Später Sieg für Sorgs U19

1:0

Bei der U19-EM entscheiden die deutschen Junioren in einem ambivalenten, etwas seltsamen Spiel den Klassiker gegen die Niederländer in der 89. Minute für sich.

Von einem vorläufigen „Endspiel“ gegen die Niederlande wurde für die deutschen Junioren von Trainer Marcus Sorg nach dem 0:3 im ersten Match gegen Spanien gesprochen. Aron Winters Oranje wiederum hatte sich gegen Russland knapp mit 1:0 durchgesetzt.  Beide Teams – mit jeweils zwei Änderungen nach den Auftaktspielen, wobei im deutschen Team der zunächst gesperrte Max Christiansen, der sich als wuchtiger, präsenter, etwas unsauberer Akteur mit engagierten Läufen und teils herausdrängender Defensivwirkung zeigte, zurückkehren durfte – traten in 4-3-3-artigen Aufstellungen an. Dabei wirkten die Niederländer im Verlauf durch die hohe Rolle Nouris verstärkt 4-2-1-3/4-2-3-1-haft, während Deutschland die Aufteilung mit zwei Achtern als überwiegende Grundstaffelung beibehielt und nur situativ umformte.

u19-em-2015-ger-nedDruckvoller Start über halbrechts

Die Anfangsphase gehörte dem deutschen Team, das sich in den ersten Minuten mit einem schwungvollen Beginn einfügte, der anschließend allerdings immer mehr abebben sollte. Das meist flach 4-2-1-3-artige Pressing der Niederländer mit ordentlichen Grundstellungen der Stürmer und einzelnen aufrückenden Bewegungen Nouris bot daneben den einen oder anderen Angriffspunkt: Insgesamt war die Staffelung hinter den Angreifern etwas lasch und unkoordiniert, was sich auch nach hinten innerhalb des Mittelfelds fortsetzte. Zudem agierte Frenkie de Jong als rechter Achter mitunter etwas zu unbeteiligt und tief, was zu einigen ungewöhnlich diagonal abgeflachten Staffelungen führte. So kam es, dass Deutschland – trotz gelegentlich mal auftretender Probleme aufgrund zu vorschnell nach außen gespielten Pässen und dort dann festhängenden Angriffsauslösungen – recht gut in die Offensive nach vorne spielen konnte.

Dort tat sich anfangs vor allem die rechte Seite hervor, auf der die abwechselnd durchgeführten Rochaden der beiden Achter ein wichtiges Mittel darstellten. Gegen die vor allem in der Abwehr auffälligen typischen Mannorientierungen der Niederländer konnten sie mit solchen kraftvollen Diagonalläufen in die Schnittstellen einige Male den geöffneten Raum nutzen und in Richtung Grundlinie durchbrechen. Situativ übernahm auch der ausweichende Werner mal diese Aufgabe, was letztlich die eine oder andere gefährliche Szene aus diesen Bereichen in der Anfangsphase besorgt. Sanés Großchance war das beste Beispiel und daneben konnten einige dominanzbringende Ecken erzeugt werden. Insgesamt waren solche Mannorientierungen, wie sie in diesen Fällen bespielt wurden, bei den Niederländern in etwas ambivalenter Form zu beobachten – insofern, dass sie etwas anders ausgespielt wurden und im Mittelfeld beispielsweise zurückhaltender sowie undeutlicher auftraten, als man das im „Normalfall“ bei ihren Teams sieht:

Überladungsversuche gegen niederländische Defensivambivalenz

Sie spielen zwar raumorientiert und tief, aber legten den Fokus nicht auf die mannschaftliche Bewegung, sondern stärker ihren eigene Defensivzone, innerhalb der es dann vereinzelte kleine Mannorientierungen geben konnte. Grundsätzlich gab es von Seiten von Nouri und Co. zwar Orientierung an den jeweiligen drei deutschen Gegenspielern, jedoch in sehr passiver Art und vor allem was die Blickrichtung anging. Dies wirkte sich dann indirekt auf die Positionierung aus und führte zu einer in einem bestimmten Grundraum durchgeführten Mannorientierung, schlug sich aber im Grunde gar nicht in längeren verfolgenden Bewegungen nieder, sondern bezog sich vor allem auf das Abdecken von möglichen durchbrechenden Läufen in die Spitze. Bei Flügelangriffen schob dann der zentrale Sechser nicht immer mit nach außen, sondern versuchte sich mittig an möglichen Nachstoßbewegungen zu orientieren. In Verbindung stand dies mit einer grundsätzlich zonal orientierten Spielweise, bei der auch der Fokus auf den eigenen Grundraum solche Effekte auf die Positionierungen zeigte und sich daher mit den situativen Mannorientierungen überlappte.

