Türchen 5: Bayern München – Hoffenheim 2008
Hinter Türchen fünf versteckt sich eins der großen Bundesliga-Spiele des neuen Jahrtausends: das 2008er Hinrunden-Duell zwischen Bayern München und der TSG Hoffenheim!
Die Bundesliga kommt in der Moderne an
Bundesliga, 5.12.2008
„Große Spiele“ lautet das Motto des diesjährigen Adventskalender. Doch wer entscheidet eigentlich, ob ein Spiel groß ist oder nicht? Bei Champions-League-Finals oder wichtigen WM- oder EM-Spielen stellt sich die Frage nicht – sie sind schon deshalb „große Spiele“, weil es um viel geht. Bei Liga-Spielen ist es jedoch nicht ganz so einfach.
Exakt acht Jahre ist es her, dass Tabellenführer 1899 Hoffenheim zum Spitzenspiel zu den Münchener Bayern reiste. Bis heute wird bei jedem Aufeinandertreffen zwischen Hoffenheim und Bayern an dieses „große Spiel“ erinnert. Doch wieso eigentlich? Schließlich trafen hier – retrospektiv betrachtet – der Abschluss-Siebte der Liga auf den erfolglosesten Bayern-Coach der jüngeren Geschichte.
Wie die Premier League
Die Antwort gibt (wie eigentlich immer) der Kontext des Spiels. Die Partie wurde bereits vor dem Anpfiff hochgejazzt als Duell zwischen Emporkömmling und Branchenprimus. Uli Hoeneß und Ralf Rangnick warfen durch ein kleines Medienscharmützel noch jede Menge Brennholz in ein ohnehin feuriges Duell. Ganz Deutschland fieberte der Partie entgegen.
Vor allem aber gelang der Partie etwas, was im Fußball eher selten ist: Es hielt dem Hype stand. Es war ein – für damalige Bundesliga-Verhältnisse – ungewohnt schnelles, atemloses Spiel. Fast jeder Freistoß wurde direkt ausgeführt, jeder Aus-Ball sofort ins Feld zurückbefördert. Ruhephasen gab es kaum. Selbst in der Schlussvierelstunde gab es zahlreiche Chancen auf beiden Seiten. Das Drama gipfelte in der Nachspielzeit, als die Münchener das 2:1 erzielten. Es war, kurzum, ein wirklich spannender Fußballabend.
Entmystifizierung
Wie so viele Mythen hält auch dieses „große Spiel“ dem Test der Zeit nur bedingt statt. Mit acht Jahren Abstand sieht man das „aberwitzige Tempo“ des Spiels nicht mehr nur als Produkt der großartigen Leistung zweier Mannschaften, sondern auch als Ausdruck ihrer taktischen Schwächen.
1899 Hoffenheim räumte in jener mittlerweile legendären Hinrunde die Liga mit ihrem hohen Pressing und schnellem Vertikalspiel auf. Ralf Rangnick vertraute auf ein 4-3-3-System. Vorne agierten die beiden Außenstürmer äußerst eng, sodass Hoffenheim eine hohe Präsenz im Zentrum hatte. Die drei Mittelfeldspieler dahinter rückten im Pressing abwechselnd auf und attackierten die gegnerischen Mittelfeldspieler. Hoffenheim spielte ein sehr jagendes Angriffspressing, bei dem immer wieder Spieler aus der eigenen Formation herausschossen. Selbst die Außenverteidiger sprinteten häufig aus der Abwehrkette, um die gegnerischen Flügelspieler aufzunehmen.
Der FC Bayern München verfolgte unter Jürgen Klinsmann defensiv eine gänzlich andere Philosophie. Wo Hoffenheim mit kollektiver Aggressivität punktete, fielen die Bayern eher durch Lethargie auf. Luca Toni und Franck Ribery leisteten praktisch keine Arbeit gegen den Ball. Miroslav Klose lief vereinzelt an, dieses Anlaufen war aber in kein größeres Konzept eingebunden. Drei Angreifer nahmen also praktisch nicht an der Defensivarbeit teil, wodurch gegen den Ball aus dem nominellen 4-4-2 oft ein 4-3-3 wurde.
