Tuchels Positionsspiel gegen Frankfurter 6-3-1-Tracht
Armin Veh holte mit seiner Eintracht und einer sehr defensiven Spielweise ein Unentschieden gegen den FC Bayern München und dessen konzeptionelles Positionsspiel. Würde er es gegen Thomas Tuchels BVB ebenfalls schaffen?
Armin Veh mit (fast) echter Sechserkette
Meistens sträuben sich mir die Nackenhaare beim Wort „Sechserkette“. Nicht (nur), weil es eine meist unästhetische Strategie ist, sondern weil es nach der DFB-Definition des Kettenspiels meist keine Kette ist, sondern sich die Flügelstürmer wegen der Mannorientierung auf den gegnerischen Außenverteidiger nach hinten ziehen lassen. Meist ist es also eine Viererkette, wo sich einer oder zwei Spieler situativ nach hinten bewegen.
In diesem Spiel war dies allerdings nicht so – zumindest nicht durchgehend. Der genaue Mechanismus ist jedoch schwierig zu bewerten. Natürlich gab es ein paar Staffelungen im 4-5-1 und einige im 5-4-1 (Aigner gelegentlich etwas höher); doch die Positionierungen im 6-3-1 sah man am häufigsten und sie schienen nicht durch die Mannorientierungen der Flügelstürmer an den Außenverteidigern zu entstehen, sondern gingen eher in die andere Richtung.
Vielfach rückten die Außenspieler nach vorne heraus, um situativ die gegnerischen Außenverteidiger zu pressen, aber sie beteiligten sich prinzipiell am Kettenspiel der Viererkette und verschoben dementsprechend – auch ballfern. Insofern entsprach dieser Mechanismus durchaus den gestellten Anforderungen, um die Definition einer Sechserkette zu erfüllen. Was sind jedoch die Vorteile iener solchen Überfrachtung der ersten Linie?
Grundlegende Möglichkeiten mit Sechserkette
Interessanterweise schrieb ich im Rahmen meiner privaten Arbeit vor kurzer Zeit einen theoretischen Artikel über die Möglichkeiten einer Sechserkette in der letzten Linie. Auch hier erwähnte ich, dass ein 6-3-1 vielversprechend sei, um bestimmte Zonen massiv zu verteidigen. Grundsätzlich ermöglicht die Sechserkette nämlich eine hervorragende Breitenstaffelung, was in weiterer Folge zu vielen Vorteilen führt.
Durch die Vielzahl an Spielern in einer Linie ganz hinten, ist man bei schnellen und langen Verlagerungen auf die ballferne Seite nicht anfällig. Sogar dann nicht, wenn man extrem zum Ball verschiebt und in Ballnähe viel Druck durch eine enorme Kompaktheit erzeugt. Auch bei Flanken ist man enorm präsent im Strafraum und kann dort nahezu alle Räume absichern. Sogar bei Abprallern ist man ausreichend besetzt, um Folgeabschlüsse nach Abprallern blocken zu können.
Die vielen Spieler in einer Linie ermöglichen außerdem viele situative Mannorientierungen, Zugriff auf viele Zonen gleichzeitig und gute Absicherung dieser herausrückenden Bewegungen. Nahezu jeder Spieler kann die Sechserkette eigentlich jederzeit verlassen, weil dennoch genügend Spieler übrig bleiben, welche das entstandene Loch schließen können. Die drei zentralen Akteure im Mittelfeld blocken die Räume in der Mitte und schieben den Gegner damit auf die Seite, wo die Außenspieler der Sechserkette aggressiv pressen können.
Spezifischer Nutzen gegen den BVB
Gegen den BVB gab es natürlich auch bestimmte Gründe, eine solche Taktik zu nutzen. Wie Kollege Martin Rafelt bereits in seiner Mannschaftsanalyse zu Saisonbeginn schrieb, agieren die Dortmunder mit vielen Überladungen in der letzten Linie durch die beweglichen Flügelstürmer, überspielen geschickt das gegnerische Pressing und haben im letzten Drittel mit Lupfern, Rückraumpässen von der Seite, Schnittstellenpässen hinter die Abwehr und einigen Diagonalbällen zahlreiche Mittel zum Generieren gefährlicher Abschlusssituationen. Außerdem sind Mkhitaryans Bewegungsspiel, sein und Reus‘ Dribbling sowie Aubameyangs Dynamik unheimlich gefährlich.