Mal waren es diese, mal die etwas unbewegliche Ausführung der zonalen Ausrichtung, die Inkonstanz im mannschaftlichen Verschieben verursachten, dafür aber die Grundordnung aufrecht hielten, während andererseits die kleinräumigen Mannorientierungen wiederum vereinzelt mehr Verschieben nach außen initiierten. Aus diesen Ausgangslagen heraus entwickelte sich dann also eine Ambivalenz der niederländischen Spielweise. Einerseits verschoben sie im Grundsatz eher inkonsequent, etwas löchrig und mit mäßiger Ballorientierung, weshalb bestimmte Lücken aufgingen oder beispielsweise in der Horizontalen die Distanzen zwischen Sechser und Achter mitunter zu groß waren, von denen Letzter im ballfernen Halbraum etwas unklar herumhing, aber zumindest gegen Verlagerungen verstärkt absichern oder gewisse Zusatzstabilität für die mannorientierten Herausrückbewegungen der Verteidiger liefern konnte. Andererseits entstanden daraus vereinzelt oder in den Rückzugsbewegungen manche starke Kompaktheiten, die gerade durch die Mannorientierungen in Verbindung mit der Art des deutschen Angriffsspiels an Stärke dazugewannen. Wenn die Offensivkräfte sich am Flügel ballten und überladen wollten, zogen sie ihre leicht mannorientierten Gegenspieler mit dort hinein und verengten die Situationen.

Dazu kamen die tiefen, abwartenden Grundrollen von Frenkie de Jong und Duarte sowie die ballnah diszipliniert weit nach hinten fallenden Flügelstürmer. Dagegen fand Deutschland mit der Zeit nicht mehr so recht den nötigen Durchbruch, da sie es zunehmend mit unangenehm verengten Stellungen zu tun hatten, wenn sie ruhig außen durchbrechen wollten. Bei den im Verlauf der ersten Halbzeit zunehmenden, von Kehrer gut umstellten Linksüberladungen beispielsweise, bei denen Amiri verstärkt einrückte und über Halbraumablagen das Zusammenspiel mit Werner suchte, während im Wechsel einer der beiden Achter dafür hoch nach rechts ging, hatten die Niederländer manche instabile und nicht ganz kompakte Situation zu überstehen, konnten vereinzelt aber mal Druck machen und profitierten auch von der etwas unsauberen, improvisiert ausgespielten Anlage des deutschen Teams. Abpraller beispielsweise, die in diesen fahrigen Szenen oft vorkamen, sprangen ihnen in ihrem in etwas größeren Radien verteilten Anordnungen häufig hin, so dass sie sich dann etwas lösen konnten.

Deutsche Defensive gerade im Abwehrdrittel nur bedingt gefordert

Gegen den Ball wechselten die deutschen Junioren in ihrem mit vielen Herausrückbewegungen interpretierten 4-1-4-1-artigen Gebilde zwischen Phasen hohen Pressings und einer tieferen Variante, in der Werner noch stärker den tiefsten gegnerischen Sechser mit zuzustellen versuchte. Mitunter waren im Mittelfeld dahinter die Mannorientierungen etwas klarer als bei den Niederländern, wurden beispielsweise im Verschieben aber sauberer aufgegeben. Insgesamt verhinderte das Team von Marcus Sorg die gegnerischen Ambitionen gut – Werner deckte die Tiefe mit ab, die Mittelfeldakteure stellten trotz kleinerer Koordinationsprobleme immer mal veränderte Staffelungen her und schoben diagonal ordentlich zum Ball, Kehrer deutete in einigen Szenen seine Qualitäten an, gelegentlich sah man 4-4-2/4-1-3-2-Übergänge und gerade die diagonal aufrückenden Bewegungsmuster der Flügelspieler erschienen enorm engagiert, fast schon etwas zu überdreht.