Vertikalpass-Porno
Interessanterweise hatten diese beiden völlig unterschiedlichen Philosophien in diesem Spiel einen durchaus ähnlichen Effekt: Keine Mannschaft konnte Zugriff auf das gegnerische Mittelfeld erlangen. Hoffenheim konnte praktisch unbedrängt aus dem Sechserraum heraus den Ball nach vorne spielen. Hoffenheim wiederum öffnete durch das jagende Element ihres Pressings häufig den eigenen Sechserraum: Da die Abwehr (aus heutiger Sicht) vergleichsweise tief stand und Luiz Gustavo häufig aggressiv vorrückte, klaffte hier eine große Lücke. Wenn Hoffenheim nicht hoch presste, ließ ihr 4-3-3 wiederum den Münchener Sechserraum offen.
Die völlig unterschiedlichen Strategien beider Teams hatten also in der Praxis einen ähnlichen Effekt. Dass ein schnelles Spiel entstand, lag wiederum an der Gemeinsamkeit beider Teams. Weder Hoffenheim noch die Bayern hatten für langsame Ballzirkulation viel übrig. Sobald es möglich war, spielten sie den Ball nach vorne. Das schnelle Spiel war von beiden Trainern voll gewollt – und durch ihre Defensivstrategien war es möglich, dass beide Teams extrem vertikal spielen konnte.
In den Details unterschied sich das Offensivspiel beider Teams aber wieder merklich. Das bayrische Vertikalspiel begründete sich durch die Spielertypen: Da waren zum Einen Ze Roberto und Lucio, deren liebster Move der vertikale Pass mit anschließendem Sprint nach vorne war. Mark van Bommel, Daniel van Buyten und der zurückfallende Bastian Schweinsteiger wiederum überbrückten mit ihren bevorzugten langen Bällen große Teile des Spielfelds. Diese fünf zentralen Münchener Spieler machten, ihrem Naturell entsprechend, das Spiel schnell und versuchten gar nicht erst, gegen das aggressive Pressing der Hoffenheimer den Ball zirkulieren zu lassen.
Bei Hoffenheim war das Vertikalspiel stärker systematisch angelegt. Die Außenstürmer zogen häufig in die Mitte oder bewegten sich auf einen Flügel. Zusammen mit den vorrückten Achtern überluden sie eine Seite. Hoffenheim spielte mit vertikalen Pässen auf die Außenstürmer und versuchte, die Überzahlen auf der jeweiligen Seite zu nutzen. Gerade Gustavo machte das Spiel mit flachen Vertikalpässen immer wieder schnell.
Spielverlauf aus taktischer Sicht
Somit hielten beide Teams das Tempo extrem hoch. Querpässe spielten beide Teams praktisch nicht. In der Anfangsphase waren es die Hoffenheimer, die etwas mehr vom Spiel hatten. Ihr Angriffspressing zwang gerade in den ersten Minuten die Bayern immer wieder zum langen Ball, Gustavo konnte viele zweite Bälle festmachen. Dadurch dass die Münchener Sechser zu Beginn voreinander, nicht nebeneinander agierten, fanden die Hoffenheimer häufig den Weg über die Halbräume vor das Tor.
Mit fortschreitender Spieldauer kamen die Münchener besser ins Spiel. Immer wenn Hoffenheim das Pressing etwas zurückfuhr, konnten sie ihre Schokoladenseite ins Spiel bringen: den linken Flügel. Franck Ribery bewegte sich in seiner Freirolle häufig ins Zentrum, Philipp Lahm und Ze Roberto unterstützten Ribery. Sobald Beck im Pressing aus der Viererkette herausschoss, um Ribery zu stellen, startete einer der Beiden hinter die Abwehr. Einige Male führte dies zu Chancen.
Aber auch über rechts konnten die Bayern einige Akzente setzen. Schweinsteiger und Oddo agierten hier merklich tiefer, sodass die Bayern nur selten an die Grundlinie durchbrachen – dazu fehlte beiden schlicht das Tempo gegen die sprintschnelleren Hoffenheimer. Stattdessen schlug Bastian Schweinsteiger einige schöne Halbfeldflanken, die dank Lucas Tonis überragender Kopfballtechnik gefährlich wurden. (Warum es so lange dauerte, bis Fußballdeutschland gemerkt hat, dass Schweinsteiger ein besserer Sechser als Außenspieler ist, bleibt auf ewig ein großes Fußballrätsel.) Die rechte Seite war aber eher als defensive Absicherung angesichts Riberys Freirolle wichtig. Aus diesem Grund tat die Einwechslung des defensiv robusten Tim Borowski (61. für Schweinsteiger) dem Bayern-Spiel gut.
