Deutsche U21 mit Halbraumfokus ohne Balance

2:0

Ballbesitzfußball und Halbraumfokus mit etlichen Kreativspielern? Klingt erst mal gut. Die deutsche U21 hatte aber trotzdem große Probleme, ihr großes Potential zu entfalten.


Die deutsche U21-Auswahl ist erfolgreich in die Europameisterschaft gestartet. Trainer Stefan Kuntz hat sich einen Kader zusammengestellt, mit dem taktisch so ziemlich alles denkbar, möglich und durchaus auch realistisch ist. Zum Start gab es keine Dreierkette, aber das 4-2-3-1-System wurde interessant interpretiert.

Tschechisches Angriffspressing

U21 GER CZE

Zunächst hatten die Deutschen aber Probleme, gegen den Nachbarn ins Spiel zu kommen. Die Tschechische Republik setzte auf ein 4-3-3-System, in dem Serie-A-Shootingstar Patrik Schick die Sturmspitze gab. In der Anfangsphase spielten sie dieses ziemlich offensiv und stellten Deutschland hoch zu.

Zu diesem Zweck bewegte sich ein Achter – meist Sevcik rechts – aus der Formation nach vorne und klemmte sich an den zweiten Innenverteidiger. Es entstand ein 4-1-3-2-Angriffspressing, welches naturgemäß schwer zu bespielen war, zudem sich die Flügelspieler gut beteiligten. Deutschland eröffnete oft hoch und lang.

Trotz Sturmtank Davie Selke bekam die DFB-Elf aber selten die langen Bälle unter Kontrolle und überzeugte auch im Spiel auf zweite Bälle nicht. Die Mannschaft wirkte nicht aggressiv in den ersten Sekunden nach Abprallern und ließ den gegnerischen Mittelfeldspielern Zeit, den Ball zu kontrollieren.

Kompaktheitsprobleme im Zentrum

Zudem hatte die Mannschaft über die Mannschaftsteile hinweg mit Kompaktheitsproblemen zu kämpfen. Die Räume in Ballnähe wurden etwas zögerlich zugeschoben und die Abwehr orientierte sich oft zu stark nach hinten. So hatte Tschechien recht oft genügend Raum und Zeit, um zweite Bälle in die Angriffsreihe zu spielen und dadurch die Anfangsphase ausgeglichen zu gestalten.

Mit Arnold und Dahoud wählte Kuntz zudem zwei sehr offensivstarke Spieler für die Doppelsechs, die sich dementsprechend auch eher nach vorne orientierten, sodass der Raum zwischen den Linien öfter zu groß wurde. Diese Gesamtanlage der Defensive wirkte durchaus problematisch, auch weil beide Sechser ihre Stärken eher in kompakten Szenen haben und in unkompakten Szenen keine sehr guten Balleroberer sind.

Tschechien konnte die Situationen aber nicht effektiv nutzen, da sie im Angriffsverlauf zu hektisch agierten. Insbesondere verwendeten sie zu viel Personal darauf, in Ballnähe anspielbar zu sein und Ballverluste zu sichern bzw. zweite Bälle zu holen. Dadurch hatten sie oft die vier bis fünf höchsten Spieler auf geringem Raum beisammen mit sehr wenig Breite – da die Außenverteidiger tief blieben – und kaum Bewegung in die Tiefe, da die Angreifer sich eher zum Ball bewegten.

Alle Künstler nach halblinks!

Nach etwa 20 Minuten kam die deutsche Mannschaft aber immer besser ins Spiel und vor allem in ihr Spiel: Tschechien zog sich weiter zurück und die DFB-Elf bekam mehr Ballbesitz und viel mehr Kontrolle im Mittelfeld. Nun entwickelte sich das erwartete Spiel.

Am interessantesten dabei war die Zusammenstellung und Rollenverteilung der Offensivkräfte. Die offensiv besetzte Doppelsechs hatte eine klare Aufgabenverteilung: Arnold als tiefer Spielmacher zentral vor der Abwehr, Dahoud eher als Achter mit vielen Freiheiten. So rückte er auf der halblinken Seite oft nach vorne. Auch Gnabry bewegte sich links frei von seiner Position weg und Meyer wich nicht etwa nach halbrechts aus, sondern ging meistens mit in diese Ballungszone rein.

