Blick über den Tellerrand – Folge 41

Der Blick über den Tellerrand richtet sich vor allem auf die Trainerpersonalien einiger Zweitligisten. Außerdem in der Betrachtung: Twentes Mittelfeldspiel und ein „verspätetes“ Talent aus Südamerika.

Interessant zu beobachten: Neue Trainer bei Bielefeld und 1860 München

blick über den tellerrand 41 dsc-1860Zwei Teams aus dem unmittelbaren Abstiegskampf der 2. Bundesliga duellierten sich am Freitagabend – beide jeweils mit neuen Trainern, die einen schon seit etwas längerer Zeit, die anderen ganz frisch. Die Hausherren konnten in der siebten Partie unter dem neuen Coach den dritten Sieg einfahren und sich näher an die Gäste heran schieben, die – nach den Problemen unter Kosta Runjaic – den Posten auf der Trainerbank zur Winterpause neu besetzt haben.

Bei den Bielefeldern merkt man nun mittlerweile schon, dass Jürgen Kramny die Verantwortung für das Team übernommen hat. Insgesamt macht sich die etwas offensivere und auch riskantere Herangehensweise des vormaligen Stuttgarter Coaches durchaus bemerkbar. Das äußert sich immer deutlicher in einer hoch angelegten Angriffsreihe mit viel Präsenz in der vordersten Linie: Im Grunde genommen waren diesmal sogar drei nominelle Stürmer hinter Fabian Klos aufgeboten. Diese Anordnung bespielten die Gastgeber mit vielen längeren Bällen, für die situativ Voglsammer und Nöthe eng und hoch einrücken konnten.

Ein zweites wichtiges Merkmal betraf abermals die Rollen der Sechser: Hatte auf diesen Positionen zu Saisonbeginn das passive Freilaufverhalten Probleme gemacht, unternehmen die dortigen Akteure nun lange und aggressive Diagonalläufe nach vorne. Sie bieten sich sowohl im Übergangsspiel durchs zweite Drittel als auch später in den Angriffszonen mit klugen Bewegungen in Aufrückfreiräume oder die Schnittstellen an, lauern teilweise auch auf Ablagen nach langen Bällen. Gerade Junglas kommt das in den höheren Bereichen sehr entgegen, während Neuzugang Yabo diesmal noch gewisse Probleme in der Rolle hatte und als ballschleppender, ausweichender Zehner passender erscheint.

So kam dieses Element der Vorwärtsläufe gegen die Sechziger weniger zum Tragen als sonst. Unweigerlich zu der recht angriffslustigen Einbindung der defensiven Mittelfeldspieler gehört auch das Risiko, das diese aggressiven Vorwärtsläufe mit sich bringen: Probleme mit der Absicherung. Zumal durch die hohe Ausrichtung der Offensivkollegen – bisher sollte Prietl als Zehner das auch etwas balancieren – bleiben teilweise größere Räume im Mittelfeld offen. Grundsätzlich kann man die etwas vertikaler angelegte Spielweise auch im Pressing erkennen, in Form längerer Herausrückbewegungen der Sechser. Da das Grundsystem ansonsten aber auf viele ähnliche Elemente wie zuvor aufbaut, sind die Änderungen hier nicht so gravierend.

Im Grunde genommen kann man die Veränderung plakativ einfach an den reinen Zahlen und Statistiken illustrieren: Unter Kramny stieg der Schnitt bei den Toren pro Spiel von 1,0 auf 1,57, während die Gegentore zwar etwas zurückgingen, aber weiter bei 1,71 pro Spiel (vorher 1,83) liegen. Besonders passend ist einfach die Ergebnisverteilung: In den zehn Partien unter Rüdiger Rehm blieb man zwar ohne jeden Sieg, hatte aber recht viele Remis, so dass die Quote der Niederlagen unter Kramny sogar angestiegen ist. Doch auch wenn man relativ gesehen „häufiger“ verliert: Unter dem neuen Coach gab es nun wiederum noch gar keine Punkteteilung, aber dafür mehrere Siege – also nur „Hop oder Top“ bisher.