Zwar zeigte Oranje gelegentlich ansehnliche Dreieckszirkulation im Halbraum aus Engen heraus, vor allem in Person vom ballsicheren Nouri, Duarte und dem am Ball starken sowie ruhigen Paal, konnte daraus aber nur horizontalen Raumgewinn verbuchen. Nur über vereinzelt vom spielstarken und für seinen Auftritt zu lobenden Keeper Drommel eingeleitete halblange Bälle an den eigenen herausschiebenden Bewegungen vorbei mussten sie gegnerisches Aufrücken hinnehmen, woraus die Niederländer aber wegen ihrer eher simplen Angriffsausrichtung dann im weiteren Verlauf nicht so viel machen konnten. Im letzten Drittel also agierten sie dann oftmals zu simpel und konnten mit ihren geradlinig ausgerichteten und breit agierenden Stürmern nur wenige Verbindungen in der Sturmreihe herstellen. Daher blieben vielfach nur Einzelaktionen durch die äußeren Angreifer – Kallon war mit seiner trickreichen, beweglichen Spielweise recht effektiv – oder schnelle Flügelsprints, die diese nach Pässen in die Tiefe anzogen.

Problematisch war für die Niederländer zudem, dass sie gerade bei den immer mal wieder einfach so vorschnell aus der Abwehr gespielten langen Bällen nur sehr unambitioniert nach vorne nachrückten und damit kaum Chancen erhielten, vielleicht mal über etwaige Abpraller etwas zu kreieren. Vereinzelt konnten sie über das Halbraumzurückfallen Frenkie de Jongs – insgesamt mit einem dribbelstarken, durchaus pressingresistenten, aber teils simplen und vor allem oft zu passiven Auftritt – etwas Freiheiten zum Aufrücken und Raumgewinn erzeugen, da Deutschlands Mittelfeld sich dort manchmal etwas unkoordiniert verhielt, oder nach längeren Pässen den ausweichend raumsuchenden Nouri hoch am linken Flügel finden. Doch waren dies oft in Übergangsstadien befindliche Situationen mit schwierigen Dynamiken und begrenzten Anschlussoptionen, so dass letztlich doch meist wieder der schnelle Flügelvorstoß mit anschließenden Flanken auf van Amersfoort am Ende stehen musste.

Zweite Halbzeit

Die zweite Halbzeit bot zunächst wenige Veränderungen, wobei in strategischer Hinsicht die Niederländer durchgehender abwartend blieben, vor allem auf Umschaltszenen gehen wollten und sich damit das bestimmende Übergewicht in Richtung der DFB-Jungs verschob. In Bezug auf die Angriffsarten schwankte das deutsche Team nach einer eher ereignisarmen ersten Viertelstunde einmal zwischen simpler werdenden, durch andribbelnde Außenstürmer gestarteten Flügelangriffen einerseits – auch die weitgehend unbesonders ausgerichteten Klünter und Föhrenbach versuchten sich offensiver einzuschalten – und vermehrten Zentrumskombinationen andererseits. Hier hatten sie einzelne Ansätze durch die zielstrebigen Einleitungen und die druckvolleren Nachrückbewegungen, die auch aus dem defensiven Mittelfeld konstanter wurden, und zeigten auch die eine oder andere gute Aktion an der letzten Linie, kamen letztlich aber oft wegen Hektik oder zu physischen Versuchen nicht ganz durch. So waren es eher die Flügelszenen, die zu zwei oder drei guten Chancen führten, weil die Niederländer hier in der Defensivarbeit ihrer offensiven Außen viel nachlässiger wurden und über Nouris Rückzugsbewegung vermehrt in 4-3-Stellungen verteidigten.

