Heidenheimer Pressing 2.0 zwingt 1860 in die Knie
Am ersten Spieltag der neuen Zweitligasaison schlug der FC Heidenheim den TSV 1860 München vor eigenem Publikum verdient mit 1:0. Sowohl Schmidt als auch Fröhling änderten an der grundsätzlichen Spielweise im Vergleich zu den letzten Spielen vor der Sommerpause nichts, nahmen aber durchaus gehörige Anpassungen bezüglich einiger Details vor.
- Zum Start der neuen Spielzeit zeigte sich Heidenheim in guter Verfassung und überzeugte gegen die Löwen vor allem mit Verbesserungen im Pressing, während man in Sachen Durchschlagskraft streckenweise noch wenig Torgefahr herstellen konnte.
- Auch 1860 trat im Vergleich zur vergangenen Spielzeit mit klarerem Konzept auf, offenbarte aber auch deutliche Probleme. Im Spiel gegen den Ball erzeugte man kaum Druck auf Heidenheims Spielaufbau. In der Offensive gab es Mängel bezüglich einiger gruppentaktischer Bewegungsmuster.
- Weil Heidenheim die Münchner bis auf wenige Phasen der Partie fast durchweg über das eigene Pressing kontrollieren konnte, geht der Last-Minute-Sieg der Gastgeber leistungsmäßig in Ordnung.
Heidenheims Offensivmuster: tiefer Spielaufbau und verstärkter Rechtsfokus
Der FC Heidenheim nutzte gegen die Löwen zunächst eine ruhige und vorbereitende Ballzirkulation im ersten Drittel. Aus dem teilweise sehr tiefen Spielaufbau spielte man vornehmlich Chip- und Flugbälle aus der Innenverteidigung nach vorne auf die rechte Seite, wo Morabit als Zielspieler fungierte. Dieser sollte die Bälle wenn möglich direkt festmachen. Gelang das nicht, ging man geschlossen auf die Abpraller und versuchte diese aufzusammeln.
Der taktischen Ausrichtung entsprechend agierten Kraus und Wittek in der Innenverteidigung sehr breit, schoben teilweise bis zur Seitenlinie und liefen freie Räume vor sich mit Ball am Fuß an. Hier zeigte sich vor allem Wittek auf der rechten Seite balanciert und intelligent. Der 26-Jährige lief kaum in isolierte Räume und wählte bei den vielen Anspielen in die Spitze zumeist das richtige Timing.
Theuerkauf, der gemeinsam mit Griesbeck auf der Doppelsechs zum Einsatz kam, unterstütze die Innenverteidiger im Spielaufbau, indem er zwischen beide abkippte und so deren breite Positionierung ermöglichte. Weil Sechzig in der eigenen 4-4-2-Grundordnung gegen den Ball allerdings sehr passiv agierte und die Heidenheimer die Anspiele in die Spitze gut anbringen konnten, war dieses Abkippen teilweise unnötig. FCH-Trainer Frank Schmidt reagierte auf diesen Umstand, indem er Griesbeck, der sich in Aufbausituationen bis dahin meist zwischen den gegnerischen Stürmern aufgehalten hatte, vermehrt nach rechts heraus hinter den in diesen Situationen weit aufrückenden Strauß abkippen ließ, während Theuerkauf seltener zurückfiel. Insgesamt agierte Griesbeck vertikaler als Theuerkauf und rückte in späteren Angriffsphasen immer wieder weit mit nach vorne, während der Ex-Braunschweiger den defensiven Umschaltmoment in der Zentralen absichern sollte.
Feick und Strauß auf den beiden Außenverteidigerpositionen waren von Beginn an in den Spielaufbau mit eingebunden. Über ihre tiefe Grundposition stellten sie für die Innenverteidiger ballnah Ausweichoptionen dar, über die man die Ballzirkulation am Leben erhalten konnte, wenn sich keine passenden Situationen für Vertikalbälle ergaben. Erst später rückte Strauß schon im Spielaufbau weiter nach vorne, um seinen nominellen Gegenspieler Rama nach hinten zu ziehen und so Raum für den herauskippenden Griesbeck zu öffnen. Feick agierte hin und wieder auch einrückend, um zu vermeiden, dass er nach dem Durchspielen der Kette Bälle am Flügel nach vorne in unpassende Strukturen spielen musste. In späteren Angriffsphasen agierten dann beide meist zurückhaltend, auch wenn Feick hin und wieder nachstoßende Läufe zeigte.