Die Tore passten zum Spiel: Hoffenheim ging nach einem Angriff durch die Halbräume in Führung. Die Bayern glichen kurze Zeit später nach einem Angriff über die linke Seite aus, den Lahm mit einem schönen Solo abschloss. In der Schlussphase wurden die Räume für beide Teams noch größer, der Druck im Mittelfeld noch geringer. Es waren die Bayern, die mit dem sprichwörtlichen Bayern-Dusel den Sieg errangen (92.) – und mit diesem späten Treffer wesentlich zur Legendenwerdung dieser Partie beitrugen.
Anbruch einer neuen Ära
Es wäre leicht, diese Partie aus heutiger Sicht als taktisch wahnwitzig abzutun. Ja, die Lücken im Mittelfeld waren teils verheerend groß, und ja, Jürgen Klinsmanns taktische Schwächen, die später ein 0:4 gegen Peps Barcelona und ein 1:5 gegen Magaths Wolfsburger bringen sollten, waren bereits zu erkennen.
Allerdings muss man diese Partie auch aus taktischer Sicht als Teil der Zeitgeschichte sehen. Angriffspressing und schnelles Vertikalspiel hatten sich bereits durchgesetzt, das systematische Gegenpressing aber noch nicht. Es war eine Übergangsphase der Fußballtaktik, in der schnelle Spiele wie dieses möglich waren.
Viel wichtiger war: Diese Partie brachte Deutschland ein Stück weit der Weltspitze näher. Die Bundesliga war zu jener Zeit international nicht konkurrenzfähig. Bundestrainer Joachim Löw betonte bei jeder Gelegenheit, der deutsche Fußball müsse sich am Beispiel an der englischen Premier League nehmen, was Technik, Taktik und Geschwindigkeit angeht.
Ja, es war immer noch kein Vergleich mit dem Fußball, den Pep Guardiola oder Jose Mourinho zur selben Zeit spielen ließen. Und doch brachte dieses Spiel die große Fußballwelt wieder ein Stück näher nach Fußballdeutschland, das sich so lange nach großem Fußball sehnte. Es gab kein Abtasten, keine Phasen absoluter Passivität, keine Querpässe, wie sie für den deutschen Fußball der 90er und frühen 2000er-Jahre größtenteils typisch waren. Nicht nur die Rahmenbedingung – groß gegen klein, Dorf gegen Stadt, Aufsteiger gegen Rekordmeister – passten, sondern auch die Leistungen beider Teams. Es war einfach nur ein Spitzenspiel mit dem höchsten Tempo, das zu jener Zeit möglich war. Und genau deshalb gehört es zu den „großen Spielen“ der Bundesliga-Geschichte.
22 Kommentare Alle anzeigen
Dr. Acula 5. Dezember 2016 um 14:06
„Bundestrainer Joachim Löw betonte bei jeder Gelegenheit, der deutsche Fußball müsse sich am Beispiel an der englischen Premier League nehmen, was Technik, Taktik und Geschwindigkeit angeht.“
wie steht ihr zu dieser aussage? im nachhinein durch nicht frei von ironie, da die PL bis zu dieser saison nicht annähernd an das niveau der PD reichte und im großen und ganzen von SAF dominiert wurde. https://spielverlagerung.de/2014/11/18/eine-abrechnung-die-probleme-des-englischen-fussballs/
genau dieses spiel zwischen klinsi und rangnick erinnert doch an die PL. aber gut, löw ist jetzt auch nicht der übertrainer, dessen aussage hier der maßstab sein sollte. wenn pep sowas gesagt hätte, hätte man sich das mal genauer anschauen können, aber so stellt sich mir nur die frage, wieso dieser satz an dieser stelle in dieser weise steht.
