Umschaltduell geht an die Ballbesitzmannschaft
Das Freitagsspiel heißt Mainz gegen Hoffenheim – zwei Mannschaften, die taktisch schon mehrfach in den letzten Jahren als interessante Teams galten. Auch jetzt mit Markus Gisdol und Martin Schmidt sind zwei junge Trainer ohne besondere Profierfahrung auf den Trainerbänken zu finden. Wie würde die Partie zwischen diesen Mannschaften dieses Mal aussehen?
Mainzer Lehrbuch-4-4-2/4-4-1-1
Die Hausherren begannen mit einem System, welches auch direkt aus dem DFB-Lehrbuch hätte stammen können. Prinzipiell orientierten sie sich in einem 4-4-2 mit zwei engen Stürmern, welche den gegnerischen Sechserraum versperrten und im Wechsel die gegnerischen Innenverteidiger bogenartig anliefen. Der ballferne Stürmer orientierte sich dann meistens am gegnerischen Sechser, der ballnahe Stürmer versuchte Druck zu erzeugen und den zweiten Innenverteidiger durch seinen Lauf zu verschließen. Dabei starteten sie etwas vor der Mittellinie ihr Pressing; in tieferen Zonen arbeitete Malli etwas weiter nach hinten als Mittelstürmer Muto.
Dahinter positionierten sich die vier Mittelfeldspieler in der Horizontale kompakt und positionsgetreu in einer Linie, wobei es hierbei immer wieder situative Mannorientierungen gab. Gelegentlich rückten zum Beispiel die Sechser heraus, um die Achter Hoffenheims aggressiv zuzustellen und direkt bei der Ballannahme attackieren zu können.
Interessant war, wie die Flügelstürmer im Sinne des Kettenspiels und ballorientierten Spiels nicht mannorientiert mit den Flügeln mitgingen, sondern die Sechser absicherten. Wurden diese ausgespielt, setzten die Flügelstürmer in Richtung Mitte nach und sorgten für Folgedruck. Der Gegner konnte das zwar meistens mit simplen Pässen auf den Flügeln lösen, doch verlor dadurch vielfach an Dynamik und Raum (Fußballwissen: Ein Querpass auf die Seite ist ein Rückpass).
In der letzten Linie war ähnliches der Fall, wobei die Innenverteidiger noch deutlich positionsgetreuer als die Innenverteidiger waren, während die Außenverteidiger etwas öfter und früher herausrückten, um die Flügelstürmer des Gegners attackieren zu können.
Offensiv sah es prinzipiell ähnlich aus. Muto besetzte die letzte Linie und pendelte zwischen den Halbräumen, während Yunus Malli – laut Sky-Kommentator ein junger Mesut Özil – in den Räumen dahinter und zwischen den Linien nach Anspielen suchte. Malli ist hierbei ein unterschätzter und sehr guter Akteur. Seine Läufe sind gelegentlich unorthodox, meist aber intelligent im Bezug auf die Spieldynamik, dazu kann er sehr kreative Pässe spielen und ist ein guter, geschickter Dribbler – auch auf engstem Raum unter Druck.
Clemens und De Blasis bewegten sich von den Flügeln diagonal in die Mitte, die Außenverteidiger versuchten dann zu hinterlaufen, während Moritz im Zentrum gelegentlich auf halblinks nach vorne schob, was meistens in Verbindung zu den Bewegungen Mallis stand. Mainz hatte durch die Ausrichtung Hoffenheims viel mehr vom Ball, zur Halbzeitpause verzeichnete man sogar über 70%. Sie ließen den Ball hinten laufen und versuchten aggressiv nach vorne zu spielen, doch trotz einiger Ballverluste hatte man durch das sofortige Gegenpressing und eben die Ausrichtung Hoffenheims enorm viel vom Ball.
