Blick über den Tellerrand – Folge 33
Kurz vor der EM-Eröffnung noch ein schneller Blick über den Tellerrand, ehe die Euro alles überstrahlt. Betrachtet werden soll in dieser Ausgabe etwa noch einmal der Start in die Copa América Centenario.
Spiel der Woche: USA – Kolumbien 0:2 (und etwas mehr Gruppe A)
Zum einhundert-jährigen Geburtstag der Südamerikameisterschaft gibt es in diesem Jahr die Sonderausgabe der Copa América, mit mehr Teilnehmern und ausgetragen in großen Stadien in den USA. So durfte die Nationalmannschaft unter Jürgen Klinsmann als Gastgeber auch den Auftakt in dieses Jubiläumsturnier machen, Ende vergangener Woche in der Partie gegen José Pekermans Kolumbien.
Klinsmann entschied sich für eine 4-3-3-Formation, mit Offensivallrounder Bedoya auf der rechten Acht. Im Pressing positionierte sich die Sturmreihe etwas enger in den Halbräumen, um das defensive Mittelfeld des Gegners besser abzuschirmen. Die drei Zentrumsspieler dahinter konnten situativ einzelne Mannorientierungen auf einen aufgerückten Sechser oder Kolumbiens Zehner James Rodríguez annehmen. Dieser bewegte sich häufig etwas nach rechts hinaus, sollte dann beispielsweise von Jones verteidigt werden. In gewissem Maße wurde dessen unbedachte Aggressivität dadurch nicht ungeschickt genutzt, zumal im Verbund mit situativem Zocken Woods: Jones durfte weiträumig, teils wild und breit nach außen schieben. Das unstrukturierte Element ließ sich so aber nicht ganz überwinden, gerade balancierte Umformungen ins asymmetrische 4-4-2 waren schwierig.
In einer prinzipiell direkten Aufbauspielweise versuchte Kolumbien gar nicht so sehr über den zugestellten Sechserraum zu eröffnen, sondern wählte häufig den zügigen Weg nach vorne – insbesondere über jenen Raum halbrechts. Prominenter als James zeigte sich dort aber Chaos-Flügeldribbler Juan Cuadrado. Dieser ließ sich oft etwas zurückfallen, um die Bälle in tiefen Außenzonen zu fordern und dann anzutreiben. Einige Male bewegte sich dafür der kombinationsdynamische Arias schon frühzeitig einrückend nach innen, um Raum für halblange Direktpässe auf Cuadrado zu schaffen. Aus diesen Bereichen kam Kolumbien dann durch die flache Staffelung des gegnerischen Mittelfelds doch auch wieder recht gut ins Zentrum.
Häufig suchten sie aber entweder schnelle Dribblings oder Folgezuspiele in die Tiefe. Im ersten Fall profitierten sie davon, dass die US-Sturmreihe in der Rückzugsbewegung nicht konstant arbeitete. So konnte Cuadrado gelegentlich gegen das Mittelfeld, das längere Wege hatte, andribbeln und mit Hilfe von James oder Arias in Strafraumnähe gelangen. Alternativ spielten Cuadrado oder der mit nach außen gehende James aus jenen Flügelzonen sofortige Diagonalpässe hinter die Abwehr: Gerade Mittelstürmer Bacca startete immer wieder von links zum rechten Strafraumeck und lauerte auf solche Zuspiele. Das verschaffte den Kolumbianern schnelles Aufrücken, gelegentliche Präsenz und entfachte immer mal etwas Dynamik. Im Übrigen provozierten sie mit dieser attackierenden Route auch die Ecke vor dem frühen 0:1.
Noch etwas unruhiger und teilweise chaotisch lief es in die andere Richtung, bedingt durch die Mischung aus dem vertikalen Drang im Aufbau des US-Teams und dem weitgreifenden Defensivstil der Kolumbianer. Diese schienen sich in den allerersten Minuten vergleichsweise konservativ auszurichten, verblieben gegen den Ball zunächst in der 4-2-3-1-Verteilung und suchten vorerst eher gleichmäßige Abstände. Mit der Zeit bildete sich aber stärker eine 4-4-1-1-hafte Struktur heraus, vor allem jedoch nahmen die kleineren Umformungen und Herausrückbewegungen zu. Die Kolumbianer lassen bisweilen auch mal manche Räume offen, da sie solche mit ungewöhnlicher Athletik auch wieder zulaufen können.