gruß
Schorsch 5. Dezember 2016 um 18:17
Ob das Niveau der PD 2008 und in den Vorjahren tatsächlich soviel höher lag als in der PD, kann ich nicht beurteilen. Wobei ich den FC Barcelona unter dem neuen Trainer Guardiola, der erst zu Saisonbeginn 08/09 dort seine Tätigkeit aufgenommen hatte, ausnehme. Es ist vielleicht an einzelnen fußballerischen Elementen festzumachen, die sich im Laufe der Jahre danach als prägend erwiesen und in der PD von mehreren Teams bereits praktiziert wurden und in der PL eben von keiner (oder kaum einer) Mannschaft. Direkte Vergleiche englischer und spanischer Teams gab und gibt es halt nur in den europäischen Wettbewerben, und ob man die Ergebnisse dort als Parameter heranziehen kann, weiß ich auch nicht. Schaut man sich die CL-Finalpaarungen in den 00ern an, so sehe ich da zumindest keine ausgeprägte Dominanz spanischer Teams im Vergleich zu englischen. Die ausgeprägte Dominanz der spanischen Nationalmannschaft und der spanischen Clubteams (insbesondere des FC Barcelona)
stand erst am Anfang. Bei der WM 2006 bot die in jeder Beziehung runderneuerte spanische Nationalelf eine ansprechende Leistung, bis sie dann gegen coole Franzosen ziemlich sang- und klanglos ausschied. Kaum jemand konnte vorhersagen, dass man 2 Jahre später mit der eigenen Interpretation des Ballbesitzfußballs so dominieren würde bei der EM 2008. Dass der ‚one-touch‘-Fußball Wengers vor 10 Jahren durchaus als stilbildend und vorbildlich galt, kann ich aus der damaligen Sicht schon nachvollziehen. Retrospektiv betrachtet sieht häufig alles anders aus. Aber da ist auch einfacher zu beurteilen… 😉
TE gelingt es in seinem Buch mMn sehr gut gelungen, die großen Linien der Taktikgeschichte des deutschen Fußballs aufzuzeigen (Detailfragen kann man da durchaus unterschiedlich sehen). Er hat deutsche Trainer (ein wenig so wie auch Jonathan Wilson) so beschrieben, dass sie nie kreative Innovatoren waren, aber häufig (aber halt nicht immer) die aktuellen Trends aufgreifen und für den deutschen Fußball adäquat adaptieren konnten. Das galt z.B. für Herberger, aber auch für Schön. Folgt man dieser Betrachtungsweise, dann steht Löw in dieser nicht unerfolgreichen Tradition. Daher kann ich den zitierten Satz Löws im Kontext der damaligen Situation nachvollziehen.
Koom 6. Dezember 2016 um 11:31
Wobei Ausnahmen die Regel bestätigen: Klopps „Einführung“ des sehr krassen Gegenpressing-Spielmachers würde ich schon als Innovation und Revolution bezeichnen und setzte auch einen relativ langen Trend, der erst mit dieser Saison spürbar abklingt.
Schorsch 6. Dezember 2016 um 13:38
Das stimme ich Dir zu.
HK 6. Dezember 2016 um 09:24
Der Rückblick verzerrt da immer etwas die Wahrnehmung.
Wenn ich mal die UEFA-5-Jahreswertung nehme, waren zu dieser die beiden Ligen ziemlich gleichauf und irgendwann um dieses Datum herum hat die PL diese Wertung auch mehrere Jahre angeführt.
Und wenn zu der Zeit in Dtl. über Taktik diskutiert wurde waren tatsächlich Themen wie one-touch, möglichst kurze Ballbesitzzeiten/Spieler und Sekunden/je Angriff en vogue.
So etwas wie Tiki-Taka oder Ballbesitzfußball gab es wohl noch nicht mal als Begrifflichkeiten, geschweige denn als nacheifernswertes Vorbild.
Lacksi Lucksi 5. Dezember 2016 um 13:16
Könnt ihr Links zu den jeweiligen Spielaufnahmen geben (das wäre wundervoll) oder sind die für den Otto-Normalverbraucher nicht zugänglich?
