Pressingstruktur durch Raumaufteilung und Glück ausgehebelt
Der VfB reist nach Berlin und spielt gegen die Hertha. Mit Dardai und Zorniger trafen somit noch zwei relativ unerfahrene Bundesligatrainer aufeinander.
Stuttgart im flexiblen 4-1-4-1/4-3-2-1 gegen den Ball
Der VfB war vor der Saison ein kleiner persönlicher Geheimtipp. Mit Alexander Zorniger haben sie sich einen interessanten Trainer geholt, dem ein hervorragender Kader anvertraut wurde. Spieler wie Gruezo, Kostic, Didavi, Ginczek, Werner oder Baumgartl sind enorm talentiert und könnten auch auf europäischem Niveau mithalten. Die ersten Spiele wirken auf dem Papier zwar nicht gut, doch vielfach war schlichtweg Pech dabei und man zeigte eigentlich eine gute Leistung.
In der Partie gegen die Hertha war die Leistung in der Anfangsphase jedoch eher als mäßig zu bewerten. Dabei war die grundsätzliche Idee keineswegs schlecht. Im 4-1-4-1 begannen die Stuttgarter etwas tiefer als erwartet; sie pressten nicht schon am gegnerischen Strafraum, sondern wenn Hertha ins zweite Drittel aufrückte. Dann arbeiteten sie allerdings mit extrem viel versuchtem Isolieren und Leiten.
So versuchte Ginczek immer wieder mit Bogenläufen die Innenverteidiger voneinander zu isolieren. Wenn die Innenverteidiger auf einer Linie standen und sich den Ball zuspielten, schob Ginczek nach vorne und probierte diese Verbindung zu trennen. Ziel war es, dass die Herthaner dann auf die Seite oder auf die Sechser spielen müssen.
Wenn sie auf die Seite spielten, wurden sie von den Flügelstürmern Stuttgarts sofort attackiert und gepresst. Ginczek sollte im Idealfall wohl die Anspielstation nach hinten versperren, die Achter die zentralen Optionen zumachen. Meistens spielte Hertha aber auf die beiden Sechser, woraufhin Stuttgarts Achter aggressiv herausrückten und pressten. Vielfach stand der VfB in einer 4-3-2-1haften Formation oder gar einem 4-4-1-1, in welchem der ballnahe Achter weit herausgerückt war.
Häufig positionierten sich die Achter sogar schon vor diesen Pässen höher – insbesondere nach dem 0:1-Rückstand – um die Anspielstationen zu versperren und Hertha zu langen Bällen zu zwingen. Damit sollten Pressingfallen hinter bzw. neben Ginczek gebaut werden, die attackiert wurden, wenn sich ein Gegenspieler dorthin bewegte und angespielt wurde. Ginczek rückwärtspresste oft gar nicht, sondern bewegte sich direkt nach vorne, um die direkten Rückpässe der Sechser Herthas zu pressen. Insgesamt arbeitete man also extrem viel mit leitenden und isolierenden Elementen, doch die Hertha hatte die passende Raumaufteilung, um dagegen vorzugehen.
Intelligentes und geduldiges Bewegungsspiel der Hertha
Obwohl das Stuttgarter Pressing gut durchdacht war, fand die alte Dame eine Möglichkeit den Zorniger-Plan zu neutralisieren. Mithilfe einer sehr guten Raumaufteilung hatte der VfB kaum die Möglichkeit rechtzeitig in den Zweikampf zur Balleroberung zu kommen oder die Passwege zu erreichen. Die Außenverteidiger Herthas ließen sich immer wieder zurückfallen und standen dann kurzzeitig fast auf einer Höhe mit den Innenverteidigern, wodurch sie entweder anspielbar waren oder die gegnerischen Flügel herausrückten. Die Abstände in der Doppelsechs passten ebenfalls, desweiteren hielten die Innenverteidiger eine relativ hohe Distanz auf die beiden Sechser.
Dadurch mussten Ginczek und Co. beim Leiten, Isolieren und Herausrücken weite Räume machen. Hertha hatte dadurch minimal mehr Zeit, um den Ball zu verarbeiten und weiterzuspielen. Stuttgart wurde häufig auf einer Seite herausgelockt, konnte knapp nicht mehr Zugriff erzeugen, woraufhin Hertha den Ball verlagerte und die offene ballferne Seite bespielte. Bis Hertha aus der verlagerungsfernen Seite verschob, konnte Hertha immer wieder Pässe nach vorne spielen. Obwohl die Kompaktheit in der Grundausrichtung gut war bei den Stuttgartern, so wurde sie in der Pressingbewegung schwächer und insbesondere zwischen den Linien öffneten sich Räume, welche bespielt werden konnten. Die vielen Vertikalpässe gegen die Dynamik deuteten auf die Überlegenheit Herthas, welche nach einer sehr guten Kombination über Talent Mitchell Weiser und eine tolle Aktion Genki Haraguchis zum 1:0 führte.
Danach begannen die Stuttgarter aber wieder an ihre guten und unbelohnten Ansätze aus den vorherigen Spielen anzuknüpfen.