So fokussierte sich Deutschland massiv auf den linken Halbraum. Das unterstützten auch Gerhardt und Selke. Der Stürmer bewegte sich mit nach links und band meist die Verteidiger über diesem Raum. Der Linksverteidiger spielte sehr offensiv, um für Gnabry Breite zu geben. Auf der anderen Seite spielten Weiser und Toljan eher linear und balancierend. Weiser sorgte zunächst für Breite und attackierte dann immer wieder den Strafraum. Toljan sicherte die rechte Seite vor allem gegen Konter ab und rückte dafür gelegentlich auch etwas in die Mitte, beteiligte sich aber kaum am Offensivspiel.

Spacing und Balance zwischen den Zonen schwierig

So fiel das 1:0 dann auch aus einer solchen Ballung halblinks, die es Meyer ermöglichte, im Strafraum das Eins-gegen-Eins zu suchen. Allerdings war diese Szene sehr ungeordnet, da sie aus einer Ecke resultierte. Aus dem Spielaufbau heraus hatten die Deutschen durchaus Probleme, die interessante Spielanlage auch effektiv umzusetzen. Meyer, Gnabry und Dahoud konnten ihre Bewegungen nicht so recht koordinieren. Zudem verteidigte Cerny sehr diszipliniert die Vorstöße von Gerhardt und Travnik schob gut hinter Soucek ein.

Besonders Dahoud kam nicht so recht ins Spiel und schien nicht so recht zu wissen, wie er aufrücken sollte, wenn bereits zwei Spieler vor ihm den Raum besetzen. Es fehlte ein Spieler, der aus dieser Zone auch mal herausgeht, um sie für die einrückenden Spieler zu öffnen. Zudem war es nicht möglich, den halblinken Raum durch das Spiel über halbrechts zu öffnen, weil halbrechts halt keiner war. Das führte im zweiten Durchgang dann einige Male dazu, dass Stark einfach mit dem Ball durchmarschieren konnte.

Wenig Kontrolle gegen Tschechiens 4-4-2

Das recht banale 2:0 durch Gnabry führte dann dazu, dass die Tschechien wieder mehr Risiko gingen. Mit Barak kam ein zweiter Stürmer für Achter Sevcik, sodass das System zum 4-4-2 wurde; durch die Rollenverteilung zwischen Soucek und Travnik aber sehr zum 4-1-3-2 tendierte. Es gab wieder Angriffspressing, die innenverteidiger wurden zugestellt, Pollersbeck musste oft mit langem Ball eröffnen.

Durch die beiden Spitzen konnte Tschechien nun auch mehr aus der Offensivpräsenz und den zweiten Bällen machen. Sie hatten mehr Druck auf die letzte Linie und spielten auch die Angriffe tororientierter und riskanter, zudem schalteten sich die Außenverteidiger nun mit nach vorne ein. So hatten sie gute Chancen auf den Anschlusstreffer. Die deutsche Auswahl wackelte stark und bekam diese risikoreiche Herangehensweise defensiv nicht in den Griff; die Einwechslung von Gideon Jung für Dahoud stabilisierte zumindest ein wenig.

Allerdings konnte Tschechien seine Angriffe nicht balanciert gestalten: Nach Ballverlusten waren die Mittelfeldräume schlecht besetzt und Deutschland kam leicht zu hochgefährlichen Konter, unter anderem ein 3-gegen-1-Konter. Allerdings spielten sie diese Angriffe nicht gut zu Ende und verpassten die Vorentscheidung.

Fazit

Grundsätzlich hat die deutsche U21 eine gute Spielanlage und ist taktisch sehr interessant aufgestellt. Noch gibt es aber viele Baustellen. Die Elemente der Offensive greifen nicht so recht ineinander und gegen hohes Pressing ist man zu instabil. Es dürfte sehr spannend werden, wie diese Mannschaft sich noch entwickelt.

Mit Kehrer, Philipp, Amiri, Jung, Haberer, Kohr, Klünter oder Öztunali gibt es viel bundesligaerfahrenes Personal auf der Bank und vor allem sehr vielseitige Spieler, mit denen taktisch einiges möglich ist. Dreierkette kennt die Mannschaft bereits und auch viele Spieler aus dem Verein. Kuntz hat alle Möglichkeiten. Umso schwerer, die richtige zu finden?

Josef 24. Juni 2017 um 22:23

Scheint, als hätte man im italienischen Trainerteam eure Analyse gelesen und beherzigt, im deutschen jedoch leider nicht.

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