TE 5. Dezember 2016 um 14:21
In diesem Fall ist das Spiel für den Otto-Normalverbraucher tatsächlich nicht zugänglich, tut mir Leid. Wir können hier auch keine Links und Videos posten, weil das nicht legal wäre. Im Zweifel empfehle ich die Videosuche auf Google, wenn man dort die Spiele unseres Adventskalenders sucht, findet man sie meistens auch. Dieses konkrete Spiel allerdings nicht. Ich hatte noch Notizen zu dem Spiel, weil ich es bei der Recherche zu meinem Buch sichten konnte.
egal 5. Dezember 2016 um 10:50
Warum features ihr die Artikel des Adventskalenders nicht? War echt nicht leicht auf dem phone zu finden, aber die suche hat sich gelohnt
FAB 5. Dezember 2016 um 10:28
Vielen Dank für die Analyse und Würdigung dieser Partie.
Auch wenn die deutsche Nationalmannschaft bereits mit dem Sommermärchen den alten Mief aus dem Jahr 2000 abgestreifte, so war die Bundesliga noch ein ganzes Stück hinterher. Hoffenheim-Bayern war dann das Spiel, das Hoffnung auf Neues machte. Leider hatten weder Rangnick bei Hoffenheim, noch Klinsmann bei den Bayern letztlich den Erfolg hatten, den sie (aus meiner Sicht) verdient gehabt hätten. Aber setzten ganz wichtige Zeichen, in welche Richtung sich die Bundesliga weiterentwickeln sollte.
Ironischerweise wurde dann aber Magaths Wolfsburg Meister und es dauerte nochmal 2 Jahre bis sich dieser moderne Fussball mit Klopps BVB schlussendlich durchsetzte.
Schorsch 5. Dezember 2016 um 09:49
Ja, es war einfach ein mitreißendes Spiel. Jedenfalls für mich. Und es bleibt dies auch in der Erinnerung, wobei es ja noch nicht lange zurückliegt. Es hätte eigentlich Remis enden müssen mMn, aber eben nur ‚eigentlich’… 😉 . Ja , und eigentlich war sich so gut wie jeder sicher, der dieses Spiel gesehen hat: Hier spielen die Meisterschaftsfavoriten. Und dann wird so ganz ‚uneigentlich‘ Wolfsburg Meister… 😉 Der Ausfall von Ibisevic für quasi die gesamte Rückrunde war sicherlich nicht der einzige, aber ein sehr gravierender Grund bei den Hoffenheimern. Und die taktischen Schwächen Klinsmanns wurden in der Rückrunde immer deutlicher.
Es ist mMn richtig, was TE über die taktischen Schwächen schreibt, die in diesem Match zu beobachten waren. Oder besser gesagt sind; in der Betrachtung aus heutiger Sicht. Sicherlich war Guardiola in seiner ersten Saison als Chefcoach beim FC Barcelona mit seinem Fußball ein anderes Kaliber, auch Mourinho wird zurecht erwähnt. Aber es stimmt eben auch, dass man (wie von TE beschrieben) den Fußball beider Teams in diesem Match im Vergleich zu dem bis dato üblichen Fußball in der Bundesliga sehen muss. Obgleich ich mich für den Fußball Werders unter Schaaf Mitte der 00er auch immer begeistern konnte. Wobei ich sicherlich die entsprechende Brille aufhabe, keine Frage. Aus meiner Vorliebe für ‚Le Chef‘ mache ich auch keinen Hehl… 😉
Eine Frage etwas abseits dieser Begegnung stelle ich mir: War Franck Ribéry in seiner ‚Freirolle‘ auf links besser, gleichstark oder schlechter für das Team als später?
Zur Anmerkung bzgl. Schweinsteiger: ‚Fußballdeutschland‘ konnte es nicht erkennen, dass er auf der ‚6‘ besser aufgehoben war als auf der rechten Außenposition (oder auch der linken). Da musste erst ein Niederländer kommen. Vielleicht, weil dieser einen anderen Blick auf den Fußball mitbrachte, von dem die Bundesliga und die Nationalmannschaft mMn entscheidend profitierte.