In der ersten Linie wurde das aber etwas problematisch, da Bacca und James bisweilen zu sehr den Kontakt zueinander verloren und Bradley als primären Aufbauspieler nicht immer ordentlich zusperren konnten. Das wurde stattdessen zwar über eine lose Mannorientierung realisiert, aber nicht lückenlos. So erzeugte Bradley durchaus ankurbelnde Präsenz, die sich anschließend in einen vertikalen Stil kanalisieren sollte. Häufig rückten beide Achter des US-Teams weit in die Offensivzonen auf, wo sich auch die Sturmreihe grundsätzlich in hoher, tororientierter Staffelung formierte. Es ergab sich also viel Präsenz in den vorderen Bereichen, was wiederum zwei bevorzugte Aufbaumuster nach sich zog.
Zum einen konnten die Amerikaner lange Bälle nach vorne spielen: Links schienen sie eher Abpraller zu fokussieren versuchen, die tiefe Defensiveinbindung Cuadrados fing jedoch vieles auf, rechts wurde Bedoya einige Male in Freiräumen gesucht, hatte nach solchen Zuspielen durch die linearen Rollen der umliegenden Kollegen aber nicht immer die optimale Unterstützung. Zum anderen gab es einzelne zurückfallende Bewegungen, die sehr dynamisch, aber ohne durchgehende Erfolgsstabilität eingebunden werden konnten. Zwar kippte halblinks Jones einige Male heraus, nutzte dies aber eigentlich nur für wirre, überambitionierte Diagonalbälle.
Ansonsten ging es bei diesem Zurückfallen nur um Dempsey zentral und Bedoya im rechten Halbraum. In beiden Fällen konnten die US-Boys zwischendurch mit kurzen Ablagen schnelle, aber auch hektische Vertikalkombinationen entzünden. Diese wurden über mehrere Stationen gut improvisiert, wühlten sich aber oft eher durch die Flügelräume. Insgesamt zeigte sich deren Effektivität sehr schwankend, trotz einzelner flotter Zwischenstafetten entstanden kaum klare Toraktionen. Vielversprechend war an der Einbindung Dempseys, das er teilweise tiefer zurückfiel als die Achter und Lücken zwischen den kolumbianischen Sechsern anpeilen konnte.
Diese beiden führten lose Mannorientierungen gegen Jones und Bedoya aus, definierten sich aber außerdem generell über verschiedene Herausrückbewegungen. In den frühen Pressingphasen stellten sie die beiden Achter zu, später schossen sie situativ aggressiv aus der Formation, um verschiedenste Gegner zu attackieren – ob im höheren Mittelfeldpressing oder nach der Rückzugsbewegung in Strafraumnähe. Ihre aufgerückte Spielweise wurde von Cuadrado abgesichert, der sich phasenweise fast schon in eine Fünferabwehr eingegliederte, damit auch die Innenverteidiger sich weit aus der Kette lösen konnten.
Einerseits wurde dadurch ein vertikaler Defensivrhythmus ermöglicht, andererseits die entstehenden Lücken dahinter situativ noch zugeschoben. Das stand im Duell mit den forschen, aggressiven Spielzügen der USA, die gelegentlich nach schnellen, unsauberen Abläufen auch mal Raum im Mittelfeld fanden, den Kolumbien nicht mehr absichern konnte, weil Cuadrado schon zu tief nach hinten gefallen war. Auch das führte dann wieder zu hektischen, teils fahrigen Folgeaktionen und -anpassungen – von der ausspielenden wie der verteidigenden Mannschaft. Insgesamt entfachte die USA dadurch immer mal in Ansätzen Gefahr, das reichte letztlich aber nicht, um den 0:2-Pausenrückstand – James hatte per Elfmeter erhöht – in Halbzeit zwei noch auszugleichen.