Mehr Ballbesitz, mehr Pressing, mehr Spiel
Nach dem 1:0 für die Hertha veränderte sich die Spieldynamik. Stuttgart hatte mehr vom Ball und ließ ihn auch länger laufen; teilweise überraschend, dass sie nicht extrem vertikal nach vorne spielten und das Gegenpressing suchten. Serey Dié ließ sich immer wieder zwischen die Innenverteidiger zurückfallen und die Innenverteidiger konnten in die Halbräume vorschieben oder Dié versuchte mit Dribblings im Sechserraum durchzubrechen.
Insgesamt wurde das Stuttgarter Spiel offensiver. Die Achter und Flügelstürmer rückten noch früher und aggressiver heraus im Pressing, man stand auch etwas höher und aggressiver. Die Hertha wiederum zog sich zurück, was aber ein Fehler war. Stuttgart konnte nun den Ball nach vorne spielen, Überzahl erzeugen und sich durchkombinieren, nach Ballverlusten zeigten sie das übliche schnelle Gegenpressing.
Dadurch kippte die Partie nach der Führung für die Hertha. Aus der fast schon sterilen Souveränität und Dominanz der Berliner wurde ein deutlich offeneres Spiel mit Vorteilen für Stuttgart. Die Hertha konnte nicht mehr so simpel Raumgewinn verbuchen wie zuvor und war anfälliger im Aufbauspiel, während die Gäste sich stetig steigerten.
Das 4-4-2 der Hertha mit den vielen Mannorientierungen wurde durch Diés Abkippen, die flexible Bewegung der Achter Stuttgarts und die vielen guten Dribbler auseinandergenommen. Das 2:1 für die Hertha fiel somit entgegen des Spielverlaufs, als Lustenberger spektakulär aus der Distanz traf.
Die zweite Halbzeit
Nach dem Seitenwechsel glich sich das Spiel etwas aus. Die zwei Mannschaften befanden sich auf Augenhöhe ohne klare Vorteile für ein Team. Auf beiden Seiten mangelte es an der nötigen Präsenz und Durchschlagskraft, um sich konstant im letzten Drittel freizuspielen. Stuttgarts höheres Pressing bereitete Hertha weiterhin Probleme. Die Achter Stuttgarts rückten weiter aggressiv nach vorne, häufig entstanden auch rautenähnliche Systeme wie 4-1-2-1-2 oder 4-1-3-2, da insbesondere Didavi bis nach vorne neben Ginczek schob, um die Innenverteidiger Herthas früh zuzustellen.
Herthas 4-4-2 mit den vielen Mannorientierungen funktionierte nach wie vor nicht perfekt, aber die Strafraumverteidigung und generelle Kompaktheit sorgen dafür dass Stuttgart vielfach über die Flügel angreifen und dann nicht mehr ordentlich in die Mitte kommen konnte. Einige Abschlüsse gab es zwar, diese aber unter Bedrängnis oder nach Kontern. Mit dem eingewechselten Ibisevic wirkte Herthas Grundausrichtung teilweise wie ein 4-2-4 und die Verbindungen nach vorne waren nicht immer optimal; die Durchbruchsversuche in Unterzahl und nach langen Bällen blieben aber im höheren Pressing Stuttgarts hängen.
Auf Seiten der Stuttgarter veränderten die Einwechslungen Kruses für Harnik und später Maxims für Kostic ebenfalls nur wenig. Hertha war einigermaßen stabil und konnte das 2:1 über die Zeit bringen.
Fazit
Die Hertha begann gut und dominierte die Partie mit simplen Mitteln gegen eigentlich gut eingestellte Stuttgarter, welche ihre Pressingbewegungen aber nicht effektiv anbringen konnten. Erst später, als man nach dem Rückstand aggressiver und höher presste, wurde man stärker und war bis zur Halbzeitpause eigentlich die bessere Mannschaft.
Die Hertha traf aber kurz vor der Halbzeitpause und schafft es dadurch, dass sie den Fehler nach dem ersten Vorsprung korrigieren konnten; nun ließen sie sich nicht durchgehend zurückfallen und verzichteten nicht mehr ganz auf das Ballbesitzspiel, sondern suchten eine Mischung. Dies gelang durchaus gut und die defensive Stabilität, zumindest in und um den Strafraum herum, bewahrte sie vor einem Punktverlust.
6 Kommentare Alle anzeigen
Bernhard 15. September 2015 um 11:17
„RM ist das FC Barcelona […]“ sollte es nicht korrekt „der FC Barcelona“ heißen? Ist mir jetzt erst aufgefallen.
Vinnie 13. September 2015 um 15:30
Stimmt schon, aber in der zweiten Hälfte kam der BSC dennoch das ein oder andere Mal über zentral hinter die Innenverteidiger gespielte Bälle zu Chancen.
Vinnie 13. September 2015 um 15:33
Sorry, hab das an der falschen Stelle gepostet. Könntet ihr das unter dem Kommentar von SU einfügen?
SU 16. September 2015 um 23:52
Da war die Mannschaft aber auch bereits 2:1 hinten.
Tobias 12. September 2015 um 18:25
Hatte der vfb wieder Probleme die langen Bälle zu verteidigen bzw. nachdem das Pressing überspielt wurde in die sichere Defensive zu gelangen?
SU 13. September 2015 um 14:18
Sie standen viel tiefer als in den vergangenen Spielen, von daher war da gar nicht mal so viel Raum zum überspielen über lange Bälle da.