Ich habe dieses Spiel am TV in einer größeren Gruppe gesehen. In der Studentenkneipe auf dem Campus der hiesigen Universität; der Laden war gerammelt voll. Die Sympathien unter den Zuschauern waren in etwa gleich verteilt, vielleicht mit einem leichten Übergewicht für die TSG. Von einer Aversion gegen den ‚Plastikclub‘, wie er in der Folgezeit in den Stadien zu sehen war (und ist), war überhaupt nichts zu spüren.
savona 5. Dezember 2016 um 12:34
Hoffenheim hat in der ersten Saisonhälfte 2008 einfach nur begeistert und überhaupt keine Aversionen erzeugt.
Schweinsteiger hatte noch bei der EM 2008 nach dynamischen Läufen in die Spitze wichtige Tore gegen Portugal und die Türkei erzielt. Insofern war es vielleicht nicht nur eine Blindheit für seine wirksamste Rolle, sondern auch eine Entwicklung in seinem Spiel, die sicher vor allem van Gaal forciert hat.
Schorsch 5. Dezember 2016 um 14:17
Ich würde auch nicht von Blindheit sprechen. Zum einen hat Schweinsteiger in der Tat oft genug ansprechende und auch starke Leistungen als Offensivspieler gezeigt. Er war eines der Gesichter beim Umbruch der Nationalmannschaft unter Klinsmann (auch wenn er seine ersten Einsätze noch unter Völler hatte) und er trug auch seinen Teil zur Begeisterung bei der WM 2006 bei (wie auch Podolski). Anderserseits wuchs beim FCB durchaus eine gewisse Unzufriedenheit mit ihm; Hoeneß übte mehrfach Kritik. Man erwartete von ihm als Offensivspieler mehr und sah ihn in einer gewissen Stagnation. Zum anderen ist es im (nicht nur deutschen) Fußball nicht unbedingt üblich, dass ein Spieler im Laufe der Karriere eine gänzlich andere Position übernimmt. Sicher hat es das schon immer gegeben und es gibt genügend Beispiele. Aber es doch nicht die Regel und meistens sind die Spieler dann auf ihrer Position von vorne nach hinten (oder umgekehrt) gerückt; z.B. ‚Umschulung‘ vom offensiven Flügelspieler zum AV oder vom zentralen Mittelfeldspieler zum Libero. Änderungen wir vom offensiven Flügelspieler zum zentralen Mittelfeldspieler waren und sind doch eher die Ausnahme.
Außerdem darf man im Falle Schweinsteigers nicht vergessen, dass das 4-2-3-1 – System ja gerade erst dabei war, sich in Deutschland zu etablieren. Mit seiner Amtsübernahme als Bundestrainer 2004 stellte Klinsmann ja erst auf ein 4-4-2 – System um, das in der Bundesliga zu diesem Zeitpunkt (in Varianten) auch nich nicht so verbreitet war. In der Folge spielten immer mehr Teams inn der BL im 4-4-2. In der Nationalmannschaft stellte Löw erst im Laufe des EM-Turniers 2008 (vor dem Viertelfinalpiel gegen Portugal) auf das 4-2-3-1 um. Die ‚Paradeposition‘ für Bastian Schweinsteiger gab es im deutschen Fußball (etwas überspitzt ausgedrückt) demnach so noch gar nicht oder kaum. Da war es mMn von Vorteil, dass van Gaal mit einem anderen Blick auf den Fußball auf die Bayernspieler geschaut hat.
Koom 5. Dezember 2016 um 13:23
Die Aversionen gegenüber Hoffenheim rührten wie auch jetzt bei RB Leipzig meist aus der Fraktion der „Traditionalisten“, bei denen eigentlich kein Verein ein Recht hat in der Bundesliga zu sein, ausser er tat das schon in den 60ern, 70ern oder so – wo der Fußball noch wahr und hold war. 😉
Selbst bei Mainz 05 finden sich solche Traditionalisten, wo man doch selbst „Emporkömmling“ ist, wenn auch mehr durch eigene Kraft denn durch externe Gelder. Trotzdem sind auch so Winzvereine wie 05 den „Großen“ ein Dorn im Auge.
Rein fußballerisch war Hoffenheim aber eigentlich stets aussen vor. Selbst zu seeligen Regionalliga-Zeiten unter Flick war das ansprechend und wohlwollend. Nachdem man dann aber unter Rangnick in der 2. Liga einen Fehlstart hatte und das mit sehr teuren Einkäufen „reparierte“, sank da schon etwas die Sympathie.