Hoffenheim mit leicht unorthodoxem 4-1-4-1
Zum Vergleich: Mainz hatte in der ersten Halbzeit einen Pressingintensitätswert von 0.94. Rekord einer Mannschaft über eine Saison liegt bei um die 0.8. Der Wert ist aber oftmals liga- und spielbedingt zu sehen; in Partien mit vielen langen Bällen können extrem hohe Werte entstehen, ebenso bei passivem Gegner und eigenem aggressiven Spiel sowie natürlich gutem Pressing und Gegenpressing. In diesem Spiel kamen viele Sachen zusammen; Hoffenheim fokussierte sich nämlich im Konterspiel auf extrem schnelles und weiträumiges Umschalten. Phasenweise lag man nur minimal über 50% Passgenauigkeit, desweiteren waren viele Pässe eben schlichtweg lange Bälle.
Bereits zur Halbzeit hatten die Hoffenheimer 20 gewonnene Luftzweikämpfe, obwohl mit Vargas, Volland und Schmid kein einziges Kopfballwunder in der letzten Linie positioniert war. Nicht alle langen Pässe waren hoch, beim 0:1 für Hoffenheim überwand man zum Beispiel mit raumgreifenden Flachpässen, wo man nach einer Verlagerung in die Mitte letztlich die zuvor ballfernen Räume bespielen und Schmid in den offenen Raum der aufgerückten Mainzer Abwehr schicken konnte.
Interessant war die Ausrichtung Hoffenheims auch im Pressing. Grundsätzlich starteten die Hoffenheimer in einem 4-1-4-1. Vargas als Mittelstürmer orientierte sich allerdings schon in der ersten Linie öfters nach rechts und orientierte sich eher am gegnerischen linken Innenverteidiger. Schmid als linker Flügelstürmer und Polanski als linker Achter schoben häufig weit nach vorne und pressten auf den rechten Innenverteidiger – oder so zumindest der Plan auf dem Papier. Meistens war es Schmid, der in Einzelsituationen auf den rechten Innenverteidiger ging und häufig blieb dieser einfach offen.
Die Achter konnten nicht sauber herausrücken, weil sie sich zumindest im höheren und mittleren Pressing sehr mannorientiert an den gegnerischen Sechsern agierten. Dennoch verteidigte Hoffenheim Mainz relativ gut. Sie ließen wenige Strafraumszenen und saubere Abschlüsse zu. Einzig an Balleroberungen fehlte es. Mainz schaffte es Hoffenheim zu umspielen und nach hinten zu drücken, wo die Kraichgauer relativ passiv waren und Mainz viele Ausweichoptionen nach hinten ließen.
Alexander Rosen – „Direktor Profifußball“ bei Hoffenheim – sprach in der Halbzeit passenderweise davon, dass die Gäste nicht konstant Zugriff erzeugen und viel zu häufig individuell verteidigten und nicht kollektiv Druck am Ball schaffen konnten. Immer wieder konnte Mainz bei höherer Position auf dem Feld den Ball ohne größere Probleme auf die Sechser oder zumindest auf Spieler der Viererkette zurückspielen konnten, die dann verlagern und neu aufbauen konnten.
Offensiv gab es ähnliche Probleme. Die Verbindungen zwischen den Offensivspielern waren oft nicht passend, wodurch man nur wenige kollektive Aktionen im letzten Drittel hatte. In den entscheiden Aktionen mangelte es oft an Anspielstationen, die noch Raum generieren oder für Durchschlagskraft sorgen konnten. Vargas ließ sich oft nach halbrechts oder gar nach hinten fallen, tauschte gar mit dem hereinrückenden Volland die Position und öffneten damit Räume für Schmid.
Es fehlte aber vielfach am passenden Umschalten, wo die Mitspieler rechtzeitig nachschieben konnten. Auch bei organisiertem Ballbesitz fehlte es teilweise an den passenden Strukturen. Geringe Ballbesitzzeiten, unpassendes Timing bei den Vorstößen der Außenverteidiger und schwaches Aufrücken der Achter ohne adäquate Einbindung in Strafraumnähe gepaart mit Mainz‘ passendem Defensivspiel sorgten für wenige Chancen aus dem Spiel heraus für die Hoffenheimer.