Vom Namen her haben die Münchener Löwen mit ihrem neuen Trainer Vítor Pereira einen Coup gelandet. Der Portugiese trainierte in der jüngeren Vergangenheit schon Porto in seiner Heimat und Olympiacos in Griechenland, wurde mit beiden Meister und hat schließlich noch vor etwa einem halben Jahr mit Fenerbahce Champions-League-Quali gespielt. Im deutschen Fußball-Unterhaus versucht er sich nun mit einem keinesfalls alltäglichen 3-4-3/5-2-3, das gegen den Ball als Fünferkettenformation interpretiert wurde. Schon die positionelle Besetzung wirkte in der – mit vielen neuen Spielern fast schon neu zusammengestellten – Mannschaft unorthodox. Gerade in der Dreierkette wurde mit der Aufstellung eher unsauberer Aufbautypen viel Potential vergeben.

Vor allem Boenisch ist als Halbverteidiger eine für Struktur und Rhythmus schwierige Wahl, mittig agierte der von Porto geliehene Abdoulaye Ba zwar rational, aber auch recht unfokussiert und wurde kaum gezielt eingebunden. So hatte die Dreierlinie wenig Effekt – was dann ärgerlich ist, weil dann gleich drei Leute potentiell weiter vorne fehlen. Überraschend war in der nächsten Linie die Aufstellung Witteks als inverser rechter Flügelverteidiger. Zwischen den beiden äußeren Akteuren gab es bei den Sechzigern eine klare Asymmetrie: Lumor rückte breiter und unaufälliger – teilweise etwas zu simpel – auf, während der engagierte U-Nationalspieler anzukurbeln versuchte und mit seinen diagonalen Dribblings einige vielversprechende Ansätze prägte.

Diese Asymmetrie setzte sich dann passend bei den unterschiedlichen Einbindungen von Amílton und Olic in der Sturmreihe fort: Ersterer, ein weiterer Neuzugang und mit seinen Dribblings potentiell gerade als Konterspieler sehr gefährlich, agierte breiter und lauerte – trotz einzelner ballschleppender Aktionen – doch primär auf schnelle Verlagerungen und Seitenwechsel. Demgegenüber schaltete sich der arbeitsame Kroate neben manchen Vorstößen ins Sturmzentrum sehr häufig in etwas tieferen Zonen ein und sammelte dort zahlreiche Ballkontakte. Jedoch band er sich bisweilen etwas zu präsent ein und forderte dann auch mal Bälle in unpassenden Situationen oder in zu seitlichen Räumen.

Das Spiel zwischen den beiden Mannschaften – jeweils etwas wild und ungestüm in ihren Stilen – war geprägt von den jeweiligen Versuchen der Bielefelder, sich auf das spezielle gegnerische System einzustellen und einen Umgang damit zu finden. Gegen die Fünferkette mit ihrer stabilen Breitenabdeckung und ihrer hohen Präsenz kamen die Flügelangriffe und die langen Bälle der Hausherren insgesamt eigentlich nicht so gut zum Zuge, auch wenn der Treffer zum 1:0 genau aus einem solchen längeren Zuspiel samt Ablage resultierte. Gefahr entstand vor allem punktuell über den klaren Linksfokus der Arminen, die dort Schuppan – auch zum Einsammeln von losen Bällen – sehr hoch und Yabo aggressiv für Überladungen nach außen schoben. In den Schnittstellen der Dreierkette konnte es so gelegentlich brenzlig werden.

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Grobe Darstellung der Bielefelder Asymmetrie und des weiträumigen Herausrückens von Schütz halbrechts, insbesondere in Halbzeit zwei. Vorne orientierte sich die erste Reihe lose an den gegnerischen Aufbauspielern: Nöthe zwischen Boenisch und Wittek, Klos vorne, Brandy häufig quasi gegen Udoukhai.

Nach der erneuten Bielefelder Führung durch eine Standardsituation lief es eigentlich in der kompletten zweiten Halbzeit auf die Situation heraus, dass die Löwen aus ihrem Aufbau heraus gegen zurückgezogene Gastgeber anspielen mussten. Auf die drei Aufbauverteidiger reagierten die Bielefelder grundsätzlich mit eher tiefen Positionierungen ihrer Außenstürmer, die primär die Passwege auf die gegnerischen Flügelläufer zustellen sollten. Jedoch wurde das Gebilde etwas asymmetrisch gehandhabt, da sich Voglsammer rechts deutlich weiter zurückzog, teilweise Lumor verfolgte und – potentiell sowohl ballnah wie ballfern – in die Abwehrlinie neben Görlitz zurückfiel. Dadurch entstand im Raum vor ihm auf Mittelfeldhöhe ein Loch, das zunächst durch den aufgedrehten und sich etwas nach außen bewegenden Brandy, später dann aber häufiger auch von einem der Sechser gefüllt werden sollte.

