation ist halt nichts, was man irgendwie verordnen kann oder als gegeben vorraussetzen kann, Motivation entsteht in sinnhaften Zusammenhängen, wenn man das Gefühl hat, etwas bewirken zu können.
Koom 2. Juli 2018 um 09:59
In einem Tippspiel stand ich vor der Frage Uruguay vs. Portugal. Ich finde beide ganz allgemein sehr ähnlich, habe dann aber doch klar für Uruguay getippt. Ronaldo vs. Suarez hebt sich „gegenseitig“ auf. Und nach Ronaldo kommt bei Portugal wenig, während Uruguay noch Cavani hat(te) und – mein Eindruck – als Team einfach auch einen Tick besser defensiv harmonierte.
tobit 2. Juli 2018 um 13:20
In der Schlussphase hatte Uruguay in der Organisation und Konsequenz etwas von PSG vor zwei Jahren gegen Barca. Eine überaus passende Ausrichtung gegen einen Gegner ohne Iniestas oder Messis Klasse im Zentrum, der sich dazu schnell auf Flanken-Gebolze verlegte.
Besonders die absichernden Bewegungen der äußeren Mittelfeldspieler passten sehr gut, auch zu den jeweiligen Spielertypen. Gerade mit Vecinos eher zwischen IV und LV fallenden Bewegungen hätte man einige gute Ausgangsstaffelungen für etwas kontrolliertere Angriffe (statt einfach möglichst schnell auf den Matador oder den Beißer zu bolzen) gehabt. Nandez fiel zwar relativ ähnlich zurück, aber meist nur als direkte Reaktion auf zugreifendes Rausrücken von Caceres. Da war es also fast mehr ein situatives Übernehmen der RV-Position hinter einem Zweikampf. Links war Laxalt eher mal etwas breiter vororientiert um bei Verlagerungen auf den breiten Dribbler (B. Silva bzw. Quaresma) schnell zugreifen zu können – auf der anderen Seite spielte ja zuerst ein verkappter Zehner und dann ein verkappter Stürmer, die eher enger und/oder tiefer positioniert waren, weshalb seltener in diese Richtung verlagert wurde.
Die Spielweise wurde sicherlich auch durch die sehr lockere Schiedsrichterlinie bevorzugt. Dadurch gab es sehr wenig Meckern und Auf-dem-Boden-Gewälze (was ich sehr angenehm fand). Da hätte es aber bei den meisten anderen SR mehr Karten und Freistöße um die Box gegeben, wo dann auch mal einer reinrutschen kann (selbst Ronaldo macht irgendwann mal nen Freistoß rein – oder es wird nach einer der gelegentlichen Festhalte-Probleme Musleras abgestaubt).
Man muss aber auch beiden Mannschaften das Kompliment machen, dass sie trotz kaum vorhandenem SR-Eingreifen nie überhart oder mit besonders vielen taktischen Fouls agiert haben. Viele harte Zweikämpfe, aber immer mit dem Blick für die Verletzungsgefahr – Fussball wie er sein sollte.
In der ersten Hälfte fand ich noch Cavanis Position sehr interessant, der da sehr regelmäßig und sauber als linker Zehner neben Bentancur agierte. Dabei schob er auch gelegentlich als LA mit nach hinten und Vecino konnte (in den da noch relativ dynamischen Angriffen der Portugiesen) eher innen bleiben oder mal zum tripeln rausschieben (statt wie später Laxalt allein zu balancieren) – das kam den Spielertypen sehr entgegen. Insgesamt wurden die Portugiesen dadurch früh nach außen geleitet und dann in der Folge zu ungefährlichen Flanken aus statischen Situationen eingeladen – Ein Traum für Godin, Gimenez und Caceres (dessen starkes Spiel gegen die etwas fluidere linke Seite Portugals im Jubel über Cavani und Laxalt etwas untergeht) im Strafraum.
Aliou Bob Marley Cisse 4. Juli 2018 um 16:40
Ich denke nur, wenn es ein Überraschungsmoment geben muss, oder ein Offensivfeuerwerk kommt, heben sich die konkreten Aufgabenverteilungen auf und man kann nicht mehr bei jedem Weg bestimmen, ob er nun sinnvoll ist-man geht ihn einfach. Das, was du ansprichst ist natürlich der Traum für jeden Idealisten, aber je offensiver und aufwendiger die Spielweise ist, desto weniger lässt sich bei dem Tempo über Motivationen nachdenken. Wo ich den Ansatz absolut verankert sah war Argentinien, wo diese Aufgaben anscheinend nicht immer ganz verteilt sah und das grundsätzlich von mir geliebte Mexiko, dass sich in permanenter Hyperaktivität übte, die als Selbstzweck eher den eigenen Verlust der Situation entstehen lässt.
David 1. Juli 2018 um 01:30
Ich bin mir recht sicher, dass der Mann „Caceres“ und nicht „Cacares“ heißt.
Positiv überrascht hat mich Laxalt, der dürfte auf sich aufmerksam gemacht haben.
tobit 1. Juli 2018 um 08:32
Und „Bentancur“ nicht „Bantancur“.
Laxalt war wirklich stark. Nach den ersten Umstellungen der Portugiesen war er defensiv erstmal etwas überfordert, stand oft allein gegen zwei. Später verteidigte dann wie angesprochen Vecino (und später Rodriguez) auf links deutlich breiter (und tiefer) und sicherte so seine aggressiven Mannorientierungen und Rausrückbewegungen ab. Dadurch hatte er einige Ballgewinne und konnte ein paar Mal den Ball behaupten und etwas nach vorne wühlen.
RadicalEd 1. Juli 2018 um 09:21
Wenn wir schon dabei sind, die richtige Schreibweise ist glaube ich auch: Quaresma, nicht „Qaresma“
Ansonsten stimmige Analyse. Laxalt war wirklich bärenstark.