Anders sah das am zweiten Gruppenspieltag, wo insbesondere die USA mit einem überraschend hohen 4:0 gegen Costa Rica daherkamen, sondern auch Kolumbiens Spiel sich erneut erfolgreich zeigte und beim 2:1 gegen Paraguay bereits das Viertelfinale buchte. Die Aufmerksamkeit erregte aber besonders die Partie des „Gast-Gastgebers“: Bei der WM 2014 beeindruckte Costa Rica mit starker Defensive, in dieser Begegnung erwies sich die offensivere Besetzung ihres 5-4-1 durch den neuen Trainer Oscar Ramírez als zweischneidiges Schwert. Als Doppel-Sechs liefen Celso Borges und Bryan Ruiz auf, wobei Letzterer mit Aufrückbewegungen im Pressing häufig für versetzte 5-3-2-Anordnungen. Samt herausrückenden Flügelverteidigern konnte Costa Rica vorne punktuell viel Druck machen und einige ansehnliche Staffelungen erzeugen.
Das Problem war aber die Absicherung – und auch die Zugriffsfindung, die Ersteres stärker aufscheinen ließ. So reagierte die Mannschaft etwa nicht gut auf einzelne gegnerische Zurückfallbewegungen ins defensive Mittelfeld. Darüber konnten die USA das Spiel einige Male zu einfach verlagernd öffnen. Im Verschieben zur Seite wurde dann die suboptimale Konsequenz der Mittelamerikaner in der Rückzugsbewegung deutlich: Der eine Teil des Mittelfelds schob weit herüber, aus dem 5-3-2 schob der Rest in seiner offensiven Ausrichtung die Lücken aber nicht zu. Überhaupt waren herausrückende Bewegungen nicht so gut abgesichert, so dass immer mal wieder horizontale Löcher im Mittelfeld aufgingen, über die die USA in den Zwischenlinienraum eindringen konnten.
Wichtige Figuren waren dabei der weit zurückfallende Dempsey und Bedoya, teilweise Wood, während Zardes und der vorstoßende Jones aggressiv die Spitze attackierten. Zwar versuchte Costa Rica das Mittelfeld durch Herausrückbewegungen des Zentralverteidigers zu sichern, so dass ihre Spielweise phasenweise fast viererkettenhaft aussah. Das war aber zu unsauber und individuell, wurde daher aber meist dann auch überspielt, wenn ein Angriff mal ins Rollen kam. Ohnehin gelangten die Herausrückbewegungen der Abwehrspieler gegen die hohe, enge US-Sturmlinie nicht wirklich zur Entfaltung. Im Verlauf der ersten Halbzeit brandeten daher zunehmend Wellen von Schnellangriffen und Kontern durch den Zwischenlinienraum herein.
Mit etwas Schussglück aus dem Bereich der Strafraumgrenze führte das zu einem 3:0, nachdem Dempsey in der Anfangsphase durch einen schmeichelhaften Strafstoß schon die Führung besorgt hatte. Aus Sicht von Costa Rica machte sich die offensivere Besetzung für das Angriffsspiel übrigens eigentlich bezahlt, auch wenn sie bisher noch ohne Turniertreffer sind. Sie brachten viel Personal nach vorne und hatten einige Kombinationsansätze. Allerdings waren die Stafetten etwas zu oft auf Schnittstellendurchbrüche Richtung Flügelläufer gepolt. Zum anderen kurbelten sie bisweilen zu vertikal und frühzeitig an, spielten weiträumige Kombinationen mit zwei bis drei Leuten, die aber schwierig durchzubringen waren.
Schließlich passte die Passivität der USA dazu: Die Flügelstürmer zogen sich klarer zurück, die Achter pendelten zwischen Mannorientierungen und weiträumigem Versperren der Halbräume, sicherten teilweise tiefer für den aggressiv – etwa gegen Bryan Ruiz – herausschießenden Bradley. Insgesamt zeigten sich die Kräfteverhältnisse schon ein Stück weit merkwürdig und das klare Ergebnis verzerrt die Sicht ein wenig. Auch wenn Costa Rica mit dem 0:4 zu schlecht wegkommt, zeigten die USA doch klar die Problematik von deren aktueller Interpretation der 5-4-1-Formation auf.
