Wende in Halbzeit zwei
Schalke 04 und RB Leipzig trennten sich am Sonntag 1:1. Nach einer druckvollen ersten Halbzeit waren die Sachsen im zweiten Durchgang ungefährlicher in der Offensive. Wie kam es dazu?
Grundformationen
Etwas überraschend setzte Schalke auf ein 4-4-2 gegen das Leipziger 4-4-2. Quasi-gespiegelte Formationen gegen den Tabellenzweiten sind normalerweise keine gute Idee.
Trainer Markus Weinzierl wollte wahrscheinlich mit Klaas-Jan Huntelaar und Guido Burgstaller zwei robuste Sturmspitzen aufbieten, die mit langen Bällen gefüttert werden konnten. Zusätzlich agierte Max Meyer als horizontal pendelnder Linksaußen, während Daniel Caligiuri auf der rechten Seite breit blieb.
Bei RB Leipzig gab es keine personellen Überraschungen. Die Sachsen traten mit der bestmöglichen Startaufstellung an. Diego Demme und Naby Keïta besetzten die Doppelsechs. Marcel Sabitzer und Emil Forsberg kamen nominell über die Flügel. Timo Werner und Yussuf Poulsen waren im Sturmzentrum positioniert.
Interessant am Verlauf der Partie war, wie Leipzig in der ersten Halbzeit einige gute Torchancen produzierte und nach dem Gegentor kurz nach der Pause keinen Zugang mehr zum Tor der Schalker fand. Die ExpG-Grafik verdeutlicht diesen Spielverlauf. Insofern möchte ich etwas Ursachenforschung betreiben.
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— 11tegen11 (@11tegen11) 23. April 2017
Erste Halbzeit
Im Spielaufbau der Hausherren kippte Nabil Bentaleb oftmals zwischen die beiden Innenverteidiger, was jedoch Benjamin Stambouli als einzige Anspielstation im Zentrum der zweiten Linie zurückließ. Viele Anspiele gingen direkt auf die beiden Sturmspitzen oder in den Zwischenlinienraum vor Leipzigs Abwehr, in den gerade Meyer vermehrt einrückte, wodurch Sead Kolašinac Breitegeber auf der linken Seite war.
Zunächst hielt Leipzigs erste Pressinglinie etwas Abstand zur Aufbaureihe der Schalker. Das Sechseck formierte sich um Stambouli, welcher situativ auch von Keïta in Manndeckung genommen wurde. Ein Quer- oder Rückpass der Schalker Aufbauakteure war das Signal für Leipzigs Pressing zum Aufrücken. Oftmals schob Sabitzer in Richtung Holger Badstuber, während sich Bernardo Kolašinac annäherte. Forsberg agierte auf der anderen Seite etwas flexibler, was sicherlich auch mit der Positionierung Cokes und Caligiuris zu tun hatte. Denn Linksverteidiger Marcel Halstenberg musste gegen den Rechtsaußen der Schalker tiefer bleiben, weshalb Forsberg nicht einfach Benedikt Höwedes anlaufen konnte.
Das angesprochene Signal in Form eines Schalker Passes führte situativ auch zum Durchpressen auf Torhüter Ralf Fährmann. Insbesondere Poulsen tat sich mit einigen intensiven Läufen hervor – entweder frontal auf Bentaleb/Fährmann oder auch von innen auf Badstuber zum Beispiel. Der Leipziger Stürmer forcierte damit den langen Schlag der Schalker, der in der Regel sowieso erfolgt wäre, aber durch das Verringern der Entscheidungszeit womöglich hier und da etwas ungenauer gespielt wurde.
Auffällig in Leipzigs Defensivarbeit waren die kleinen gruppentaktischen Schwächen beim Verteidigen von Flügelangriffen, die auch schon bei einer vorangegangenen Analyse zum Auswärtsspiel in Darmstadt angesprochen wurden. Im Speziellen die Abstimmung zwischen Bernardo und Sabitzer funktionierte nicht immer reibungslos. Gewiss verhielten sich Kolašinac und Meyer im Zusammenspiel clever und taten dies auch bis zur Auswechslung Meyers kurz vor Spielende: Oftmals schob eben jener nach innen, zog Bernardo mit sich und öffnete die Bahn für Kolašinac. Oder der Linksverteidiger der Schalker vorderlief, während Meyer außen andribbelte. Aber selbst wenn beide nur im kleinräumigen Kombinationsspiel ins letzte Drittel vorstießen, hatten Sabitzer und Bernardo gelegentlich Schwierigkeiten dies zu unterbinden und die richtigen Übergabe- und Attackenmomente abzupassen.