Wenn sich bei den Löwen etwa Adlung, später auch häufig der eingewechselte Liendl, im tiefen Halbraum etwas nach außen neben die erste Bielefelder Pressinglinie zurückfallen ließ, rückte Schütz – seltener Yabo – weiträumig diagonal vor, samt nachziehendem Deckungsschatten mit. Das war insgesamt etwas riskant angelegt und mit gewissen Instabilitäten versehen, konnte von den nach der Pause dominanten, aber praktisch nie zwingenden Löwen nicht wirklich ausgenutzt werden. Um eine stabile, aggressive Ballzirkulation aufzuziehen, fehlte es noch an Abstimmung zwischen der ersten Linie, dem Freilaufen der Sechser und dem eher simplen Aufrückverhalten in den Flügelzonen.

Weiter vorne agierten die drei nominellen Stürmer zwar sehr flexibel, konnten durch abwechselndes Einrücken einige längere Bälle festmachen, aber waren doch weitgehend vom defensiven Mittelfeld abgeschnitten. Am gefährlichsten wurden schnelle Verlagerungen auf Amílton samt scharfen Hereingaben. Jedoch wurde dieses Muster teilweise zu sehr fokussiert: In manchen Szenen verpassten die Kollegen bei der starken Konzentration auf den brasilianischen Neuzugang die alternative Entscheidung, zumal dieser später auch zu sehr den frühen Ball in den Strafraum erzwingen wollte und seine verzögernden Dribblings zu selten nutzte. Letztlich hielt das Bielefelder 2:1 aus dem ersten Spielabschnitt daher – trotz seltener Entlastungsmomente – bis zum Schluss.

Interessant zu beobachten: Twentes Mittelfeldspiel

Über die letzten Jahre hinweg wurde das Spiel des FC Twente sehr stark von der Führungsfigur Hakim Ziyech geprägt. Nachdem der Spielmacher, auf den sich der ganze Verein zu fokussieren schien, der bei jedem Transferfenster schon „fast weg“ war und dann doch letztlich noch da blieb, im vergangenen Sommer tatsächlich Ende August wirklich doch noch den Verein in Richtung Ajax verließ, war es an der Zeit zur Emanzipation. Die Einbindung Ziyechs war stets eine sehr ambivalente Angelegenheit gewesen, und gerade im Feldzentrum verfügten die Westniederländer neben ihrem Superstar eigentlich immer auch über weitere spielstarke Akteure.

Auch wenn der notwendige Schnitt nicht so gravierend würde sein müssen wie teilweise dargestellt, versprach die weitere Entwicklung in der mannschaftlichen Struktur Twentes sehr interessant zu werden. Etwa ein halbes Jahr später kann man ein zwar verhaltenes, aber insgesamt doch positives Zwischenfazit ziehen. Derzeit präsentiert sich das Mittelfeldspiel des Teams von Trainer René Hake als recht flexibel. Eine wichtige Figur für die Roten ist Neuzugang Mateusz Klich geworden, der früher schon bei PEC Zwolle eine herausragende Zeit in der Eredivisie hatte. Zum flexiblen Mittelfeld gehörte damals auch Kamohelo Mokotjo – nun sind die beiden bei Twente wieder vereint.

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Besetzung und Aufbauformation Twentes aus den letzten Spielen (gegen einen durchschnittlichen, mannorientierten 4-4-2-Gegner). Klich bildet situative Dreiecke mit den Innenverteidigern, wenn man die gegnerischen Stürmer isoliert bespielen kann.

Grundsätzlich kann man – in der tendenziell 4-2-3-1-haften Systematik gibt es aber oft wechselnde Anordnungen – von Klich als tiefstem Sechser und Mokotjo in einer Zwischenposition zum Zehner hin sprechen. Der Pole bewegt sich geschickt im Sechserraum und bildet mit den Innenverteidigern im richtigen Moment kleine Dreiecke, wenn sich die gegnerische Sturmreihe gerade etwas zu isoliert verhält und dann gruppentaktisch überspielt werden kann. Für die folgenden Vorwärtsaktionen nimmt Mokotjo als herum rochierender, anpassungsfähiger Allrounder eine wichtige Rolle ein. Er versucht Räume zu öffnen, forciert aber mit aufwendigen Diagonalläufen häufig auch selbst den Weg hinter das gegnerische Mittelfeld.