Leipzig hat ja letztlich auch Glück: selbst zweistellige Millionensummen sind heute nicht mehr sonderlich auffällig, wo die Transfersummen dreistellig (wenn auch selten) geworden sind. 15 Mio für Eduardo, Obasi und Ba waren damals aber ein ziemliches Pfund – nicht nur für einen Zweitligisten, sondern generell.
Schorsch 5. Dezember 2016 um 14:29
In den Stadien waren es insbesondere ‚Ultra‘-Gruppierungen, die recht bald Front gegen Hoffenheim gemacht haben (und z.T. auch noch machen). Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, und das ist auch gut und richtig so. Aber man sollte dabei mMn nicht beleidigend und bedrohend werden (‚Fußballhure‘; ‚Target‘; etc.). Dass das Ganze irgendwie im Wechselspiel mit Äußerungen zu Hoffenheim von Verantwortlichen einiger Clubs lief, schien mir kein Zufall zu sein.
Mittlerweile scheint die TSG schon eher ‚etabliert’und einigermaßen akzeptiert zu sein und das ‚RB‘-Projekt steht im Fokus der Kritik. Wobei für mich das Engagement Dietmar Hopps bei der TSG und im Sport in der Rhein-Neckar-Region generell mit dem Projekt in Leipzig nicht zu vergleichen ist.
savona 5. Dezember 2016 um 15:27
Allerdings haben auch in anderen Sportarten die Verantwortlichen der von Hopp gesponserten Klubs in der Vergangenheit z.T. massive Kritik seitens der Konkurrenz auf sich gezogen; teilweise sicher, weil man – wie im Fußball – sich eines unliebsamen neuen Konkurrenten zu erwehren trachtete, teils aber auch, weil die Newcomer sich unter Einsatz enormer Ellbogenkraft durchzusetzen versuchten. Auch hier heilt die Zeit immerhin manche Wunden.
Koom 5. Dezember 2016 um 15:32
Zeit heilt die meisten Wunden. In ein paar Jahren wird man auch bei Leipzig nicht mehr all zu viel Bluthochdruck zu diesem Thema bekommen. Siehe auch Wolfsburg: Über die macht man sich ja auch mehr lustig, über Wettbewerbsverzerrung spricht man bei denen aber auch wenig. Was meistens aber auch daran liegt, dass das VW/Audi/Porsche/etc.-Konglomerat bei fast jedem Bundesligisten einen Sponsorenfuß in der Tür hat.
Leipzig – bzw. deren Modell – ist halt die Zukunft. Im Guten wie im Schlechten halt nur der nächste Schritt. „Anonym“, kalt und vor allem geld- und marketingorientiert sind die meisten Bundesligisten ja schon heute.
FAB 5. Dezember 2016 um 15:34
Am Ende geht es wohl gar nicht um Tradition, sondern ob der gegnerische Verein selbst eine Ultra-Gruppierung hat oder nicht.
Ich meine was stellt die Sinnhaftigkeit einer eigenen Ultra-Gruppe mehr in Frage, als wenn der Gegner einfach keine hat. Mit wem „bekämpft“ man sich dann bei einem Spiel. Soll man am Ende einfach nur konzentriert das Treiben auf dem Platz verfolgen, weil es sozusagen keinen Gegner auf der Tribüne gibt, den man mit seinen Schlachtgesängen übertrumpfen kann?
Mainz und Freiburg wurden ja auch schon vor über 100 Jahren gegründet, aber sie sind einfach zu brav, um sie ernstzunehmen. Da hätte man doch lieber Lautern und Mannheim.
Leipzig könnte ein paradoxer Sonderfall werden: Null Tradition, hochgepusht als Marketinggag, in einigen Jahren aber vielleicht mit der größten Ultraszene überhaupt.
Dietrich Mateschitz 5. Dezember 2016 um 20:09
Mir wird bereits beim Ansatz des einstudierten „Vorwärts Rasenball“ in Sekundenschnelle schlecht. In den unkreativen und lieblos plagiierten Gesängen offenbart sich die Künstlichkeit am stärksten, in Kombination mit der betont propagierten Familienatmosphäre und -eignung des Stadions eine unheilvolle Mischung.