Bauten die Leipziger selbst das Spiel auf, so stand Schalke grundsätzlich in einem 4-4-2. Allerdings wurde diese Grundordnung situativ verformt, wenn ein Sechser der Königsblauen auf das Einrücken Forsbergs reagierte und sich hinter seinen Nebenmann zurückfallen ließ. Dies wiederum kreiert mehr Raum für den offensiveren Leipziger Sechser in der jeweiligen Situation. Zumeist kippte ein Sechser von RBL zwischen die Innenverteidiger.
Ein gängiges Muster: Ein Querpass von eben jenem abgekippten Sechser sollte einen Außenstürmer der Schalker anlocken, damit dieser herausschob. Die schnelle Weiterleitung auf den Leipziger Außenverteidiger öffnete Raum im Rücken des Schalker Außenstürmers. Der Ball wurde anschließend nach innen auf Werner oder Poulsen gespielt, während Forsberg – natürlich vor allem bei Linksangriffen – in die äußere Schnittstellen vorstieß und den direkten Tiefenpass erhalten sollte.
Ergaben sich weniger Räume für Leipzigs Kombinationsspiel aus dem offenen Aufbau, so erfolgten oftmals Pässe auf Poulsen oder auch Werner und es wurde der Versuch unternommen, auf die nachstoßenden Forsberg und Sabitzer abzulegen und entsprechend Tempo zu erzeugen. Strategisch ähnelte dies dem Ansatz, den Werder Bremen im Moment verfolgt. Durch ständiges und frühzeitiges Attackieren der gegnerischen Abwehrreihe sollte diese an Kräften einbüßen. Gleichzeitig konnte man Schnellangriffe initiieren, ohne einen Ballgewinn erzielt zu haben.
Bis zum Ende der ersten Halbzeit wurden unterdessen kleinere Veränderungen im Schalker Offensivspiel offensichtlich: Die Königsblauen versuchten vermehrt über schnelle Verlagerungen in der tiefen Passzirkulation den ersten Leipziger Block zu umspielen und einen freien Passweg zu Meyer zu schaffen, welcher dann wiederum aus dem linken Halbraum heraus den Flügelangriff von Kolašinac vorbereiten konnte. Auf der rechten Seite wurde derweil Coke aufgrund seiner leicht höheren Positionierung stärker eingebunden. Einige Diagonalbälle erfolgten in den Rücken Forsbergs.
Zweite Halbzeit
Die taktischen Ansätze beider Teams veränderten sich während des Pausentees nicht. Leipzig nutzte weiterhin gegnerische Querpässe als Pressingsignal für die Stürmer und den ballnahen Außenstürmer. Im eigenen Aufbau war vor allem Demme in der ersten Linie aktiv. Situativ kippte der starke Sechser auch mal nach links heraus und dribbelte von dort aus die Schalker Reihen an. Pässe in das besetzte Zentrum erwiesen sich jedoch als problematisch.
Denn die Schalker Kompaktheit erschien etwas höher als in der ersten Halbzeit. Die erste Reihe stand leicht tiefer. Es wurden infolge von Pässen zum breiten Innenverteidiger oder Außenverteidiger Leipzigs gute Diagonallinien bestehend aus drei Schalkern erzeugt. Die Königsblauen standen mit ihrer Formation in Gänze etwas tiefer, wodurch bei einem Anspiel Leipzigs in Richtung Abseitsgrenze die Distanz zum Sechzehner beziehungsweise zum Tor geringer und zugleich der Zwischenlinieraum kleiner war. Bentaleb und Stambouli verdichteten gut, wenn Forsberg oder Keïta durch die Mitte gingen. Rückwärtspressing und das Zusammenspiel zwischen Sechsern und Innenverteidigern stabilisierte die Zwischen- und Endverteidigung der Hausherren.