Wo es gut läuft bzw. lief: AZ Alkmaar
Nun doch noch einmal zurück zum Vereinsfußball, in Form eines kleinen Rückblicks auf die Eredivisie-Rückrunde: AZ war die Mannschaft der Stunde der zweiten Saisonhälfte. Vor der Winterpause standen sie im unteren Mittelfeld, mit 19 Punkten aus 17 Spielen. Danach folgte eine aufgedrehte Aufholjagd: Als zusammen mit Ajax zweitbestes Rückrundenteam marschierten sie noch auf Rang vier und damit direkt in die Europa League. Es schien wie eine Wiederholung der Vorsaison 2014/15 – eine mehr als durchwachsene Hinrunde, dann aber eine furiose Serie in die vordersten Ränge. Neben taktischen, sicherlich auch personellen und möglicherweise psychologischen Fragen wäre in dem Fall möglicherweise auch die Thematik der Periodisierung interessant.
Was man taktisch-systematisch dazu sagen kann: Seit Januar fand das Team von van den Brom wieder zu einer festen Grundformation, deren offensive Besetzung zahlreiche Treffer erzielte. Wie schon im Vorjahr zeigte ihr Angriffsspiel keine allzu ausgeklügelte Struktur, überzeugte aber mit beweglicher und konsequenter Rollenverteilung. In der Sturmreihe des 4-3-3 agierte Jahanbakhsh auf der rechten Seite grundsätzlich als Breitegeber, der aber ebenso für Diagonalläufe in die Spitze sorgen konnte. Dagegen wurde Dabney dos Santos auf links präsenter und (an)dribbelnder, ebenso spielmachender eingebunden. Häufig bewegte er sich in Wiederbelebung der Rolle aus der Vorsaison weit in die zentralen Bereiche, um dort Überzahlen herzustellen und die gegnerische Mannorientierungsstruktur zu destabilisieren – ein Mittel, das sich schon oft als effektiv erwies.
Im Mittelfeld stand zur Rückrunde das gesamte Personal quasi erstmals gleichzeitig bereit. Auf der Doppel-Sechs agierten Allrounder Joris van Overeem und der balancierte, etwas absicherndere Ben Rienstra, der punktuell aber auch gute Kombinationen einleitete. Neben ihm rochierte der junge van Overeem engagiert durch alle möglichen Räume, wich auf die Flügel, attackierte weiträumig und gezielt die Schnittstellen, betätigte sich als dribbelnder Ballschlepper oder ballnaher Unterstützungsgeber. Er war der umtriebigste Akteur. Auf der Zehn näherte sich der rational nachstoßende Markus Henriksen seiner Vorjahresrolle, in der er erneut sehr effektiv war. Zudem konnten – sehr hilfreich – von beiden Außenverteidiger-Positionen viele diagonale Dribblings ins Mittelfeld kommen. Überhaupt wechselte die Einbindung von Johansson und Haps zwischen Aufbaudreierketten und hohen Ausrichtungen mit diagonalem Zug zum Tor, wie ihn auch van Overeem lieferte.
Dass das Ganze solch eine Wucht entfaltete, war auch der herausragenden Verfassung von Mittelstürmer Vincent Janssen zu verdanken, der fast in jedem Rückrundenspiel traf und sich am Ende mit 27 Toren noch zum Schützenkönig krönte. Seine auch in dynamischen, etwas unübersichtlichen Kontexten zuverlässige Angriffswucht konnte in diesem Zusammenhang hohe Effektivität entfalten. Das Gesamtsystem sorgte für Bewegung und Unruhe, die er nutzen und deren leichte Unsauberkeit er ausgleichen konnte. Das vereinzelt unorthodoxe Zustandekommen der Möglichkeiten lag ihm. Daneben betätigte er sich als aggressiv zurückfallender Anspielpunkt, der mit aufgedrehten und ungewöhnlichen, teilweise unsauberen, übertriebenen Ablagen und Hackenweiterleitungen für überraschende Momente sorgte. Auf diesem Niveau konnte er gegen die mannorientierten Gegner immer wieder seine bullige, aber auch spielerische Ballsicherheit einbringen.