Mit sechs Spielern in der letzten Linie und drei weiteren Akteuren davor konnte Frankfurt prinzipiell diese Angriffe besser verteidigen. Schnelle Seitenwechsel? Kein Problem, auf der anderen Seite befindet sich jeder. Überladungen? Ach, wir sind so viele, da fällt das Übergeben eines Gegenspielers nicht schwer. Lupfer und Rückraumpässe? Zu wem?! Schnittstellenpässe? Auch kein Prob…, oh, doch.
Der BVB bestraft den Nachteil
Zwar können die Schnittstellen massiv verengt werden, doch diese Spielweise hat prinzipiell – und bei Frankfurt speziell wegen einer unsauberen Umsetzung – einen Nachteil in der Koordination der Bewegungen in der letzten Linie. Es können offene Räume schnell besetzt werden, doch die vielen Orientierungspunkte sind teilweise auch ein Problem. Beim Spiel auf Abseits kann dies gefährlich werden, jedoch auch bei der Kommunikation, wem genau welche Räume gehören.
Das 1:1 der Dortmunder fiel auch dadurch, weil die Schnittstelle kurz geöffnet und die Verständigung in der letzten Linie nicht optimal war. Frankfurts Führung war bis dahin aus strategischer Sicht enorm wichtig gewesen.
Frankfurt in Ballbesitz inkonstant
Grundsätzlich hat man im 6-3-1 (oder anderen Formationen mit sechs Akteuren in der letzten Linie) einige Mängel im Spiel mit Ball und im Umschaltspiel bzw. Konterspiel. Das 1:0 Frankfurts war ein Zeichen, wie es gehen kann. Seferovic erhielt den Ball und behauptete ihn ausreichend lange, damit die restlichen Spieler nachstoßen konnten. Dies ist schwierig und nicht konstant zu praktizieren, weswegen Frankfurt nur punktuell zu Chancen kam.
Vielfach begann man Angriffe auch mit langen Bällen. In Ballbesitz gab es kein 6-3-1, sondern ein 4-3-1-2, welches etwas asymmetrisch war. Aigner schob auf dem rechten Flügel weit nach vorne, Meier rückte meistens in Richtung Zehnerraum und Seferovic bewegte sich nach links. Damit wollte Veh vermutlich eine möglichst stabile Staffelung für zweite Bälle schaffen, Dortmunds Abwehr beschäftigen und Meiers Stärken im Luftzweikampf nutzen, ohne die defensive Stabilität aufzugeben.
Großchancen gab es aber trotzdem nicht. Mit nur zwei Abschlüssen gingen die Frankfurter in die Halbzeitpause; der BVB war konstant besser geworden.
Der BVB kontrolliert und Frankfurt macht langsam auf
Bis zur Führung und danach noch mehr wurden die Schwarzgelben stärker. Bender und besonders Hummels beteiligten sich stärker am Spielaufbau in höheren Zonen, Hummels rückte häufig – auch mit Ball am Fuß – nach vorne. Das sorgte für mehr Präsenz und Zugriffsprobleme bei Frankfurt. Diese waren ohnehin durch die flache und sehr breite Formation Dortmunds gebunden, welche mithilfe schneller Ballzirkulation von Seite zu Seite und enormer Bewegung von Mkhitaryan und Aubameyang in der letzten Linie Räume öffnen wollten.
Diese Suche nach einer geöffneten Schnittstelle und Möglichkeiten, um in die Formation Frankfurts zu kommen, funktionierten. Das Verschieben der Mittelfeldkette passte nicht mehr ganz, teilweise wurde der Zwischenlinienraum geöffnet und die Bewegungen in der Abwehrkette waren unsauber. In der zum Elfmeter führenden Situation vor der Halbzeitpause waren z.B. die Flügelläufer unsauber positioniert; sie standen tiefer als die Mittelfeldspieler, aber höher als die Abwehrkette und hatten in dieser Situation eine ineffektive Stellung. Der Durchbruch des BVB und die Rückraumablage auf Castro führten letztlich zum Elfmeter –und einem Platzverweis.
