Türchen 10: SC Freiburg – Borussia Dortmund 2010
Eine frühe Pressingschlacht, eine Systemschlacht, ein Taktikspiel, ein Kampfspiel, ein kurioses Spiel und ein kreatives Spiel mit vielen schönen, schnellen Kombinationsszenen, aber auch viel Chaos. Auch sechs Jahre später ist diese Partie eine der kuriosesten, die ich je gesehen und analysiert hab. Dortmunds Sieg auf dem Weg zum ersten Meistertitel der Ära Klopp gegen die taktisch versierten Freiburger von Robin Dutt.
Vor sechs Jahren war Dortmunds Partie gegen Freiburg eines der ersten Spiele, über das ich versuchte, eine Analyse zu verfassen. Was mich damals faszinierte war, dass es augenscheinlich ein spektakuläres Trainerduell war. Es gab mehrere Umstellungen im Spiel, Dutt und Klopp reagierten immer wieder aufeinander. Systeme prägten die Partie.
Darüber hinaus waren die Freiburger zu diesem Zeitpunkt eine der wenigen Mannschaften in der Bundesiga, die dem jungen, wilden BVB, der gerade eindrucksvolle von Sieg zu Sieg eilte, wirklich die Stirn bieten konnte. Ich kann es grad nicht mehr wirklich überprüfen, aber mein subjektiver Eindruck damals war, dass die erste Halbzeit dieser Partie die einzige Halbzeit der ersten Saisonhälfte war, in der die Borussia tatsächlich unterlegen war – und das ausgerechnet gegen Freiburg und nicht etwa gegen Bayern, Leverkusen oder Schalke. Zum Zeitpunkt war es immerhin auch die Partie zwischen dem Tabellenführer und dem Viertplatzierten.
Phase 1: Verrückte Freiburger bekämpfen Feuer mit Feuer
Der Grund dafür war, dass Robin Dutt ähnlich frühzeitig wie Klopp und Tuchel das Konzept von Pressing und Gegenpressing verstanden hatte und vermitteln konnte. Wenige Teams spielten zu diesem Zeitpunkt in der Liga mit hoher Intensität und Kompaktheit; das war ein wichtiger Grund, wieso der BVB so überragen konnte. Die Freiburger machten das aber. Und in diesem Spiel taten sie es vorerst besser. So gab es in der ersten Hälfte eine hochintensives Pressingduell, in dem der SCF ein um’s andere Mal die NOCH kompaktere Mannschaft war.
Das erreichten sie durch ein seltsames Mischsystem. Meist spielte Robin Dutt in dieser Saison ein 4-1-4-1, welches durch das tiefe Einrücken der Flügelspieler in der Defensive zu einem 4-3-2-1 werden konnte. In dieser Partie wurde das nicht so deutlich, doch man sah die „hybride Anlage“ der Mannschaft, sprich: Mehrere Spieler pendelten zwischen Positionen und die Formation war schwerlich klar zu benennen. So spielte Makiadi einen extrem offensiven, weit herausrückenden Achter, der von Rosenthal balanciert wurde. Auf der anderen Mittelfeldseite versuchte Putsila Räume zu finden, die Cisse aufriss, und Abdessadki rochierte dabei um ihn herum, trieb an oder balancierte. Eine Menge Bewegung, die vom Breisgau-Busquets Julian Schuster gut zusammengehalten wurde. Dieses aggressive, vielseitige System wurde übrigens von Dutts Mannschaft mit wie auch gegen den Ball gespielt! Nach vorne ging das dann teilweise Richtung 4-1-5, gegen den Ball war es kompakter, aber ebenso beweglich.
Phase 2: Der BVB kombiniert sich per 4-3-2-1 ins Spiel | ab der 46. Minute
Die Borussen wurden durch die Präsenz der Freiburger erdrückt. Gegen die aggressiv rausrückenden Achter – und Schuster – kamen sie vor allem kaum ins Zentrum. Sahin hatte im ersten Durchgang massive Probleme. So wechselte Klopp auf den Dortmunder Plan B aus dieser Zeit: ein 4-3-2-1 mit Götze und Kagawa als Doppelzehn. Durch diese Umstellung hatten die Borussen nach Balleroberungen in der eigenen Hälfte mehr Passoptionen nach vorne. Die beiden quirligen Techniker konnten sich in den Halbräumen hinter der Freiburger Mittelfeldlinie bewegen, sodass Schuster Probleme bekam. Das massive Gegenpressing der Breisgauer konnte leichter überspielt werden.