Als Zehner agiert normalerweise der technisch starke Celina und bringt verhältnismäßig viele ausweichende Aktionen ein. Gegen Feyenoord fehlte die Man-City-Leihgabe nun erstmals aufgrund seiner Rotsperre und wurde durch den finnischen Nachwuchsmann Jensen in einer stärker 4-3-3-artigen Rollenverteilung vertreten. Nach Raumgewinn über Klich suchten beide Mittelfeldkollegen viele Vorwärtsläufe, versuchten sich untereinander Raum zu öffnen oder dynamisch weiterzuleiten – teilweise auch sehr direkt in die Spitze. Insgesamt hat sich bei den „Tukkers“ auf diese Weise schon eine spielstarke Anlage entwickelt. Das hat eine gewisse Steigerung in Sachen Spielkontrolle gebracht.

Auf dieser Basis sind sie zwar noch nicht herausragend, haben aber eine recht regelmäßige Trefferquote auf solidem, weniger schwankendem Grundniveau, mit einzelnen positiven Ausreißern. Problematisch ist noch die Balance bei Timing, Rhythmus und im Verlauf der Angriffe – ein Punkt, der noch Besseres bisher verhindert. Bei den vielseitigen, aufrückenden Bewegungen aus dem Mittelfeld schieben sich die zwei vordersten Akteure teilweise etwas zu flach nach vorne, beide fast in die letzte Linie. Das wirkt sich vor allem deshalb schwerwiegend aus, weil sie speziell in Szenen, die nicht durchgespielt werden können und in die neuaufbauende Rückzirkulation gehen, zu oft in jenen Räumen verharren und sich für den nächsten mannschaftlichen Anlauf nicht wieder neu nach hinten freilaufen.

In Problemphasen aufgrund solcher Staffelungen profitiert Twente aber davon, dass sie mit Sturmtalent Enes Ünal – eine von drei Man-City-Leihgaben im Team – einen auch aus ungünstigen Lagen sehr gefährlichen Torjäger haben, der bereits zehn Saisontore verbuchte. Zudem kann die Präsenz in vorderster Front über die rechte Seite potentiell gefährlich werden, wenn der Ball über den dort herauskippenden Klich nach außen auf den sehr hoch geschobenen Rechtsverteidiger ter Avest läuft und von diesem über scharfe, attackierende Weiterleitungen weiter an die vorderste Reihe: auf den eingerückten Flügelstürmer oder den diagonal aufrückenden Mokotjo. Das ist allerdings eine nur bedingt ausgewogene Lösung.

Die angesprochenen Herauskippbewegungen wiederum sind übrigens an die unterschiedliche Einbindung der Außenverteidiger angepasst und links etwas seltener: Dort agiert van der Lely klar zurückhaltender als der forsche ter Avest, zeigte zuletzt sogar einige Einrückbewegungen in den Halbraum wie Lahm und Alaba häufig unter Guardiola. Solches wären natürlich weitere Facetten für Twentes Mittelfeld, vor allem wird es aber um die weitere Verfeinerung der Balance direkt im Zentrum gehen, wo man auch so schon eine gute Grundlage geschaffen hat. Selbst gegen Tabellenführer Feyenoord schuf man zuletzt viele gute Szenen. Nach einer desolaten Hinrunde 2015/16 und einer furiosen, aber stärker auf Flügeldribblings und Kontern fußenden Rückserie gibt es nun eine – bis auf kleinere Ausnahmen – ruhigere Phase mit einem soliden, ungefährdeten achten Tabellenplatz und Kontakt zu den internationalen Rängen.

Spieler der Woche: João Schmidt

Schon mehrere Jahre ist der brasilianische Mittelfeldmann João Schmidt nun noch bei seinem Ausbildungsverein São Paulo FC im Kader, den ganz großen Durchbruch hat der ehemalige Kapitän der U20-Nationalmannschaft in diesem Zeitraum jedoch nicht geschafft. Nun kann man ihn vielleicht nicht als verlorenes Riesentalent einstufen, etwas überraschend scheint diese Entwicklung aber schon. Als er 2014/15 einmal für eine Saison zum portugiesischen Erstligisten Vitória Setúbal ausgeliehen wurde, wusste er dort als Stammkraft (29 Einsätze, 25 von Beginn) zu überzeugen, um dann aber nach seiner Rückkehr in die Heimat kaum beachtet zu werden. Insgesamt ist João Schmidt, mittlerweile nun schon 23 Jahre jung, doch etwas unterschätzt worden. Seit der Endphase der vergangenen Spielzeit 2016, als er zur Schlüsselfigur im defensiven Mittelfeld São Paulos wurde, scheint sich das allmählich zu ändern.