Beobachter 6. Dezember 2016 um 10:12
Die Gesänge jedes Klubs sind erfunden worden und damit „künstlich“ – wie sollten solche Werke denn auch „natürlich“ sein? Zudem: kreative Gesänge findet man da auch eher ausnahmsweise – und solange deutsche Fans YNWA quasi als eigene Hymne nutzen…
Koom 6. Dezember 2016 um 11:27
Da das bei keinem Verein in DE anders ist, fehlt auch hier das (negative) Alleinstellungsmerkmal von RB Leipzig. In der Vergangenheit mag das gerne mal anders gewesen sein, aber die nachwachsenden Generationen adapieren fleissig untereinander Fangesänge. Sei es die Humba, die in München gemacht wird (und von den Mainzern in der Bundesliga eingeführt wurde) oder vor allem jetzt das lächerliche isländische HUH! – das vor allem dann die Franzosen mal eben geklaut haben (aber heute auch in München & Co. zu hören ist).
Ultras werden die Leipziger vermutlich auch haben. Die entwickeln sich mehr oder weniger in jedem Verein mit der Zeit. Und verselbständigen sich dann auch mit der Zeit von einem Intensiv-Support-Team zu einer politischen Gruppe für Pyro/teilweise Gewalt im Stadion. Selbst in Mainz und Freiburg ist das so.
Schorsch 6. Dezember 2016 um 13:57
In der ‚Fanszene‘ des BVB wird immer einmal wieder der tatsächliche oder vermeintliche Rückgang der ‚Stimmung‘ im Westfalenstadion diskutiert. Einer der strittigen Punkte ist der ‚Dauergesang‘ der Ultras nach den Vorgaben der ‚capos‘. Eine einheitliche ‚Beschallung‘ über das gesamte Spiel hinweg, ohne Reaktion auf den aktuellen Spielverlauf und ohne auf besondere Anlässe beim ‚Gegner‘ Rücksicht zu nehmen (z.B. ‚Geburtstagsständchen‘ für Uwe Seeler) sei ’nervtötend‘ und letztlich im Sinne der Unterstützung des eigenen Teams kontraproduktiv. Die ‚Ultra‘-Vertreter sehen naturgemäß anders und verweisen u.a. auf ihre ‚Choreos‘. Außerdem verweisen sie darauf, dass von den anderen Tribünen keine Unterstützungsaktivitäten kämen.
In den 90ern galten die Fans des BVB noch als äußerst kreativ und spontan, heute ist das allses sehr organisiert und einstudiert. Im Prinzip sind diese ’support‘-Gesänge austauschbar und in jedem Bundesligastadion ähnlich.
Koom 6. Dezember 2016 um 14:50
Eine komplett identische Diskussion gibt es bei Mainz 05 auch. Das scheint sich durch alle Ultra-Gruppierungen wohl so entwickelt haben, dass der Verein das Rahmenwerk ist und die eigene Choreo und „Leistung“ (Dauergesang, Dauerfahnenschwenken) wichtiger ist. Finde ich extrem albern und falsch. Fankultur war für mich immer, den eigenen Verein anzufeuern. Da fand ich schon „Support“, der sich mehr mit dem Gegner beschäftigte, eher kontraproduktiv.
Um mal auszuholen: Vermutlich ist das eine Entwicklung, die sich durch das Abnabeln der Vereine bzw. des Fußballs von den Fans einfach ergeben hat. Zuschauereinnahmen werden immer weniger relevant im Vergleich zu Fernsehgeldern, ebenso wurden die Restriktionen immer höher. Dazu die diversenen Diskussionen, wo man als Fan sehr schnell kriminalisiert wurde oder wo Vereine sich am Fan vorbei entwickelt haben (Anstoßzeiten für chinesischen Fernsehmarkt, demnächst Supercup-Spiele in Japan etc.). Als folge davon sieht man sich als Ultra wohl weniger als Support für den Verein („der gibt einem ja nix dafür“), sondern mehr als eigenes Franchise, das Fußball als Werbebühne für sich selbst sieht. Stichwort Choreos, Pyros etc.