In der Folge bekamen die Borussen viel mehr Präsenz. Kagawa, Götze und Barios schwirrten um die Viererkette und waren nicht zu fassen. Abdessadki und Co. hingen in der Luft. Nach hinten wurden sie überspielt, nach vorne hatten sie mit der Dreifachsechs zu tun: Der zweite entscheidende Effekt der Umstellung. Mit einem zusätzlichen Spieler vor der Abwehr konnten die Borussen mehr Zugriff auf die vertikalen Spielzüge der Freiburger entwickeln. Die Außenverteidiger wurden offen gelassen, doch eine breite Zirkulation nutzten die Freiburger in ihrer Art des Vollgasfußballs nicht. [Dieser Satz wird unterstützt durch Produktplatzierung.]
Phase 3: Rosenthal bringt Freiburg zurück | ab der 63. Minute
Die Borussen drückten Freiburg nach hinten und kombinierten sich etliche Chancen raus. Mit Glück stand es aber nach der Anfangsphase weiterhin 1:0 für die Freiburger und Dutt konnte reagieren. Er stellte nun recht kurios um. Nachdem es zuvor bereits mehrere Positionswechsel gab (erst ging Putsila nach links, dann wurde kurzzeitig die Mittelfeldreihe noch gespiegelt) tauschten nun Abdessadki und Rosenthal permanent die Positionen. Abdessadki spielte die Flügelrolle wie oben beschrieben, indem er hinter Rosenthal als Sechser einrückte; dabei war er deutlich defensiver orientiert als Rosenthal zuvor. Auch Putsila spielte enger. Eventuell war der Gedanke/die Anweisung von Dutt, auf ein 4-3-2-1 umzustellen, welches dann von Putsila etwas zu offensiv interpretiert wurde.
Der brillante und katastrophal unterschätzte Jan Rosenthal konnte nun jedenfalls durch die zentralere Position mehr Einfluss auf das Spiel nehmen. Er schob die Mittelfeldräume sehr flexibel zu, bewegte sich seinerseits sehr gut als Anspielstation nach tiefen Balleroberungen und brachte mehr Ruhe und Klarheit in die Freiburger Angriffe. So konnten die Breisgauer wieder vermehrt für Entlastung sorgen, bekamen häufiger Zugriff vor der Abwehr und blieben dann auch seltener im Gegenpressing hängen. Zudem gestaltete sich Freiburgs Rhythmus etwas passender, da die Mittelfeldreihe nicht mehr geschlossen nach vorne verteidigte, sondern sich stärker auf Zugriff in der eigenen Hälfte fokussierte.
Phase 4: Klopp bringt die Breite und gewinnt | ab der ~73. Minute
Was nun um die 70. Minute herum passierte ist etwas schwer zu dechiffrieren, weil Freiburgs System ab der 60. Minute eben relativ chaotisch und wechselhaft war und dann um die nächsten Dortmunder Einwechslungen herum auch viele Standardsituationen den Spielverlauf verzerrten. Jedenfalls wurde Makiadi zunehmend offensiv und spielte ungefähr ab der 70. einen klaren zweiten Stürmer – das war auch ein Teilgrund, weshalb Freiburg mehr Präsenz bekam. Sie spielten nun in einem klaren 4-1-3-2, in dem die äußeren Mittelfeldspieler extrem eng agierten. Die Kräfte ließen ebenfalls nach. Die Folge: Freiburgs Flügel waren teilweise extrem weit offen.