Der tiefste Sechser agierte dabei nun klarer und weiträumiger in verfolgenden Mannorientierungen, was durch die flache Staffelung der Kollegen aber teilweise ausgeglichen wurde und mit den situativen Fünferketten die Flügel wieder etwas absicherte. Auf der anderen Seite erwuchsen den Niederländern aufgrund der bei Deutschland etwas flacher angeordneten Staffelungen und dem etwas riskanteren Aufrücken aus dem Mittelfeld häufigere Kontermöglichkeiten. Nouri oder die einrückenden Außen fanden einige Male große Lücken im Zentrum und konnten die beiden jeweiligen Sturmkollegen mit schnellen Pässen hinter die Abwehr in Szene setzen, die mit den isolierten Szenen Probleme hatte. Ebenso wie in die gegenüberliegende Richtung waren es also eher seltene Chancen, die vereinzelt auftraten, aber dann direkt recht gefährlich wurden, wobei Deutschland von der Gesamtzahl mehr davon kreierte. Sie waren die engagiertere Mannschaft und hatten bei den gelegentlichen Chancen auch tatsächlich großes Abschlusspech, aber wirklich durchgehend überzeugenden Dauerdruck wussten sie beileibe nicht auszuüben. Das spät über außen erzwungene 1:0 in der 89. Minute durch den eingewechselten und einige Male gut ablegenden Rizzo war daher doch etwas zwiespältig einzuordnen, nicht ganz unverdient, aber auch nicht gänzlich folgerichtig.

Fazit

Ein schwierig zu bewertendes Spiel, in dem die deutsche Mannschaft nach dem enttäuschenden Ergebnis gegen Spanien grundsätzlich ihre vor dem Turnier sehr erwartungsvoll gelobten Qualitäten immer wieder andeuten, aber aufgrund gewisser Probleme auch nicht vollends überzeugen konnte. Gegen die defensiv ambivalenten, nach vorne deutlich zu simplen Niederländer waren sie die überlegene Mannschaft und erzwangen schließlich das späte 1:0, das in dieser interessanten Gruppe vor dem letzten Spieltag alles offen lässt.

HK 13. Juli 2015 um 13:47

Was ist eigentlich mit Gaudino? Haben wir tatsächlich zwei Dutzend Spieler in der Altersklasse die besser sind?
Dann braucht es uns um den Turniersieg ja nicht bange zu sein.

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FAB 13. Juli 2015 um 14:15

Gaudino hat aus privaten Gründen selbst abgesagt. Wobei Thilo Kehrer bislang die positivste Überraschung im zentralen Mittelfeld ist (extrem ruhig und ballsicher) . Die Problemzone ist eher die linke defensive Seite. Insbesondere Klostermann mit vielen Fehlern. Beeindruckend aber die Unermüdlichkeit mit die U19 immer wieder den Spielaufbau ankurbelt. Leider noch etwas Ideenlos bzw. unglücklich im letzten Drittel. Aus meiner Sicht war der Wechsel von Timo Werner auf die linke Außenbahn spielentscheidend.
Bisheriges Fazit: Bislang die vielversprechendste Leistung aller U Mannschaften, ähnliches Potential wie die U20 aber leidenschaftlicher und gefestigter (sprich mit besseren Strukturen). Die U17 und die U21 haben ja eher enttäuschende Auftritte hingelegt. Das 0-3 gegen Spanien sollte man dabei nicht überbewerten. Ein Sieg gegen Russland sollte drin sein, wenn man an die gute zweite Halbzeit gegen Holland anknüpft und beim Torabschluss hoffentlich der Knoten geplatzt ist.

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HK 13. Juli 2015 um 15:08

Private Gründe? Wird wohl die Saisonvorbereitung mit den Bayern sein.
Aber danke für die Info.

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Joker 12. Juli 2015 um 13:49

Erstmal find ichs cool, dass ihr auch was zur U19 schreibt !

Zum Spiel muss ich sagen, dass mir die Spielanlage sehr gut gefällt. Es gibt sicherlich auch schwächen, aber mir gefällt, dass sie sich in einer U19 ‚trauen‘ ein 4-3-3 zu spielen und phasenweise auch hoch zu pressen. Auch wenn manchmal noch der moment verpasst wird, wann man einen gegner mal mit weniger Tempo anlaufen sollte, gefällt mir wie sie dem ball oft hinterher jagen.
Ich weiß nicht ob man das vergleichen kann, aber mMn ist die philosophie wesentlich besser und auch ansehnlicher als hrubeschs U21.

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