Als er seine ersten Auftritte für Verein und U-Nationalteam auf größerer Bühne hatte, definierte sich João Schmidt im Mittelfeldzentrum noch stärker über eine auf Dominanz ausgerichtete und vor allem sehr kraftvolle Spielweise. Er versuchte sich primär an ordnenden, strukturierenden Aufgaben zu betätigen. Seine gelegentlichen Nachstöße nach vorne wählte er recht gut, sie sind auch weiterhin überzeugend und konsequent umgesetzt. Insgesamt gab es aber noch einige Probleme mit der Entscheidungsfindung, wenn er zu voreilig aus der Zirkulation im Angriffsdrittel den finalen Pass wählte. Sein gutes, balanciertes Raumgespür deutete sich bereits an, jedoch fehlte es ihm bei seinen majestätischen Bewegungen im Sechserraum noch an der größeren, flexiblen Anpassungsfähigkeit.

Verglichen mit dem Spieler, wie er zum Saisonende 2016 für São Paulo eine sehr wichtige Rolle bekleidete, hatten sich nun doch einige Unterschiede ergeben. Zunächst einmal scheint er das wuchtige Element – das früher im U20-Bereich etwa natürlich auch mehr auffiel – weniger zu betonen und etwas beweglicher geworden zu sein. Gleichzeitig übernimmt er bei Ballbesitz zwar weiterhin viel Präsenz, versucht das Spiel seines Teams aber nicht mehr so prominent zu tragen, agiert insgesamt etwas aggressiver und mehr auf punktuelle Aktionen fokussiert, jedoch nicht mehr ganz so auf den weitflächigen, konstanten Strukturaufbau. Deutlich wird das beispielsweise im Passspiel:

Grundsätzlich agiert João Schmidt hier sauber und kann auch einige anspruchsvolle Zuspiele klinisch oder mit besonderem Drall umsetzen, scheint in der Ballverteilung aber etwas ungleichmäßiger zu entscheiden und tendiert damit zu überambitionierten Momenten oder bringt längere Bälle mit etwas zu viel Druck. Sehr geschickt verhält er sich bei Gelegenheiten für raumöffnende Querlagen im zweiten Drittel aus dem äußeren Halbraum ins Zentrum: Die entsprechenden Möglichkeiten erkennt er sehr zuverlässig und bereitet sie teilweise auch strategisch sinnvoll vor. Es hilft ihm, dass er seine Fußhaltung recht weit abknicken kann. Wichtig für São Paulo war der Mittelfeldallrounder zum Schluss der Vorsaison insbesondere als Umschaltpassgeber.

Hier kommt der First Touch ins Spiel, der sich mittlerweile zur vielleicht wichtigsten Qualität von João Schmidt entwickelt hat: Nach losen Bällen oder Balleroberungen findet er einfach sehr schnelle und gute Übergänge zur Folgeaktion. Die direkte Initiierung von Kontern gehört sicher zu den spektakulärsten Ausdrücken dessen. Aber auch zügige Mitnahmen für die Anschlussaktion, kurze Ballsicherungen oder Drehungen beherrscht er in diesen Szenen sehr gut. In Verbindung mit hinzu gewonnener Ruhe und einer guten Grundorientierung bei jenen Drehungen hat ihn das nun zu einem ziemlich pressingresistenten Spieler gemacht. Man könnte ihm bei São Paulo durchaus eine Rolle zutrauen, in der er als einziger Sechser den Aufbau schnell und vertikal nach vorne durch leiten würde.

Solche Überlegungen stellen anschließend die Frage nach der Positionsfindung. In dieser Hinsicht bewegt sich João Schmidt bei Ballbesitz grundsätzlich geschickt, wenngleich insgesamt noch inkonstant. Man sieht aber in jedem Fall, dass er offensiv wie defensiv ein Gefühl für Ausgeglichenheit hat. Auch wenn er sich etwa im Pressing oder beim Verteidigen von Passwegen unsauber verhält und – was immer mal vorkommt – mehrere gegnerische Optionen gut im Blick hat, gegenüber einer anderen jedoch grob unaufmerksam ist: Sein intuitives Gespür scheint ihm zumindest im Wesentlichen auf der richtigen Spur zu halten, so dass er in keine klare Desbalance hinein gerät. Er ist dann zumindest so positioniert, dass die Kollegen auf die Unsauberkeiten noch ganz gut reagieren und er selbst die Antizipation auf zufällige Abpraller übernehmen kann.