Insbesondere zu Beginn der Rückrunde trat AZ mit diesem Gesamtpaket eine Torflut los und konnten diese Schlagzahl auch fast halten. Kein anderes Eredivisie-Team erzielte nach der Winterpause mehr Treffer, am Ende 47 Stück in 17 Partien. Sowohl van Overeem als auch der einrückende Dabney dos Santos zeigen weiträumige Freilaufbewegungen in den Mittelfeldzonen. Wenn Henriksen und Haps jeweils Gegner nach hinten drückten, während die beiden beweglichen Offensivallrounder flexibel durch zentrale Bereiche glitten, war das gegen Mannorientierungen sehr effektiv. Auf der anderen Seite ging AZ mit diesem Stil aber auch hohes Risiko: Sie setzten darauf, mit einzelnen Läufen Raum erschließen, durch schnelle Direktpässe bedienen und dann mit Dynamikvorteil einen Schnellangriff durchbringen zu können.
Die zugrundeliegenden Muster waren von einer mutigen Offensivlogik geprägt, die stark auf Dynamiken in den Raum bezogen ist. So gestalteten sich die Bewegungen sehr weiträumig, teilweise auf Verdacht und orientierten sich weniger an struktureller Stabilität. Manchmal suchten sie Läufe, ohne auf zuverlässige Absicherung zu achten und gleichzeitig ohne, dass wirklich zuverlässig abschätzbar war, ob damit wirklich eine Chance auf Einbindung gegeben sein würde. Bei abgefangenen Pässen oder sonstigen Fehlaktionen hatte der Gegner große Konterräume. Durch die aufgerückten Positionierungen von Haps, Alireza und Henriksen sowie die vielen ausweichenden Bewegungen waren teilweise viele Spieler vor dem Ball und das Gegenpressing erschwert.
Von den stärkeren Gegnern wurden diese Schwachstellen dann auch ausgenutzt – zumal ihr organisiertes Defensivspiel ambivalent daherkam. Ende Februar stand das Topspiel gegen Ajax an: Da AZ bis dahin alle Rückrundenspiele – teilweise mit furiosen Kantersiegen – gewonnen hatte, wurde eine spannende, hochklassige Angelegenheit erwartet. Letztlich waren die Amsterdamer auf die Eigenheiten von AZ aber gut eingestellt, nutzten diese mit ihrer Gesamtqualität gezielt aus und kamen so zu einem überlegenen 4:1 – und das trotz Unterzahl über fast eine ganze Halbzeit. Dadurch erklärt sich, warum AZ reihenweise hohe Siege feierte, dann aber gegen eines der beiden enteilten Topteams direkt mit solcher Deutlichkeit in die Schranken gewiesen wurde.
Die zweite von drei Rückrundenniederlagen gab es dann gegen das andere große Topteam der Saison, Titelverteidiger PSV. Zwar hatte AZ hier in der Anfangsphase ebenso einige gute Torchancen, doch letztlich sollte dieses Match erneut nicht nur verloren gehen, sondern direkt mit deutlichem Resultat: Kurz vor Ende stand es 0:4, ehe die Jungs von van den Brom in der Schlussphasen noch zwei Ehrentreffer markierten. Wenn sie mal verloren, dann also nicht in knappen, umkämpften Duellen, sondern unter klarer Verdeutlichung defensiver Lücken mit jeweils sofort vier Gegentreffern. Insgesamt stand AZ also nicht nur für spektakuläre Offensive, sondern generell für Torfestivals mit viel Aufregung in beide Richtungen: In dieser so starken Rückrunde standen am Ende 25 Gegentreffer zu Buche.