Gelb-Rote Karte und Führung beenden das Spiel
Nach seinem Foul wurde Medojevic vom Platz gestellt. Aubameyang verschoss zwar den Elfmeter, doch zu zehnt konnte die Eintracht ihre Spielweise nicht aufrechterhalten und hatte vermutlich nicht die individuelle Qualität, um mit einer strategischen Veränderung zu zehnt auf einen Sieg gegen den BVB zu spielen. Stattdessen war die Zielvorgabe mit einem 5-3-1 das 1:1 zu verteidigen. Bei herausrückenden Bewegungen der Flügel- oder Halbverteidiger konnte sich auch einer der Mittelfeldspieler zurückfallen lassen – meist Hasebe – und ein 6-2-1 / 5-1-2-1 kurzzeitig herstellen.
Der BVB lief weiter an und erzielte das 2:1 in der 57. Minute, als der für den verletzten Reus eingewechselte Kagawa nach Doppelpass mit Gündogan – ein eleganter Lupfer hinter die Abwehr – auf Aubameyang vor dem Tor querlegte. Diese Läufe von zwei Spielern gemeinsam hinter die Abwehr waren ohnehin einer der Gefahrenherde im Dortmunder Spiel. Ein toller Spielzug nach einer Ecke ermöglichte das 3:1 und somit die Entscheidung.
Fazit
Schwerer Start für den BVB, doch die mangelnde Präsenz der Frankfurter in höheren Zonen und die guten Vorstöße der tiefen Spieler im Verbund mit der passenden Ballzirkulation und Bewegung der vorderen Spieler sorgten für die Rückkehr ins Spiel. Spätestens nach der gelb-roten Karte für Medojevic war der Erfolg der Dortmunder ein Pflichtsieg, den sie dominant einfuhren.
2 Kommentare Alle anzeigen
MH 13. Dezember 2015 um 22:03
Halt nur blöd, wenn trotz Sechserkette bei einem einfachen Seitenwechsel der Linksaussen vom BVB im Rücken des Rechtsverteidigers davonlaufen kann, wie vor dem Elfmeter. Bei einer Viererkette ist das der „Preis“ des Verschiebens, aber mit sechs Mann eigentlich nicht zu tolerieren.
Auf der anderen Seite schon beeindruckend, wie der BVB gegen die tiefstehende Abwehr die richtige Mischung aus Geduld und dann doch wieder Tempoverschärfung bzw Vertikalpässen in die Lücken der Kette gefunden hat, siehe 1:0 oder den Lupfer vor dem 3:1
Raumdeuter 13. Dezember 2015 um 21:40
Danke für die schnelle und gute Analyse! War von Veh fast schon positiv überrascht, dass er doch manchmal so seine unorthodox-guten Aufstellungen hat, die funktionieren könn(t)en. Wobei man mit der ambivalenten Umsetzung erkennen konnte, dass der BVB früher oder später doch die Lücken nutzen kann und der Achterraum mit Verlagerungen bedient werden kann und die Fluidität der Offensivreihe die defensive Passivität (bzw. zu simple Mannorientierungen, die nicht 100%ig abgesichert werden) ausspielen kann.
Offensiv ist die Eintracht ja schon seit Wochen passiv und wartet darauf, dass sie den Ball im Mittelfeldpressing verlieren können. Wobei man diesmal auch kein Feuerwerk erwarten konnte. Fände es schön, wenn mal wieder jemand den BVB in der eigenen Hälfte ordentlich pressen würde und wann sie damit besser klarkommen als gegen den HSV.
Ein wahrscheinlich spielerisch schwaches, aber sehr wichtiges Spiel für beide Seiten wird das Kellerduell der Eintracht gegen Bremen. Hoffentlich schwebt das Abstiegsgespenst nicht im Spielaufbau herum und es wird sich mit 90 Minuten Mittelfeld(gegen)pressingbällen an der Seitenauslinie begnügt.