Rollenspiele um die WM-Teilnahme
Kroatien schleppt sich in die Play-Offs. Modric und Co. lassen viel Potential liegen. Die Ukraine scheitert an Detailproblemen.
Kroatien und die Ukraine traten im Gruppenfinale der WM-Quali an, um den zweiten Platz hinter Island unter sich auszumachen. Die Kroaten hatten die Gruppe zunächst dominiert, in den vergangenen Partien aber viele Punkte gelassen und zuletzt gegen Finnland in letzter Minute noch ein 1:1 kassiert. Der Verband wechselte vor dem entscheidenden Spiel in Kiev den Trainer aus. Zlatko Dalic übernahm für Ante Čačić.
Die Partie ging durch unterschiedliche Phasen, was vor allem an der Pressinghöhe der Kroaten lag. Die Spielanlage beider Mannschaften ähnelte sich in weiten Teilen: Ein 4-4-2 gegen den Ball, ein nominelles 4-2-3-1 mit dem Ball, wobei aber vor allem die Achter viel abkippten. Beide versuchten den Ballbesitz für sich zu nutzen, doch hatten Mängel in taktischen Details.
Rakitic als tiefster Mittelfeldspieler
Kroatien startete nicht im 4-3-3, wie man bei einem Mittelfeldzentrum aus Badelj, Modric und Rakitic vielleicht erwarten könnte. Rakitic besetzte die Doppelsechs mit Badelj und Modric agierte davor. Das stellte sich als Irrtum heraus, besonders weil die Rollenverteilung noch mal seltsamer war: Bei Ballbesitz spielte Rakitic eine sehr aktive, gestaltende Rolle als tiefer Spielmacher und fiel sogar häufig zwischen die Innenverteidiger zurück.
Badelj hielt den Raum halblinks vor der Abwehr. Modric kippte entweder nach rechts auf seine Real-Madrid-Position oder versuchte die Angriffe am linken Flügel zu unterstützen, die zunächst Kroatiens gefährlichste Aktionen hervorbrachten. Auch Kramaric beteiligte sich an den wilden Rochaden im Mittelfeldzentrum vereinzelt, tauchte sogar als Sechser auf. Später besetzte der Hoffenheimer aber zunehmend die Spitze, was besser klappte und sogar das Spiel entschied.
Die Rochaden im kroatischen Aufbau funktionierten weitestgehend schlecht. Rakitics Aktionen und Läufe in den Offensivräumen fehlten, während er im tiefen Aufbauspiel wenig Akzente setzen konnte. Yarmolenko und Garmash hielten sich auf Höhe von Badelj. So konnten sie zusammen mit der Doppelsechs das Zentrum recht problemlos abschirmen. Badelj bekam kaum Bälle und Modric musste sehr tief zurückfallen um welche zu bekommen.
Dadurch hatte Kroatien kaum Präsenz in den zentral-offensiven Räumen, da auch Mandzukic sich primär in der letzten Linie aufhielt, Perisic breit spielte und Kramaric nur selten den Zwischenlinienraum suchte. Die Hauptfunktion von Rakitics Abkippen war letztlich, dass Lovren weniger aufbauen musste und Mitrovic quasi gar keine Bälle bekam. Ansonsten wurde dadurch hauptsächlich die Positionsstruktur beschädigt und Spieler in unpassende Rollen gedrängt.
Ukraine mit Herauskippen und falscher Neun
Auch bei der Ukraine kippte der nominelle Achter ab, während der Sechser die Position hielt, hier war das aber schlauer organisiert: Kapitän Rotan übernahm quasi die Kroos-Rolle und ähnlich wie bei der deutschen Nationalmannschaft entstand eine Raute im Aufbau. Wenn die Kroaten im 4-4-2-Mittelfeldpressing spielten, konnte Ukraine dadurch relativ problemlos den Ball halten. Etwas ungeschickt war jedoch, dass Rakitskiy, den man getrost als Weltklasse-Aufbauspieler bezeichnen darf, durch das Herauskippen auf seine Seite etwas blockiert wurde und nicht besonders viel Präsenz hatte.
Die Struktur nach vorne war auch eher „geht so“. Unorthodox waren dabei vor allem die Rollen der nominellen Stürmer. Yarmolenko spielte etwas überraschend als Zehner und die zweite Position wurde von Denys Garmash besetzt, der auch eher ein Zehner oder sogar Achter ist (zwei Tore in 30 Länderspielen). Dementsprechend verhielten sich auch beide: Das Sturmzentrum war selten besetzt, Garmash fiel oft in zentrale Mittelfeldräume zurück und Yarmolenko kam auch eher nach hinten oder kippte etwas nach außen auf seine angestammte rechte Position.
Marlos spielte auf der rechten Seite dafür diagonal und konnte ein wenig Präsenz in Sturmnähe erzeugen. Dadurch öffnete er auch etwas Raum für Yarmolenko, der dann ein paar gefährliche Aktionen von der Seite und aus dem Halbraum hatte.
Präsenter war aber die linke Seite. Konoplyanka kam dort recht oft in klare Duelle mit Vida und konnte sich einige Male durchsetzen und den Ball in den Strafraum bringen. Alles in allem waren die ukrainischen Angriffe aber nicht zwingend genug: Es fehlte an Präsenz zwischen den Linien und in der Spitze. Die Flanken hatten zu wenige mögliche Abnehmer und ansonsten gab es primär Distanzschüsse. Die grundsätzliche Struktur genügte jedoch, um das Schussverhältnis im ersten Durchgang klar zu dominieren.