Die große defensive Stärke des brasilianischen Mittelfeldmanns ist vielmehr seine interessante Zugriffsfindung. Beim Timing kann er punktuell sehr plötzlichen Druck aufbauen, vor allem sind aber seine teilweise unorthodoxen Bewegungsrichtungen in jene Zugriffssituationen hinein zu erwähnen. Mitunter bewegt er sich seltsam im Bogen oder schräg, was zunächst unbalanciert aussieht und gewisse Räume offen lässt, leicht spekulativ. Er versucht aber die im ersten Moment intuitiven Passoptionen, die der Gegner nur peripher im Sichtfeld hat, zu versperren. Häufig erlaubt er dem Gegner sogar kurz den Ansatz eines offenen Aufdrehens in eine bestimmte Richtung, um dann aber von der anderen Seite – oft quasi „torferner“ – auf den Ball zu gehen und diesen zu stibitzen. Dieses Vorgehen lässt sich nicht so sauber durchführen und ist riskant, aber João Schmidt kommt damit gut zurecht und kann dann teilweise für kuriose Ballgewinne sorgen.

Mario 7. Februar 2017 um 02:12

Moin,

ich tu mich immer schwer mit dem Begriff „ballschleppend“. Was macht so ein Spieler? Wuselt der sich irgendwie durch oder klebt ihm irgendwie der Ball am Fuss. Also mich klingt das so wie jemand der ins Eins-gegen-Eins geht und trotz seiner technisches Unzulänglichkeiten den Ball irgendwie behaupten kann ( sofern das als Unzulänglichkeit definiert werden kann.) Quasi nach dem Motto „ich spiel den Ball in den Gegner, der kann ihn nicht kontrollieren und ich erobere ihm mir zurück“ (wird sowas überhaupt gemacht?)

bye

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tobit 7. Februar 2017 um 12:05

Ein Ballschlepper ist für mich jemand, der den Ball entweder per Dribbling oder per Kombination durch das Mittelfeld befördert. Dabei geht er nicht unbedingt ins 1vs.1 sondern nutzt eher den Raum, der angeboten oder freigegeben wird/wurde. Ballschlepper gibt es für mich grundsätzlich in zwei Kategorien, einmal die „Umschalter“, die durch ihre Dynamik sehr gefährliche Konter-/Umschaltaktionen über weite Strecken ermöglichen (z.B. Vidal oder die jungen Gerrard und Henderson) und andererseits die „Ballbesitzveredler“, die aus dem kontrollierten Ballbesitz in der Tiefe das gegnerische Mittelfeld überbrücken, indem sie Engstellen andribbeln oder sich durch diese hindurchkombinieren (z.B. Modric, Thiago, Gündogan, Darida, mittlerweile macht auch Iniesta das ab und zu).

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Peda 7. Februar 2017 um 15:35

Ja, ich würde mich dem grundsätzlich anschließen.

Ein Ballschlepper zeichnet sich durch Dribblings aus, die vorwiegend raumüberbrückend und nur selten gegnerschlagend sind.

Bei „ballschleppend“ habe ich immer einen Spieler vor Augen, der bei Dribblings sehr lange Ballkontakte hat, den Ball mehr unter als vor dem Körper führt – ihn also eher schiebt als sich vorlegt.

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Koom 7. Februar 2017 um 16:31

Khedira würde ich auch als solchen titulieren, aber der macht das meist anders. Der spielt sehr viele einfache Pässe, bewegt sich viel und lässt sich anspielen und trägt das Spiel dann nach vorne.

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Guergen 7. Februar 2017 um 18:48

Der Begriff ist mir bereits in den 90er Jahren untergekommen und zwar hauptsächlich mit einem einzigen Spieler. Wenn da die Presse mal über die Premier League oder die englische Nationalmannschaft berichtet hat, dann war das eigentlich immer die Beschreibung für Teddy Sheringham, der sich als hängende Spitze hinter einem klassischen Abschlussspieler positioniert hat, sich ins Mittelfeld fallen lies und den Ball durch Läufe und Kombinationen aus dieser Zone in die Halbräume am gegnerischen Sechzehner gebracht hat.