Die Räume, die er für sein Aufrücken nutzte, entstanden hauptsächlich dadurch, dass Robert Leipertz vom linken Flügel bei Angriffen über die rechte Seite als zusätzlicher Akteur in die vorderste Linie aufrückte, um dort zentrale Räume zu besetzen. Generell agierte der Ex-Schalker gewohnt linear, war wenig auf dem Flügel zu finden und mehr auf das Sturmzentrum fixiert. Kapitän Schnatterer auf der anderen Seite diente als kreativer Engenspieler, der gemeinsam mit dem horizontal zum Flügel arbeitenden Morabit kleinräumige Kombinationen anstieß, mit denen die Heidenheimer ihr Spiel wieder zur Mitte anbinden wollten. Dabei waren Schnatterer und Leipertz nicht nur auf einen Flügel fixiert, sondern wechselten im Laufe der Partie immer wieder die Seite.
Neuzugang Frahn von RB Leipzig agierte neben Morabit als zweiter Stürmer. Dabei spielte er hauptsächlich auf die halblinke Seite und das Zentrum beschränkt. Im Gegensatz zu Morabit, der über seine ausweichenden Bewegungen oftmals gute Situationen für Schnatterer erzeugte, die dieser zu Dribblings in die Mitte nutzten konnte, war Frahn in seiner Ausrichtung vertikaler.
Der Plan der Löwen: Ballbesitz, asymmetrische Grundstaffelungen und Durchbrüche über die Grundlinie
Auch der TSV 1860 versuchte das Spiel zunächst über eine vorbereitende Ballzirkulation zu eröffnen, an deren Anschluss man ins zweite Drittel kommen wollte. Von dort aus sollten die asymmetrischen Grundmuster zwischen linkem und rechtem Flügel bespielt werden, die aus der unterschiedlichen personellen Besetzung der Flügelpositionen resultierten.
Auf der linken Seite spielte Rama stark einrückend. Der 27-Jährige war dabei aber zu unreflektiert. Er ließ sich oftmals zu weit nach hinten fallen und lief so den unmittelbaren Raum vor Adlung oder Passwege aus dem Aufbau in den Zwischenlinienraum zu. Simon auf der rechten Seite agierte breit und linear und schob in späteren Angriffsphasen in die Spitze nach, wenn Sechzig Angriffe über links vortrug.
Gerade in der Anfangsphase hatten die Münchener Probleme ins Spiel zu finden. Heidenheim konnte über das eigene 4-4-2-Mittelfeldpressing, das durch Herausrücken eines Stürmers oftmals 4-4-1-1-Staffelungen hervorbrachte, zentrale Räume rund um den Sechserraum der Gäste geschickt schließen und deren Aufbau auf die Flügel lenken. Dabei lief i.d.R. Morabit von der Position des rechten Stürmers die Münchener Innenverteidiger und sogar Torwart Eicher an. Ziel war es die Löwen weg von deren potentiell besseren Seite zu lenken und Ballgewinne am Flügel zu erzielen. Ausgenutzt werden sollten vor allem schlechte Sichtfelder der Flügelspieler, wenn diese den Ball erhielten.
Im Anschluss an die von den Heidenheimern dominierte Anfangsphase änderte Fröhling die Bewegungsmuster der eigenen Doppelsechs so ähnlich, wie auch Schmidt später tun sollte. Nach etwa acht Minuten kippte Kagelmacher nicht mehr zentral ab, was sich bis dahin als maximal ineffektiv erwiesen hatte, sondern blieb von nun an höher. Dahingegen nutzte Adlung den Raum neben Heidenheims Stürmern und ließ sich immer wieder hinter den aufrückenden Wittek, aber noch vor die beiden Innenverteidiger fallen, um von dort aus das Spiel zu eröffnen. Durch diese Umstellung konnte man Heidenheims Anlaufbewegungen nun besser umspielen und kam so bis etwa zur 25. Minute gut in die Partie.