Klopp brachte nun ebenfalls einen zweiten Stürmer: Robert Lewandowski. Kennt den noch jemand? Der polnische Torjäger reihte sich erst einmal als Zehner im 4-3-2-1 ein, doch nach wenigen Minuten bewegte sich Götze auf die linke Seite und es ergab sich wieder das 4-2-3-1. Nachdem im 4-3-2-1 der Torerfolg ausblieb und bereits Flügelspieler Blaszczykowski eingewechselt worden war, war das nicht nur eine naheliegende Umstellung, sondern es war wohl auch eine Reaktion auf Freiburgs 4-1-3-2: Die Außenverteidiger rückten nun auch aggressiver auf und der BVB spielte den Ball wieder mehr in die Breite.
Und tatsächlich dauerte es nur bis zur 75. Minute bis der BVB die Flügelräume nutzen konnte. Nach einem Flügelangriff von rechts eroberten sie den geklärten Ball, verlagerten auf Schmelzer und dessen Flanke köpfte Lewandowski ein. Drei Minuten später kombinierten Blaszczykowski und Piszczek geschickt über rechts und Mujdza drückte die Hereingabe ins eigene Tor.
Was den Menschen von diesem spektakulären Schlagabtausch der Pressingteams und „Konzepttrainer“ (damals noch mega das Schlagwort!) jedoch vor allem in Erinnerung blieb war: ein misslungener Schuss. Es war dieses Spiel, in dem Jakub Blaszczykowski in der 85. Minute nach einem Konter auf das leere Tor zulief und aus zehn Metern…einfach drüber schoss. Man kann wohl behaupten: Dieses Spiel hatte alles.
4 Kommentare Alle anzeigen
Schorsch 11. Dezember 2016 um 13:42
Beim Lesen dieser Spielanalyse habe ich die ganze Zeit in meiner Erinnerung gekramt, wie das denn war mit diesem Spiel. Ganz dunkel dämmerte es mir, ich hätte es gesehen. Und ich muss gestehen, erst der Hinweis von MR ganz zum Schluss brachte dann die plötzliche Erkenntnis, dass ich es tatsächlich (am TV) gesehen hatte. Das war aber auch ein Ding von Kuba… 😉
MR spricht vom 4-3-2-1 (mit 2 10ern) als Plan B Klopps. In Mainz hat er den ‚Tannenbaum‘ öfters spielen lassen. Tuchel übrigens auch. Der BVB hat heute vielleicht einen anderen Anspruch, um dieses System noch einmal auf den Platz zu bringen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es bei bestimmten Gegnern schon noch sinnvoll wäre. Die Spieler hätte man dazu.
Zu Dutt: Ich meine mich erinnern zu können, dass bei sv.de einmal so in etwa geschrieben wurde, dass die sv-Autoren hinsichtlich einer Einschätzung der Trainerqualitäten Dutts sehr unterschiedlicher Auffassung seien. Das war (glaube ich) zu Beginn seiner Trainertätigkeit bei Werder. In Bremen habe ich in seiner ersten Saison gerade in taktischer Hinsicht Dinge gesehen, die mich eher überzeugt haben und genauso viele, die mich nicht überzeugt haben. Seine zweite Saison war ja dann doch recht kurz.
blub 11. Dezember 2016 um 12:26
Dieser Artikel erinnert mich mal wieder daran warum ich MRs Artikel so gerne lese.
Sachliche klarheit und eine prise humor.
Izi 11. Dezember 2016 um 01:46
Tolle Analyse zu einem packenden Spiel!
Was mich überrascht, ist dass Robin Dutt nicht nur gut wegkommt, sondern als nahezu ebenbürtig zu Klopp gesehen wird. Ebenso gibt es ein großes Lob zu Rosenthal. Ich finde dies deshalb interessant, weil beide in der öffentlichen (medialen) Wahrnehmung eher als (überspitzt gesagt) „Versager“ oder „Enttäuschung“ gelten…
NB 11. Dezember 2016 um 02:49
Soweit ich mich erinnere, wird Robin Dutt bei Spielverlagerung als jemand mit hohem Sachverstand angesehen, vor allen Dingen, was Matchpläne angeht. Allzu oft wurden diese allerdings nicht gut umgesetzt. Wieso, weshalb, warum könnte man eher klären, wenn man unter ihm gespielt hätte.