Kroatische Dominanz steht und fällt mit dem Pressing
Das gelang den Ukrainern jedoch nur, solange sich Kroatien mit dem Pressing auf Höhe der Mittellinie zurückzog. Das taten sie nach einer dominanten Anfangsphase bis zur zweiten Halbzeit. Hierbei war es recht geschickt, dass sie strukturell leicht zum 4-1-4-1 tendierten: Mandzukic konzentrierte sich auf Stepanenko, der kaum Zuspiele bekam; nach links vorne konnte Modric herausrücken, nach rechts vorne Rakitic.
Die Flügelspieler verteidigten im tieferen Pressing aber sehr passiv und breit. Sie ließen sich von den ukrainischen Außenverteidigern vereinzelt sogar neben die Abwehr zurückdrängen und deckten ansonsten kaum die Halbräume ab. Dadurch bekam Kroatien im Mittelfeldpressing kaum Zugriff, sondern musste sich darauf konzentrieren, passiv die Räume zu versperren und zurückzuweichen.
Im Angriffspressing (oder hohen Mittelfeldpressing) funktionierte das deutlich besser: Hier rückten die Flügelspieler mit auf und unterbanden Pässe auf die Flügel. Modric und Rakitic schoben dann oft beide in Richtung des ballnahen Halbraumes und attackierten geschickt. Die Ukrainer versuchten einige Male, sich flach durch dieses Pressing durchzuspielen und kassierten frühe Ballverluste. Wenn die Ukrainer lange Bälle versuchten, führte das mangels Zielspieler meist zu Aufbausituationen für Kroatien.
Individuelle Aktionen entscheiden
Im zweiten Durchgang nutzten die Kroaten ihr hohes Pressing permanenter und waren etwas geduldiger in der Ballzirkulation. Zudem schienen die Kräfte bei der Ukraine etwas nachzulassen, die deshalb weniger Druck auf dem Flügel machen konnte und öfter an den eigenen Strafraum zurückfiel.
Entscheidend waren dann starke Hereingaben von Modric und Rakitic. Das 0:1 fiel aus einer klassischen Real-Madrid-Halbraumflanke. Modric versuchte diese ein erstes Mal, sammelte den abgeblockten Ball selber wieder ein und brachte ihn noch mal zum zweiten Pfosten rein. Geschickt zirkelte er den Ball auf Kramaric, der im Rücken seines Gegenspielers einköpfen konnte.
Das 0:2 entstand aus einem Freistoß nahe der Eckfahne. Der Freistoß konnte geklärt werden, Mitrovic bekam den Abpraller an der gleichen Strafraumecke wie Modric. Er spielte nach hinten in den Mittelkreis auf Vrsajlko, der brachte den Ball hoch in den selben Raum zurück, wo Rakitic frei war und mit dem ersten Kontakt volley und flach auf den zweiten Pfosten weiterleitete. Dort erreichte wiederum Kramaric den Ball am schnellsten.
Fazit
Bei einem Mittelfeldzentrum mit Badelj und Modric ist nicht so recht nachvollziehbar, wieso Rakitic der tiefste und präsenteste Aufbauspieler ist. Kroatien sollte die Rollenverteilung vor den Play-Offs in den Griff bekommen, um konstanter die große Qualität in der Offensive einsetzen zu können. Ansonsten ist das tiefere Pressing problematisch und das hohe Pressing vielversprechend. Das könnte auch für die zwei anstehenden Spiele noch ein entscheidendender Faktor werden. Diese werden kommende Woche in Zürich ausgelost.
1 Kommentar Alle anzeigen
tobit 10. Oktober 2017 um 15:57
Zur Aufbauraute der Ukrainer:
Was du da beschreibst sind doch genau die Probleme der Deutschen, weil Hummels und Kroos aus den selben Räumen heraus agieren, wenn sie gut eingebunden sind. Vorteil Deutschlands ist dann natürlich Boateng, der dadurch halbrechts sehr fokussiert werden kann.
Gegen Aserbaidschan sah man diese Aufbauraute in der zweiten Hälfte auch einige Male, aber seitenverkehrt. Kimmich gab den Kroos, Rüdiger den Hummels und Ginter spielte eine noch aggressiver aufrückende Rolle als zuletzt Boateng. Insgesamt also sowohl in der Ausgangsstaffelung, als auch im späteren Verlauf symmetrischer als mit der Stammbesetzung. Das dürfte auch an Can gelegen haben, den man damit weitesgehend aus dem Spiel nehmen konnte.
Die Dortmunder Halbraumrauten sind zwar auch sehr ähnlich – du wolltest aber wohl eher den Deutschland-Artikel „Raute, diagona, Tor“ verlinken, hab ich recht?
Zu Kroatien:
Könnten die nicht auch eine ziemlich gute Aufbauraute spielen? Lovren halblinks als etwas offensiverer IV (der ist im Aufbau doch ganz ordentlich, wenn ich mich richtig erinnere), Modric halbrechts in seiner Real-Rolle, Badelj als perfekter Sechser; Rakitic und Kramaric driften davor durch die Zwischenräume; Mandzukic und Perisic beschäftigen die letzte Linie oder lassen sich gelegentlich etwas zurückfallen; Vrsjalko und Vida (was ist mit Srna? Hat der aufgehört?) wären auch passende, offensive AV.