USA tankt sich im Fünfzehn-Minuten-Finale zum dritten WM-Titel

Fünfzehn Minuten Vollgas-Fußball genügen: Die USA revanchieren sich bei Japan für die WM-Finalniederlage 2011. Japan fand auf den Flügeln zu spät ins Spiel.

Die Grundformatiuonen beider Teams

Die Grundformatiuonen beider Teams

Um 1 Uhr deutscher Ortszeit war es soweit: Das Finale der WM stand an. Frauenfußball-Fans machten sich auf eine lange Nacht gefasst. Doch schon um 1.16 Uhr konnten diejenigen, die nur den Sieger wissen wollten, ins Bett gehen. 4:0 stand es da bereits. Noch nie war ein großes Finale der Fußballgeschichte so schnell entschieden.

Amerikanischer Flügelfokus

Wer die Amerikanerinnen bei dieser WM noch keine Minute gesehen hatte, durfte in den ersten 15 Minuten eine Blaupause ihres Spiels bestaunen. Ihr Spiel baut auf zwei Eckpfeilern: schnelle, meist flach vorgetragene Angriffe über die Flügel sowie ein aggressives Pressing. Beiden Komponenten liegt die hohe physische, aber auch technische Klasse des Teams zugrunde. Die Taktik der USA hat nur einen Zweck: ihre individuelle Überlegenheit auszunutzen.

Nie ging diese Taktik so gut auf wie in der Anfangsviertelstunde gegen Japan. Die Japanerinnen waren schlicht überfordert, die aggressiven Amerikanerinnen aufzuhalten. Besonders auf den Flügeln konnten sie mit den schnelleren Amerikanerinnen nicht Schritt halten.

Japans Flügelverteidigung war das größte Problem in den Anfangsminuten: In ihrem 4-4-2 blieben die Außenstürmerinnen meist passiv, während die Außenverteidigerinnen leicht aggressiv herausrückten. Japan übte somit im Mittelfeld relativ hohen Druck aus, in der gegnerischen Hälfte jedoch kaum. Dies ist gegen die USA der schwerstmögliche Fehler: Wenn die Außenspielerinnen nach einem Doppelpass erst einmal Fahrt aufgenommen haben, sind sie schwer zu stoppen. Zumal die amerikanischen Sechserinnen und auch die Stürmerinnen häufig auf die Flügel ausweichen, um dort Überzahlen herzustellen oder mit dynamischen Läufen freie Räume zu besetzen.

Nach einer Spielverlagerung entstand diese Staffelung. Der markierte Raum ist vollkommen offen. Brian startet mit einem Sprint in den Raum – ein typischer diagonaler Lauf, den die amerikanischen Sechserinnen bei diesem Turnier oft nutzten. Brian konnte den Ball zwar nicht sauber kontrollieren, die Ecke, die sie herausholte, führte jedoch zum 1:0.

Nach einer Spielverlagerung entstand diese Staffelung. Der markierte Raum ist vollkommen offen. Brian startet mit einem Sprint in den Raum – ein diagonaler Laufweg, den die amerikanischen Sechserinnen bei diesem Turnier oft machten. Brian konnte den Ball zwar nicht sauber kontrollieren, die Ecke, die sie herausholte, führte jedoch zum 1:0.

Im Mittelfeldpressing der Japanerinnen hatten die Außenverteidigerinnen eine recht aktive Rolle. Sie schoben oft vor oder halfen im Mittelfeld. Dadurch bot sich für die Amerikanerinnen häufig die Möglichkeit, ihre Außenstürmerinnen oder die ausweichende Morgan hinter die Abwehr zu schicken.