Leicht unpräzise Pässe auf Seiten der Leipziger führten nun eher zum Abbruch eines Angriffs, als dass sie wie noch in der ersten Halbzeit in den offenen Räumen im zweiten und letzten Drittel eine Beschleunigung verursachen konnten. Bei knapp 57 Prozent Ballbesitz in der zweiten Halbzeit hatten die Sachsen einige Versuche aus dem offenen Aufbau heraus. Vereinzelt erschien es vielversprechender, wenn kein Abkippen aus dem Sechserraum gegen den tieferen ersten Schalker Block erfolgte und stattdessen der Torwart mit eingebunden wurde. Somit waren zwei Optionen im Sechserraum vorhanden und Keïta konnte entsprechend an den Ball gelangen, um seine Dribblings zu starten. Aber das angesprochene Verdichten der Schalker Linien vereitelte mehrfach den finalen Durchbruch der Gäste.
In der Schlussphase der Partie war der Rhythmus der RBL-Angriffe deutlich niedriger als noch in Teilen der ersten Halbzeit. Eine personelle Umstellung nahm Ralph Hasenhüttl vor, als er in der 77. Minute Stefan Ilsanker für Forsberg einwechselte und Keïta auf die rechte Seite beorderte, von wo aus der 22-Jährige seitlich in die Schalker Verteidigung dribbeln konnte.
Fazit
Aufgrund des Unentschiedens von Bayern München gegen Mainz 05 hatte Leipzig noch eine Minimalchance, das Titelrennen in der Bundesliga mit einem Sieg auf Schalke neu zu eröffnen. Immerhin empfangen die Sachsen am vorletzten Spieltag noch den FC Bayern, der sich in den letzten Wochen ergebnistechnisch schwer tat. Und zunächst wirkten die Leipziger auch wie die bessere Mannschaft im Duell mit Königsblau. Die ersten Minuten waren geprägt von einem hohen Rhythmus und untermauerten die Dynamik der RBL-Offensivabteilung.
Doch spätestens in der zweiten Halbzeit nahm der Druck von Seiten der Gäste etwas ab, was nicht nur mit einem etwaigen Intensitätsabfall oder Ideenlosigkeit zu tun hatte, sondern zumindest partiell auf Schalkes leicht angepasstes Verteidigungsschema zurückzuführen war. Weinzierl änderte makrotaktisch nichts, aber justierte leicht an den Linienhöhen, was allein schon die Gefährlichkeit der geplanten Leipziger Tempoangriffe verringerte.
4 Kommentare Alle anzeigen
DO 26. April 2017 um 16:10
Warum ist eine quasi-gespielte 4-4-2-Formation gg RBL „normalerweise“ keine gute Idee?
Daniel 26. April 2017 um 17:24
Auch wenn ich nicht CE bin und nicht genau weiß, was ihm da durch den Kopf ging: Eine gespiegelte Formation ist im eigenen Aufbau prinzipiell schon nicht ideal, da die Zuteilung für den Gegner extrem einfach ist und jeder Gegner einen „natürlichen“ Gegenspieler hat. Die verteidigende Mannschaft wird also kaum mit Übergabeproblemen und ähnlichem konfrontiert.
Gegen Leipzig würde ich das als besonders problematisch ansehen, weil das Stören des gegnerischen Aufbauspiels ohnehin schon ihre große Stärke ist und sie das gezielt zu fokussieren versuchen. Zudem versucht Leipzig stark, den Gegner im Pressing auf eine Seite zu lenken und ihn dort festzunageln. Im 4-4-2 ist es dann ziemlich schwer, diese Pressingsituation aufzulösen. Spielt beispielsweise der Innenverteidiger einen Ball zum Außenverteidiger, so wird Leipzigs ballnaher Stürmer den AV von hinten pressen und den Passweg zurück zum IV schließen, der ballferne Leipziger Stürmer stellt den eigenen Sechser zu und der Leipziger Flügelspieler läuft den AV von vorne an und verhindert einen Vertikalpass. Jetzt hat der angespielte AV eigentlich nur noch sehr schwierige Optionen. Im 4-3-3 mit zwei Achtern zum Beispiel gibt es in der Mitte einen Spieler mehr, der dann in den ballnahen Halbraum rücken und den gepressten Außenverteidiger unterstützen kann.
CE 27. April 2017 um 10:22
Du hast es eigentlich schon sehr gut auf den Punkt gebracht: In einem Mannorientierungsduell würde Leipzig die meisten Teams überpowern. Leipzig würde ballferne Spieler dann zudem situativ missachten und etwas stärker verdichten, sähe sich aber nicht mit Überladungen in irgendeiner Zone konfrontiert. Diese braucht es jedoch gegen RBL.
Flo Kno 26. April 2017 um 23:06
„Normalen“ Teams mangelt es halt an der Qualität das so zu spielen.