Pressingduell mit Vorteilen für Leverkusen

Nachdem es zu Beginn der Rückrunde vielversprechend ausgesehen hatte, verloren die Leverkusener in den letzten Spielen viele Punkte auf das gezielte Saisonziel: Platz 4 oder höher. Hamburg wiederum hat kaum noch Chancen auf einen internationalen Platz und scheint auch weit genug von einem möglichen Abstiegsplatz entfernt. Würden die Leverkusener in dieser Partie aus der Krise finden? Eine kurze Analyse zur Partie.

Fehlpass- und Gegenpressingfestival

Der Spielrhythmus dieser Partie war ungeheuer intensiv und schnell, wenn auch häufig nicht allzu ansehnlich. Bei beiden Mannschaften wurde das Aufbauspiel häufig mit einem langen Ball übersprungen oder über riskante,  vertikale Pässe aufgezogen. Bei beiden Varianten entstanden ähnliche Situationen: Ein Fehlpass, eine enge Staffelung beider Mannschaften in Ballnähe und extremes Draufgehen. Vielfach gab es Pässe über zwei bis drei Stationen, bevor dann entweder wegen des Drucks der Ball direkt an den Gegner im Zweikampf verloren ging oder ein Fehlpass gespielt wurde.

Grundformationen

Grundformationen

Interessant ist, wie dies durch das Pressing und Gegenpressing beider Mannschaften zu einem Hin und Her mit höchstem Tempo im Mittelfeld führte. Gäbe es nur diese riskanten Pässe in enge Situationen in der gegnerischen Spielhälfte ohne das dazu passende Gegenpressing, wäre das Spiel noch chaotischer gewesen und beide Teams hätten weniger Spieler in den vorderen Zonen nutzen können.

Nichtsdestotrotz war auch hier klar erkennbar, dass beide Mannschaften mit einem solchen Spielrhythmus schon gerechnet hatten. Sowohl Hamburg als auch Bayer ließen im eigenen als auch im gegnerischen Aufbauspiel häufig einen oder sogar beide Außenverteidiger und mindestens einen Sechser tiefer, man fächerte relativ spät auf und hatte einige Situationen, wo aus einer engen Staffelung direkt umgeschaltet wurde. So war es bei Bayer ein paar Mal Wendell, der nach einer Balleroberung direkt im Sprint durch den linken Halbraum marschierte und man quasi mit nur geringer Breite gegen einen gut abgesicherten Gegner zu kontern versuchte, was das enorme Hin und Her in der Anfangsphase noch steigerte.

Dabei ähnelten sich die Teams sogar leicht in der grundsätzlichen Ausrichtung.

Hamburgs 4-4-2/4-4-1-1 als deutscher Prototyp

Die Gäste aus der Hansestadt zeigten ein recht typisches System im deutschen Fußball: Ohne Ball formierte man sich in einem 4-4-1-1, wo der hängende Stürmer und der Mittelstürmer immer wieder in einer Linie formieren und ein 4-4-2 herstellen konnten. Grundsätzlich wird natürlich ballorientiert verschoben und auf allen Positionen gibt es zahlreiche situative Mannorientierungen. In gewisser Weise spiegelt dieses System einen Trend wieder, der vor zehn Jahren schon begann. Durch die Trainerausbildung und die DFB-Lehre jener Jahre haben sich zahlreiche Teams entwickelt, welche in diesem System mit nur leichten Variationen davon pressen. Nur wenige andere Mannschaften weichen stärker davon ab.

In diesem Spiel war innerhalb dieses 4-4-2-Systems entscheidend, wie sich die Sechser verhielten. Die Abstände zwischen den Stürmern und den Sechsern waren relativ gering. Wurden sie größer, meist, weil höher gepresst wurde, manndeckten die Sechser kurzzeitig die Sechser Leverkusens. Dadurch hatte man auf allen Positionen bei versuchtem Spielaufbau Bayers Zugriff. Die Flügelstürmer rückten aus ihrer etwas engeren, zentraleren Position aggressiv bei Pässen auf den Außenverteidiger vor ihnen auf, die Stürmer taten das Gleiche bei den Innenverteidigern und die Sechser attackierten ihr Gegenüber.