Einzelne Kontermöglichkeiten waren gefährlich, was ein Punkt auf beiden Seiten war.
Kernpunkt: Umschalten nach Umschalten
Beide Mannschaften waren am anfälligsten, nach dem Ballverlust. Alle vier Tore fielen eigentlich durch Kontersituationen, wo wegen der vorherigen Struktur offene Räume vorhanden waren und diese bespielt werden konnten. Desweiteren zeigte sich auch, dass auf beiden Seiten das Gegenpressing zwar gut und vorhanden war, gelegentlich aber durch das Gegenpressing und den nicht sofortigen Zugriff auf den Ball noch mehr Räume geöffnet waren.
Teilweise schob die letzte Linie nicht adäquat nach vorne oder rückte in den Folgeaktionen nicht heraus, um die gegnerischen Konter zu unterbinden. Sowohl beim ersten Tor der Hoffenheimer als auch bei den ersten beiden Treffern Mainz‘ war dies eigentlich der Fall. Jedoch sei gesagt: Das ist Kritik auf relativ hohem Niveau. Es mag einfach klingen, doch das passende Nachrücken in so dynamischen Situationen gegen Mannschaften, die darauf eingestellt sind und schlichtweg möglichst schnell umschalten wollen, ist nicht einfach. Das Herausrücken in letzter Linie, teilweise sogar fast in Gleichzahl, ist ebenfalls für den einzelnen Spieler nicht ohne Risiko und schwierig handzuhaben.
Diese Partie zeigte aber, was dann passieren kann.
Endphase
In den letzten Minuten gab es viele Wechsel. Bei Mainz primär, um die Spieler bejubeln zu lassen – insbesondere den einmal mehr starken Malli –, bei Hoffenheim waren es taktische Umstellungen. Gisdol brachte mit Kuranyi und Uth zwei Spieler in der Endphase für Linksverteidiger Kim und Sechser Schwegler.
Hoffenheim spielte in den Schlussminuten ein undefinierbares System. Es variierte irgendwo zwischen 3-2-1-4, 3-1-2-4 und 3-2-0-5. So gab es am Ende gar eine Staffelung mit Kaderabek und Bicakcic als Halbverteidiger neben Süle, Rudy und Polanski davor als Doppelsechs und Uth, Schmid, Vargas, Kuranyi und Volland (in dieser Reihenfolge von links nach rechts) in letzter Linie.
Die mangelnde Organisation und strukturelle Sauberkeit sorgten aber dafür, dass Mainz damit keine Probleme hatte und die Schlussminuten souverän herunterspielen konnte.
Fazit
Kein hochspannendes Spiel, weder taktisch noch spielerisch. Beide Mannschaften warteten mit einem klaren Plan auf, wobei die Mainzer diesen sauberer und effektiver umsetzten. In Yunus Malli hatten sie an diesem Tag auch den perfekten Spieler für ihre Umschaltaktionen, der den Ball behaupten, weiterleiten und eben auch verwerten konnte; bei zwei seiner Tore kreierte er die Abschlusssituationen dazu beinahe selbst. Hoffenheims Verbindungen im letzten Drittel waren nicht so stark, wodurch sie kaum zu guten Abschlusschancen kamen. Auch die Umstellungen am Ende konnten dies nicht zum Besseren wenden.
10 Kommentare Alle anzeigen
DAF 19. September 2015 um 10:26
Also wenn sich Hoffenheim nicht sehr deutlich steigert seh ich sie ehrlich gesagt im Abstiegskampf. Das war in meinen Augen gar nichts. Das Pressing war, wie eigentlich immer bei Gisdol, recht vorzeigbar. Alles andere, insbesondere der Spielaufbau, war aber einfach nur richtig schwach.