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Schorsch 8. Februar 2017 um 11:57

Ich kenne den Begriff „Ballschlepper“ schon seit meiner Kindheit/Jugend, und das ist verdammmt lange her. Gleichzeitig bin ich mir recht sicher, dass dieser Begriff bereits in den 50er-Jahren benutzt wurde, eventuell sogar noch früher.

Großartige Gedanken habe ich mir nie über die detaillierte Bedeutung dieses Begriffs gemacht. So wie er in meinem ‚Fußballumfeld‘ verstanden wurde, wurde ein Spieler als ‚Ballschlepper‘ bezeichnet, der den Ball aus der eigenen Verteidigung über das Mittelfeld in den Angriff brachte. Das konnte eher dynamisch oder auch eher langsam erfolgen. Wenn der Gegner das Mittelfeld freigab oder dort der ‚Ballschlepper‘ nicht attackiert wurde (Pressing gab es zu diesen Zeiten selten), konnte das ein Lauf mit dem Ball am Fuß quasi durch das gesamte Mittelfeld sein. Wurde man attackiert, dann nutzte der ‚Ballschlepper‘ einen Mitspieler zum Doppelpass, um seinen Lauf durchs Mittelfeld dann fortzusetzen bzw. den Ball dann weiterzuspielen. Häufig waren es sog. ‚unauffällige‘ Spieler, welche diese Arbeit verrichteten. Meistens Mittelfeldspieler, es konnten aber auch Spieler aus anderen Mannschaftsteilen sein. Ausdauernd und laufstark (nicht unbedingt sprintstark) waren sie auf jeden Fall. Zum Vorteil derjenigen, die nicht ganz so gerne Laufarbeit verrichteten… 😉

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TR 9. Februar 2017 um 00:08

Hallo, interessante Frage. Grundsätzlich würde ich mich dem anschließen, was in den nun zahlreichen Antworten auch schon geschildert wurde – so in etwa war die Verwendung gemeint: „ballschleppend“ vor allem für jemanden, der den Ball durch das Mittelfeld treibt und Räume überbrückt.

Interessant ist es aber in der Hinsicht, dass ich den Begriff etwas intuitiv und unterbewusst genutzt habe, tendenziell auch eher bezogen auf das Gefühl, was eine Spielweise ausmacht, obgleich es eigentlich durchaus Sinn machen könnte, die Bezeichnung noch einmal detaillierter auseinander zu schlüsseln und zu reflektieren, was man selbst genau damit meint. So ließe sich dann in einem ersten Schritt differenzieren zwischen „ballschleppend“ in Bezug auf bestimmte Situationen und häufig vorkommende Aktionen, in Bezug auf das Grundprofil eines Spielers oder in Bezug auf die Rolle. Das kommt bei meinen Verwendungen im Artikeln zumindest nicht immer ganz klar durch, zugegebenermaßen, man bedenkt es beim Schreiben eben nicht unbedingt explizit.

Bei Olic war primär ersterer Bezug gemeint in der Hinsicht, dass er Bälle über „passive“ Läufe oder raumgewinnende Dribblings nach vorne trug und so situativ Verbindungen herstellte, die aus der mannschaftlichen Struktur heraus nicht konstant gegeben waren. Im Falle Yabos wiederum spielte auch die Einbindung (aus dem vorigen Spiel) stärker mit hinein: Vom grundsätzlichen Inhalt her ist aber wiederum etwas Ähnliches gemeint, die Überbrückung von Räumen. Die konnte aber sowohl durch längere, nicht unbedingt lineare Dribblings in Umschaltszenen als auch über raumüberbrückende Verzögerungen in ruhigeren Situationen erfolgen und betrifft dann wieder stärker auch Strukturveränderungen.

Von daher kann man also sagen, dass der Begriff schon ein weites Spektrum von Bedeutungen auch umfassen kann und in gewisser Weise eine gewisse Unschärfe trägt. In manchen Fällen führt derartiges zu einer ungeeigneten, sperrigen Charakteristik des entsprechenden Terminus, der „Ballschlepper“ erscheint mir aber recht intuitiv zumindest, da man grundsätzlich weiß, was ungefähr gemeint ist, auch wenn der Begriff eben auch etwas verallgemeinert und es im Einzelfall daher – wie hier – leichte Unsicherheiten im Detail geben mag.

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