Leverkusen nutzte in diesem Spiel – wohl aufgrund personeller Mängel – keine besonderen Gegenmittel. Mit Kramer und Kampl im Kader hätte man womöglich die Außenverteidiger höher geschoben und sich die Bälle im linken Halbraum oder zwischen den Innenverteidigern abgeholt, um Hamburgs Pressing zu überspielen. Mit dem jungen Frey und dem gelernten Innenverteidiger Toprak auf der Doppelsechs fehlte es wohl auch an der Pressingresistenz und Kreativität dafür.

Insofern funktionierte Hamburgs Pressing deswegen gut, weil Bayer keine besonderen Mechanismen dagegen probierte. Stattdessen ließen sie Calhanoglu etwas zurückfallen, schoben die Zehner höher und gelegentlich breiter, wodurch sie lange Bälle auf diese spielen und mit der kompakten Mitte die zweiten Bälle erobern konnten.  Insgesamt war Leverkusens wichtigster Spielmacher aber das Pressing.

Leverkusens 4-2-2-2 greift wieder stärker

In den letzten Wochen und Monaten wurde von einigen Experten gemutmaßt, dass abgenommen hätte bzw. schwächer geworden sei. Sogar einzelne statistische Kennwerte, z.B. der von uns kreierte Wert der Pressingintensität, zeigten eine leichte Verschlechterung. Neben den Verletzungssorgen in jüngster Zeit könnte dies auch an taktischen Vorgaben liegen; so gab es einige Spiele mit ballfern deutlich tieferem Zehner, wodurch 4-3-3hafte Staffelungen entstanden oder sogar einige Phasen mit einem klareren, orthodoxen 4-4-2.

Alles in allem sind die Leverkusener aber prinzipiell immer ihrem 4-2-2-2 und den Mechanismen darin treu geblieben. In dieser Partie funktionierte es wieder sehr gut; Hamburg konnte kaum aufbauen und hatte nur ein paar wenige Situationen, wo über ein paar Querpässe auf den Flügel gespielt und dort der Ball vertikal nach vorne gepasst werden konnte. Auch das gelegentliche Abkippen von einem der Sechser veränderte daran wenig. Die hohe Zentrumskompaktheit der Formation Bayers versperrte die Passwege in die Mitte, das laufintensive Verschieben isolierte die Angriffe über die Seiten.

Nach Balleroberungen hatte Bayer einige schnelle Konter über zentrale Räume, wo die ballnah eingerückten Spieler direkt vorstoßen und Pässe in den Lauf erhalten konnten. Diese Spielweise führte zu einer gewissen Dominanz Bayers, auch wenn einzelne schnelle Durchbrüche Hamburgs zu Chancen führen konnten.

Zweite Halbzeit mit geringen Veränderungen

Die zweite Spielhälfte zeichnete ein etwas anderes Bild. Die Intensität nahm insbesondere auf Hamburger Seite ab, die nicht mehr ganz so aggressiv pressten. Dabei brachte Labbadia unter anderem Diekmeier für Sakai in der Halbzeitpause, um über den Außenverteidigerposten aggressiver aufrücken zu können. Später kamen noch Drmic für Ilicevic (61.) und Lasogga für Holtby (78.), welche für mehr Offensivpräsenz in den vorderen Zonen sorgen sollten. Schmidt ging wiederum den umgekehrten Weg: Kruse für Bellarabi, Kießling für Chicharito und Ramalho für Frey waren Wechsel, welche mehr Stabilität bringen sollten.

Fazit

Mit einem knappen, aber durchaus verdienten Sieg hat sich Leverkusen drei wichtige Punkte im Kampf um die internationalen Plätze gesichert. Nach den weniger erfolgreichen Spielen der letzten Woche war dieser Sieg ungemein wichtig, um zumindest eine geringe Chance auf Platz 3 und die direkte Qualifikation für die Champions League zu behalten. Dies gelang mit einer Rückkehr des hochintensiven, kompromisslosen Pressings, welches dem Gegner nur wenige, oft überhastete und bedrängte Abschlüsse erlaubt. Die Hamburger wiederum zeigten ebenso eine hohe Intensität im 4-4-1-1/4-4-2, konnten diese aber nicht so konstant aufrechterhalten. Beiden Mannschaften fehlte es aber an einem konstant funktionierenden Plan im Aufbauspiel, um dem Pressing des jeweils  anderen Teams zu entkommen. Dies war der dominante Aspekt eines chaotischen Spiels, welches den prototypischen deutschen Fußball in extremer Ausprägung zeigte.

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