Pressingdruck und Standards

Erschwerend kam für Japan hinzu, dass sie dem hohen Druck der Amerikanerinnen ausgesetzt waren. Die japanischen Sechserinnen sind es gewohnt, abkippen und den Ball in Ruhe in der Tiefe zirkulieren zu lassen. Dies war gegen vier pressende Amerikanerinnen kaum möglich. Stattdessen ließen sich die Japanerinnen zu gefährlichen Pässen auf die zurückfallenden Stürmerinnen verleiten, die Amerikas Doppelsechs jedoch abfing. Die Folge: schnelle Konter über die offenen Flügel.

usa japan flügelöffnung

Die USA eroberten nach einem Fehlpass Japans im Mittelfeld den Ball. Sofort schießt das gesamte (!) Mittelfeld im Vollsprint nach vorne, Japan ist in Unterzahl. Japans Linksverteidigerin rückt heraus und will stören – und öffnet damit die Möglichkeit zum Pass hinter die Abwehr auf Heath. In der Folge entstand das 3:0.

Nicht vergessen werden soll an dieser Stelle, dass die amerikanischen Tore nicht primär durch die Übermacht am Flügel und im Pressing entstanden. Es waren zwei clevere Standard-Varianten, die Amerika die wichtige 2:0-Führung nach nicht einmal fünf Minuten brachten. Der Schachzug, zweimal den Ball flach hereinzuschlagen, mag zunächst unspektakulär klingen. In der Praxis war es ein cleveres Spiel mit den japanischen Erwartungen. Die meisten Beobachter (inkl. mir und wohl auch dem japanischen Trainerteam) haben damit gerechnet, dass die USA bei Standards ihren physischen Vorteil (Stichwort: Körpergröße) ausspielen wollen. Dementsprechend postierte sich die japanische Raumdeckung eher tief, mit zahlreichen Spielerinnen im eigenen Fünfmeterraum. Am Ende kamen die Bälle aber flach – und niemand blockierte die Läufe von Lloyd aus dem Rückraum.

Die restlichen 75 Minuten

Standards, Flügelüberlegenheit, Pressingdruck: Schnell stand es 4:0. Kurios: Nach der 4:0-Führung ließen die Japanerinnen nicht den Kopf hängen. Es entstand trotz des Spielstandes ein relativ normales Fußballspiel. Japan stellte die eigene taktische Ausrichtung etwas um. Die Außenverteidigerinnen rückten nun aggressiver auf, wenn die Sechserinnen sich zurückfallen ließen. Teilweise rückten sie bereits im Aufbau an die gegnerische Viererkette heran. Japan agierte situativ mit vier bis fünf Angreiferinnen.

Japan gab damit praktisch das Mittelfeld auf. Sie spielten nun direkt aus der Abwehr in die vorderste Linie, sei es mit langen Bällen oder mit flachen Vertikalpässen auf den Flügeln. Die Amerikanerinnen stellten indes ihr hohes Pressing aus den ersten Minuten ein und zogen sich in ein 4-4-2-Mittelfeldpressing zurück. Das kam den Japanerinnen prinzipiell zugute: Sie bespielten die Zone nicht, die Amerika besonders eng bewachte. (Wobei man hier die Henne/Ei-Frage stellen kann: Bespielte Japan diese Zone nicht, weil Amerika hier so stark war?)

Vor allem auf den Flügeln kam Japan die neue Ausrichtung zugute. Durch die höhere Rolle der Außenverteidigerinnen und die bessere Abstimmung der Außenstürmerinnen kam Japan besser ins Gegenpressing. Zudem verteidigte Japan ironischerweise mit der offensiveren Ausrichtung die Flügel besser – den Amerikanerinnen gelang es nicht mehr ansatzweise so gut, Tempo und Dynamik aufzunehmen, da Japan früher stören konnte. So setzten die Amerikanerinnen vermehrt auf lange Bälle – in diesem Turnier ein eher ungewohnter Anblick.