Einer der Hauptgründe dafür war, dass Heidenheim zunächst keine Antwort auf den freien Adlung fand, weil dessen nomineller Gegenspieler Griesbeck diesen nicht verfolgen konnte ohne das Zentrum zu öffnen und Schnatterer sich zu klar am aufrückenden Wittek orientierte. Aus dem linken defensiven Halbraum kamen die Löwen so ins Übergangsspiel, bei dem Kagelmacher als tiefster Akteur dann die Rolle des Ballverteilers einnahm. Adlung rückte immer wieder mit nach vorne, während Claasen eine zuarbeitende, weitestgehend lineare Rolle rund um den Zehnerraum ausfüllte. Oftmals rückte er mit in die Spitze neben Okotie oder glich dessen Zurückfallen in den Zwischenlinienraum aus, in dem der Österreicher als Fixpunkt des Offensivspiels auftrat.
Im Anschluss an einen vertikalen Angriffsvortrag, der vorzugsweise über die eigene linke Seite lief, wollten die Münchner entweder direkt in den Zwischenlinienraum eindringen, um von dort aus Durchbrüche über den Flügel vorzubereiten, oder verlagerten auf den rechten Flügel. Dort gab es mit Simon oder dem spät aufrückendem Kovac zwei Akteure, über die man bis zur Grundlinie durchbrechen wollte.
Heidenheims Reaktion: 4-3-3-Pressing mit herausstechendem Theuerkauf
Nach einer guten halben Stunde änderte Frank Schmidt die Abläufe im eigenen Pressing und wies Frahn sowie Morabit an, von nun an breiter zu agieren, sodass Adlung im Deckungsschatten Morabits verschwand. Theuerkauf agierte im Vergleich zur restlichen Mittelfeldkette leicht vorgerückt und konnte so die Schnittstelle zwischen den beiden Stürmern bewachen, bzw. sich mannorientiert an Kagelmacher orientieren, der jetzt meist abkippte, sodass bei den Heidenheimern situative 4-3-3-Staffelungen entstanden.
Auf diese Anpassung fand 1860 München bis zur Halbzeit keine wirkliche Lösung. Rama passte zwar seine Positionierung besser an die Gegebenheiten in seinem Umfeld an und agierte ab etwa der 35. Minute aus einer breiteren Grundposition, sodass die offensichtlichsten Mängel, die es auf seiner Seite gab weitestgehend behoben waren. Trotzdem hatten die Münchner Probleme mit der Spielweise der Heidenheimer und mussten auf unvorbereitete lange Bälle zurückgreifen.
Eines der Hauptprobleme der Löwen im ersten Durchgang war das eigene schwache Pressing, das sich auf ein passives Erzeugen von Kompaktheit um den gegnerischen Sechser- und den eigenen Zwischenlinienraum konzentrierte. Über die eigene Kompaktheit im Zentrum sollten die Heidenheimer auf den Flügel gelenkt und dort unter Druck gesetzt werden. Das funktionierte aber nur schlecht, weil dafür die Flügelspieler zu tief und die beiden Stürmer insgesamt sehr zurückgezogen agierten und Heidenheim so kaum unter Druck kam.
Adlungs Verletzung als Knackpunkt der Partie
Mit dem Beginn der zweiten Halbzeit agierten die Heidenheimer deutlich aggressiver als noch in der ersten Halbzeit. Über eine erhöhte personelle Präsenz in der Offensive, u.a. durch die beiden hohen Außenverteidiger, und viele Gegenpressingmomente gelang es den Gastgebern sich über mehrere Minuten in der Hälfte der Münchner festzusetzen, die insgesamt zu tief agierten.
Ab der 55. Minute bis etwa zur verletzungsbedingten Auswechslung Adlungs verflachte dieser Effekt wieder, weil Heidenheim zum einen den läuferischen Aufwand reduzierte und Sechzig zum anderen öfter in 4-3-3-Staffelungen am Flügel kam, indem der ballnahe Flügelspieler nach vorne rückte. Da die Aufrückbewegungen gut getimt waren, verlor man durch sie nicht an Kompaktheit im Zentrum. Weil Kraus und Wittek nun aber Ausweichstationen in der Ballzirkulation fehlten, mussten beide vermehrt unpassende Momente für Anspiele in die Spitze nutzen.
Mit neuer Besetzung im Mittelfeld nach 63 Minuten, als Vollmann für Adlung kam, gelang es den Löwen in der Schlussviertelstunde vor allem physisch nicht mehr dem FC Heidenheim standzuhalten: Man verteidigte insgesamt zu tief und musste Konter so teilweise in massiver Unterzahl zu Ende spielen. Nach mehreren Großchancen für den FCH fiel dann in der 86. Minute nach einem Eckball der 1:0-Siegtreffer für die Heidenheimer nach einem Eckball durch Robert Kraus.
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