So zeigte also auch das Pressing noch keinesfalls Topniveau: Es waren zwar gewisse Verbesserungen zur Hinrunde erkennbar, aber gleichsam blieben bestimmte Schwachstellen vorhanden. Eine Steigerung gab es im 4-4-2-haften Anlaufen gegen die gegnerische Viererkette und einige engere 4-4-1-1-Phasen in tieferen Zonen. Andererseits machten die prinzipiell weiträumig ausgeführten Mannorientierungen weiterhin anfällig. Interessant war, dass die Sechser zwischendurch sehr aufgerückt spielten und bei anpassendem Herausrücken ihre nominellen Gegenspieler im Deckungsschatten zu halten versuchten. Gelegentlich ermöglichte das durch gute Ausführung auch einige überfallartige Ballgewinne.
Andererseits war es aber sehr riskant, so dass das individual- bis gruppentaktische Bemühen, Horizontalabstände und Grundstaffelung ausgewogen zu halten, nicht immer aufging. Manches Mal verlor AZ dann vom defensiven Mittelfeld schon recht deutlich die kompakte Verbindung an die Abwehrlinie. Dort zeigte sich trotz der nominell guten Besetzung in Strafraumnähe aber eine zu starke Passivität. Die von Routinier Vlaar angeführte Viererkette zog sich häufig etwas zu weit zurück, scheute die eine oder andere aktive Herausrückbewegung und verließ sich zu sehr auf die aber nicht immer so besonders gut ausgeführte Endverteidigung. Wirklich stabil war AZ am Ende also nie, das mussten sie letztlich auch nicht wirklich, für eine Weiterentwicklung zur Konstanz und für die internationalen Auftritte wäre es aber nötig.
Zum Abschluss noch ein kleines Extrembeispiel am Rande, aus dem bereits erwähnten Match gegen die PSV: Aufgrund personeller Engpässe wurde der aktive Mittelfeldallrounder Thom Haye in dieser Begegnung als Innenverteidiger aufgeboten. Vor allem bei Ballbesitz interpretierte er die Rolle teilweise sehr aufrückend. Das lief etwas wirr ab und führte auch zu vielseitigen, aber schon etwas chaotischen Aufbau- und Angriffsbewegungen. In Verbindung mit der verstärkten Nutzung langer Bälle und den anderen weiträumigen Bewegungen gab es auch mal seltsame Umformungen zu sehen. So war dieses Match ein kleines Beispiel für eine einzelne, fast sogar verrückte Ausrichtung – sehr passend zum attackierenden Hurra-Stil von AZ in der Rückrunde.
Und sonst so? Lesetipps und -werbung
Am Schluss kann man dann noch auf die anstehende EM überleiten. Es sei an dieser Stelle nochmals auf die Spielverlagerung-EM-Vorschau hingewiesen, die Analysen und weitere Berichte zu allen Teilnehmern bietet und hier in unserem Shop erworben werden kann.
Bei diesem Thema drängt sich nach einem Artikel, in dem Jürgen Klinsmann und Costa Rica auftauchten, noch ein anderes großes Turnier auf: die WM 2006. Genau zehn Jahre liegt das jetzt zurück – gerade kurz vor dem EM-Auftakt eine willkommene Möglichkeit, jenes Turnier, bei dem Deutschland die Gastgeberschaft inne hatte, nochmals Revue passieren zu lassen. Dazu gab es in einer unserer Ballnah-Ausgaben eine detaillierte Taktikanalyse des deutschen Sommermärchens, die an dieser Stelle auch noch einmal zu empfehlen ist.
2 Kommentare Alle anzeigen
Truu 10. Juni 2016 um 22:09
Ich habe bei den Mexikanern gegen Uruguay (ein tolles Spiel übrigens) ein klassisches 3-4-3 a la Niederlande 74 gesehen (Reyes als 6-er, Herrera als 10-er). Kann das jemand bestätigen?
Michael 10. Juni 2016 um 18:43
Bei der Copa America lohnt sich ein Blick auf Mexiko. Die spielen in einem cruyfschen 3-4-3, bzw taten dies zumindest im ersten Spiel gegen Uruguay. Das zweite Spiel hab ich dann leider nicht gesehen. Sah aber zumindest in der ersten Hälfte des ersten Spiels halbwegs ordentlich aus, wobei das auch an den schwachen Urus lag.