Nach der Pause kehrten die Amerikanerinnen kurzzeitig zum hohen Pressing zurück. Damit drängten sie Japan erneut zurück. Diese hatten durch die gestreckte Staffelung Probleme, die Mannschaftsteile zu verbinden. Zwei Standard-Tore führten zum Endstand von 5:2. Da sich in der letzten halben Stunde taktisch nichts mehr tat (außer ein paar japanischen 4-3-3-Stellungen), beende ich die Analyse an dieser Stelle mit einer Grafik:

Diese Grafik hat keinen analytischen Wert. Doch das 4:0 von Lloyd war so schön, es hat einfach eine eigene Grafik verdient.

Diese Grafik hat keinen analytischen Wert. Doch das 4:0 von Lloyd war so schön, es hat einfach eine eigene Grafik verdient.

Fazit

Die USA holen sich den WM-Titel. Der Sieg war auch in der Höhe verdient. Ihre Anfangsviertelstunde war herausragend. Wie keine zweite Mannschaft bei dieser WM wussten die Amerikanerinnen ihre individuelle Klasse durchzudrücken. Das ging beizeiten auf die spielerische und taktische Flexibilität. Am Ende produzierten sie aber im Kombinationsspiel derart viel Dynamik mit ihren ständigen Sprints und ihren Schnittstellenpässen, dass die Mängel nicht groß auffielen. Vor allem aber steigerten sie sich von Spiel zu Spiel und konnten auch noch im Finale mit unerwarteten Standardvarianten aufwarten. Wie ein Weltmeister das eben so tut.

Japan bekam die eigenen Grenzen aufgezeigt. Schon in unseren vergangenen Analysen klangen verinzelt kritische Töne an. Die amerikanische Physis brachte die Schwächen des Teams auf den Flügeln offen zutage. Vor allem aber konnten die Japanerinnen auch spielerisch nur wenige Glanzlichter setzen. Zu keiner Zeit des Spiels hatten sie die Oberhand über das Mittelfeld, Amerikas 4-4-2-Pressing mit den tief hängenden Stürmerinnen hielt sie erfolgreich aus dieser Zone fern. So wurde es nichts mit dem zweiten WM-Titel. Stattdessen dürfen sich die Amerikanerinnen über den dritten Titel freuen. Spielverlagerung gratuliert ganz herzlich.

ode 10. Juli 2015 um 13:30

Mir ist imFinale besonders aufgefallen, wie die Japanerinnen nicht aufgegeben haben. Und nach dem 2:4 wurde es ja fast auch noch spannend… Die Umstellung von Utsugi auf LV war gut. Die hat bärenstark gespielt. Danach hat Heath nix mehr zustande gebracht.

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Peda 8. Juli 2015 um 10:20

Ein kleines Hoppala im Fazit:
Die USA holen sich den vierten WM-Titel. Der Sieg war auch in der Höhe verdient. [..]
Stattdessen dürfen sich die Amerikanerinnen über den dritten Titel freuen. Spielverlagerung gratuliert ganz herzlich.“
😀

Nichtsdestortrotz: dass ihr die WM in diesem Umfang gecovert habt halte ich für ein wichtiges nud nicht zu unterschätzendes Zeichen. Hoffentlich kann ich bei der nächsten Großveranstaltung hier schon eine Analyse zum starken Pressing des A-Teams lesen. 😉

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UncleJack 8. Juli 2015 um 01:56

Nochmals vielen Dank an die Spielverlagerung für diese und alle anderen Analysen zur Frauen-WM 2015. Auch der Spiele, bei denen die deutsche Mannschaft nicht beteiligt war. Das diesem Turnier so viel Beachtung geschenkt wurde, ware eine sehr angenehme Überraschung. Und bitte, nun auch nach dem Ende dieser WM, zumindest hin und wieder mal besonders interessante Spiele aus dem Frauenfußball – in welchem Rahmen sie auch immer stattfinden mögen (Länderspiele, Bundesliga, Division 1 Féminine, etc.) – analysieren…

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dummkopf 8. Juli 2015 um 20:11

Das wäre schön.
Das nächste Top-Spiel ist am 29.8 Saisoneröffnung Bayern-Potsdam im dfb stream und bei ES.
Mit einigen dt N11s und der chinesischen Torhüterin, dem holländischen Supertalent, dem gescheiterten spanischen Star, dem japanischen Einwechselwusel, der australischen 6, zwei schweizer N11s uvm.
Bayern dürfte schon etwa das Niveau der Top-N11s haben. Turbine hatte es vorletzte Saison auch, baut aber gerade etwas ab, so dass man abwarten muss.