Ansonsten: Versteht ihr, warum Schmidt Moritz Latza vorgezogen hat?
Und noch eine Frage an RM: Kommt der zweite Teil des Podcasts über die Sommertransfers noch? Der erste Teil endet, wenn ich mich recht erinnere, dass ihr anfangen wollt über Dortmund zu sprechen und dann vermutlich weiter über die mittleren und unteren Mannschaften der Tabelle. Da gäbe es finde ich noch einige interessante Transfers…
BVBatman 19. September 2015 um 10:38
Latza ist verletzt.
Mario 19. September 2015 um 09:33
Der Unterschied zwischen den beiden Mannschaften bestand meinem Eindruck nach einfach darin, dass Mainz auch mit dem Ball was anfangen konnte, während es bei Hoffenheim eigentlich nur lange Bälle waren. Deswegen fand ich den Sieg auch sehr verdient und vorhersehbar.
Ist der Hoffenheimer Kader nicht eh total seltsam zusammengestellt? Kann es sein, dass sie eigentlich keinen einzigen zentral-offensiven Mittelfeldspieler im Kader haben? Keinen kreativen Ballverteiler? Ich sehe nur 6er, Stürmer en masse und Flügelspieler.
PNM 19. September 2015 um 07:44
Den Malli-Özil-Vergleich fand´ich jetzt überraschenderweise gar nicht soo schlecht.
Grade in seiner Real- und frühen Deutschland-Zeit ist Özil doch immer wieder durch kluges positionieren zwischen den Linien, häufig außen oder in den Halbräumen, aufgefallen. Vielleicht etwas andere Dynamiken benutzt als Malle, aber grundsätzlich nicht so verschieden.
Und beide sind in der Lage mit ihren kleinräumigen Pässen, Dribblings und Ausspielbewegungen direkt nach Ballannahme ziemlich konstant Durchschlagskraft zu erzeugen.
Koom 19. September 2015 um 10:30
Hm, sehe die eigentlich relativ unterschiedlich. Özil ist eher Verbindungsspieler mit wenig Zug zum Tor, während Malli sehr vertikal spielt. Beide sind aber manchmal Opfer ihrer Körpersprache, wenn sie im Spiel abgeschnitten werden.
Ansonsten: Starkes Spiel von Mainz und gleichzeitig (imo unabhängig voneinander) schwaches Spiel von Hoffenheim. Bei denen ist auch viel im Argen, wobei sie ja eigentlich „nur“ Firminho verloren haben. Deren Kaderzusammenstellung ist aber (wie Mario auch sagt) nicht ideal.
Ein Zuschauer 19. September 2015 um 12:03
Özil mit wenig Zug zum Tor? Ich finde er ist sehr stark darauf angewiesen, dass er Zug zum Tor entwickeln kann.
PNM 19. September 2015 um 14:41
Finde ich auch. Er sucht zwar eher selten selber den Abschluss, aber Zug zum Tor hat er ohne Zweifel.
Ein Zuschauer 19. September 2015 um 17:55
Malli ist halt in den Situationen am Strafraum deutlich dribblinsorientierter als Özil. Aber beide sind in gewisser Weise „spielerische Brechstangen“ (Begriff von RM mal für Özil benützt mein ich), Malli halt noch n bisschen rabiter.
PNM 20. September 2015 um 19:47
Das trifft’s perfekt.
Koom 20. September 2015 um 20:56
Ok, da diskutiere ich mal nicht gegen. Dann kenne ich Özil insgesamt zu schlecht (sehe ihn fast nur bei der N11).
Was beiden aber auf jeden Fall gleich ist: Sie können schwer „den Bock umstoßen“, wenn sie in einem Spiel abgeschnitten werden. Dann sinken die Schultern und agieren dann definitiv nur noch „verbindend“, nicht mehr entscheidend.