Nordirische Umstellungen sorgen für totale Langeweile
Auch im Achtelfinale schaffen es die Nordiren, dank einer flexiblen Defensive den Gegner lange Zeit lahmzulegen. Doch Wales kann sich dank eigener Umstellungen nach der Pause den Sieg sichern.
Durch das neue 24er-Format ist die Europameisterschaft reich an kleinen Giftzwergen. So manche Nation legt sich einen rein defensiven Plan zurecht und ärgert damit die Großen. Ganz vorne dabei sind die Nordiren. Formativ sind sie eins der flexibelsten Teams dieser EM. Trainer Michael O’Neill passte seine Formation von Spiel zu Spiel an, vom 5-3-1-1 gegen Polen über das 4-1-4-1 gegen die Ukraine bis hin zum 6-3-1 gegen Deutschland. Auch gegen Wales ließ sich O’Neill eine kleine Gemeinheit einfallen.
Nordirisches 5-3-2
O’Neill veränderte seine Mannschaft im Vergleich zum Deutschland-Spiel nur auf einer Position: Lafferty gab den Stoßstürmer anstelle von Washington. Zunächst schien es, als setze er damit erneut auf eine 4-1-4-1-Defensive. Bald war jedoch klar, dass die Formation der Nordiren eher ein 5-3-2 war. Ward besetzte die Rolle des rechten Stürmers neben Lafferty, während Linksaußen Dallas sich auf Höhe der Abwehrkette fallenließ.
Die Nordiren agierten damit in vorderster Linie leicht asymmetrisch: Ward schob nach rechts raus und attackierte häufig Davies. Lafferty wiederum postierte sich nicht halblinks, sondern eher zentral. Die linke Seite blieb häufig frei. Die Idee dahinter: Der Spielaufbau sollte von Wales‘ linker Seite weg auf die rechte Seite gelockt werden.
Im Mittelfeld wiederum gab es bei den Nordiren das gewohnte Bild zu bestaunen: Innerhalb ihrer 1-2-Ordnung agierten sie äußerst mannorientiert. Die Achter schoben häufig heraus, um die gegnerischen Achter eng zu decken. Einzig der zurückfallende walisische Sechser Ledley wurde nur selten angegangen, wenn er sich fallen ließ.
Zu tiefer Bale, zu wenig Zehnerraum-Präsenz
Dass die Nordiren mit dieser Grundordnung ein zähes Spiel erzwangen, hatte zwei Gründe: Einerseits tat Nordirland (mal wieder) sehr wenig für die Offensive. Sie verließen sich ganz auf ihre langen Bälle, die sie allerdings (mal wieder) nicht erfolgsstabil erobern konnten.
Andererseits tappte Wales in die nordirische Falle und reagierte auf das nordirische Konstrukt äußerst unpassend. Sie ließen sich im Spielaufbau auf die eigene rechte Seite drängen. Hier hatten Chester und der zurückfallende Ledley die Last des Spielaufbaus zu schultern; sie hatten jedoch wenige Ideen, wie sie diesen Spielaufbau nach vorne tragen könnten.
Auch die anderen Spieler reagierten unpassend: Die Außenverteidiger rückten nicht komplett nach vorne, sodass Nordirland selten in eine flache Fünferkette gedrängt wurde. Das hätte Freiräume in den Halbräumen öffnen können. Diese wären allerdings ohnehin nicht gut besetzt worden. Das Mittelfeld und auch Bale ließen sich viel zu weit fallen, sodass selten Anspielstationen vor dem Ball entstanden. Ramsey und Allen wurden einfach „aus dem Spiel gedeckt“, anstatt dass sie mit Vorwärtsläufen Lücken für Kollegen öffneten. Bale wiederum ließ sich teilweise gar bis auf die Rechtsverteidiger-Position fallen. Seine Stärken im Dribbling wie in der Dynamik ließen sich so natürlich nicht einsetzen.
Zweite Halbzeit sieht viele Umstellungen
Nach der Pause dümpelte das Spiel zunächst vor sich hin, ehe Wales-Coach Chris Coleman einige taktische Umstellungen vornahm. Zunächst kam mit Stürmer Robson-Kanu (55. für Vokes) ein Spieler, der vorne Bälle halten und öfter in die Tiefe starten sollte. Mit der Einwechslung von J. Williams für Ledley (63.) veränderte sich zudem die Formation. Williams ging nach rechts, Bale rückte nach links. Wales agierte also in einem engen 5-2-3.
Wales konnte mit der neuen Formation jetzt etwas mehr Breite im letzten Drittel erzeugen. Zudem pressten sie etwas früher und zwangen Nordirland dazu, den Ball schneller wieder zu verlieren. Dadurch dass O’Neill Washington für Ward brachte (69.), funktionierte zudem das nordirische Pressing nicht mehr ganz so gut. Washington sortierte sich als klassischer Stürmer ein und nicht auf Wards Hybrid-Position aus Rechtsaußen und Stürmer. Somit konnte Davies nun wieder vermehrt am Aufbau der Nordiren teilnehmen. Das alles waren kleine Faktoren, die zum 1:0-Treffer durch ein Eigentor führten (75.) – von einer walisischen Druckphase zu sprechen, wäre dennoch zu hoch gegriffen.
Nach dem Tor warf Nordirland alles nach vorne. Sie stellten mit ihren weiteren Wechseln zunächst auf ein 4-4-2, dann auf ein totaloffensives 3-3-4 um. Wales wiederum vertraute auf die eigene Defensivstärke. Sie stellten auf ihr angestammtes 5-3-2-System zurück, Williams rückte dafür ins Mittelfeldzentrum. Nordirland fiel nicht mehr ein als lange Bälle in den Strafraum – und die verteidigte Wales souverän.
Fazit
Mit Nordirland verlässt eine der defensiv flexibelsten Mannschaften das Turnier. Über ihre Offensive braucht man eigentlich kein Wort verlieren. Dafür hatten sie gegen den Ball stets einen guten Plan, der jeweils an den Gegner angepasst war. Auch Wales verdammten sie mit ihrem 5-3-2-System lange Zeit zur Wirkungslosigkeit. Man könnte sagen, Trainer O’Neill hat das bestmögliche aus der spielerisch limitierten Mannschaft geholt. Nun geht es im Fußball aber nun einmal um das Toreschießen – und dafür hatten die Nordiren keinen Plan.
Wales lieferte wiederum das vielleicht schwächste Turnierspiel ab, zumindest im Ballbesitz. Gegen Nordirlands clevere Ordnung verloren sie zu schnell die Geduld, zu viele Spieler ließen sich fallen. Somit konnte Nordirland einfach zu den Mannorientierungen übergehen und wurde nie nach hinten gedrückt. Defensiv stand Wales aber erneut makellos. Das dürfte im weiteren Verlauf der K.O.-Runde wichtiger werden als die eigenen Schwächen bei Ballbesitz.
1 Kommentar Alle anzeigen
busco 26. Juni 2016 um 16:45
„Defensiv stand Wales aber erneut makellos.“
Das war gegen Nordirland jetzt auch nicht besonders schwierig.