Wenn da genug Interesse zusammenkommt würde ich die Buli auch analog hier taktisch analysieren irgendwo. Sonst bleibe ich eben bei etwas alternativen Gedanken zum Spielhergang. So ein Mittelding. Die Buli wohl in deutsch.

Die Leserzahlen haben allemal ermutigt weiterzumachen. Ich wechsle daher vom wordpress-Blog auf eine eigene Webadresse.
Mache da auch bald einen WM-Rückblick aus dt. Sicht, und zum podcast-Thema wohin mit Maroszan.

Adresse siehe unten.

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The Soulcollector 7. Juli 2015 um 09:50

Schade, dass das Spiel so schnell entschieden war. Die Amis hatten auch extrem viel Glück im Abschluss. 4 Tore aus 5 Chancen in den ersten 20 Minuten sind halt extrem gut. Wenn es „normal“ läuft, steht es zur Halbzeit vielleicht nur 2:1.
Trotzdem waren die USA eindeutig überlegen und sind am Ende verdient Weltmeister geworden.

Wird es eigentlich einen Abschlussartikel mit einem Fazit zur WM geben? Würde mich zumindest interessieren. Ich fand die Teams der WM doch ziemlich eng beisammen vom Niveau her. Eigentlich waren nur Elfenbeinküste, Thailand und Kolumbien Totalausfälle. Ansonsten wurden die meisten Spiele mit nur einem oder zwei Toren Unterschied gewonnen. Ist für ein Indiz dafür, dass es auch im Frauenfußball besser wird und die Aufstockung auf 24 Teams bei dieser WM nicht zu früh kam.

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2phunkey4u 7. Juli 2015 um 00:36

War ein interessantes Turnier. Alle Trainer sagen, dass in Zukunft an der Pressingresistenz gearbeitet werden muss. Mal sehen, was dann bis zum nächsten Mal passiert.
Mein All Star-Team: Angerer – Boulleau, Sauerbrunn, Johnston, Bronze – Henry, Holiday – Miyama, Lloyd, Sinclair – Le Sommer

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dummkopf 7. Juli 2015 um 23:37

Ist dann ja vielleicht logisch? An verstärktem Pressing wird gearbeitet, weil da die Resistenz schlecht ist. Also führt das am schnellsten zum Erfolg.

Ich habe auch 2 All-Star-Teams gebastelt:

https://football11women.wordpress.com/2015/07/07/the-all-star-team-of-the-womens-world-championship/

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HW 8. Juli 2015 um 11:03

Wobei ich erwartet hätte, dass Japans Abwehr am besten mit Pressing zurecht kommt. Freaky-Sunday kann man nicht als Maßstab nehmen.

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Popowei 6. Juli 2015 um 22:00

Wenn zu Pech noch Unglück dazu kommt …

Da ist alles gegen Japan gelaufen: 1:0 durch einen Standard, der, so schön er auch war, auch glücklich gefallen ist, 2:0 nach einem Gestocher, 3:0 durch einen Abwehrfehler nachdem sich der Ball versprungen war, 4:0 durch einen Torfraufehler nachdem sie allerdings auch direkt in die tiefstehende Sonne schauen musste.

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HW 6. Juli 2015 um 18:40

War zu erwarten, dass Japan defensiv Probleme bekommen würde. Aber eine flache Ecke in den Strafraum? Das darf eigentlich nicht passieren.

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HW 6. Juli 2015 um 18:50

4:0 nach 17 Minuten ist für ein Finale allerdings irgendwie … Scheiße.
Und ein paar Geschenke haben die Japaner dann irgendwie auch verteilt.

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